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Brüssel als Ermittler im Affentheater um die Kronkolonie

Spanien verschärft den Ton und sucht Ablenkung

Von Ralf Streck, Madrid *

Gibraltar sei ein »Nest von Schmugglern und Kriminellen« – nationalistische Töne werden in Spanien schärfer. Nun will die EU-Kommission Beobachter entsenden.

Im Affentheater um die britische Kronkolonie Gibraltar in Südspanien wird der Ton schärfer. Die rechte spanische Zeitung »La Razón« kommentiert in einem Leitartikel am Dienstag, dass sich die EU-Kommission nun in das Theater einmischt. »Ja, Brüssel soll ermitteln.« Sie fordert von der EU-Kommission, das Beobachterteam müsse ermitteln, ob Gibraltar ein »Nest von Kriminellen und Schmugglern« sei. Insbesondere wirft Spanien Gibraltar Zigarettenschmuggel vor. Dort versteckten sich einige hinter einem »Regime«, um »Geldwäsche und Steuerhinterziehung« zu begehen, obwohl in »Großbritannien selbst derlei Vergehen streng bestraft werden«.

EU-Kommissionspräsident José Manuel Barroso hatte sich mit dem spanischen Ministerpräsidenten Mariano Rajoy am Montag darauf verständigt, dass nicht nur untersucht werden soll, ob bei den strengen Kontrollen an der Grenze zwischen Gibraltar und Spanien die EU-Bestimmungen eingehalten werden. Das hatte der britische Premier David Cameron gefordert. Der bezeichnet die ständigen Kontrollen als politisch motiviert. Sie bescheren Besuchern und Beschäftigten aus Spanien zum Teil stundenlange Wartezeiten, wenn sie in die Kolonie gelangen wollen.

Die Beobachter sollen auch spanische Schmuggel- und Geldwäschevorwürfe untersuchen. Ausgeklammert bleibt ausgerechnet der Vorgang, der den Streit im Sommer hochkochen ließ. Spanien hatte schon zuvor eine Beschwerde eingereicht, wonach Gibraltar unrechtmäßig gehandelt habe, als Ende Juli vor seiner Küste etwa 70 Betonblöcke versenkt wurden. Mit dem künstlichen Riff soll verhindert werden, dass spanische Fischer vor Gibraltar mit Schleppnetzen fischen. Diese Beschwerde wird gesondert geprüft.

Eine Absage hat Brüssel schon dem Vorhaben des spanischen Außenministers erteilt. José Manuel García Margallo hatte in dem Streit nicht nur gedroht, den Luftraum in Richtung Gibraltar zu sperren, sondern wollte eine tägliche Zugangsgebühr von 50 Euro einführen. Damit sollten die Fischer für die Einnahmeausfälle entschädigt werden. Das wäre nach Angaben aus Brüssel illegal. Möglich sei jedoch eine Straßenbenutzungsgebühr. Obwohl die sich im Rahmen der Verhältnismäßigkeit eher im einstelligen Bereich bewegen dürfte, sind Tausende Andalusier, die in Gibraltar arbeiten, entsetzt. Sie fürchten trotzdem, die Gebühr könne ihre Löhne auffressen. Für Andalusien wäre das bei einer Arbeitslosenquote von knapp 36 Prozent ein harter Schlag.

Im »Wall Street Journal« hat Margallo den Briten am Dienstag einen Dialog über Gibraltar angeboten. Vorher müsse der »angerichtete Schaden« beseitigt, also die Betonblöcke entfernt werden. Er beanspruchte die Gewässer in der US-Zeitung erneut als »spanische Hoheitsgewässer«. Sie seien auch im Vertrag von Utrecht nicht an Großbritannien abgetreten worden. London hat Gespräche aber abgelehnt. 1713 – vor 300 Jahren – wurde Gibraltar formell den Briten zugesprochen und dieser Stachel schmerzt im Fleisch spanischer Nationalisten. Alle militärischen Versuche, den Felsen an der Meerenge zurückzuerobern, sind gescheitert.

Auch nach Ansicht vieler Beobachter in Spanien schürt die Regierung den Konflikt künstlich, um von den Korruptionsskandalen in der regierenden Volkspartei (PP) und anderen Problemen wie der extremen Arbeitslosigkeit und der Rezession abzulenken. Zeitungen wie »La Razón« sind wegen ihrer Nähe zu den Konservativen eher nachsichtig, wenn es um darum geht, dass sich die PP nach Angaben ihres ehemaligen Schatzmeisters Luis Bárcenas mehr als 20 Jahre illegal über Schmiergelder finanziert haben soll.

Eine weitere offene Flanke ist, dass Spanien zwar eine Rückgabe und »Verhandlungen über die Souveränität« Gibraltars fordert, aber seinerseits von einer Rückgabe der Exklaven Ceuta und Melilla an der marokkanischen Küste nichts wissen will. So wie Gibraltar von Spanien umschlossen ist, liegen diese Exklaven umschlossen von Marokko auf dem afrikanischen Kontinent. 2002 kam es zwischen beiden Ländern fast zu einer militärischen Konfrontation um die unbewohnte »Petersilieninsel« 200 Meter vor Marokko.

* Aus: neues deutschland, Mittwoch, 21. August 2013

Annäherung mit Yanito

Wer nach Gibraltar mit dem Auto reist, könnte dort trotz der Eroberung im Jahre 1704 durch England während des Spanischen Erbfolgekrieges rechts fahren. Doch die Reiseführer empfehlen nicht nur einen »wundervollen Ort«, sondern auch fürsorglich, das Fahrzeug in Spanien zu parken. Auf der nur 6,5 Quadratkilometer großen Felseninsel im Süden der Iberischen Halbinsel gibt es nur wenige und sehr teure Stellplätze.

Etwas anderes ist es mit den Liegeplätzen. Derzeit ankern vor der Küste drei britsche Kriegsschiffe und machen Eindruck. Mehr noch bekräftigen sie den Anspruch Londons auf das Überseeterritorium, das 1830 britische Kronkolonie wurde.

Diese liegt zwischen Europa und Afrika, Atlantik und Mittelmeer sowie zwei Monarchien. Das Königreich Spanien, das das Gelände 1713 offiziell abtreten musste, hätte es derzeit mal wieder gern zurück. Königin Elisabeth II. lässt keinerlei Bereitschaft dazu erkennen. Wahlsprüche passen dazu »Plus Ultra« (darüber hinaus) der spanische, der von Gibraltar »Nulli Expugnabilis Hosti« (von keinem Feind zu erobern).

»Mehr als Sie sich vorstellen«, lautet ein Werbespruch. Bereits in der Antike wurde der 425 Meter hohe Fels als eine Säule des Herakles gerühmt. Der aus dem Arabischen stammende Name »Dschebel Tarik« (Berg des Tarik) weist auf kriegerische Vergangenheit. Der maurische Feldherr Tāriq ibn Ziyād eroberte hier ein Stück Spanien. Die Festung wurde begehrt, der Blick auf Seeschlachten blieb unverstellt.

Der (Kalkstein-)Felsen von Gibraltar mit seinen Affen, die schon mal die Engländer vor einem Nachtangriff der Spanier und Franzosen gewarnt haben sollen, und ein Marinestützpunkt tun ein übriges zur Wehrhaftigkeit. Die knapp 30 000 Einwohner wollen ohnehin zu fast 100 Prozent lieber unter britischer Herrschaft verbleiben, wie Volksbefragungen in den Jahren 1967 und 2002 offenbarten. Da ist es schon etwas dreist, wenn Britannien die alten Rivalen wissen lässt, es würde eine Rückgabe in Erwägung ziehen – wenn es die Einwohner denn wünschten.

Gibraltar gehört nicht nur unter die Herrschaft des Königshauses, sondern auch zu Europa, nicht ganz zu Schengen. So bleiben den Spaniern lediglich Nadelstiche per Grenzkontrollen. Sogar die Schließung der Übergänge hatten sie schon versucht – am dauerhaftesten 1969 bis 1985. Doch nur sprachlicher Erfolg ist bislang zu verzeichnen. Amtssprache ist Englisch. Im Alltag wird das mit Spanisch gemixt zum lokalen »Yanito«.

K. J. Herrmann

(nd, 21. August 2013)




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