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Bushs Lügen

Ein Exstaatsanwalt veröffentlicht eine mögliche Anklageschrift wegen Mordes

Von Marcus Klöckner *

Vincent Bugliosi ist wütend auf einen Präsidenten, der Amerika und die Welt belogen und getäuscht hat. Er hat Wut auf eine Regierung, die für den Tod von über 4000 US-amerikanischen Soldaten verantwortlich ist und den Tod von ungezählten Opfern in den Kriegen gegen den Irak und Afghanistan in Kauf genommen hat. Wut bestimmt sein Buch »Anklage wegen Mordes gegen George W. Bush«. Doch der Verstand des wohl erfolgreichsten Staatsanwalts der USA, der von gut 100 Strafprozessen nur einen einzigen verloren hat und Ende der 60er Jahren für die Verurteilung des Satanisten Charles Manson sorgte, ist brillant, er läßt nicht zu, daß der Furor seinen Blick trübt. Im Gegenteil: Akribisch legt der US-Jurist dar, warum Bush wegen Mordes angeklagt werden muß. Nach US-Recht kann auch derjenige, der nicht direkt – also selbst – einen Mord begangen hat, aber durch sein Tun und Handeln dafür verantwortlich war, daß gemordet wurde, mit einem Mörder gleichgestellt werden. Das einzige Argument, das Bush vor einer Verurteilung wegen Mordes bewahren könne, sei, so Bugliosi, daß der Präsident sich im Falle des Irak-Krieges auf Notwehr berufe. Doch genau dieses Argument widerlegt der Autor Stück für Stück. Und so wird sein Buch zu einem Exkurs über die monströsen Lügen, mit denen Bush und seine Regierung Gründe für einen Krieg gegen den Irak konstruierten.

Am 7. Oktober 2002 hielt Bush in Cincinnati, Ohio, eine Rede an die Nation zum Thema Irak. Darin berief er sich auf ein »National Intelligence Estimate«, das von den 16 Geheimdiensten der USA erstellt wurde. Demnach, so Bush, stelle der Irak eine unmittelbare Bedrohung für die Vereinigten Staaten dar. Eine dreiste Lüge, wie heute bekannt ist. Denn auf Seite acht des 91seitigen NIE-Reportes steht, daß der Irak keine unmittelbare Bedrohung für die USA war. In einem Interview in den USA zu seinem Buch sagt Bugliosi: »Hätten wir nichts anderes als allein diesen Sachverhalt, könnten wir bereits sagen, daß Bush diese Nation mit einer Lüge in den Krieg geführt hat. Deshalb gibt es keine gesetzliche Grundlage dafür, daß im Irak amerikanische Soldaten gestorben sind – wir haben es hier mit Mord zu tun!« Bugliosi liefert weitere Beispiele: Im Bericht zur Lage der Nation am 28. Januar 2003 verkündete Bush im TV, der Irak habe sich Uran aus Afrika besorgt. Das war falsch. In der nationalen Pressekonferenz vom 6. März 2003 betont Bush, daß die Iraker biologische und chemische Kampfstoffe versteckten. Eine weitere Lüge.

Zählt man die Lügen, Verdrehungen und verzerrten Wahrheiten dazu, die Mitglieder der Bush-Regierung wie Dick Cheney oder Donald Rumsfeld der Öffentlichkeit unterbreitet haben, scheint erwiesen: Die Bush-Regierung hat vorsätzlich einen Krieg begonnen. Für Bugliosi, der mittlerweile im Ruhestand ist, gibt es daher nur einen Ort, an den Bush gehört: ein Gerichtssaal.

Und so liest sich das Buch auch. Der Leser wird faktisch Mitglied einer Geschworenenjury. Immer wieder spricht Bugliosi den Leser an: »Glauben Sie…«, »können Sie sich vorstellen…« »Ich frage Sie…« – rhetorische Fragen, die die Leser mit hineinziehen in einen Prozeß, der noch fiktiv ist. Das Buch des mittlerweile 74jährigen kommt einem einzigen Plädoyer gleich, das dem Leser (»der Jury«) nur ein Urteil erlaubt: »Schuldig wegen Mordes«. Bugliosi personalisiert, nennt gefallene Soldaten mit Namen, spricht über sie und ihr Leben, schürt Emotionen und verdeutlicht dabei: Diese Soldaten sind für die Lügen einer »Flasche, die sich während des Vietnamkrieges verkrochen hatte und die jetzt hier in Amerika unter dem Schutz des Secret Service…« lebt, gestorben. Eindringlich zeigt er auf, wie Bush in einer Zeit, in der im Irak ein Blutbad nach dem anderen stattfand, dem süßen Leben frönte, beim Urlaub auf seiner Ranch verweilte, an Empfängen teilnahm und mit Journalisten rumalberte. Ein einziges argumentgewaltiges Plädoyer, hochsuggestiv, aber mit den Fakten auf seiner Seite

Allerdings greift Bugliosi nicht nur Bush und die US-Regierung an. Wie ein roter Faden zieht sich durch das Buch seine Kritik an den Medien. Bugliosi spricht an, daß ohne die implizite Komplizenschaft einer vor der Regierung nahezu nur noch »katzbuckelnden« Journalistenschar die Öffentlichkeit in bezug auf den Irak nicht hätte getäuscht werden können. Bugliosi zitiert namhafte Kommentatoren und Leitartikler hoch und runter. Da schmücken selbst liberale Journalisten Bush mit lobenden Adjektiven wie »mutig« oder »tapfer«, da werden grundlegende Fragen nicht gestellt oder wird Regierungspropaganda distanzlos übernommen.

So sagt Bugliosi zu recht: »Niederlage ist Sieg. Weiß ist schwarz. Oben ist unten. Nacht ist Tag. Wohin soll man sich flüchten, um diesem Wahnsinn zu entkommen?«

Vincent Bugliosi: Anklage wegen Mordes gegen George W Bush. Deutscher Taschenbuch Verlag, München 2008, 343 Seiten, 16,90 Euro

* Aus: junge Welt, 3. November 2008


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