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Über die USA

Es gibt eine Einkommensdisparität, wie sie seit der Weltwirtschaftskrise in den 1920er Jahren nicht mehr vorgekommen ist

Von Reinhard Jellen *

"A diamond necklace played the pawn / Hand in hand some drummed along, oh To a handsome man and baton (­Bygone, bygone) / A blind class ­aristocracy / Back through the ­opera glass you see / The pit and the ­pendulum drawn"
(The Beach Boys, Surf’s Up, 1966)

Den Zerfallsprozeß der USA schildern Reymer Klüver und Christian Wernicke in dem neuen Buch »Amerikas letzte Chance. Warum sich die Weltmacht neu erfinden muß« (Berlin Verlag) in bemerkenswerter Klarheit. Die beiden USA-Korrespondenten der Süddeutschen Zeitung zeichnen ein schonungsloses Bild vom ökonomischen, sozialen und politischen Niedergang. Seit den späten Siebzigern stagnieren in den USA bei den sogenannten Mittelschichten die Reallöhne. Dies versuchten die Familienhaushalte für geraume Zeit durch die verstärkte Erwerbstätigkeit der Frauen zu kompensieren. Als dies nicht mehr nützte, haben die US-Amerikaner zum Teil entweder einen zweiten Job angenommen, ihre Kreditkartenverschuldung hochgetrieben oder sich über ihre Immobilien weitere Kredite geholt. In den 90er Jahren ist die Verschuldung der Privathaushalte auf über hundert Prozent des durchschnittlichen Jahreseinkommens gestiegen. Nachdem die Konjunktur in den USA durch Umstrukturierungsmaßnahmen der Konzerne (»lean production«), niedrige Gewinnsteuern, einen aus Schulden finanzierten Konsumboom, Aktien- und Spekulationsgewinne und die Deregulierung des öffentlichen Sektors kräftig angetrieben wurde, sitzen nach dem Reißen der Kreditkette auf dem Immobilienmarkt 2008 sowohl öffentliche wie private Haushalte in der Schuldenfalle.

Gleichzeitig haben sich seit 1979 die Einkommen, die früher an die Produktivitätszuwächse in der Wirtschaft gekoppelt waren, höchst ungleich entwickelt. Die Gehälter in den obersten zehn bis zwanzig Prozent der Gesellschaft sind exlodiert. Es gibt eine Einkommensdisparität wie sie seit der Weltwirtschaftskrise in den 1920er Jahren nicht mehr vorgekommen ist. Dabei hat George W. Bush der US-Wirtschaft einen vermutlich irreparablen Schaden zugefügt, als er die Kriege in Afghanistan und im Irak mit einer Steuersenkung verband. Zur Finanzierung der Feldzüge hat er der Bevölkerung geraten, einfach mal wieder ordentlich shoppen zu gehen.

Der darauf folgende Barack Obama hatte hoch gepokert als er darauf setzte, daß er verschiedene Reformen würde durchsetzen können, in dem ein Erfolg den nächsten beflügeln würde. Statt dessen geriet aber schon bei seinem ersten wichtigen politischen Projekt in die Defensive: der Gesundheitsreform. Denn er hat die zugegeben wahnsinnig dämlichen Proteste der Republikaner unterschätzt und es zugelassen, daß diese das Thema besetzten, was wiederum zur Folge hatte, daß die Reform bescheidener ausfiel – was nun seine eigenen Anhänger demoralisierte. Jetzt ist Obama in der Situation, daß er für weitere dringende Reformen einen Konsens in der amerikanischen US-Bevölkerung erzielen müßte, was aber allein schon aufgrund der Kommunikationsstruktur in den USA so gut wie unmöglich sein dürfte. Denn ein Drittel bis fast die Hälfte der Bevölkerung sehen konservative Fernsehsender wie Fox-News, lesen konservative Internet-Seiten und hören evangelikale Radio-Sender, die ihre eigene Meinung nur bestätigen. Eine echte Bild- und SAT1-Konstellation. Dumm gelaufen für die Reformisten.

In den 90er Jahren ist die Verschuldung der Privathaushalte auf über hundert Prozent des durchschnittlichen Jahreseinkommens gestiegen.

* Aus: junge Welt, 31. März 2012


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