Dieser Internet-Auftritt kann nach dem Tod des Webmasters, Peter Strutynski, bis auf Weiteres nicht aktualisiert werden. Er steht jedoch weiterhin als Archiv mit Beiträgen aus den Jahren 1996 – 2015 zur Verfügung.

Bushs zweite Amtszeit hat begonnen - "Das Grausen ist berechtigt"

Reaktionen und Pressekommentare auf die Inaugurations-Rede des alten und neuen US-Präsidenten

Am 20. Januar 2005 fand die prunkvolle Inaugurationsfeier für den alten und neuen Präsidenten der Vereinigten Staaten, George W. Bush, statt. Seine mit Spannung erwartete Antritts-Rede (würde sie eine "historische" Rede werden?) fiel blumig und drohend zugleich aus: In keiner "großen Rede" des Präsidenten fielen so häufig (nämlich 42 Mal) die Worte "freedom" und "liberty", und in keiner Rede seit zweieinhalb Jahren, wohl aber in dieser, fehlte der Hinweis auf die in Afghanistan und Irak geführten Kriege gegen den Terror. Bedroht müssen sich all jene Staaten und Regime fühlen, die den Vorstellungen des US-Präsidenten von Freiheit, Demokratie und Menschenrechten nicht entsprechen. Denn die Botschaft ist eindeutig. Bush: "Es ist die Politik der Vereinigten Staaten, die Tyrannei in der Welt zu beenden". Beschwichtigend fährt er fort: "Das muss nicht in erster Linie durch den Einsatz von Waffen geschehen ...". Natürlich nicht, denn selbst eine militärische Supermacht wie die USA könnte sich dabei leicht überheben. Doch die Welt könne sicher sein, dass immer dann auch Waffen eingesetzt würden, "wenn dies erforderlich ist".

Zwei Tage vor Bushs Inauguration hatte seine designierte Außenministerin Dr. Condoleezza Rice ihren großen Auftritt im US-Senat. Vor dem Auswärtigen Ausschuss begründete sie ihre Kandidatur in einer Grundsatzrede mit markigen Sätzen und diplomatischen Verbeugungen. So sprach sie von "Außenposten der Tyrannei", die es zu bekämpfen gälte, namentlich in Kuba, Burma, Iran, Nordkorea, Weißrussland und in Simbabwe. Die Erwähnung des Iran wurde besonders aufmerksam registriert, weil kurz zuvor in der Zeitschrift "New Yorker" enthüllt worden war, dass die US-Geheimdienste Angriffsziele im Iran ausspioniert haben sollen (siehe: The Coming Wars. Von Seymor Hersh). Und US-Präsident Bush hatte in einem Fernsehinterview am 17. Januar keinen Zweifel daran gelassen, dass sich die USA eine militärische Option gegen den Iran offen halten würden (siehe hierzu unsere Iran-Chronik). Condoleezza Rice, vom Präsidenten meist liebevoll "Condi" genannt, umgarnte aber auch die europäischen Staaten und die Vereinten Nationen, indem sie die Bedeutung der Diplomatie und des Multilateralismus hervorhob. So wurde ihre Rede offiziell unter dem Titel "The Time for Diplomacy is Now" verbreitet.

Im Folgenden dokumentieren wir Kommentare und Reaktionen auf den Start der zweiten Amtszeit von George W. Bush.


Kommentare der Medien


Nach Bushs Einstandsrede ist klarer als je zuvor: Das Grausen ist berechtigt

US-Präsident George W. Bush als missionierenden Irren an der Spitze einer waffenstarrenden Weltmacht zu bezeichnen, führt nicht wirklich weiter, löst keine Probleme und ist, obwohl beleidigend, nicht einmal mehr besonders originell. Und doch: Wer sich an den Wahnsinn nicht gewöhnen mag und ernst nimmt, was Bush vor und in seiner Antrittsrede zum Besten gab, bekommt vor dieser US-Regierung das Grausen. "Wir sind zu den größten Leistungen in der Geschichte der Freiheit bereit", rief Bush gestern am Ende seiner Rede und drohte allen Tyrannen der Welt. Überall auf der Welt müssten sich die USA um die Freiheit bemühen, wenn sie ihre eigene bewahren wollten. Das ist immerhin insoweit ehrlich, als Bush nicht die Interessen anderer Völker zur Rechtfertigung seiner Politik heranzieht, sondern seine eigenen. Beruhigend ist es nicht, besonders nicht, wenn man die schillernde Rhetorik mit der gezielten Verwirrung um mögliche Irankriegspläne und den von Condoleezza Rice benannten "Außenposten der Tyrannei" zusammenbringt.

Die Nachricht, die von der mit großem - viele US-Bürger meinen: unverschämt großem - Aufwand inszenierten Neukrönung ausgeht, ist eindeutig: Ganz in der Kontinuität der ersten Amtszeit, aber mit noch mehr Sendungsbewusstsein ausgestattet, wird diese US-Regierung tun, was sie für richtig hält, und sich von niemandem stören lassen. Neu ist, dass sie ihren expansiven Missionierungsdrang offenbar aus dem Begründungszusammenhang des "Kriegs gegen den Terror" herauslöst - einem der letzten immerhin, in dem sie wenigstens grundsätzlich mit der Mehrzahl der westeuropäischen Alliierten übereinstimmte. (...)

BERND PICKERT in: taz, 21. Januar 2005

*******

Nur Worte

(...) Die pompöse Inszenierung vor dem Hintergrund der neoklassizistischen Architektur betont: Hier wird der mächtigste Mann der Welt inthronisiert.

Und nun? Wohin führt der Weg, Mr. President? Worte allein, das lehrt die Erfahrung mit George W. Bush, geben da wenig Hinweise.

In seiner ersten Amtszeit hat er den Krieg gegen den Terror ausgerufen - unzweifelhaft ein guter Gedanke - und im Vorübergehen die bürgerlichen Rechte in den USA massiv eingeschränkt, dazu das Verhältnis zu vielen Verbündeten demoliert. Er hat Irak Frieden und Demokratie versprochen - wer wollte dagegen etwas sagen - und die blutige Diktatur Saddams zunächst einmal in einen anarchischen Hort des Terrors verwandelt; um den Preis abertausender, auch amerikanischer Toter. Er hat seinem eigenen Land Wohlstand und Wohlfahrt versprochen, dabei drei Mal die Steuern massiv zugunsten der Reichen gesenkt, das Staatsdefizit in unglaubliche Höhen (und den Dollar in ungeahnte Tiefen) katapultiert und gleichzeitig das Sozialsystem noch weiter runtergebracht.

Nun also Idealismus, Freiheit und eine Reform des Sozialsystems - der mächtigste Mann der Welt hat große Worte für seine zweite Amtszeit gefunden. Aber er wird auch diesmal wieder an seinen Taten gemessen werden.

ARND FESTERLING in: Frankfurter Rundschau, 21. Januar 2005

*******

Terminator - von RAU

Wer in der amerikanischen Politik etwas werden will, muss Todesurteile unterzeichnen. Insofern ist die Enttäuschung, dass ausgerechnet "unser Arnie" einen schwer Gehirngeschädigten hat hinrichten lassen, etwas naiv. George W. Bush hat als Gouverneur von Texas die große Tradition der summarischen Justiz mit über 150 bestätigten Todesurteilen hochgehalten. Aber auch Bill Clinton hat als Gouverneur von Arkansas etliche nicht vor der Gaskammer bewahrt.
Nur der Gouverneur von Illinois hat vor zwei Jahren, entsetzt über die Zahl der unschuldig Hingerichteten einen Stopp verfügt. Wie es ihm die Wähler vergolten haben oder vergelten werden, wäre eine spannende Frage. Arnold Schwarzenegger will offensichtlich Präsident der USA werden und da darf man sich nicht als Weichei outen - meint er offenbar.
"Terminator" heißt eben sinngemäß "Lebensbeender" und da kann man dem eigenen Image nicht untreu werden. Die USA sind deutlich nach rechts gerutscht in den letzten Jahren und die Richtigkeit bzw. Effizienz der Todesstrafe gehört zu den unverrückbaren rechten Glaubenssätzen, ganz egal, wie die Realität aussieht. Auch "unser Arnie" denkt da nicht daran, seine Wahlchancen zu schmälern.

Aus: DER STANDARD, Printausgabe, 21.1.2005

*******

Doktrin der Freiheit

(...) In Kenntnis der Skepsis in Europa und eines Teils seiner Zuhörerschaft in Washington, auch der wenig schmeichelhaften Ergebnisse von Meinungsumfragen, hielt der Republikaner unbeirrt Kurs und wiederholte seine zentralen Anliegen. Menschliche Freiheit sei die einzige Kraft auf der Welt, die gegen Tyrannei und Sklaverei stehe. Um dem Volk zu dienen, müsse man ihm vertrauen. Das sei der einzige Weg. Kernsätze einer Inaugurationsrede, die kaum Fragen offen liess.

Wer die Aktivitäten wiedergewählter Amtsinhaber im 20. Jahrhundert näher betrachtet, findet dann Grund für Zweifel. Ambitiöse Vorhaben versanden regelmässig im Kongress. Die Aussenpolitik dient als Fluchtfeld für unerfüllte Ambitionen. Dem 43. Präsidenten ist aber die Hauptaufgabe am 11. September 2001 von aussen aufgezwungen worden. Er ist aber auch sonst ein Sonderfall. Seine Vorgänger hatten alle bei ihrer Wiederwahl keine Rockschösse, das heisst, ihre Partei verlor jeweils Sitze im Kongress. Im Sog von Bushs Wiederwahl dagegen zogen mehr Republikaner als zuvor aufs Capitol. Diese Erfahrung mag Bush helfen, wenigstens in den zwei Jahren bis zu den Zwischenwahlen, weil die Schützenhilfe aus dem Weissen Haus für die Abgeordneten entscheidend sein kann.

Niemand kontrolliert den Kongress, hiess es einst. Das ist richtig, wenn damit Parteidisziplin gemeint ist, wie sie in europäischen Parlamenten herrscht. Bereits haben einige Republikaner zu erkennen gegeben, dass sie nicht nach der Pfeife des Weissen Hauses tanzen werden. Doch Bush hat Überzeugungskraft, und Kooperationswillen kann erworben werden. Grösser sind die Versuchungen in der Aussenpolitik, etwa, dass die Administration im Bestreben, die Beziehungen zu Europa zu verbessern, aussenpolitische Zielkorrekturen vornimmt. Oder, dass sie zu irgendwelcher Schadensbegrenzung sich möglichst schnell aus dem Irak verabschiedet. Es gibt Grenzen des Pragmatismus. Mit Terroristen schliesst man keinen Verhandlungsfrieden. Über gewisse Dinge gibt es ganz einfach nichts zu verhandeln. Und Diplomatie ist auch im Zeitalter emotionaler Bilder und abstrakter Piktogramme nicht nur eine Übung in Public Relations. Popularität ist nicht das letzte Ziel der Politik, auch dann nicht, wenn sich der Kongress von ihr blenden lässt. Ein Präsident, der nicht mehr gewählt werden kann, hat seine Art der Freiheit. Er muss sie nur zu formen wissen.
H. K.

Aus: Neue Zürcher Zeitung, 21. Januar 2005

*******

George W. Bush eint die Welt - in Angst

Von Rüdiger Göbel

George W. Bush, der am Donnerstag in Washington zum zweiten Mal seine Hand auf die Familienbibel legte, den Amtseid sprach und nun für weitere vier Jahre im Weißen Haus residiert, hat die Welt geeint wie kein US-Präsident vor ihm. Menschen rund um den Globus sind der Meinung, die Wiederwahl des Kriegspräsidenten habe die Welt gefährlicher gemacht. Dies geht aus einer Umfrage des britischen Nachrichtensenders BBC in 21 Ländern hervor. Rund 60 Prozent der fast 22000 Befragten befürchten negative Auswirkungen auf Frieden und Sicherheit in der Welt. In Deutschland gehen 77 Prozent der Befragten davon aus, daß "Bush II" nichts Gutes bringen wird. In Frankreich teilten 75 Prozent diese Meinung, in Großbritannien, immerhin wichtigster Bush-Verbündeter in Europa, 64 Prozent.

Am klarsten sieht offensichtlich der EU-Aspirant Türkei: 82 Prozent der dort Befragten sprachen sich gegen Bush aus. Wen wundert's? - Nach dem Irak droht mit den jüngsten Angriffsdrohungen gegen Iran das zweite Nachbarland des NATO-Mitgliedstaates in Brand gesetzt zu werden. Auch in den lateinamerikanischen Ländern, die Washington als eine Art Hinterhof betrachtet, herrscht Angst vor Bush: 79 Prozent der Argentinier und 78 Prozent der Brasilianer sorgen sich um den Weltfrieden. Anders ticken die Uhren einzig im erzkatholischen Polen, in der aufstrebenden Wirtschaftsmacht Indien und auf den Philippinen. Dort erhält Bush mit jeweils gut 60 Prozent mehrheitlich Zustimmung.

Obwohl er die Mehrheit der Wähler hinter sich bringen konnte, findet Bush in der eigenen Bevölkerung vor allem wegen des Irak-Desasters immer weniger Unterstützung, berichtete die Los Angeles Times. Nur noch 39 Prozent der Amerikaner glauben, daß es die Situation im Irak wert sei, den Krieg noch weiter fortzusetzen.

Bush selbst feiert sich bis Sonntag noch in einer "Celebration of Freedom". Freiheit eine das Land, gebe der Welt Hoffnung "und wird uns in eine Zukunft des Friedens führen", sagte Bush am Vorabend seiner zweiten Amtszeit. Er sei bereit und begierig, die vor ihm liegenden Aufgaben anzupacken. In weiten Teilen der Welt wird dies richtigerweise als Drohung verstanden.

Aus: Junge Welt, 21. Januar 2005

*******

Bush-Export

Von Frank Wehner

Bush nimmt sich die Freiheit, seine Wiederwahl mit 40 Millionen Dollar zu feiern. Doch er nimmt nicht nur, er will auch Freiheit geben. Bis in die dunkelsten Gegenden der Welt, womit wohl nicht Washington gemeint ist, wo Regimenter von Bütteln den Bush-Triumph absicherten und Pazifistinnen verhaftet wurden. Löblich ist der Vorsatz des Präsidenten durchaus, zumal er einen Vorgänger zitiert, der wirklich groß war, obwohl seine Inauguration keine 5000 Dollar kostete. Lincoln natürlich, der sagte: »Jene, die anderen die Freiheit verweigern, verdienen sie nicht selbst.« Und höchste Zeit ist es auch für die USA, damit anzufangen, denn seit fast 60 Jahren taten sie nichts mehr in diesem Sinn. Was wohl auch dazu führte, dass Freiheit, wie Bush sie meint, höchst eigenartig ist. In Irak sieht er sie heraufziehen, dem Brennpunkt von Willkür, Mord und Folter.

Wie so manches andere gute Wort wird Freiheit entwertet, wenn es ein Bush gebraucht. Und der Export von hehren Gütern hat sich bislang kaum bewährt, das mussten andere schon erfahren, die besseren Formates waren. Das Feuer der Freiheit will Bush über den Globus tragen. Doch bislang klappt’s nur mit dem Feuer.

Wenn schon Lincoln Zitate liefern muss, dann sollte man auch folgendes beachten: »Man kann alle Leute einige Zeit zum Narren halten und einige Leute allezeit; aber alle Leute allezeit zum Narren halten kann man nicht.«

Aus: Neues Deutschland, 22. Januar 2005

*******

Im Namen der Freiheit

VON DIETMAR OSTERMANN (WASHINGTON)

Es ist möglich, die neue Freiheits-Doktrin der Vereinigten Staaten lediglich als neue Verpackung alter Politik zu begreifen. Bei der Wiedereinführung ins Amt des Präsidenten der USA hat George W. Bush die Begriffe "Terrorismus" und "Irak", die seine Außenpolitik der vergangenen Jahre geprägt haben, nicht ein einziges Mal benutzt. Die Terrorangst hat nach zwei Kriegen und über drei Jahre nach "9/11" ihre mobilisierende Wirkung erschöpft. Die verfahrene Lage in Irak weckt im US-Volk inzwischen vor allem Skepsis und Sorge. Es gibt bis weit in Bushs Wählerschaft Zweifel, ob dieser Krieg richtig war. (...)

Seinen verunsicherten Landsleuten hat Bush am Beginn seiner zweiten Amtszeit nun eine frische Begründung für seine Politik geliefert. Die klingt so gerecht wie gut und schweift von der harten Realität weit ins Abstrakte. Vor allem aber knüpft sie an eine bewährte Tradition an. Der Freiheitsbegriff spielt nicht nur im amerikanischen Denken seit mehr als zwei Jahrhunderten eine zentrale Rolle. Die USA haben alle großen Kriege im Namen der Freiheit geführt, von der Abschaffung der eigenen Sklaverei bis zur Befreiung Europas vom Nazi-Joch. Allein schon Bushs pathetischer Ton mag europäische Ohren verstören. Zwei Mal im 20. Jahrhundert aber verdankte Europa amerikanischem Sendungsbewusstsein die Rettung. Deutschland wäre heute nicht, was es ist, wären die GI's nicht an fernen Ufern für die Freiheit und gegen die Tyrannei in den Kampf gezogen.

Das heißt nicht, dass man dem aktuellen US-Präsidenten alles durchgehen lassen muss, nur weil er zweifellos moralische Ziele proklamiert. Schon gar nicht heißt es, dass mit dem Schlagwort von der Freiheit eine Politik richtiger wird, die bei der Lösung komplizierter Probleme vornehmlich auf Druck und militärische Mittel setzt. (...)
(...)
Wie konsequent die Bush-Regierung die Rhetorik in konkrete Politik umzusetzen gedenkt, steht dahin. Niemand erwartet, dass die USA jetzt ihre Ölinteressen aufs Spiel setzen, weil sie in Saudi Arabien Freiheitsrechte und Demokratie einklagen. Oder dass Washington die "Koalition der Willigen" um jene Autokraten entrümpelt, die sich dem Anti-Terror-Kampf nur aus politischem Opportunismus angeschlossen haben.

Bisher trug die Außenpolitik der Bush-Regierung neben dem ideologisch-idealistischen Einschlag stets den kalten Hauch rücksichtsloser Interessenpolitik im Sinne der "America-First"-Nationalisten um Dick Cheney und Donald Rumsfeld. Für sie ist weniger die Unfreiheit fremder Völker unerträglich als die Vorstellung, dass drittklassige Diktaturen der Supermacht auf der Nase herumtanzen. Wenn Cheney noch am Tag der Amtseinführung Iran zum potenziellen Krisenherd Nummer eins erklärt und Verständnis für etwaige Militärschläge Israels signalisiert, klingt das gewiss nicht nur für einen Mann wie Zbigniew Brzezinski nach "neuen Iraks". Wer Bushs Rede aufmerksam liest, findet indes auch Ermutigung und diplomatische Tauwetter-Signale. Was tun? Man könnte Bush beim Wort nehmen. Und einen transatlantischen Dialog darüber beginnen, wie Freiheit und Demokratie gemeinsam vorangetrieben werden könnten.

Aus: Frankfurter Rundschau, 22. Januar 2005

*******

Handelsblatt, Düsseldorf: "Bushs zweite Amtszeit startet mit Reparaturarbeiten: Washington betont unablässig, nun stärker mit den Verbündeten zusammenarbeiten zu wollen. (...) In eine Liebesbeziehung wird dies aber kaum münden. Denn der Wandel in Washington dürfte weniger innerer Einsicht als vielmehr der derzeitigen Schwäche der im Irak gebundenen Supermacht geschuldet sein. Zudem kann es kein Zurück zu der früheren, als unzerbrechlich geltenden Partnerschaft mehr geben. Zwar müssen Europäer und Amerikaner, wollen sie erfolgreich sein, tatsächlich bei vielen Themen kooperieren. Aber es gibt keine Notwendigkeit, dem Führungsanspruch der Supermacht in allen Punkten zu folgen. Beim Irak-Krieg hat sich die politische Klasse in Deutschland noch den Kopf zerbrochen, ob sich das Land im Notfall eine Frontstellung gegen die USA leisten kann. Nach der ersten Amtszeit Bushs ist die Antwort klar: Ja."

THE DAILY TELEGRAPH (London): "Mit einem wesentlich stärkeren Mandat für seine zweite Amtszeit hat Bush nun große Ambitionen zur Verbreitung der Freiheit. In Afghanistan und im Irak die Demokratie einzuführen, erweist sich als schwierig genug. Und doch gibt es darüber hinaus noch die sechs 'Vorposten der Tyrannei' Kuba, Burma, Nordkorea, Iran, Weißrussland und Simbabwe. Und danach, kommt dann China? Die Absichten des Präsidenten sind bewundernswert, aber er muss es erst im Irak richtig hinbekommen, wenn es eine Chance dafür geben soll, dass seine Pläne verwirklicht werden. Der Irak ist die große unerledigte Aufgabe seiner ersten Amtszeit, und sie wird ihn ohne Zweifel auch noch während der gesamten zweiten Amtszeit in Anspruch nehmen."

"THE INDEPENDENT (London): "Vor vier Jahren, ja, noch vor vier Monaten hätten nur wenige George W. Bush große Chancen eingeräumt, vor dem Kapitol für eine zweite Amtszeit vereidigt zu werden. Der Preis seines Sieges ist jedoch, dass er sich noch im Amt mit den Folgen seiner früheren Fehlentscheidungen auseinander setzen muss. Der fatale Irak-Krieg und das immer größere Haushaltsdefizit werden ihn dabei besonders stark verfolgen.
Wenn die Notwendigkeit, diese kostspieligen Fehler wiedergutzumachen, dazu führt, dass die US-Regierung etwas mehr Rücksicht auf ihre europäischen Verbündeten nimmt, dann besteht vielleicht die Chance, dass die transatlantische Partnerschaft in den nächsten vier Jahren wiederbelebt wird."

"IL MESSAGGERO (Rom): ""Es heißt, dass jeder Präsident der Vereinigten Staaten in den Jahren des ersten Mandats versucht, wiedergewählt zu werden, und in den Jahren des zweiten Mandats, sich einen Platz in der Geschichte zu sichern. Bestätigt wird dies durch Bushs Antrittsrede, in der er die starke und anklagende Sprache, die er nach dem 11. September anwendete, aufgab und sich stattdessen als Befreier der Unterdrückten anbot; die USA wollen allen Völkern, die sich von der Tyrannei befreien wollen, zur Hilfe eilen.
Schon Condoleezza Rice, seine treue Beraterin und Ausführerin seines Willens, hatte während einer Anhörung im Senat 'die Stunde der Diplomatie' angekündigt. Aber wer jetzt eine neue politische Linie erwartet, könnte enttäuscht werden: Die Befreiung der Unterdrückten bedeutet auch den Krieg gegen die Unterdrücker, und Rice selbst hat bestätigt, dass hart und feindlich gegen jene Länder durchgegriffen wird, von denen sich Amerika bedroht fühlt - oder die sich seinem Kreuzzug für die Demokratie in den Weg stellen."

"CORRIERE DELLA SERA (Rom): Demokratien, auch die ältesten und reifsten, sind von Unbeständigkeit geprägt. Vor zweieinhalb Monaten hat George W. Bush seinen Gegner mit einem guten Vorsprung an Wählerstimmen besiegt. Jetzt, wo seine zweite Amtszeit beginnt und er die Freude dieses Sieges auskosten kann, beobachtet die öffentliche Meinung seines Landes einige Aspekte seiner Politik mit Besorgnis. Ein Großteil der amerikanischen Gesellschaft glaubt nicht, dass die Regierung einen Weg aus dem irakischen Dilemma finden wird (...).
Das demokratische Evangelium, dem Bush eine Antrittsrede mit stark missionarischen Tönen gewidmet hat, hat eine therapeutische Wirkung. Wenn die Tatsachen ihm Recht geben, kann Bush den Rückzug aus dem Irak vorbereiten (...). Wenn sie ihn hingegen Lügen strafen, wird die zweite Amtszeit, wie zu den Zeiten von Vietnam, von einem Krieg ohne Ausweg in einem fernen Land geprägt sein - und von wachsendem Unmut des amerikanischen Volkes.

"De Volkskrant" (Niederlande): Das sind ermutigende Töne. Die erste Amtszeit von George W. Bush war gekennzeichnet von einem großen Maß an Desinteresse für die Auffassungen der Verbündeten und die Grenzen der internationalen Rechtsordnung. (...) Inzwischen ist es die Frage, ob die amerikanische Charmeoffensive in Richtung der Bündnispartner einher geht mit einer größeren Bereitschaft, auch die Politik in bestimmten Punkten zu verändern. Denn wenn mehr Beratung nur bedeutet, dass Washington sich besonders anstrengt, einen bereits vorgezeichneten Kurs zu erklären und zu begründen, dann geht es nicht so sehr um Konsultation wie um eine bessere Werbung. Die einzige Veränderung wäre dann, dass die Welt einem Unilaterismus mit einem freundlicherem Gesicht ausgesetzt wird.

"DERNIČRES NOUVELLES D'ALSACE (Straßburg): "Die USA wollen die Freiheit verteidigen, und dies ist sicherlich ein ehrenwertes Engagement. Leider wird über diese "heilige Mission" einseitig entschieden und die Alliierten vor vollendete Tatsachen gestellt.

"KOMMERSANT (Moskau): "Bush wird in die Geschichte der USA als Militärpräsident eingehen. Und das ist der russischen Führung sehr recht. Präsident Putin hat ihn nämlich nicht so sehr als Freund Schorsch übermäßig unterstützt, sondern als Garanten seiner eigenen Unantastbarkeit. Wenn Bush für die kommenden vier Jahre ein Friedensprogramm verkündet hätte, hätte Putin sich ernstlich Sorgen machen müssen. Es hätte noch gefehlt, dass George und Condoleezza Rice sich mit der Demokratie in Russland beschäftigen, anstatt den Rest der Welt zu retten. Nur ein kämpfender Bush ist ein echter Freund für uns.

"Sydsvenska Dagbladet"(Malmö): "Der Republikaner Bush, oft unterschätzt, ist strikt konservativ, äußerst zielstrebig und hat jetzt eine starke Ausgangsposition: Er ist der erste Präsident seit Franklin D. Roosevelt 1936 der bei gleichzeitig gehaltener Mehrheit in beiden Kammern des Kongresses wiedergewählt worden ist. (...) George W. Bush, der als konservativer Roosevelt (Roosevelt war Demokrat, Anm.) bezeichnet wurde, hat gezeigt, dass er kaputtschlagen und durcheinanderwirbeln kann. Es ist jedoch fraglicher, ob er auch Roosevelts Fähigkeit besitzt, die Trümmer wieder aufzusammeln und Neues zu bauen. Obwohl, auf der anderen Seite: Präsidenten, die eine zweite Amtsperiode erhalten, überraschen für gewöhnlich."

"Nepszabadsag" (Budapest): "Wer ihn (Bush) mystifiziert, täte besser daran, ihn ein wenig sachlicher zu betrachten. 'W.' wird weitere vier Jahre lang amerikanischer Präsident sein, und was er zu Grunde richtet, richtet er irgendwo auch zu unseren Lasten zu Grunde. Schon aus Eigennutz haben wir Interesse daran, ihm die Daumen zu drücken. (...) Man muss klar sehen: Amerika ist für Europa nicht mehr das Anhängsel, der Fortsatz, nicht mehr der opferbereite Helfer und nicht der Schiedsrichter, der Krisen löst, sondern sein Partner, wenn Europa bereit und fähig ist ein Partner zu sein. (...) Wenn Bush dazu von uns eine Chance bekommt, dann geben wir uns auch eine (Chance)."

"Nepszava" (Budapest): "Laut einer neuen internationalen Umfrage sind in 18 von 21 Ländern die Menschen darüber besorgt, dass in den nächsten vier Jahren Bushs und seiner Mannschaft die Welt noch gefährlicher werden könnte. Geraten neue Länder in das Fadenkreuz? Oder bekommt die Realpolitik eine Chance, das von (Ex-Sicherheitsberaterin und nunmehrigen Außenministerin) Condoleezza Rice skizzierte 'Mehr an Diplomatie'? Es kann sein, dass sich der Stil ändern wird. Washington könnte, wie versprochen wird, Gesten in Richtung der europäischen Alliierten machen, die sich wegen des Irak-Krieges von ihm entfremdet haben. Aber der Präsident, der seine Berufung einer Inspiration, die 'von jenseits der Sterne' kommt, zuspricht, lässt keinen Zweifel daran: die Supermacht Nr. 1 wird auch in Zukunft ihre Interessen aggressiv vertreten."

"Mlada fronta Dnes" (Prag): "In seiner zweiten Amtszeit will George W. Bush den Nahen Osten demokratisieren, Russland zu Reformen nötigen und gleichzeitig wieder ein gutes Verhältnis mit Europa herstellen. Zudem will er die friedliche Nutzung der Kernenergie unterstützen und den Reichen dauerhaft die Steuern senken. Und natürlich beliebt sein im In- und Ausland. Ein solches Programm kann sich nur vornehmen, wer neben Mut einen Hang zum Glücksritterum besitzt, und wer blind an seine Wahrheit glaubt. Sicher: Bush hat mit diesen Eigenschaften eine Schulreform und den Militäreinsatz in Afghanistan durchgedrückt. Der Nachteil ist nur, dass Bush sich nie viel Mühe gemacht hat, andere zu überzeugen. Warum auch, dachte er oft - er hat doch Recht."

"Washington Post" (USA): Der Präsident hat eine außerordentliche Steigerung der nationalen Ziele vorgeschlagen, aber es ist nicht deutlich geworden an welche praktische Umsetzung er - wenn überhaupt - dabei denkt. Reden zur Amtseinführung sind eher dazu da, die großen Themen zu umreißen, als prosaische Programme zu erläutern (...). In seiner 21 Minuten langen Rede benutzte der Präsident das Wort "Freiheit" 27 Mal (...), aber er erwähnte kein einziges Mal den Irak, wo mindestens elf US-Soldaten in den vergangenen sieben Tagen getötet worden sind.

"The Independent" (Großbritannien): Vor vier Jahren, ja, noch vor vier Monaten hätten nur wenige George W. Bush große Chancen eingeräumt, vor dem Kapitol für eine zweite Amtszeit vereidigt zu werden. Der Preis seines Sieges ist jedoch, dass er sich noch im Amt mit den Folgen seiner früheren Fehlentscheidungen auseinandersetzen muss. Der fatale Irak-Krieg und das immer größere Haushaltsdefizit werden ihn dabei besonders stark verfolgen.
Wenn die Notwendigkeit, diese kostspieligen Fehler wiedergutzumachen, dazu führt, dass die US-Regierung etwas mehr Rücksicht auf ihre europäischen Verbündeten nimmt, dann besteht vielleicht die Chance, dass die transatlantische Partnerschaft in den nächsten vier Jahren wiederbelebt wird.

"Delo" (Laibach): "Die Freiheit, wie sie George W. Bush sieht, bringt ihm leidenschaftliche Anhänger und genauso aufgebrachte Gegner daheim und in der Welt. Nicht nur wegen des Krieges, der allein in der US-Armee schon mehr als 1.300 Opfer gefordert hat. Freiheit ist für den Präsidenten auch ein öffentliches Gut, das auf persönlichem Charakter, Toleranz und Gewissen beruht. Daher wird er sich dafür einsetzen, dass die Menschen mehr Verantwortung für ihre Gesundheits- und Altersversorgung übernehmen, und wird die gesamte Gesellschaft in den USA in eine konservativere Richtung zu drängen versuchen. Viele auf der Welt und in den USA fürchten diese Politik genauso sehr wie die amerikanischen Flugzeugträger, während andere die Entschlossenheit des Oberbefehlshabers begrüßen, den Staat im immer unerbittlicheren internationalen Wettlauf konkurrenzfähig zu erhalten. Es gibt keinen Zweifel, George Bush wird die Menschen auch in seiner zweiten Amtszeit spalten. Seine Anhänger werden noch begeisterter, seine Gegner noch empörter. Niemand aber wird gleichmütig bleiben."

"Dnevnik" (Laibach): "Bushs zweite Amtszeit wird viel anspruchsvoller sein als seine erste. Die Welt ist anders, unsicherer und gefährlicher geworden. (...) Dazu kommen die Folgen, die seine erste Amtszeit gehabt hat. (...) Bei Amtsantritt hatte er alle Gelegenheiten, sich hervorzutun, und nach den Terrorangriffen auf die USA war diese Gelegenheit nur noch größer. Vier Jahre später ist alles anders, weil seine Glaubwürdigkeit angeschlagen ist. (...) Sein Sieg mit nur zwei Prozentpunkten Vorsprung zeigt, dass die USA immer noch politisch gespalten sind und das belegen auch jüngste Meinungsumfragen. Er wird daher sein politisches Kapital laufend mit Taten gewinnen müssen, um den bei Präsidenten gegen Ende der zweiten Amtszeit unvermeidlich eintretenden Autoritätsverlust so lange wie möglich hinauszuzögern. Die Frage ist aber, ob Bush darauf vorbereitet ist. (...) Gestern sprach er bei seiner Angelobung lang und breit über die Ausbreitung von Demokratie und Freiheit in der Welt. Nach dem irakischen Rezept?"

Quellen: Süddeutsche Zeitung (SZ-online), Deutsche Welle, Der Standard, alle vom 21. Januar 2005




Zur "USA-Seite"

Zurück zur Homepage