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Obama im Wahlkampf

USA-Präsident fordert in seiner Rede zur Lage der Nation mehr soziale Gerechtigkeit

Von Max Böhnel, New York *

Präsident Obama hat in seiner traditionellen Rede zur Lage der Nation im Wahljahr 2012 die Republikaner frontal angegriffen.

In seiner mehr als einstündigen Rede zum »State of the Union« (Lage der Nation) konzentrierte sich Barack Obama fast vollständig auf die Innen- und Wirtschaftspolitik des krisengeschüttelten Landes. Die USA-Außenpolitik handelte er in wenigen Sätzen ab. Er pries noch einmal die Tötung Osama bin Ladens sowie den Rückzug aus Irak und machte den Willen Washingtons deutlich, Iran am Bau von Atomwaffen zu hindern - für ihn sei da »keine Option vom Tisch«. Aber das klang alles nach Standardsätzen. Konkrete außenpolitische Initiativen des Weißen Hauses in den kommenden Monaten oder gar in einer möglichen weiteren Amtszeit ließ Obama gänzlich aus. Grund ist das Wahlkampfjahr.

Vor den Präsidentschafts- und Kongresswahlen in weniger als zehn Monaten nutzt der Amtsinhaber jede öffentliche Bühne, für sich und seine Partei zu werben beziehungsweise den Gegner zu treffen. Außenpolitik interessiert dabei weder die Wähler, noch lässt sich damit punkten mitten in einer Wirtschaftskrise. Seine Rede hielt Obama vor den Kongressabgeordneten. Aber da sie von mehr als 50 Millionen US-Amerikanern live auf fast allen TV-Kanälen zur Abendzeit gesehen wird, ist in einem Wahljahr nur noch eine wichtiger: die Nominierungsrede, wenn der aussichtsreichste Kandidat der jeweiligen Partei im Spätsommer offiziell gekürt wird.

So ging Obama auf rhetorischen Konfrontationskurs mit den Republikanern, allen voran dem Herausforderer Mitt Romney, dem das Weiße Haus trotz seiner jüngsten Rückschläge gegen Newt Gingrich nach wie vor die besten Chancen auf die Nominierung einräumt. Der Multimillionär, der ein Vermögen von mehr als 250 Millionen Dollar angehäuft hat, bietet sich dabei als ideale Zielscheibe an. Denn am selben Tag hat Romney auf innerparteilichen Druck hin seinen Steuersatz von nur 15 Prozent bekannt gegeben. Zudem soll sich ein Großteil seines Reichtums steuerfrei auf ausländischen Konten befinden.

Obama schlug dagegen vor, dass jeder Amerikaner, der mehr als eine Million Dollar verdient, einen Steuersatz von 30 Prozent entrichten sollte. Dabei bemühte der Präsident das Bild vom »American Dream« und dessen angeblicher Verheißung, nämlich »das Versprechen, dass es dir gut geht, wenn du hart arbeitest; dass du eine Familie haben kannst, ein Haus besitzen, deine Kinder auf die Universität schicken und etwas für später auf die Seite legen kannst«. Aber dafür müsse jeder »eine faire Chance erhalten, seinen fairen Beitrag leisten und sich an dieselben Regeln halten«. Dabei gehe es nicht um »demokratische Werte oder republikanische Werte, sondern um amerikanische Werte«.

Mit ähnlichen populistischen Aussagen, die Umsetzungsvorschläge vermissen lassen, machte Obama weiter. Überflüssige staatliche Funktionen müssten abgeschafft werden. Eine Steuerreform solle dafür sorgen, dass ins Ausland ausgelagerte Arbeitsplätze in die USA zurückkehren, etwa durch Steuerbegünstigungen. Unter seiner Regie seien »über drei Millionen neue Jobs geschaffen worden«, hob Obama hervor. Zur Verhinderung von unlauterem Wettbewerb kündigte er eine Arbeitsgruppe an, die gegen Immobilienfirmen ermitteln soll, die fragwürdige Hypotheken vergaben.

In der Antwort der Opposition gaben sich führende Republikaner aggressiv. Newt Gingrich warf Obama vor, er vertrete eine »extreme Ideologie von Linksaußen«. Und Mitt Romney kritisierte, Obama wolle nichts als »mehr Steuern, mehr Ausgaben, mehr Regierung«.

* Aus: neues deutschland, 26. Januar 2012


Kognitive Dissonanz

Obamas Rede zur Lage der Nation

Von Rainer Rupp **


Sechsundsechzig Minuten sprach US-Präsident Barack Obama vor dem US-Kongreß zur Lage der Nation. Wie bei diesem alljährlichen Anlaß üblich, geht der jeweilige Amtsinhaber eine lange Liste seiner »Erfolge« durch und macht Versprechungen für den Rest des Jahres. Das Trommeln gehört zum Gewerbe, insbesondere wenn es nur noch 40 Wochen bis zu den Wahlen sind. Neben dem üblichen Bombast, daß Amerika größer, demokratischer und einfach besser ist als jede andere Nation, zeichnete sich die Ansprache im außenpolitischen Teil hauptsächlich durch Realsatiren aus. Z.B.: »Wir (Amerikaner) stehen für Gerechtigkeit und die Würde aller Menschen ein«. Das sagt ausgerechnet ein US-Präsident, der weiterhin Guantánamo betreibt und mehr Mordaufträge erteilt hat als irgendeiner seiner Vorgänger.

Sowohl der Kongreß als auch der Präsident leben – was die Außenpolitik betrifft – in einer spiegelverkehrten Welt. So erklärte Obama: »Wenn wir zusammenhalten, dann gibt es nichts, was die Vereinigten Staaten nicht erreichen können. Das ist die Lektion, die wir in den letzten Jahren durch unsere Aktionen im Ausland gelernt haben«. Applaus. Oder: »Die Beendigung des Krieges in Irak hat uns erlaubt, unseren Feinden (Al Qaida) entscheidende Schläge zu erteilen«. Applaus. Oder: »Von dieser Position der Stärke haben wir begonnen, den Krieg in Afghanistan herunterzufahren.« Applaus.

In der Psychiatrie wird das von Obama und dem US-Kongreß gezeigte Krankheitsbild »kognitive Dissonanz« genannt. Sie bestimmte auch die Passagen über Iran: »Durch die Macht unserer Diplomatie ist es uns gelungen, die im Umgang mit Iran geteilte Welt zu vereinen. Jetzt steht Iran allein da.« Applaus. Offensichtlich ist in Washington noch nicht bekannt, daß die große Mehrheit der Welt (China, Indien, Rußland, Brasilien etc. und sogar die Türkei) hinter Iran und nicht hinter den US-EU-Sanktionen steht.

Im innenpolitischen Teil seiner Rede hat Obama jedoch einen Coup gegen die republikanische Mehrheit im Repräsentantenhaus gelandet, die sich resolut gegen Steuererhöhungen für Reiche sperren. Warren Buffett, einer der reichsten Männer der USA und der Welt, hatte Obama dazu die Steilvorlage geliefert, als er in einer viel beachteten Zeitungskolumne seine Milliardärskollegen auffordert hatte, mehr Steuern zu zahlen. Es könne nicht angehen, daß seine Sekretärin mit 30 Prozent einen höheren Steuersatz auf ihr Einkommen zahle als er selbst. Genau das machte Obama zum Hauptteil seiner Rede und gab damit das Thema für den Wahlkampf vor. »Wer mehr als eine Million Dollar im Jahr verdient, der sollte mindestens 30 Prozent Steuern zahlen«, rief Obama den Republikanern zu, genau wissend, daß er damit deren Spitzenkandidat für die Präsidentschaftswahlen Mitt Romney hart traf. Die »Heuschrecke« Romney hatte letztes Jahr ein Einkommen von 20 Millionen Dollar, von dem er Dank allerlei Tricks lediglich 14 Prozent Steuern gezahlt hat.

** Aus: junge Welt, 26. Januar 2012


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