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Keine Krawallrhetorik wie in der Bush-Zeit

In den letzten Wochen hatten sich US-Politiker und -Medien ungewohnte Zurückhaltung verordnet

Von Max Böhnel, New York *

So ungewiss die Aussichten für eine Lösung der iranisch-US-amerikanischen Kontroversen derzeit sind: Die in Washington maßgeblichen Politiker sind sich offenbar weitgehend einig, dass die Wahl in Iran die seltene Chance für einen Neubeginn in den Beziehungen werden kann.

Wenige Tage vor den Wahlen in Iran übt sich das Washingtoner Establishment in »strategischem Schweigen«, um den Hardlinern in Teheran und damit dem amtierenden Präsidenten und Kandidaten Mahmud Ahmadinedschad keine Vorlage zu liefern. Gleichzeitig haben weder das Weiße Haus noch die führenden Politiker von den Demokraten bekannt gegeben, wer ihr Wunschkandidat ist – den Amtsinhaber ausgenommen.

Am Dienstag (9. Juni), drei Tage vor den Wahlen, strich das Repräsentantenhaus sogar eine geplante Abstimmung über die Verlängerung von Iran-Sanktionen aus dem Kalender. Nach Angaben amerikanisch-iranischer Organisationen, die den Demokraten nahestehen, erfolgte der Schritt »aus Sorge davor, dass eine Verabschiedung des Entwurfs Hardliner-Kandidaten bei den Wahlen nutzen könnte«. Ähnliches hatte bei einer Senatsanhörung vor zwei Wochen Außenministerin Hillary Clinton erklärt. Innerhalb eines von Obama festgelegten Testzeitraums müsse »ausgelotet werden, wie gesprächsbereit die iranische Führung ist«. Neue unilaterale Schritte der USA seien dabei »nicht hilfreich«.

Das Stillhalten aus Kalkül resultiert einerseits aus dem Bekanntwerden von Umfragen in den letzten Tagen. Demnach wird Ahmadinedschad auf jeden Fall eine absolute Mehrheit verpassen. Sein Opponent, der als »Reformer« gehandelte Mir Hossein Mussawi könnte bei einem zweiten Wahlgang mit den Stimmen von Unterstützern der anderen unterlegenen Kandidaten den Sieg davontragen. Die Obama-Regierung, die erklärtermaßen auf Dialog und möglicherweise Verhandlungen mit Iran setzt, hat offenbar aus der antiiranischen Rhetorik der Bush-Regierung gelernt, dass Begriffe wie »Achse des Bösen«, »Kreuzzug« oder »Terrorstaat Nummer eins« nach hinten losgehen können.

Um ein günstiges Dialogklima aufrechtzuerhalten, gratulierte Obama erst vor wenigen Tagen den prowestlichen libanesischen Wahlsiegern, ohne die von Iran unterstützte und unterlegene Hisbollah zu erwähnen. In seiner am 4. Juni in Kairo gehaltenen Rede hatte Obama sogar »Fehler« der amerikanischen Außenpolitik gegenüber Iran eingestanden und dazu die Rolle der USA »beim Sturz einer demokratisch gewählten iranischen Regierung« angeführt. Der USA-Präsident erklärte dabei auch, Washington sei »willens, ohne Vorbedingungen auf der Grundlage gegenseitigen Respekts« in einen Verhandlungsprozess einzutreten.

Die amerikanischen Medien beleuchteten den Wahlkampf in Iran ausführlich. Auf CNN berichtete täglich die bekannte Korrespondentin Christiane Amanpour recht sachlich über die Demonstrationen. Auch die »New York Times« räumte den Wahlen überraschend viel Platz ein, ohne dabei in einen Amerika-Zentrismus abzugleiten. Am Dienstag (9. Juni) wurde in einer längeren Reportage das wichtigste Wahlkampfthema, die Wirtschaftskrise, behandelt. Im Westen würde über die iranischen Wahlen meist fälschlicherweise im Zusammenhang mit Ahmadinedschads Äußerungen über Israel, die USA und das Atomprogramm berichtet, hieß es in der Zeitung. Was die Wähler aber wirklich umtreibt, seien »Irans haarsträubende Inflationsrate, Arbeitslosigkeit und die Frage, wohin die Erlöse aus dem Erdölgeschäft fließen«.

In einem Papier der Washingtoner Denkfabrik »Brookings Institution«, die die Obama-Regierung in der Iranpolitik berät, hieß es am 5. Juni, ein Führungswechsel in Iran würde die Politik des »Engagement« Obamas erleichtern. Andererseits bestehe dabei die Gefahr, dass die Hardliner gegen die Pragmatiker mobil machen und damit zur Lähmung bilateraler Annäherungsversuche beitragen könnten. Eine zweite Amtszeit Ahmadinedschads wiederum würde wohl ebenfalls dazu führen.

Die linke Nahostexpertin Phyllis Bennis lobte die Zurückhaltung der Obama-Regierung und nannte dabei ausdrücklich die Rede des Präsidenten in Kairo, in der er Iran das Recht auf »friedliche Nutzung der Atomenergie auf der Basis des Nichtverbreitungsvertrages« zugestanden hatte. Allerdings, so Bennis, habe der USA-Präsident weder das Ziel eines atomwaffenfreien Nahen Ostens genannt, noch habe er erwähnt, dass der Nichtverbreitungsvertrag alle existierenden Atomwaffenstaaten, also auch Israel, zur nuklearen Abrüstung verpflichtet. Damit führe Obama »den alten, unilateralistischen Supermachtansatz weiter«, glaubt Phyllis Bennis.

* Aus: Neues Deutschland, 12. Juni 2009


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