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Schwere Geschütze im Streit um Schottland

Drohungen werden schärfer, doch die Anhänger staatlicher Unabhängigkeit vom Königreich gewinnen an Zuspruch

Von Reiner Oschmann *

Noch liegen die Gegner einer Unabhängigkeit Schottlands in Umfragen vorn. Doch der Abstand schmilzt – trotz Drohungen und Warnungen.

Der Streit um Schottlands Unabhängigkeit wird mit immer schwereren Geschützen geführt. Mit Währungsdrohungen durch Britanniens Finanzminister George Osborne, mit Warnungen vor Jobverlusten durch Verteidigungsminister Philip Hammond, mit Mahnungen von Premier David Cameron an die Schotten zum Verbleib im Königreich. Das vorläufige Ergebnis dieser Gardinenpredigten – die überparteiliche Kampagne zur Unabhängigkeit, »Yes Scotland«, gewinnt neuen Zulauf. In Umfragen liegen die Unabhängigkeitsgegner fünf Monate vor dem Referendum am 18. September wie gehabt weiter vorn, doch der Vorsprung ist nach Ostern auf drei Punkte geschmolzen, neuer Rekord.

In dieser Lage betrat Dienstag ein weiteres Schwergewicht die Arena, um vor dem Alleingang zu warnen. Der frühere britische Premier Gordon Brown (2007-2010), selbst Schotte und daheim bis heute populärer, als er es in Britannien je war, trat in der Universität Glasgow erstmals nicht nur für seine Labourpartei auf, sondern für die überparteilichen Unabhängigkeitsgegner »Better Together«. Sein Plädoyer, das unter Wahlberechtigten (ab 16) besondere Beachtung finden könnte, konzentrierte sich auf Rentner und Pensionäre. Diese auch in Schottland wachsende Gruppe erweist sich in den Umfragen als am skeptischsten. Brown warb bei ihr für ein Nein. Er begründete es damit, dass die steigenden sozialen Kosten für Alte und Pflegebedürftige von Gesamtbritannien besser zu schultern seien als von Schottland allein.

Die in Schottland seit 2011 allein regierende und die Unabhängigkeit betreibende Regionalregierung der Scottish National Party (SNP) wies Browns Argumentation sofort als »Angstmacherei« zurück und erklärte, sie bewege sich auf gleicher Ebene wie »die haltlosen Behauptungen der in London regierenden Tories und Liberaldemokraten«.

In der Zuspitzung der Unabhängigkeitsdebatte hat der SNP-Führer und Erste Minister der Regierung in Edinburgh, Alex Salmond, in einem anderen Schlüsselstreitpunkt ein neues Bekenntnis zur Kernwaffenfreiheit eines unabhängigen Schottlands abgelegt. Die britische Atomwaffenstreitmacht in Gestalt der mit US-Trident-Raketen bestückten Vanguard-U-Boote ist derzeit allein in Schottland, unweit Glasgows, stationiert. Bei einem Auftritt vor Anhängern erklärte Salmond unter großem Beifall: »Lasst mich dieses eiserne Versprechen abgeben: Ein Ja (für ein unabhängiges Schottland) am 18. September ist auch ein Votum, ein für alle Mal diese Massenvernichtungswaffen aus Schottland zu entfernen.« Salmonds Bekräftigung widerspiegelt einerseits die Popularität der Forderung nach Kernwaffenfreiheit in der Wählerschaft. Andererseits stellt sie eine interessante Korrektur dar, nachdem seine Regierung zuletzt mehrfach Bereitschaft zum Einlenken in der Kernwaffenfrage signalisiert hatte.

Gerade dieser Punkt erhöht die Spannung, zumal offen ist, wie sich ein Akteur mit engen kulturellen Bindungen zu Schottland und Londons wichtigster Verbündeter positioniert: die USA. Bis dato erklärt die Obama-Regierung, »die Zukunft Schottlands ist eine innere Angelegenheit« Britanniens.

Die »Washington Post« zitierte nun Analysten, denen zufolge ein klares Wort bei engem Wahlausgang den Ausschlag geben könne. »Ein persönlicher Appell vom Präsidenten, im Vereinigten Königreich zu bleiben, könnte so manchen Schotten bewegen, sich zweimal zu überlegen, ehe er die Ausgangstür wählt. Ebenso gut könnte ein solcher Appell freilich auch nach hinten losgehen …«

* Aus: neues deutschland, Donnerstag 24. April 2014


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