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Schottlands Geld für Schottland

Morag Dunbar über die Debatte um den Austritt aus dem Vereinigten Königreich


Morag Dunbar (67) ist zertifizierte Fremdenführerin für ganz Schottland und hat einen Universitätsabschluss in schottischer Geschichte. Außerdem ist sie Mitglied der Schottischen Nationalpartei SNP und arbeitet einen Tag pro Woche für eine SNP-Abgeordnete im Schottischen Parlament. Mit ihr sprach für »nd« Ralf Hutter.

Im September 2014 sollen die Schotten über die Unabhängigkeit von Großbritannien abstimmen. Wie ist derzeit die Stimmung im Land?

Es wird ständig darüber gesprochen. Die Londoner Regierung stimuliert das, so wie alle anderen, die gegen die Unabhängigkeit sind.

Wer ist dagegen?

Alle drei großen britischen Parteien sind gegen die Unabhängigkeit, auch in ihren schottischen Ablegern. Sie wollen der schottischen Bevölkerung Angst machen und werfen die Frage auf, ob hier alles funktionieren wird ohne England. Zum Beispiel sagen sie: Wenn wir tatsächlich die Stationierung von Nuklearwaffen beenden, wird das zu Unstimmigkeiten mit den USA führen.

Wird die Debatte sehr emotional geführt? Gibt es Menschen in Schottland oder England, die gegenüber der jeweils anderen Seite Hass empfinden?

Überhaupt nicht, soweit ich weiß.

Welche Vorteile und Nachteile hätte denn die Unabhängigkeit?

Es könnte in anderen Ländern eine Zeit lang Unklarheit und Zweifel über den Kurs Schottlands geben. Der große Vorteil wäre aber die Selbstbestimmung. Zum Beispiel ist für Schottland der Fischfang wichtiger als für jede andere britische Region. Die britische Regierung wird ihm also bei EU-Verhandlungen nicht so viel Bedeutung beimessen wie wir. Die EUFangquoten aber gefährden unsere gesamte Fischerei. Die schottischen Boote müssten so viel Fisch wieder zurück ins Meer werfen, dass es sich nicht mehr lohnt.

Aber die Quoten sind doch zum Schutz der Fische gemacht.

Ja, aber es müssen alle Stimmen gehört werden. Vielleicht hätte eine Regulierung der Maschen der Netze besser funktioniert.

Welche Haltung hat die schottische Bevölkerung zur EU?

Schottland ist pro-europäischer als England. Die Cameron-Regierung ist auf engstirnige Art anti-europäisch.

In welchen Angelegenheiten kann das Schottische Parlament jetzt schon unabhängig entscheiden, und seit wann?

1707 wurden Schottland und England Großbritannien. Das wurde aber übrigens nur von einer kleinen Oberschicht beschlossen, die zudem teilweise bestochen war. Schottland behielt jedenfalls sein eigenes Rechts- und Erziehungssystem. Auch religiöse Fragen konnte es selbst regeln. 1999 erst nahm das Schottische Parlament seine Arbeit auf. Von London aus werden EU-, Steuer- und Ölpolitik sowie der Rundfunk gemacht. Alles andere wird autonom organisiert. In Steuerfragen kriegen wir möglicherweise bald mehr Macht, unabhängig vom Referendum.

Wer ist mit der gegenwärtigen Situation unzufrieden?

Das ist keine bestimmte Art von Leuten. Ich habe Freunde, die mir ähnlich sind und die ebenfalls im Tourismusbereich arbeiten, die nicht für die Unabhängigkeit oder zumindest skeptisch sind. Die Mehrheit der Leute in diesem Sektor, die also irgendwie für Schottland arbeiten, wird aber dafür sein.

Spielen nicht auch materielle Interessen eine Rolle?

Mir fällt da nichts ein. Wir wollen einfach selbst bestimmen, welches Geld in welche Richtung geht.

Das klingt, als würde Schottland ungerecht behandelt werden.

Es ist nur so, dass Schottland mehr zahlt, als es zurückbekommt.

Wird darüber gesprochen, dass eine eigene Währung in diesen Zeiten der wirtschaftlichen Krise eine große Hilfe sein könnte, wie das positive Beispiel Islands und das negative Griechenlands gezeigt haben?

Die SNP will letztendlich in den Euro. Die »Ja«-Kampagne für das Referendum hat dazu aber keine feste Meinung.

* Aus: neues deutschland, Freitag, 26. April 2013

Schottlands Zukunft: Kampf um EU und Währung

Die regierende Schottische Nationalpartei SNP hat nach Verhandlungen mit der britischen Regierung ein Referendum für Schottlands Unabhängigkeit auf den Weg gebracht. Es ist für September 2014 angesetzt. Umfragen zufolge würden derzeit 30 Prozent der schottischen Bevölkerung sicher für die Unabhängigkeit stimmen.

Skeptisch macht viele von ihnen, dass unsicher ist, wie Schottland nach der Unabhängigkeit ins europäische Staatengefüge eingebunden wäre. Das betrifft sowohl die Währung, als auch die EU-Mitgliedschaft. Eigentlich will die SNP in den Euro. Da das aber Zukunftsmusik ist, geht es erst mal um den Verbleib im britischen Pfund. Am Dienstag sagte der britische Schatzkanzler George Osborne in Glasgow, es sei unwahrscheinlich, dass England, Wales und Nordirland die Mitsprache eines unabhängigen Schottlands akzeptieren würden. Schottland könnte dann das Schicksal Montenegros oder Panamas teilen, die den Euro beziehungsweise den US-Dollar als Währung haben, ohne diese beeinflussen zu können.

Über Großbritanniens Grenzen hinaus sorgt Schottlands Wunsch nach Verbleib in der EU für Streit – und für Verwirrung. Die Gegner der Unabhängigkeit – zu denen wegen der separatistischen Bestrebungen in Katalonien auch die spanische Regierung zählt – weisen darauf hin, dass Schottland sich um die Aufnahme in die EU bewerben müsste und jedes EU-Land veto-berechtigt sei. Der Jura-Professor Bardo Fassbender argumentierte demgegenüber in der »FAZ« vom 5. April, dass das EU-Aufnahmeverfahren in diesem Fall einen bisher noch nicht geregelten Sonderfall darstellen müsste, in dem alle EU-Mitglieder zu Wohlwollen verpflichtet wären.
Ralf Hutter




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