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Mit Koffein gegen die "Tea Party"

USA: Obama-Anhänger machen in neuer Graswurzel-Bewegung mobil

Von Max Böhnel, New York *

Die USA haben eine neue politische Graswurzel-Bewegung: Nach der erzkonservativen Tea-Party-Movement, die Präsident Barack Obama unter Druck setzt, macht nun eine links-liberale Gegenbewegung mobil, die sich demonstrativ Coffee-Party-Movement nennt.

Es begann eines kalten Tages im Januar, als die 41-jährige Annabel Park in ihrer Wohnung in Silver Spring im Bundesstaat Maryland ein paar neue Sätze auf ihrer Facebook-Seite schrieb. »Gründen wir doch eine Kaffee-Partei, eine Milkshake-Partei, Red-Bull-Partei, alles außer Tee«. Und witzelnd fügte sie hinzu: »Oh, oder wie wär's mit einer Cappuccino-Partei? Das würde sie richtig anpissen, weil's elitär klingt. Lasst uns zusammenkommen und Cappuccino trinken und einen echten politischen Dialog führen mit Substanz und Mitgefühl.«

Park hatte nicht die geringste Ahnung, was sie mit diesen unschuldigen Sätzen auslöste. Innerhalb weniger Stunden verdoppelte sich die Zahl ihrer Facebook-Freunde. Sie richtete eine Seite »Coffee Party USA« ein. Die Zahl der Fans wuchs in einer Woche auf mehrere Tausend an. Heute, drei Monate später, hat sie sich auf über 180 000 verzwanzigfacht. Stündlich registrieren sich durchschnittlich 15 neue Anhänger. Dabei hatte die Dokumentarfilmerin lediglich ihr Unbehagen gegen die rechte Tea-Party-Bewegung ausgedrückt, die seit Monaten gegen die Demokraten und vor allem gegen Barack Obama mobil macht.

Diese »Tea Party« ist ein wachsendes Bündnis aus Ultrakonservativen und Rechtsextremen, die hasserfüllt, lautstark und medial gewieft gegen alle Reformansätze protestieren. Obama sei »antiamerikanisch«, »sozialistisch«, ein »Muslim«, poltern sie vor laufenden Kameras. Ihr Name geht zurück auf die Boston Tea Party. 1773 hatten Amerikaner aus Protest gegen die Steuerpläne der englischen Kolonialherren Teeladungen im Meer versenkt.

Inzwischen ist Annabel Park selbst eine Medienberühmtheit. Die größten USA-Zeitungen interviewten sie, CNN filmte sie, und Telefoninterviews dauern, wenn sie sich gegenüber der Auslandspresse überhaupt äußert, nur ein paar Minuten. Sie sei »überfordert«, sagt sie – und ihr Bedauern klingt ehrlich, denn »es geht alles viel zu schnell«. Sie verbringt den ganzen Tag bis spät in die Nacht hinein online und versucht, des Ansturms Interessierter Herr zu werden. Der Webseite zufolge gibt es mittlerweile 45 Ortsgruppen politisierender Kaffeetrinker, denen die Tea Party zuwider, zu rechts oder zu rabiat ist. Von Alaska bis West Virginia haben sich Demokraten, aber auch Republikaner sowie Unabhängige zusammengefunden, um sich auszutauschen.

Einen Überblick über den Stand der Debatten, so sie denn stattfinden, gibt es bisher nicht. Die Kaffe-Partei hat weder ein Programm noch weiß sie, ob sie überhaupt eine Partei sein will. Die Medien haben das Phänomen in ihrem Drang, Basisbewegungen einen plakativen Aufkleber zu verpassen, abwechselnd als »Sturm im Wasserglas«, »Getränke-Partei« oder »Cappuccino-Lefties« bezeichnet. Doch bisher passt es in keine dieser Schubladen.

Am wenigsten taugt der Begriff »Internet-Witz«. Denn die Coffee Party USA ist inzwischen von einem virtuellem zum realen Treffpunkt geworden. So fand Mitte März der erste National Coffee Party Day statt. An einem Samstag trafen sich die Anhänger sämtlicher Ortsgruppen in Kaffeestuben, um über ihre Probleme zu sprechen.

Gleichzeitig geht die vermeintliche »Bürgerbewegung« höchst professionell vor, organisatorisch wie in den politisch vorsichtigen Aussagen von Annabel Park, die im Wahlkampf als freiwillige Helferin von Barack Obama unterwegs war. Der »New York Times« sagte sie gerade, mehr als ein Jahr nach der Amtseinführung des Afroamerikaners, der mit den Slogans »hope« und »change« angetreten war, sei die Regierung »erkrankt«. Aber man könne »sie deshalb nicht aufgeben«. Von den antistaatlichen Marktfundamentalisten, die sich wie die Tea- Party-Aktivisten von der Regierung bedroht fühlen, grenzt sich die Kaffee-Bewegung ab. Park sagt dagegen: »Die Politik wird von den Lobbyisten bestimmt. Was wir Bürger wollen, interessiert nicht.«

Es gehe ihr um eine »offene Demokratie« und einen »offenen demokratischen Prozess«. Deshalb sähe sie gern auch Anhänger von der rechten Konkurrenz bei den Kaffeerunden – »wobei wir dann Kaffee oder Tee trinken«. Auf der Webseite heißt es: »Die Regierung ist nicht unser Feind, sondern Ausdruck unseres Willens. Wir müssen am demokratischen Prozess teilnehmen, um unsere Ziele zu erreichen.« Welche konkret, darüber schweigt man sich aus.

Neben der Webseite ist die Coffee Party USA auch auf Twitter, Youtube und Flickr zu hören und zu sehen. Derzeit mobilisieren die Kaffeefans zu Zusammenkünften für weitere regionale Gipfeltreffen namens National Coffee Summit an diesem Wochenende. Daraus sollen sich nach dem Willen von Park Gespräche mit den jeweiligen Abgeordneten ergeben. Dass es dazu kommt, ist sehr wahrscheinlich. Denn nach den Medien haben Politiker, die in den herbstlichen Zwischenwahlen für den Kongress wieder- oder neugewählt werden wollen, längst ihre Fühler nach organisierten Wählergruppen ausgestreckt.

Neben dem Markenzeichen der Coffee Party – selbstredend eine Kaffeetasse, aus der es dampft – befindet sich der nichtssagende Kampfruf »Wake up and stand up«. Wenn die Gruppierungen dieses Motto tatsächlich umsetzen wollen, mahnte eine Autorin auf der linken Webseite »Alternet« vor Kurzem, dann »müssen sie sich schon bald gegen dieselben politischen Führer auflehnen, für die sie Wahlkampf machten«.

* Aus: Neues Deutschland, 26. März 2010


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