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Schottische Sieger zerfleischen sich

Rücktritt der Labour-Chefin Johann Lamont in Edinburgh

Von Ian King, London *

Die schottische Volksabstimmung sollte die Nationalisten der SNP in die Schranken weisen. Stattdessen Masseneintritte bei den Geschlagenen und Katzenjammer bei den Gegnern der Unabhängigkeit.

Die SNP hat ihre Führungsfrage nach dem Rücktritt von Alex Salmond schnell und geräuschlos gelöst; dem umstrittenen Demagogen folgt seine junge Stellvertreterin Nicola Sturgeon, eine fähige Politikerin noch ohne Feinde. Am Wochenende trat nun nach drei Jahren auch Labours schottische Vorsitzende Johann Lamont zurück, mit harscher Kritik an dem Gängelband, an dem Labour-Chef Ed Miliband die so wichtige regionale Formation führen würde. Die Londoner Partei habe ihre Position unhaltbar gemacht. In Wahrheit hatte Lamont tapfer gekämpft, sich jedoch als überforderte Fehlbesetzung erwiesen. Der Nachfolge-Kampf – ein Ergebnis soll am 13. Dezember feststehen – wird schwierig, weil seit 1997 Labours Schwergewichte Karriere in Westminster statt im Edinburgher Parlament gemacht haben.

Das gilt beispielsweise für den früheren Schotten-Minister Jim Murphy und mehr noch für die überragende Gestalt der schottischen Politik, Gordon Brown, dessen Intervention im Abstimmungskampf eine entscheidende Rolle gegen die Abtrennung spielte. Keiner von beiden hat in Edinburgh eine Hausmacht. Im Vergleich sehen jedoch Labours Vertreter in Holyrood wie eine namenlose zweite Garnitur aus. Noch hält die Partei 41 von 59 Mandate Unterhaus-Sitze nördlich des Flusses Tweed, die Konservativen nur eines. Hier hat Labour bei einem Kopf-an-Kopf-Rennen im nächsten Frühjahr also entsprechend viel zu verlieren. Die SNP-Nationalisten führen in den Umfragen vor der britischen Parlamentswahl im Mai 2015 mit 41 vor Labour mit nur 28 Prozent: ein Ergebnis, das Ed Milibands Chancen, Premierminister zu werden, auf Null reduzieren könnte.

Aber auch David Cameron sieht im Augenblick nicht wie ein Sieger aus. Dass er das gewonnene Unabhängigkeitsreferendum als Gelegenheit auszunutzen versucht, um schottische Abgeordnete in London zu Mandatsträgern zweiter Klasse zu degradieren, ohne Abstimmungsrechte in rein englischen Fragen, zeigt zwar einen gewieften Parteitaktiker, aber keinen Staatsmann. Die Haushaltsnachforderungen der EU-Kommission, die Britannien über zwei Millionen Euro kosten könnten, ist Wasser auf die Mühle der Europa-Hasser von der rechten United Kingdom Independence Party, die Anstalten macht, bei der bevorstehenden Nachwahl in Rochester zu gewinnen.

Camerons Ziele bei den Neuverhandlungen über den britischen EU-Verbleib, vor allem die Forderung nach Eindämmung der Migration aus Mitteleuropa, sind unrealistisch; seine Partner von Angela Merkel bis Jean-Claude Juncker, können und wollen den Grundsatz der Freizügigkeit nicht preisgeben. Das bedeutet, dass der Premier in seiner geplanten EU-Abstimmung nur für den Austritt plädieren könnte. Aber Labours Chancen, durch einen Wahlsieg die Abstimmung zu verhindern, sehen auch nicht gut aus. Sturgeon, UKIP-Chef Nigel Farage, sogar die Grüne-Chefin Natalie Bennett und diverse walisische und nordirische Politiker haben dagegen gut lachen – als mögliches Zünglein an der Westminster-Waage.

* Aus: neues deutschland, Dienstag, 28. Oktober 2014


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