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Konfrontative Nähe

Kampf um globale Hegemonie: Trotz engster wirtschaftlicher Verflechtungen versuchen die USA, Chinas zunehmenden Einfluß zu begrenzen

Von Rainer Rupp *

Chinas Wahl, welche Rolle es in Zukunft in der Welt spielen wolle, sei »die große Frage unserer Zeit«, sagte der hochrangige US-Diplomat Jim Steinberg bereits im vergangenen Jahr. Frieden und Wohlstand der Welt hingen davon ab, welchen Weg das Reich der Mitte einschlagen werde. Dieses Statement verdeutlicht die gespaltene Sicht des US-Establishments auf die Entwicklungen in der Volksrepublik.

Auf der einen Seite stehen die US-Großkonzerne und deren Lobby, die von den Importmengen aus China profitieren. Sie sind an einer Konfronta­tion nicht interessiert. Dies würde auch die Milliardeninvestitionen gefährden, die sie in zahlreichen Niederlassungen investiert haben. Millionen chinesische Arbeiter produzieren dort einmalig preisgünstig und gut für den US-Markt. Die Konzernchefs argumentieren, daß China inzwischen viel zu sehr in die Globalisierung eingebunden sei, um auch nur daran zu denken, die Weltwirtschaft durch Drohungen oder gar Krieg zu gefährden.

Massenproduktion und der Handel haben auch China Wohlstand gebracht und Hunderte Millionen Menschen aus erdrückender wirtschaftlicher Not gehoben. Die Regierung in Peking kontrolliert Devisenreserven im Volumen von 2650 Milliarden US-Dollar. Sie ist auch deshalb zu einem in der ganzen Welt geschätzten und respektierten Partner geworden. Warum also sollte der »Rote Drache« ausgerechnet das System niederreißen, das ihm bisher so gut gedient hat? Peking hat vielmehr durch seine Handlungen, z.B. Stützung des Dollar und des Euro, bewiesen, daß es an der Fortsetzung der guten Wirtschaftsbeziehungen zu den USA und Europa stark interessiert ist. Durch einen Zusammenbruch des Außenhandels würde in China ein Millionenheer von Arbeitern perspektivlos auf die Straße geworfen, was ernsthafte Folgen für die Stabilität des Landes und den Führungsanspruch der Kommunistischen Partei haben könnte.

Genau diese Möglichkeit zur Destabilisierung wollen sich die Gegner Pekings offensichtlich zunutze machen. Aus ihrer Sicht sind China und »Amerika« zur Feindschaft verdammt. Mit wachsendem ökonomischen und militärischen Potential würden auch Chinas Ansprüche zunehmen, die Welt in seinem Sinne zu ordnen. Auch Pekings Geduld werde eine Grenze haben. Das unterstreicht auch die jüngste Meldung aus US-Militärkreisen, die am Mittwoch von der Financial Times Deutschland (FTD) verbreitet wurde. Nach Angaben des Oberkommandierenden der US-Streitkräfte im Pazifik, Admiral Robert Willard, sei eine neuentwickelte chinesische Antischiffsrakete einsatzbereit, die die militärische Dominanz der USA aufzubrechen droht. Die ballistische Rakete könne Flugzeugträger direkt bekämpfen, also jenes Waffensystem, mit dem Washington militärische Macht bisher an jeden beliebigen Ort auf Erden projizieren konnte. Nun müsse die Art und Weise überdacht werden, wie Flugzeugträger eingesetzt werden, zitierte die FTD indirekt US-Verteidigungsminister Robert Gates.

Auch im US-Kongreß ist eine unheilige Allianz zwischen republikanischen Nationalisten und gewerkschaftsnahen Demokraten entstanden. Letztere werfen China vor, durch Währungsmanipulationen US-Arbeitsplätze vernichtet zu haben und so für die hohe Arbeitslosigkeit in den USA verantwortlich zu sein. Obwohl dies ein Versuch ist, sich aus der Verantwortung für die heimische Arbeitsplatzmisere zu stehlen, findet er in der US-Öffentlichkeit großen Anklang. Es scheint vergessen, daß die neoliberale Strategie der US-Konzerne, nämlich die Auslagerung der teureren US-Arbeitsplätze ins Billiglohnland China, ohne die Unterstützung der Politik niemals hätte durchgesetzt werden können.

Die Republikaner sehen in der Volksrepublik die neue strategische Herausforderung, weil sie zu Recht befürchten, daß ein stärkeres China allein durch seine Existenz die bisherige Führungsrolle der USA konterkarieren würde. Um dieser »Gefahr« rechtzeitig zu begegnen, drängen die Gegner Chinas auf eine »Rückkehr« der USA in den Pazifik, um den zunehmenden Einfluß des Kontrahenten zu begrenzen.

Statt die Führungsrolle der USA anzuerkennen, ist China z.B. in der G-20-Gruppe als Anwalt der Interessen der Länder der Dritten Welt aufgetreten. Peking hat mehrfach Washingtons Finanzpolitik öffentlich kritisiert, vor allem die exzessive Geldvermehrung durch die US-Notenbank, die das Weltwährungssystem erschüttert.

Soviel Selbstbewußtsein ist für die USA nicht hinnehmbar. Insbesondere das Pentagon hat aus seiner latenten Feindschaft gegenüber China noch nie ein Hehl gemacht. Neu ist, daß nun auch das US-Außenministerium unter Hillary Clinton auf diese Konfronta­tionslinie eingeschwenkt ist.

Clinton läßt derzeit keine Gelegenheit aus, Peking zu reizen, wie jüngst auf der ASEAN-Konferenz in Hanoi. Unter dem Vorwand der Sorge um die freie Schiffahrt mischte sich die Außenministerin unerwartet und zum großen Ärger Pekings in den seit Jahrzehnten schwelenden Disput zwischen China und anderen Anrainer-Staaten des Südchinesischen Meers ein. Dabei geht es um territoriale Rechte von Hunderten unbewohnten Inseln, unter denen beachtliche Lagerstätten von Öl- und Gas vermutet werden. Obwohl das die USA nichts angeht, will Washington den Streit internationalisieren, um sich so ein Mitspracherecht zu sichern und zugleich – und das nicht ganz ohne Erfolg – einige Länder, wie z.B. Vietnam, gegen China, auszuspielen. Auch arbeitet Washington eifrig an einer neuen Allianz mit Japan und Südkorea. Diese soll angeblich gegen die Bedrohung aus Nordkorea gerichtet sein. Tatsächlich aber muß sie als Teil der neuen Strategie zur Eindämmung Chinas gesehen werden. Auch weitere Staaten wie Indien und Indonesien, denen Präsident Barack Obama auf seiner jüngsten Asien-Reise große Aufmerksamkeit schenkte, sollen darin eingebunden werden.

* Aus: junge Welt, 30. Dezember 2010


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