Dieser Internet-Auftritt kann nach dem Tod des Webmasters, Peter Strutynski, bis auf Weiteres nicht aktualisiert werden. Er steht jedoch weiterhin als Archiv mit Beiträgen aus den Jahren 1996 – 2015 zur Verfügung.

Einheitsfront für den "Vierten Weltkrieg"

In den USA wurde das "Komitee gegen die gegenwärtige Gefahr" ("Committee on the Present Danger" - CPD) wiedergegründet

Von Knut Mellenthin*

In den 50er und 70er Jahren richtete sich das "Komitee gegen die gegenwärtige Gefahr" gegen die Sowjetunion. Heute soll es die Doktrin des »Regimewechsels« propagieren und sucht dafür Verbündete in Europa.

Im Juli vorigen Jahres ließ die Nachricht von der Neugründung des »Committee on the Present Danger« (CPD), des »Komitees gegen die gegenwärtige Gefahr«, bei allen Gegnern der neokonservativen Kriegspolitik der USA die Alarmglocken schrillen. Denn schon der geschichtlich eindeutig besetzte Name ist Programm, und nicht weniger programmatisch ist der Teilnehmerkreis, der mit prominenten Kriegstreibern vor allem aus den Reihen der Republikaner, aber auch aus der Demokratischen Partei erstklassig bestückt ist. Der tatsächliche Vorsitzende des CPD ist der frühere CIA-Chef James Woolsey, dekorativ umrahmt vom demokratischen Senator Joseph Lieberman und seinem republikanischen Kollegen Jon Kyl als Co-Vorsitzenden.

Lieberman hat sich große persönliche »Verdienste« um das Einschwören seiner Partei auf Unterstützung oder zumindest Tolerierung der US-Kriegspolitik im Nahen Osten erworben. Noch heute ist er stolz darauf, dem Vater des jetzigen Präsidenten bei der Gewinnung einer Kongreß-Mehrheit für den ersten Irak-Krieg 1991 entscheidend geholfen zu haben. Senator Lieberman ist der wichtigste Verbündete der Neokonservativen in der Demokratischen Partei. Der CPD-Vorsitzende gehört zu denen, die nach dem 11. September 2001 den Begriff »World War IV« (»Vierter Weltkrieg«) erfanden. Mit dem Militärwissenschaftler Eliot Cohen und dem langjährigen Herausgeber der Ideologie-Zeitschrift Commentary, Norman Podhoretz, gehören dem CPD auch die beiden Neokonservativen an, die neben Woolsey am meisten für die Popularisierung des Begriffs »World War IV« getan haben.

Avantgarde des »Rollback«

Zum ersten Mal wurde das CPD Anfang der 50er Jahre, auf einem der Höhepunkte des sogenannten Kalten Krieges – den die Neokonservativen heute als »Dritten Weltkrieg« bezeichnen –, gegründet. Laut einer Selbstdarstellung sollte es als »Bürgerlobby« die Nation auf die von der Sowjetunion und dem internationalen Kommunismus ausgehende »Gefahr« aufmerksam machen und zur »Gegenwehr« aufrufen. Zentrales (und tatsächlich erreichtes) Ziel des CPD war eine Verdreifachung der nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs heruntergefahrenen amerikanischen Rüstungsausgaben, um die angeblich gefährdete Stellung der USA als stärkste Militärmacht der Welt zu behaupten. Nur natürlich also, daß die Rüstungsindustrie sich die CPD-Propaganda etwas kosten ließ.

Außenpolitisch trat das CPD für die von Präsident Harry S. Truman betriebene aggressive Linie des »Eindämmens« (containment) und »Zurückdrängens« (Rollback) der Sowjetunion und des von ihr geführten Weltlagers ein. Konkret hieß das: Unterstützung ultrarechter Diktaturen gegen jede Art von Opposition, Sturz unbequemer Politiker wie 1953 im Iran und 1954 in Guatemala, sowie der Versuch, in den sozialistischen Staaten »Volksbewegungen« zu initiieren und zu manipulieren, um einen »Regimewechsel« zu erzwingen.

Mit der »Entspannungspolitik« der 60er Jahre schlief die Tätigkeit des CPD allmählich ein.

Zulauf von den »Demokraten«

Eine Wiedergründung erfolgte Mitte der 70er Jahre. Wesentliche Anstöße gingen vom »Team B« aus, einer von US-Präsident Gerald Ford eingesetzten Arbeitsgruppe, die vom damaligen CIA-Chef George H. W. Bush, dem Vater des jetzigen Präsidenten, geleitet wurde. »Team B« sollte, so lautete der offizielle Auftrag, die sowjetischen Potentiale und Absichten untersuchen. Zur Arbeitsgruppe gehörten der Sowjetologe Richard Pipes, dessen Sohn Daniel heute ein führender Agitator gegen den »militanten Islam« ist, und Paul Wolfowitz, eine Zentralfigur des Neokonservativismus, seit 2001 stellvertretender Verteidigungsminister.

Personellen Zustrom erhielt das zweite CPD von der »Coalition for a Democratic Majority«, einem Flügel der Demokratischen Partei, dem die Politik gegenüber der Sowjetunion »zu lasch« erschien. Führungsfigur dieser Gruppierung war Senator Henry M. Jackson. Zu seinen Mitarbeitern gehörte Richard Perle, der spätere Vordenker der Neokonservativen. Jackson benutzte vor allem den Streit um die Auswanderung von Juden aus der Sowjetunion, um im Kongreß Boykottmaßnahmen und insgesamt eine Verhärtung der US-amerikanischen Haltung gegenüber Moskau durchzusetzen.

Gestärkt wurde das Komitee auch durch Spitzenfunktionäre der staatstreuen, an der kurzen Leine der Geheimdienste laufenden US-Gewerkschaften, die dem militant antikommunistischen Flügel der Sozialdemokratischen Partei nahe standen.

Regierungsposten unter Reagan

Viele Mitglieder des zweiten CPD bekamen Regierungsposten, als Ronald Reagan – der 1979 in dessen Exekutivkomitee aufgenommen worden war – im Jahr 1980 Präsident der USA wurde. Unter ihnen Außenminister George P. Shultz, der auch im jetzt neu gegründeten CPD eine Schlüsselposition innehat.

Das zweite CPD war entscheidend an den Theorien über die atomare »Verwundbarkeit« der USA beteiligt. Im Ergebnis sprach sich dieses Komitee, das wie schon sein Vorgänger von der Militärindustrie gesponsert wurde, gegen Abrüstungsverhandlungen mit der Sowjetunion und für eine neue Runde des Wettrüstens aus – mit dem erklärten Nebeneffekt, den Gegner wirtschaftlich zugrunde zu richten.

Den Zusammenbruch der Sowjetunion und des sozialistischen Weltlagers feiern die Neokonservativen folgerichtig als Riesenerfolg ihrer Strategie. Das bildet ihr Hauptargument, daß die USA auch den »Vierten Weltkrieg« gewinnen werden, wenn sie stramm den Rezepten der Neokonservativen folgen.

»Die Bedrohung ist global«

Das im Sommer 2004 zum dritten Mal gegründete CPD, das sich ausdrücklich auf seine beiden Vorgänger beruft, versucht im Sog des 11. September, mit Parolen gegen den islamischen Terrorismus zu punkten. In der kurzen Selbstdarstellung auf der Website des CPD heißt es: »Heute bedrohen radikale Islamisten die Sicherheit des amerikanischen Volkes und von Millionen anderen, die die Freiheit lieben. Die Bedrohung ist global. Sie operieren von Zellen in zahlreichen Ländern. Schurkenregime streben nach Macht, indem sie gemeinsame Sache mit Terroristengruppen machen. Die Aussicht, daß diese tödliche Zusammenarbeit Massenmordwaffen einschließen könnte, liegt auf der Hand. Wie der Kalte Krieg ist die Sicherung unserer Freiheit gegen den organisierten Terrorismus ein langwährender Kampf.«

Eine längere Erklärung auf der CPD-Website über »die Natur der globalen Bedrohung« ist mit einer Bilderleiste aufgemacht, die Fotos von Osama bin Laden, Mohammed Atta, Abu Mussab al-Zarkawi und anderen bekannten Terroristen zeigt. Im Text wird behauptet, daß die USA noch niemals einem so gefährlichen Gegner gegenüber gestanden hätten. Als »Brutgründe des Terrorismus« werden namentlich Sudan, Mauretanien, Nordnigeria, Kenia, Tansania, Somalia und Ägypten genannt. Außerdem in Asien die Philippinen, Pakistan, Malaysia, Indonesien; im Nahen Osten Libanon, die von Israel besetzten Palästinensergebiete und Syrien. Selbst Südamerika ist angeblich nicht sicher: »Seit langem bestehender Anti-Amerikanismus könnte dort in Verbindung mit islamistischen Dschihadisten neue Ausdrucksformen annehmen.«

40 bis 50 Länder im Visier

Das Feindbild und die Gefahrenbeschreibung des CPD begründen selbstverständlich eine Strategie weltweiter Militärinterventionen, da der Feind angeblich allgegenwärtig ist. Dennoch sei nicht so recht einzusehen, warum die USA ein weiteres Komitee brauchen, das die amerikanische Bevölkerung über die »Gefahren des globalen islamistischen Terrorismus« aufklärt. Denn diesem Ziel widmen sich bereits mit sichtlichem Erfolg zahlreiche Organisationen, Stiftungen, Think-Tanks und Komitees.

Tatsächlich ist die Zielsetzung des dritten CPD etwas ehrgeiziger: Es geht um die Ausbreitung der klassischen Version von »Freedom and Democracy«, weltweit, mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln. Anders gesagt: Es geht um »Regimewechsel« in 40 bis 50 Ländern, die von den Neokonservativen als »letzte Diktaturen« bezeichnet werden. Darunter auch Rußland. Das neue CPD bewegt sich also recht genau in der Spur seiner beiden Vorgängerinnen. Die Wiedergründung des CPD wurde im Juni vorigen Jahres auf einem Treffen von annähernd 100 Neokonservativen eingeleitet, zu dem die Foundation for the Defense of Democracies (FDD) eingeladen hatte. Die FDD ist eine der US-amerikanischen Einrichtungen, die sich die Finanzierung, Vorbereitung und Lenkung von Umstürzen insbesondere im früheren sowjetischen Machtbereich, aber keineswegs nur dort, zur Aufgabe gemacht haben. Die FDD arbeitet eng mit Organisationen gleicher Zielstellung wie dem Freedom House und dem National Endowment for Democracy zusammen. Das FDD koordiniert darüber hinaus die Tätigkeit von mehr als 30 Exil-Organisationen aus der islamischen Welt.

FDD-Präsident Clifford May, der zu dem Vorbereitungstreffen im Juni 2004 eingeladen hatte, verwaltet jetzt in Personalunion auch das CPD als geschäftsführender Direktor. Die Zusammenarbeit zwischen FDD und CPD ist weiterhin gut und eng. Sie beschränkt sich nicht auf die gemeinsame Veranstaltung von Symposien, wie das mit dem bezeichnenden Titel »Vierter Weltkrieg: Warum wir kämpfen. Gegen wen wir kämpfen. Wie wir kämpfen«, das im Oktober vorigen Jahres stattfand. Der stellvertretende Verteidigungsminister Paul Wolfowitz, der als Regierungsmitglied solchen politischen Gruppen nicht offiziell angehören darf, hielt die Einleitungsansprache.

CPD sucht Verbündete in Europa

Am 28. September vorigen Jahres, ein Vierteljahr nach seiner Gründung, gab das Committee on the Present Danger die Gründung einer neuen Abteilung, des CPD-International, bekannt. Es soll sich um die Ausdehnung des Komitees über die USA hinaus kümmern. Als Co-Vorsitzende des CPD-International wurden der frühere tschechische Präsident Vaclav Havel, der ehemalige spanische Regierungschef José Maria Aznar von der konservativen Volkspartei sowie von US-amerikanischer Seite Ex-Außenminister George Shultz eingesetzt.

Einen Tag später erschien in mehreren Tageszeitungen ein von Havel initiierter Offener Brief von 115 »politischen Persönlichkeiten« aus USA und Europa, mit dem die Staatsoberhäupter und Regierungschefs der EU und der NATO zu einer härteren Haltung gegen Rußland aufgefordert wurden. Neben »Sorge um die Demokratie« nach dem Massaker im nordkaukasischen Beslan bekundeten die Unterzeichner in erster Linie ihren Ärger über die russische Außenpolitik: Sie sei »zunehmend gekennzeichnet durch drohendes Verhalten gegen Rußlands Nachbarn und Europas Energiesicherheit« und »durch die Weigerung Rußlands, seinen internationalen vertraglichen Verpflichtungen nachzukommen«. Dieses Verhalten, für das im Brief freilich keine konkreten Belege genannt wurden, dürfe von den Staaten der NATO und der EU »nicht mehr hingenommen werden«.

Allein schon der unmittelbare zeitliche Zusammenhang spricht dafür, den Offenen Brief als erste Aktion des CPD-International zu interpretieren. Die relativ wenigen US-Amerikaner unter den 115 Unterzeichnern sind überwiegend CPD-Mitglieder. Unter ihnen Jeffrey Gedmin, Direktor der US-Propagandazentrale Aspen Institute in Berlin, Rüstungslobbyist und Osteuropa-Reisender Bruce Jackson, Joshua Muravchik und Danielle Pletka vom neokonservativen Think-Tank American Enterprise Institute, Randy Scheunemann vom Project for the New American Century, und nicht zuletzt CPD-Vorsitzender James Woolsey.

Schon bei »Befreiung« Iraks dabei

Zu den deutschen Unterzeichnern des Offenen Briefs gehörten der frühere Generalinspekteur der Bundeswehr, Klaus Naumann, der als Vorsitzender des NATO-Militärausschusses maßgeblich an der Vorbereitung des Kosovo-Krieges beteiligt war, die FDP-Politikerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger sowie der außenpolitische Sprecher der CDU-Bundestagsfraktion, Friedbert Pflüger und seine umtriebige Ex-Gattin Margarita Mathiopoulos, die ihre Politik-Karriere einst als »Willy Brandts schöne Griechin« startete und die schon länger mit den US-amerikanischen Neokonservativen zusammenarbeitet. Unter anderem gehörte sie, ebenso wie Naumann, zum internationalen Beirat des Committee for the Liberation of Iraq (CLI), das die Neokonservativen 2002 zur Vorbereitung des Irak-Kriegs gegründet hatten. Ehrenvorsitzender des CLI war übrigens Senator Lieberman, der jetzt in gleicher Funktion dem CPD zur Verfügung steht.

Drei Grünen-Politiker waren unter den Unterzeichnern des Offenen Briefs: Helga Flores Trejo, die die grüne Heinrich-Böll-Stiftung in den USA vertritt, der Europa-Abgeordnete Cem Özdemir und Parteivorsitzender Reinhard Bütikofer. Alle drei haben persönliche Kontakte zu US-amerikanischen Organisationen, die sich der Auslandspropaganda verschrieben haben.

Gehört hat man seither von der CPD-International wenig, fast gar nichts. Eine Aufnahme neuer Mitglieder scheint, zumindest offiziell, nicht stattgefunden zu haben. Die einzige nachweisbare Aktivität des letzten halben Jahres scheint darin bestanden zu haben, daß die Co-Vorsitzenden Woolsey, Shultz, Havel und Aznar Anfang Februar einen Offenen Brief an den vor einem Jahr verschwundenen libyschen Dissidenten Fathi Eljahmi schrieben. Darin luden sie ihn symbolisch ein, dem CPD beizutreten.

Umsturzplan für den Iran

Überhaupt ist die Öffentlichkeitsarbeit des Komitees erstaunlich schwach entwickelt. Die seit Wochen nicht aktualisierte, offensichtlich ohne jedes Engagement gemachte Website des CPD ist ein Spiegel dieses Zustands. Anscheinend ist das Komitee als eine Art Einheitsfront nicht viel mehr als eine leere Hülle. Die politische Agitation und Propaganda läuft nach wie vor über die zahlreichen Einzelorganisationen. Auch das Committee for the Liberation of Iraq, beispielsweise, entfaltete keine eigene Arbeit, ließ seine Website verstauben und teilte kurz nach Kriegsbeginn seine Auflösung mit.

Jüngste bekanntgewordene Aktivität des CPD ist die Veröffentlichung eines Strategiepapiers »Iran – A New Approach« (etwa: eine neue Herangehensweise) im Dezember vergangenen Jahres. Der Autor, Mark Palmer, war unter Reagan stellvertretender Staatssekretär im Pentagon und anschließend Botschafter in Ungarn.

Palmers Empfehlung: Die USA sollen ihre seit 1979 geschlossene Botschaft in Teheran wieder eröffnen und zur Propaganda- und Einmischungszentrale ausbauen. Geschützt durch die diplomatische Immunität soll das Botschaftspersonal Kontakte zur iranischen »Opposition« aufnehmen. Dissidenten und regierungsfeindliche Exilorganisationen sollen finanziell massiv unterstützt werden. Ausgewählte »junge iranische Aktivisten« sollen zu Auslandsseminaren eingeladen werden, um von Experten, »die in Serbien, auf den Philippinen, in Indonesien und Chile erfolgreich zivile Kampagnen organisiert haben«, geschult zu werden. Propagandasender sollen großzügig mit Finanzmitteln ausgestattet werden. »Austauschprogramme« auf allen Gebieten sollen die ideologische Einflußnahme ergänzen. Die iranische Führung soll genötigt werden, »freiwillig« abzudanken, indem man ihr die Alternativen (»Gefängnis oder aufhängen«, wie Palmer schreibt) vor Augen hält. Und wenn alles nichts nützt, bleibt ja immer noch die Option von Militärschlägen, auf die auch das CPD nicht verzichten will.

* Aus: junge Welt, 10. März 2005


Zur USA-Seite

Zur Terrorismus-Seite

Zurück zur Homepage