Camerons Laster
Die Tories spielen falsch – mit der Karte der Fremdenfeindlichkeit
Von Ian King, London *
Die britischen Konservativen machen
wieder einmal Wahlkampf mit rassistischen
Ressentiments.
Nein, der Premier ist kein fauler
oder gefräßiger Lüstling. Zumindest
weiß bisher keiner davon.
Hier geht es um zwei von den Konservativen
gemietete Lkw, die
durch die Straßen Nord-Londons
mit einem bedrohlichen Plakat
kurven: »Illegal in Großbritannien?
Geh' nach Hause oder rechne
mit Verhaftung!« Handschellen
unterstreichen die fremdenfeindliche
Botschaft. Parallel werden
Fahrgäste in Vorortbahnhöfen
peinlich befragt, sofern die Pendler
Nicht-Weiße sind. Auch und gerade,
wenn sie in London geboren
und britische Staatsbürger sind.
Rassistische Ressentiments und
deren Ausnutzung in Wahlkampfzeiten
sind in Großbritannien
nichts Neues. Oswald Mosleys Hitler-
bewundernde Schwarzhemden
pöbelten 1936 unter Polizeischutz
gegen Juden. Der Rechtskonservative
Enoch Powell faselte 1968
vom blutschäumenden Tiber und
bedauerte die kleine Witwe, die als
einzig gebliebene Weiße in ihrer
Straße unter den unappetitlichen
Gewohnheiten der Zugereisten zu
leiden habe (Die Frau gab es nicht).
»Wenn du einen Neger zum Nachbarn
haben willst, wähle Labour«,
riet Peter Griffiths den Bürgern
und blieb bis 1997 durch diese
Masche Tory-Abgeordneter. Seit
Monaten wandelt Cameron unverdrossen
in deren Fußstapfen,
rät beispielsweise Rumänen und
Bulgaren, trotz Freizügigkeit in der
EU, England um Gottes Willen zu
meiden: Das Wetter sei schlecht,
die Küche miserabel. Was teilweise
stimmt, aber nicht gerade für
ein Land der unbegrenzten Möglichkeiten
unter den Tories spricht.
Die Konservativen schüren aus
niedrigem wahltaktischen Kalkül
Hass gegen Migranten. Denn solche
Ablenkungsmanöver sollen
helfen, das katastrophale Scheitern
ihrer Austeritätspolitik sowie
den brutalen Klassenkampf von
oben gegen Arbeitslose und sozial
Schwache vergessen zu machen.
Ein Sündenbock muss her: möglichst
einer, der sich nicht wehren
kann. Und ein neuer Gegner bedroht
die rechte Flanke der Tories
in der Gestalt der United Kingdom
Independence Party mit dem jovialen
Chef Nigel Farage. UKIP wird
die Parlamentswahl 2015 nicht
gewinnen, obwohl sie bei der Europawahl
2014 mit Stammtischparolen
die Etablierten das Fürchten
lehren könnte. Aber ein paar
Tausend konservativer Stimmen
für die »Kippers« könnten in hart
umkämpften Wahlkreisen Labours
Ed Miliband den Schlüssel zu
Downing Street Nr. 10 liefern. Um
das zu verhindern, ist den Konservativen
auch die Antimigranten-
Methode recht.
Doch die Einschüchterungsaktion
ruft auch Verfechter von
Gleichberechtigung auf den Plan.
Ein Lkw der Bürgerrechtsbewegung
Liberty bereist ebenfalls
Nord-London. Ihr Plakat verkündet:
»Spannung und Spaltung illegal
schüren? Innenministerium,
überleg' dir das noch einmal!«
Und auch nicht alle Regierungspolitiker
reiten auf der populistischen
Welle: Der liberale
Wirtschaftsminister Vince Cable
zeigt sich von der Tory-Kampagne
peinlich berührt. Auch der konservative
Londoner OB Boris
Johnson weiß, dass ohne Migranten
Busse und Bahnen nicht fahren,
Krankenhäuser ihren Dienst
aufgeben müssten. Und wer gewann
in der Leichtathletik zwei
Mal Gold bei Olympia in London?
Ein somalischer Bürgerkriegsflüchtling,
der als Achtjähriger
nach England kam: der beliebte
Mo Farah. Sogar die englische Küche
wird besser – durch tätige Mithilfe
von Bangladeschern, Chinesen
und Italienern. Das wissen
Millionen Briten jeder Hautfarbe
und Abstammung und lassen sich
von den Konservativen nicht gegen
ihre Nachbarn in Stellung bringen.
* Aus: neues deutschland, Donnerstag, 8. August 2013
Nachtrag vom 10. Juni:
Ärger für Camerons Kampagne
Aktion gegen illegale Einwanderer von britischer Behörde gerügt **
Wegen der »Go Home«-Drohkampagne gegen illegale Einwanderer bekommt die britische Regierung Ärger mit der Werberegulierungsbehörde.
Es sei eine formelle Untersuchung wegen der Aktion des Londoner Innenministeriums eingeleitet worden, nachdem es 60 Beschwerden gegen die Kampagne gegeben habe, sagte ein Sprecher der Werberegulierungsbehörde ASA am Freitag. Die Phrase »Go Home« werde als besonders »beleidigend und verantwortungslos« empfunden, weil sie an einschlägige Slogans rassistischer Gruppierungen in Großbritannien erinnere. Das Innenministerium hatte ab Ende Juni Busse durch Londoner Stadtviertel mit hohem Einwandereranteil geschickt. Bebildert waren sie mit Handschellen und der Zahlenangabe, wie viele Festnahmen es in dem Bezirk schon gegeben hat.
Daneben prangte die Warnung: »In the UK illegally? Go home or face arrest« – auf Deutsch: »Illegal in Großbritannien? Geh nach Hause oder rechne mit einer Festnahme«. Wer sich zur Zielgruppe zählte, sollte eine SMS mit dem Wort »home« an eine eigens eingerichtete Nummer schicken. Zwar fahren die »Rassismus-Van« getauften Kleinbusse nicht mehr. Doch wird die Kampagne mit Handzetteln und Anzeigen in Lokalzeitungen fortgesetzt.
Ein Sprecher des Innenministeriums erklärte am Freitag, es gebe Kontakt zur Regulierungsbehörde und es werde rasch auf das Verfahren reagiert. Ein Sprecher des konservativen Premierministers David Cameron hatte die Aktion in der vergangenen Woche noch gerechtfertigt: Illegal eingewanderten Menschen zu helfen, das Land freiwillig zu verlassen, sei der billigste Weg, damit es weniger würden. Und die Kampagne habe schon gewirkt.
** Aus: neues deutschland, Samstag, 10. August 2013
Zurück zur Großbritannien-Seite
Zur Seite "Migration, Flüchtlinge, Fremdenfeindlichkeit"
Zurück zur Homepage