Dieser Internet-Auftritt kann nach dem Tod des Webmasters, Peter Strutynski, bis auf Weiteres nicht aktualisiert werden. Er steht jedoch weiterhin als Archiv mit Beiträgen aus den Jahren 1996 – 2015 zur Verfügung.

Honig saugen aus dem Mord von London

Britische Regierung will repressive Gesetze durchdrücken. Einer der Mörder war Folteropfer in Kenia

Von Christian Bunke, Manchester *

Michael Adebolajo, einer der mutmaßlichen Mörder des Soldaten Lee Rigby im Londoner Stadtteil Woolwich, soll 2010 in kenianischer Gefangenschaft gefoltert und von Mitarbeitern des britischen Geheimdienstes MI5 verhört worden sein. Das berichten unter anderem die BBC, der Independent und die Huffington Post.

Adebolajo wurde 2010 in Kenia verhaftet, weil er sich dort angeblich einer militanten islamistischen Gruppe anschließen wollte. Während seiner Gefangenschaft soll er zwei Tage nichts zu essen bekommen haben und geschlagen worden sein. Das berichten Familien­angehörige. Außerdem soll ihm mit Vergewaltigung und Hinrichtung durch Erhängen oder Köpfen gedroht worden sein.

Anscheinend erhielt er während seiner Haftzeit auch Besuch von MI5-Agenten. Dies sei Standard bei britischen Staatsangehörigen, die im Ausland wegen Terrorverdachts verhaftet würden, so Chris Grayling, der für die Geheimdienste zuständige Minister. Es ist bereits länger bekannt, daß britische Dienste im Ausland mit Folterbehörden kooperieren.

Schließlich wurde Adebolajo vor einem kenianischen Gericht freigesprochen und nach Großbritannien abgeschoben. Dort, so berichten Freunde und Angehörige, wurde er regelmäßig von MI5-Agenten »belästigt«. Diese wollten scheinbar seine Mitarbeit erzwingen und ihn als verdeckten Ermittler im islamistischen Umfeld einsetzen. Adebolajo lehnte dies ab. »Vielleicht hat der dauernde Druck durch den Geheimdienst ihn über die Klippe springen lassen«, spekulierte dessen Schwager am 26. Mai in der Tageszeitung Independent.

Derweil versuchen verschiedene politische Kräfte den Mord in Woolwich für ihre Zwecke zu nutzen. Auf der einen Seite versucht die konservative Innenministerin Theresa May, den so genannten Communications Data Bill wieder zum Leben zu erwecken. Mit diesem Gesetz sollen Internet-Serviceprovider zur Vorratsdatenspeicherung gezwungen werden. In der Bevölkerung wird das Gesetz abgelehnt, auch in der Regierungskoalition war es bislang nicht mehrheitsfähig. Nun erhält May Rückendeckung für ihr Vorhaben von ehemaligen Innenministern, auch von Alan Johnson aus der Labour Partei.

May will auch das Verbot politischer Organisationen in Großbritannien erleichtern. Bislang können nur solche Organisationen verboten werden, denen terroristische Methoden nachgewiesen werden. May will diese Definition auf eine allgemeine Verbreitung von »Haß« erweitern. Britische Menschenrechtsorganisationen lehnen sowohl das Kommunikationsgesetz als auch eine erweiterte Verbotsdefinition ab.

Der Mord an Ricky Lee hat auch rechtsextreme Gruppen wie die faschistische British National Party und die rechte Schlägertruppe English Defence League auf den Plan gerufen. Letztere versuchen, sich auf der Welle des Entsetzens in der Bevölkerung über die Brutalität des Mordes zu sanieren.

Die English Defence League hatte sich in den vergangenen Monaten und Jahren in verschiedene Splittergruppen gespalten und konnte auf der Straße aufgrund antifaschistischen Drucks keine Erfolge mehr erzielen. Am Samstag marschierte die EDL in Newcastle mit 2000 teils angetrunkenen Teilnehmern auf. Zuvor wurde mit 500 Teilnehmern gerechnet.

Sei dem Mord hat es vor allem in Südostengland acht Anschläge auf Moscheen gegeben. Die Organisation Faith Matters, die sich mit religiös motivierten Gewalttaten beschäftigt, berichtet von 162 registrierten Angriffen auf Muslime seit dem Mord. Normal seien »nur« sechs Angriffe pro Tag.

* Aus: junge Welt, Mittwoch, 29. Mai 2013


Zurück zur Großbritannien-Seite

Zur Seite "Islam, Islamismus, Islamophobie"

Zurück zur Homepage