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Motown ist pleite

Keine Jobs mehr. Weniger Einnahmen trotz hoher Steuern. Überbordende Kriminalität: Mit Detroit ist die erste US-Großstadt offiziell zahlungsunfähig

Von Rainer Rupp *

Seit Donnerstag nachmittag (Ortszeit) ist »Motown« pleite. Dabei hatte der US-Präsident erst vor neun Monaten den Sieg über die Rezession in der heimischen Automobilindustrie und die Rettung ­Detroits gefeiert. Im Oktober hatte Barack Obama daran erinnert, daß angesichts des drohenden Zusammenbruchs der drei großen US-Autokonzerne vier Jahre zuvor Millionen Arbeitsplätze im ganzen Land auf dem Spiel gestanden hätten. Und nicht nur die bei den Autobauern, »sondern auch Jobs für Lehrer, Kleinunternehmer und in den Gemeinden, die von dieser großen amerikanischen Industrie abhängen«. Er aber habe sich »geweigert, Detroit bankrott gehen zu lassen«. Drei Jahre später, so Obama im Herbst 2012, habe sich herausgestellt, »daß diese Wette sich ganz groß ausgezahlt hat«. Das mag sein, allerdings für die Konzernbosse und Aktienbesitzer, nicht für die Arbeiter in der ehemaligen Metropole zwischen Eriesee und Lake St. Clair.

Seit Obama mit seinem »Cash for Clunkers«-Programm (»Bares für Schrottkisten«, die US-Version der »Abwrackprämie«) und direkten Finanzhilfen den Autoriesen unter die Arme gegriffen hatte, erholten die sich zwar etwas. General Motors setzte stark auf seine hauptsächlich in Korea hergestellte Marke Chevrolet, Ford bemüht sich, den Anschluß nicht zu verpassen, und Chrysler gehört zum italienischen Fiat-Konzern – hält diesen mit seinen Überschüssen am Leben. Es reichte aber nicht aus, um das Steuersäckel der Stadt zu füllen, die mit dem Aufstieg der »Big Three« am engsten verbunden ist. Seit dem Jahr 2000 hat Detroit 28 Prozent seiner Bevölkerung verloren, derzeit hat die Stadt nur noch 700000 Einwohner. Die kommunalen Steuereinnahmen verringerten sich drastisch.

Passagen aus dem Schreiben des Gouverneurs von Michigan, Rick Snyder, mit dem er den Antrag Detroits auf Zahlungsunfähigkeit am Donnerstag genehmigt hatte, lesen sich wie eine Horrorgeschichte: »Der städtische Fuhrpark, die Krankenwagen, Polizei- und Feuerwehrautos, sind so alt, daß es wegen der vielen Pannen unmöglich ist, den normalen Dienst aufrechtzuerhalten. Im ersten Quartal 2013 konnte nur ein Drittel der Krankenwagen der Stadt eingesetzt werden. (…) Etwa 40 Prozent der Straßenbeleuchtung funktioniert nicht. Ganze Straßenzüge mit weitgehend leerstehenden Häusern und Gebäuden – etwa 78000 Einheiten – schaffen zusätzliche Probleme für die öffentliche Sicherheit und reduzieren die Lebensqualität in der Stadt.« Die extreme Arbeitslosigkeit hat die Kriminalität rasant ansteigen lassen, während Ausgabenkürzungen die Polizeiarbeit reduziert haben. Laut Snyder reagiert die Polizei erst nach 58 Minuten auf einen Notruf, im Vergleich zu elf Minuten im US-Durchschnitt. Detroit ist bereits das vierte Jahr in Folge die gefährlichste Stadt der USA. Die Rate der Gewaltverbrechen wie Mord, Raub und Vergewaltigungen liegt mit 2137 Fällen pro Hunderttausend Einwohner, fast viermal höher als der Bundesdurchschnitt für Großstädte über 200000 Einwohner. Und nur 8,7 Prozent der Verbrechen werden aufgeklärt. Den Mangel an Sicherheit für Leib und Leben macht Snyder auch hauptverantwortlich »für das Versagen der Stadt gegenüber ihren Bürgern«. Der Exodus hält an, wodurch ganze Stadtviertel zu Geisterstädten verkommen.

Detroit hat Schulden in Höhe von 18 Milliarden Dollar, und die Steuereinnahmen haben laut Snyder ihre legalen Höchstgrenzen erreicht. Zugleich sei die Kommune nicht mehr in der Lage durch Ausgabenkürzungen genug Geld abzuzweigen, um die Schulden zu bedienen. So sei nur noch die Erklärung der Zahlungsunfähigkeit geblieben. Davon sind die städtischen Angestellten hart betroffen. besonders diejenigen, die kurz vor dem Ruhestand stehen. Der Pensionsplan der Stadt hat durch die Pleite 90 Prozent seines Wertes verloren, weil Detroit es in der Vergangenheit versäumt hat, ihn mit monatlichen Rücklagen aufzufüllen. Statt dessen wurden die Bezüge aus den laufenden Einnahmen gezahlt. Jetzt sind die Pensionsversprechungen futsch.

Im US-Kongreß werden bereits Stimmen laut, Obama solle nach den Autokonzernen nun auch die Stadt retten. Allerdings stehen mindestens 20 weitere US-Großstädte am Rande des Ruins, die dann auch Hilfe von der Bundesregierung fordern würden. Doch die ist selbst klamm, kämpft mit hohen Haushaltsdefiziten.

Dessen ungeachtet bestätigte die Ratingagentur Moody’s am Tag der Pleite der ersten Großstadt den USA die Bestnote AAA. Wegen des angeblich so »sicheren Status des US-Dollars«. Zugleich kletterte der Dow Jones Aktienindex der 30 größten Konzerne auf einen neuen Höchststand.

* Aus: junge Welt, Samstag, 20. Juli 2013


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