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Militärbegräbnis erster Klasse für Thatcher

Nicht nur die Kosten der heutigen Trauerfeier für die »Eiserne Lady« in London stehen in der Kritik

Von Ian King, London *

An der früheren britischen Premierministerin Margaret Thatcher scheiden sich auch noch nach ihrem Tod die Geister. So gab es viel Kritik an Umfang und Kosten der heutigen großen Trauerzeremonie in der Londoner Sankt-Pauls-Kathedrale.

Als einst ein umstrittener Bürgermeister von New York seine letzte Reise antrat, wunderte sich der Besuch vom Lande über die riesige Zuschauermenge: Hat der Verblichene so viele Bewunderer gehabt? Nee, antwortete sein Kumpel aus der Stadt, alle sind hierhergekommen, um sicherzustellen, dass der Sarg fest zugeschraubt ist.

Die Leiche der Falkland-Kriegerin Margaret Thatcher wird heute auf einer Lafette von der Royal Horse Artillery durch die Straßen gezogen, begleitet von weiteren 700 Militärs sowie Polizisten, die für Ruhe und Ordnung sorgen sollen. Demonstranten planen eine Party unter dem Motto »Thatcher - weg mit Schaden«. 2000 Ehrengäste werden in der Sankt-Pauls-Kathedrale erwartet, darunter die Königin, George W. Bush, Bill Clinton und David Cameron. So wie sie geherrscht hat, wird Margaret Thatcher zu Grabe getragen: Die Zeremonie hat sie bis in die letzten Einzelheiten selbst geplant. Die Regierung leugnet, dass die Kosten zehn Millionen Pfund betragen - doch nach dem jüngsten Anschlag von Boston werden sie eher noch darüber liegen. Bei der Frau, die viele öffentliche Güter verscherbelte, darf nach Ansicht von Tony Blairs einstigem Vize John Prescott gefragt werden, ob die Steuerzahler das ganze Spektakel bezahlen sollten. Der anglikanische Bischof ihrer Geburtsstadt Grantham stimmt in die Kritik ein: Ihr Sohn Mark, ein Waffenlieferant für afrikanische Despoten, hätte doch für einen größeren Teil der Kosten aufkommen können.

Die Ehre eines so pompösen Begräbnisses wurde 1965 auch Sir Winston Churchill zuteil, der als Kriegsherr gegen den Faschismus die Nation hinter sich vereinte. Thatchers Wirken hingegen hält ein gutes Drittel des Volkes für schlecht. Zehntausende sorgten vergangene Woche nach einem Internet-Aufruf dafür, dass sie das Judy-Garland-Lied von 1939 namens »Ding dong - die Hexe ist tot!« auf den zweiten Platz der Download-Hitparade brachten.

Clement Attlee, Labour-Premier von 1945 bis 1951, hat sich mit einem bescheidenen Begräbnis und 170 Gästen begnügt. Dabei hatte seine Regierung mit der Wirtschaftskrise gerungen, bankrotte Industrien verstaatlicht, Sozialstaat und Gesundheitsdienst geschaffen und den sozialen Wohnungsbau forciert. Thatcher hat versucht, alle diese Reformen rückgängig zu machen: mit Privatisierungen, subventionierten Wohnungsverkäufen, Massenarbeitslosigkeit und Krieg gegen den »innere Feinde« wie Berg- und Stahlarbeiter, Schotten, Nordengländer, Waliser, Arbeitslose.

Unter günstigsten wirtschaftlichen Umständen - die Steuereinnahmen aus Verkäufen des Nordseeöls flossen in Strömen - hat Thatcher die britischen Uhren zurückgedreht und die soziale Ungleichheit vergrößert. Heute wollen die Konservativen unter Premierminister David Cameron im Namen der Austeritätspolitik den Sozialstaat demolieren, weil der zu kostspielig sei. Aber für eine Beisetzung der »Eisernen Lady« im königlichen Stil habe es gereicht, so die Analyse des früheren Londoner Oberbürgermeisters Ken Livingstone.

Wenigstens fehlen unter den Trauergästen Vertreter des früheren südafrikanischen Apartheid-Regimes, das Thatcher vor allen internationalen Sanktionsplänen zu schützen versuchte. Selbiges gilt für Angehörige der von ihr ebenfalls gehätschelten Pinochet-Junta aus Chile sowie der kambodschanischen Roten Khmer, deren UNO-Sitz sie gemeinsam mit US-Präsident Ronald Reagan jahrelang verteidigte.

Der viele Glanz wird Cameron sicherlich auch angesichts der bevorstehenden schwierigen Kommunalwahlen gefallen. Doch Vorsicht: Es kann sein, dass er jetzt im Vergleich zur Toten von der eigenen Partei gewogen und für zu leicht befunden wird.

* Aus: neues deutschland, Mittwoch, 17. April 2013


Nicht auf Thatcher-Art

Anstatt dem billigsten Anbieter den Vertrag für die Beerdigung anzubieten, erhielt die britische Expremierministerin ein verkapptes Staatsbegräbnis

Von Christian Bunke **
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Am Mittwoch wurde Margaret Thatcher in London zu Grabe getragen. Es war ein militärisches Zeremoniell, veranstaltet, um den Machtanspruch neoliberaler Politik zu untermauern. Wieviel das Spektakel kostete, ist unbekannt. Die Rede ist von zehn Millionen Pfund. Offiziell war es jedoch kein Staatsbegräbnis.

In seiner Predigt sagte Richard Chartres, der Bischof von London: »Es gibt einen Ort, die politischen Kontroversen über das Vermächtnis von Lady Thatcher auszutragen. Das Parlament hatte eine lange Debatte darüber in der vergangenen Woche. Aber eine Beerdigung ist kein Ort für politische Debatten.«

Dennoch hätte die Gestaltung dieser Trauerfeier kaum politischer sein können. Sie war von langer Hand noch unter Mitwirkung der früheren britischen Premierministerin selbst geplant worden. Die Soldaten, die den Sarg trugen, kamen aus Truppenteilen, die 1982 im Falkland-Krieg gekämpft hatten. Die Idee einer Straßenprozession mit dem Sarg auf einer Lafette, begleitet von Mitgliedern diverser Militäreinheiten durch die City of London, stammte von der Labour-Regierung unter Gordon Brown. Dieser nahm an der Beerdigung nicht teil, wohl aber sein Vorgänger Anthony Blair.

Die aktuelle britische Koalitionsregierung hatte mit der Regie für die Veranstaltung nichts zu tun, versuchte aber, politisches Kapital daraus zu schlagen. Vergeblich. Die Konservativen bekommen in Erhebungen derzeit von 32 Prozent der Befragten Zustimmung. Über 60 Prozent der Bevölkerung lehnen die staatlich finanzierte Beerdigung ab. Der linke Filmemacher Ken Loach gab die Stimmungslage vieler Menschen wieder, als er sagte: »Thatchers Beerdigung sollte privatisiert und der Kontrakt an den billigsten Anbieter ausgesourcet werden. Sie hätte das gewollt.«

Erstmals seit der Beerdigung Winston Churchills nahm die britische Königin an einem Politikerbegräbnis teil. Sie betrat die St.-Pauls-Kathedrale hinter Roger Gifford, dem Lord Mayor of London. Gifford präsentierte das »Schwert der Trauer«. Auch dies ist politisch zu verstehen. Gifford ist der Vertreter des nahezu exterritorialen Londoner Bankenviertels, einer der größten Steueroasen der Welt. Thatcher war eine lebenslange Dienerin des britischen Finanzkapitals. Die City sagte danke und erwies die letzte Ehre.

Der durch die Beerdigung gestellte Machtanspruch wurde in den vergangenen Tagen auch autoritär nach außen getragen. Die Londoner Polizei drohte allen, die während der Prozession des Sarges durch die Innenstadt »auf beleidigende Weise auftreten« würden, mit Verhaftung. Für den Vorabend der Zeremonie wurden sogar »präventive« Verhaftungen von bekannten Aktivisten angekündigt. Dies wurde aber nicht in die Tat umgesetzt. Doch die Botschaft war deutlich: Wer sich dem erzwungenen thatcheristischen Konsens widersetzt, muß mit Repressalien rechnen.

Dennoch gab es Proteste. Bereits am Samstag feierten Tausende den Tod Thatchers auf dem Trafalgar Square in London und demonstrierten gegen das staatlich geförderte Begräbnis. Während der Prozession drehten rund 100 Menschen dem Sarg Thatchers demonstrativ den Rücken zu.

Symbolisch taten das auch die USA. Während elf Premierminister und 17 Außenminister den Trauerfeierlichkeiten beiwohnten, war nach Angaben von Spiegel online aus Washington weder ein im Amt befindlicher Minister noch ein Expräsident angereist. Und Argentinien, Großbritanniens Gegner im Falkland-Konflikt, hat sogar seine Botschafterin absagen lassen. Die Präsidentin Cristina Fernández de Kirchner war gar nicht erst eingeladen worden.

** Aus: junge Welt, Donnerstag, 18. April 2013


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