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Das Nachkriegsdilemma

Über den Unilateralismus der USA. Von Boutros Boutros-Ghali

Ist es noch möglich, die Welt-Hypermacht in ein wirklich multilaterales und multipolares Verhältnis einzugliedern? Es ist sicherlich einfacher zu verstehen, warum Washington sich entschlossen hat, eine entschiedene unilaterale Haltung einzunehmen, als die Begründungen der USA-Regierung für diesen Schritt zu akzeptieren. Als globale Macht, die wirtschaftliche Interessen weltweit zu verteidigen hat, halten sich die Vereinigten Staaten selbst als direkt verpflichtet, für eine planetarische Stabilität zu sorgen. Das US-Militär ist offenbar allen anderen Militärs auf der Welt überlegen, wie der Irak-Krieg wieder einmal gezeigt hat. Man muss sicherlich bis ins Römische Reich zurückgehen, um eine vergleichbare Macht wie die USA zu finden.

Eine solche militärische Macht hat die Tendenz, diese Macht auch zu nutzen. Außerdem wird die Überlegenheit der USA auch in Sachen Technologie, Information oder Kultur in zunehmender Weise allen Zivilisationen auf der Erde aufgezwungen. Diese Verbindung von weiten Interessen und Vormachtstellung hat dazu geführt, dass die USA wiederholt einseitige Positionen auch in Bereichen einnehmen, die weit entfernt von der eigentlichen Außenpolitik liegen. Diese Haltung zeigt sich an Washingtons Ablehnung des Kyoto-Klimaschutz-Abkommens, des Internationalen Strafgerichtshofs und des Abkommens über das Atomtest-Verbot. Sie zeigt sich auch in Entscheidungen wie die Erhöhung der Zölle für Stahlimporte, die Erweiterung der Förderungen für die Landwirtschaft und den Rücktritt vom Verbot von Anti-Raketen-Systemen (ABM-Vertrag). Die gegenwärtige Position der USA auf den Punkt gebracht lautet: Multilateralismus darf USA-Aktionen weder blockieren noch bremsen.

Sehr bezeichnend ist die Erklärung von Verteidigungsminister Donald Rumsfeld: »Die Mission bestimmt die Koalitionen. Der Koalition darf es nicht gestattet werden, die Mission zu bestimmen.« Es sind die USA, und nur die USA, die ganz nach Laune zwischen Unilateralismus und Multilateralismus aussuchen dürfen. In den Augen der US-amerikanischen Neo-Imperialisten ist Multilateralismus nichts weiter als der Ausdruck der Machtlosigkeit von schwachen Staaten, die keine andere Wahl haben, als miteinander zu koalieren, um so zu versuchen, ein Gegengewicht gegen die USA-Herrschaft zu erstellen. Es ist wichtig, dass man sich der Gründe für den Multilateralismus besinnt. Einige Staaten begründen ihn eher aus den Geschehnissen der Gegenwart und aus bestimmten Interessen. Sie sind aber viel tiefer liegend im internationalen Recht verwurzelt.
  1. Es ist offensichtlich, dass die USA weder die Mittel noch den Willen haben, sich der Probleme des ganzen Planeten anzunehmen und diese zu lösen. Deshalb werden sie sich in Einvernehmen mit ihren Alliierten und zunehmend auch mit anderen Staaten setzen müssen.
  2. Auch wenn der US-amerikanische Unilateralismus wegen der militärischen Stärke zu repressiver Politik neigen mag, zu einer Politik von Zuckerbrot und Peitsche auch bei der wirtschaftlichen Entwicklung, der größten Sorge der Menschheit – es versteht sich von selbst, dass unter solchen Bedingungen Politik in einem multilateralen Kontext, basierend auf Gesprächen, Diplomatie und Verhandlungen, inklusive der Förderung wirtschaftlicher Zusammenarbeit, der bessere Ansatz ist.
  3. Im internationalen Recht und nach der UN-Charta sind alle Staaten gleich. Sie haben also die gleiche Verantwortung für die Annahme von Resolutionen zur Regulierung von Konflikten.
  4. Die Pax Americana verstößt gegen das internationale Recht, weil sie Präventivkriege fördert und gleichzeitig die Entwicklung von Mechanismen für internationale Gesetze ausgrenzt. Weil dieser Unilateralismus – im Dienste einseitiger Interessen – den Vereinten Nationen und der Erde eine schwere Hypothek aufbürdet, muss er als eine äußerst schwerwiegende Entwicklung erkannt werden.
  5. Um den Philosophen Pascal zu zitieren: »Demokratie innerhalb der USA – autoritär außerhalb der USA«. Tatsächlich ist es so, dass die USA-Regierung innerhalb des Landes die Gewaltenteilung zwischen Regierung und Parlament und öffentlicher Meinung anerkennt, während Washington auf internationaler Ebene von allen anderen Regierungen und Völkern die Anerkennung der ausgesprochen einseitigen Bestimmung einfordert: »Was gut für die USA ist, ist gut für die Welt.«
  6. Die gravierendste Konsequenz dieser Tendenz ist die globale Militarisierung. Wie kann ein unilateraler Ansatz solche Länder wie China, Indien und Pakistan davon abhalten, ihre nuklearen Arsenale auszubauen? Wie können kleinere Länder davon abgehalten werden, sich weniger aufwändige, dafür aber zerstörerische Waffen anzueignen? Wie kann die Ausbreitung von Terrorismus aufgehalten werden? Kurzum, es gibt handfeste Gründe zur Sorge, dass der Terrorismus weiterhin benutzt wird, um internationales Handeln zu begründen – zu einer Zeit, wo wir eigentlich unseren politischen Willen, unsere Energie und unsere Ressourcen vollständig dem Aufbau von Frieden, Entwicklung und dem Kampf gegen Armut widmen sollten.

* Boutros Boutros-Ghali war von 1992 bis 1996 Generalsekretär der Vereinten Nationen. Die USA verhinderten seine Wiederwahl und setzten sich für Kofi Annan als seinen Nachfolger ein.

Der Text von Boutros-Ghali war am 29. April 2003 im "Neuen Deutschland" veröffentlicht worden.



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