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Hetzjagd per SMS

Britisches Innenministerium fährt rassistische Kampagne gegen Immigranten. Die sollen sich selbst zur Abschiebung melden

Von Christian Bunke, Manchester *

Mit einer »Ausländer raus«-Kampagne machte das britische Innenministerium Anfang dieser Woche in London auf sich aufmerksam. Autos mit großen Werbetafeln wurden durch sechs Londoner Stadtteile geschickt. Auf diesen stand zu lesen: »Illegal in GB? Geh nach Hause oder werde verhaftet. Texte ­HOME an 78070 für kostenlose Beratung und Hilfe mit Reisedokumenten. 106 Illegale wurden bereits letzte Woche in Deinem Stadtteil verhaftet.« Laut Angaben des Innenministeriums hat die Plakataktion 10000 Pfund gekostet. Eine Abschiebung koste 15000 Pfund. Sei die Aktion erfolgreich, werde man sie auf das ganze Land ausweiten.

Die Kampagne führte zu teils wütenden Reaktionen. Migrantenorganisationen in London beauftragten bereits Anwälte um eine Klage gegen das Innenministerium zu prüfen. Mike Jones, der gewerkschaftliche Vertrauensmann für die Beschäftigten des Innenministeriums, bezeichnete die Aktion als »genau die Kampagne, die zu mehr rassistischen Spannungen in den Stadtvierteln führt und Wasser auf die Mühlen der extremen Rechten ist«. Die Gewerkschaft für Staatsangestellte PCS, deren Mitglied Mike Jones ist, bezeichnete sie als »Werbekampagne der Konservativen Partei«. Es sei »beschämend, daß das Innenministerium sich dafür hergibt«.

Auch die Liberaldemokraten, Koalitionspartner in der konservativ dominierten Regierung von Premierminister David Cameron, distanzierten sich von der Aktion und bezeichneten sie als »geschmacklos«. Doch für das Innenministerium handelt es sich scheinbar nur um den Auftakt einer größeren Kampagne. So berichten Anrainer in den betroffenen Stadtteilen von verstärkten Kontrollen der Einwanderungsbehörde an U-Bahn-Stationen. Davon seien vor allem dunkelhäutige Menschen betroffen, heißt es in Leserbriefen Londoner Lokalzeitungen. Offenbar wurden auch die betroffenen Stadtteile gezielt ausgesucht. So kritisierte die mit dem Fall befaßte Anwaltsfirma Deighton, Pierce und Glynn, daß gerade die Stadtteile Barking und Dagenham immer Probleme mit Rassismus gehabt hätten. In den 1990er Jahren hatte die rassistische BNP dort ihre Parteizentrale, die erst durch eine Massenkampagne geschlossen werden konnte. Auch handelt es sich um Stadtteile, die mit massiv steigenden Mietkosten zu kämpfen haben. Von einer durch die Olympischen Spiele 2012 versprochenen Verbesserung der Lebensqualität ist für die Bevölkerung nichts zu spüren.

Am Dienstag antwortete der konservative Einwanderungsminister Mark Harper in einem Artikel für die Tageszeitung Daily Mail auf die Kritik. Einwanderung bedeute einen nicht tolerierbaren Druck auf die Infrastruktur des Landes, insbesondere Schulen, Wohnraum und das Gesundheitssystem. Außerdem würden illegale Einwanderer die Gehälter in Niedriglohnbranchen drücken. Harper lenkt so bewußt davon ab, daß es seine Regierung ist, die mit dem Ausverkauf des staatlichen Gesundheitssystems an global operierende Konzerne und der Schließung zahlreicher Krankenhäuser der Infrastruktur des Landes schadet. Im Internet kursiert deshalb bereits eine veränderte Version des rassistischen Regierungsplakates: »Keine Steuern bezahlt? Macht nichts!«, heißt es dort. »Texte ›Wer? Ich? Steuern zahlen?‹ an 78070 für eine freundliche Verwarnung und keine Bestrafung. Keine Verhaftungen in Deiner Gegend letzte Woche«, endet die Satire als Anspielung auf die lasche Verfolgung reicher Steuersünder in Großbritannien.

* Aus: junge Welt, Freitag, 2. August 2013


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