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Kampf um Schottland verschärft sich

Nordseeöl, Währung und EU rücken ins Zentrum der Unabhängigkeitsdebatte

Von Reiner Oschmann *

Während Bundeskanzlerin Angela Merkel die Briten am Donnerstag davon überzeugen wollte, der EU treu zu bleiben, bangen ihre Gastgeber um die Treue der Schotten zum Vereinigten Königreich.

Die Debatte um Schottlands Unabhängigkeit gewinnt Schärfe, und zunehmend rücken Fragen von Wirtschaft, Währung und EU nach vorn. Ein gutes halbes Jahr vor dem Referendum am 18. September, bei dem die schottischen Wahlberechtigten nur vor der Frage »Unabhängigkeit – Ja oder Nein« stehen, bewegen sich die Regierung in London, die den Status quo erhalten will, und die Regionalregierung der Schottischen Nationalpartei (SNP) in Edinburgh offen auf Kollisionskurs.

Zu Wochenbeginn zeigte sich das erneut, als die Regierung des konservativen Premiers David Cameron eine Kabinettsitzung 640 Kilometer Luftlinie von London in Aberdeen abhielt und der Erste Minister der schottischen Regionalregierung, SNP-Führer Alex Salmond, keine zehn Kilometer entfernt auftrat. Streitthema des Tages: Öl und Gas in der Nordsee vor Schottland.

Cameron sprach bei Shell in Aberdeen, während Salmond sich für die Kirche in Portlethen entschied. Er bekräftigte dabei seine Forderung nach einem Fernsehduell mit dem Premierminister. Cameron lehnte ab und begründete das damit, dass er keine Stimme im Referendum habe – und mit der Unbeliebtheit der Konservativen in Schottland. Seit der Regierung Thatcher (1979 – 1990) sind die Torys dort regelrecht verhasst und ihr unsozialer Kurs ist ein Grund für Schottlands Unabhängigkeitsdrang.

Camerons Erklärung, die Öl- und Gasindustrie nutze am meisten, wenn sie Teil des Königreichs bleibe, da sie so besser von den »breiten Schultern« der Gesamtwirtschaft getragen werden könne, konterte Salmond damit, dass der Norden sich sehr wohl allein darum kümmern könne. Ein unabhängiges Schottland werde Öl und Gas »Stabilität sichern”, sagte er und suchte seine Landsleute zum Ja beim Referendum mit der Erklärung zu bewegen, dass die Energiequelle einen Wert von »300 000 Pfund pro Schotte« verkörpere. Er nannte die Regierungen in London »Diebe«, die Schottlands schwarzes Gold gestohlen hätten. »In den letzten 40 Jahren waren es weniger die breiten Schultern von Westminster als die tiefen Taschen des Schatzamts, in denen die riesigen Gewinne verschwanden.« Die Regierung in London behaupte zwar, Nordseeöl und -gas lägen bei einem großen Land in besseren Händen als bei einem kleinen. Doch die Schotten sähen beim Blick nach Norwegen, dass dieses Land, kleiner als Schottland, seine Ölressourcen cleverer verwalte als London die britischen. Laut »Independent« werden die Nordsee-Bestände »auf zwischen 15 und 24 Milliarden Barrels Öl geschätzt, genug für nochmals 30 bis 40 Jahre«.

Der Streit ums Öl folgte einem Schlagabtausch in der Währungs- und EU-Frage. Die Nationalisten wollen, dass ein selbstständiges Schottland die Königin als Staatsoberhaupt und das Pfund Sterling behält, in der EU und der NATO bleibt. Tory-Finanzminister George Osborne – darin unterstützt von den mitregierenden Liberalen wie von der oppositionellen Labour Party – und EU-Kommissionspräsident José Manuel Barroso stellen das in Frage. Osborne schloss eine Währungsunion bei einem »Ja« für die Unabhängigkeit aus. Barroso sagte, für ein unabhängiges Schottland würde es »schwierig, wenn nicht unmöglich«, EU-Mitglied zu werden. Als Begründung führte er die Angst mehrerer EU-Staaten vor Separationsbestrebungen in ihren Ländern an.

Edinburgh wies beide Positionen zurück. Salmond beschrieb Londons Absage an eine Währungsunion als Angstkampagne, um Schotten vom »Ja« abzuhalten. Eine Sterling-Union liege im Interesse Schottlands wie des Rest-Königreichs, denn sie minimiere die Unternehmerkosten für beide Seiten. Zu Barrosos Urteil sagte Salmonds Stellvertreterin Nicola Sturgeon: »Eine aberwitzige Haltung, wie unter anderem der lächerliche Vergleich (Barrosos) mit Kosovo zeigt! Schottland ist (anders als Kosovo) schon in der EU, und zwar seit über 40 Jahren. Tatsache ist, dass kein Mitgliedsland Schottlands fortdauernde Mitgliedschaft mit Veto belegen will.«

Über 4 Millionen der 5,3 Millionen Schotten sind wahlberechtigt. Nach Umfragen liegen die Ablehner eines Alleingangs bisher vorn, doch die Zahl der Befürworter stieg zuletzt stetig. Jeder Dritte ist noch unentschieden, und darin liegt ein weiterer Grund für die Schärfe einer wahrhaft historischen Debatte um Sein oder Nichtsein der 307-jährigen staatlichen Union – und die Zukunft des Königreichs insgesamt.

* Aus: neues deutschland, Freitag, 28. Februar 2014


Pfundskerle im Clinch

Viele offene Fragen: Vor Abstimmung über Schottlands Unabhängigkeit streiten Politiker über Verbleib im Währungsbereich. Gewerkschafter sehr skeptisch

Von Christian Bunke, Manchester **


Am 14. September wird in Schottland das Unabhängigkeitsreferendum abgehalten. Je näher dieses Datum rückt, desto deutlicher wird der Widerstand des gesamt britischen Bürgertums gegen das mögliche Ausscheiden des schon jetzt weitgehend autonomen Teilstaates aus dem Vereinigten Königreich. Auf der anderen Seite haben die schottischen Nationalisten Probleme, glaubwürdige Perspektiven für die Unabhängigkeit anzubieten.

Jüngstes Beispiel ist die Währungsfrage. Der schottische Erste Minister, Alex Salmond und seine nationalistische Scottish National Party (SNP) favorisieren eine Währungsunion mit Restbritannien. Diese wird von der Regierung in London kategorisch abgelehnt. »Wenn ihr das Britische Pfund in England monopolisieren wollt«, so Salmonds Reaktion darauf, »werden auch die schottischen Staatsschulden zu Schulden Restbritanniens. Schottland wäre dann zu keinen Zahlungen verpflichtet.«

Diese Drohung birgt einen durchaus realen Kern. Aber darauf will es der SNP-Politiker gar nicht erst ankommen lassen. Anfang dieser Woche erklärte Salmond, sein Land werde so oder so das Pfund behalten. Montenegro habe schließlich auch den Euro und Panama den Dollar, ohne das in formalen Abkommen mit der EU oder den USA geregelt zu haben. Das Pfund sei eine international gehandelte Währung, also könne Schottland sie verwenden.

Dagegen macht jetzt die eigene Finanzlobby in Edinburgh mobil. In nördlichen Teil der Hauptinsel befinden sich die Zentralen von immerhin einem Viertel des britischen Finanzkapitals. Owen Kelly, Sprecher der schottischen Finanzbranche, warnte vor der »Panama-Option«. Für den Fall der Unabhängigkeit habe man dann keine eigene Notenbank und keine Möglichkeiten, eine eigene Haushalts- und Finanzpolitik zu gestalten. Das werde den Ärger der Ratingagenturen hervorrufen, die den dann eigenständigen Staat sehr sicher herabstufen würden.

Erste Konsequenzen werden bereits vom Versicherungskonzern Standard Life angedroht. 5000 Arbeitsplätze sind in Schottland von ihm abhängig. Diese will der Konzern im Falle einer Unabhängigkeit nach England, also wahrscheinlich nach London, verlagern.

Die Finanzierung eines unabhängigen schottischen Staats soll vor allem über die Ausbeutung der verbliebenen Öl- und Gasvorkommen in der Nordsee gewährleistet werden. Schätzungsweise kann dort noch zwischen 30 und 40 Jahre lang gefördert werden. Bereits jetzt sinkt aber die Ausbeute kontinuierlich.

Deshalb will die SNP jedes Jahr eine Milliarde Pfund aus den Öl- und Gaseinnahmen in einen Zukunftsfond (nach dem Beispiel des ebenfalls an die Nordsee grenzenden Norwegen) anlegen. Der soll »innerhalb einer Generation«, so Salmond, bis zu 30 Milliarden Pfund Einkommen erwirtschaften. Mit dieser gut gefüllten Kasse könnte der schottische Staat langfristig wirtschaften, so das Kalkül.

Der Gewerkschaftsbewegung in dem Landesteil sind die Wirtschaftspläne für den Fall der Unabhängkeit zu schwammig. In dem »A Just Scotland«-Papier des schottischen Gewerkschaftsbundes STUC (Scottish Trade Union Congress) wird befürchtet, daß das Land als Teil einer Währungsunion nur sehr begrenzten fiskalischen Spielraum haben werde. Außerdem befürchtet man einen für die abhängig Beschäftigten auf beiden Seiten der Grenze gefährlichen Wettbewerb, welches Land die niedrigste Unternehmenssteuer verlangt.

Der STUC fordert in seinem Papier »eine demokratische Kontrolle der Wirtschaft durch eine Kombination von öffentlichem Eigentum und effektiver Regulierung«. Er stellt aber fest: »Der Trend geht dahin, daß immer größere Teile der schottischen Wirtschaft in ausländischem Besitz sind. Das wird die Möglichkeiten einer schottischen Regierung zur Übernahme von Industrien in staatliches Eigentum einschränken.«

Außerdem kritisiert der Gewerkschaftsbund die ökonomische Kurzsichtigkeit vergangener Regierungen. Schottland wurde weitgehend deindustrialisiert. Produktion findet hauptsächlich noch für Rüstungsunternehmen statt. »Es ist enttäuschend, daß diese strukturellen Probleme von keiner Seite in der Debatte angesprochen wurden«, so der STUC.

Das mangelnde Vertrauen vieler Lohnabhängiger in die Konzepte der bürgerlichen Nationalisten – bei gleichzeitiger Ablehnung des Vereinigten Königreichs – zeigte eine Mitgliederbefragung der Gewerkschaft für Staatsangestellte, der PCS. 18025 ihrer schottischen Mitglieder sprachen sich dafür aus, daß die Gewerkschaft keine Empfehlung zum Referendum ausgeben solle. 5775 Gewerkschafter sind für ein Bekenntnis zur Unabhängigkeit. Kein PCS-Mitglied stimmte dafür, daß sich die Gewerkschaft für einen Verbleib Schottlands im Vereinigten Königreich aussprechen soll.

Viele Beschäftigte machen London für den Sozialabbau im Land verantwortlich. Die britischen Konservativen spielen in Schottland politisch kaum eine Rolle. Während viele Menschen also Westminster gerne loswerden würden, haben sie andererseits nur wenig Vertrauen, daß ein SNP-geführtes unabhängiges Schottland wesentliche Verbesserungen bringen würde.

** Aus: junge Welt, Freitag, 28. Februar 2014


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