Dieser Internet-Auftritt kann nach dem Tod des Webmasters, Peter Strutynski, bis auf Weiteres nicht aktualisiert werden. Er steht jedoch weiterhin als Archiv mit Beiträgen aus den Jahren 1996 – 2015 zur Verfügung.

Tarnen, täuschen, abwiegeln

USA spielen aufgeflogenes Spionageprogramm herunter / Kanada: So etwas haben wir auch *

Die US-Regierung steht wegen des Vorwurfs massenhafter Sammlung von Daten über Internetnutzer heftig in der Kritik. Gleichzeitig versuchen Politiker, mehr über das Ausmaß und die rechtlichen Grundlagen des Programms zu erfahren.

Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich (CSU) sagte am Dienstag, seine Behörde arbeite derzeit einen Fragenkatalog an die US-Amerikaner aus. Kanada gab zu, ein ähnliches Spionageprogramm zu betreiben. Ein russischer Politiker sprach sich dafür aus, dem Ex-Geheimdienstler Edward Snowden in Russland Asyl zu gewähren. Snowden hatte Informationen über das Geheimprogramm an die Medien gegeben und war nach Hongkong geflohen.

Das deutsche Innenministerium will von den USA wissen, in welchem Umfang Daten gesammelt worden seien und nach welchen Gesetzen oder Vorschriften. Innenminister Friedrich sagte, er habe erst aus den Medien über die Vorgänge erfahren. Abgeordnete des Europaparlaments kritisierten, dass die USA unterschiedliche Datenschutzstandards bei eigenen und fremden Bürgern anlegten. Die Zeitungen »Guardian« und »Washington Post« hatten auf Basis von Snowdens Informationen berichtet, der US-Geheimdienst NSA sammele und analysiere massenhaft Nutzer-Daten von Unternehmen wie Google, Yahoo, Microsoft, Apple oder Facebook. Die Internet-Dienste bestreiten, Behörden einen direkten Zugang zu ihren Servern zu gewähren.

Der republikanische US-Senator und einstige Präsidentschaftskandidat John McCain verteidigte das Programm mit dem Decknamen »PRISM«. Allerdings mangele es an Transparenz, sagte er dem Fernsehsender »Phoenix«. »Ich glaube, dieses Programm ist praktikabel und nützlich, aber das amerikanische Volk und unsere Partner sollten besser informiert werden.«

Kanadas Verteidigungsminister Peter MacKay bestätigte, dass sein Land ein eigenes globales Abhör- und Spähprogramm betreibe. Er habe den kanadischen Geheimdienst CSE autorisiert, die Telekommunikation weltweit auszuspähen und digitale Spuren von Telefon- und Internetverbindungen zu sammeln, sagte er im Parlament. Kanadier seien davon nicht betroffen. »Dies ist Auslandsspionage«, so MacKay.

Währenddessen hält sich Snowden an einem unbekannten Ort auf. Er suchte in Hongkong Zuflucht und enttarnte sich dort selbst als Quelle für die Informationen über »PRISM«. Am Montag soll er sein bisheriges Hotel verlassen haben.

Ein russischer Politiker sprach sich dafür aus, Snowden politisches Asyl zu gewähren. Die US-Geheimdienste verletzten mit der Überwachung von Telefongesprächen und Internet Gesetze, so der Chef des Auswärtigen Ausschusses der Staatsduma, Alexej Puschkow. »In diesem Sinne ist Snowden ein Bürgerrechtler, dem Russland Zuflucht gewähren sollte auch wenn die USA einen hysterischen Anfall bekämen.«

* Aus: neues deutschland, Mittwoch, 12. Juni 2013


Chefsache Datenklau

Von Uwe Kalbe **

Die Vorstellung, dass ein US-Geheimdienst womöglich den gesamten privaten Datentransfer sozialer Netzwerke und vielleicht noch einiges darüber hinaus abschöpft, ruft angemessene Aufregung hervor. Und dass amerikanische Politiker bei ersten Rechtfertigungsversuchen darauf hinweisen, personenbezogene Daten von US-Bürgern seien geschützt, nur die von Ausländern nicht, macht die Empörung speziell in Europa umso angebrachter. Weshalb jetzt die hiesige Politik reagiert. Mit dem scharfen Instrument der »Chefsache«.

So hat es Regierungssprecher Seibert namens der Bundeskanzlerin erklärt und so ist es nahezu unabweisbar in erregten Reden im EU-Parlament von Kommissionspräsident Barroso gefordert worden. Die Chefsache ist die einzig angemessene Form, dem Ausspionieren potenziell aller EU-Bürger und dem angeblich besonders intensiven Ausschnüffeln der Deutschen entgegenzutreten. Sachlich nämlich. In aller gebotenen Ruhe wird deshalb jetzt gefordert, die Daten europäischer Bürger nicht weniger gut zu schützen als alle anderen Daten nach dem Klau. Wenn also US-Präsident Obama auf seinem bevorstehenden Europatrip über die verschiedenen roten Teppiche marschiert, muss er damit rechnen, dass darunter immer ein klein wenig diese Chefsache herauslugt. Bevor sie in den anschließenden Gesprächen wieder darunter gekehrt wird.

** Aus: neues deutschland, Mittwoch, 12. Juni 2013 (Kommentar)


Zurück zur USA-Seite

Zur Geheimdienst-Seite

Zurück zur Homepage