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Guantanamo bleibt ein Schandfleck

Vor zehn Jahren wurden die ersten Terrorverdächtigen in das US-Gefangenenlager verbracht

Von Olaf Standke *

Seit zehn Jahren halten die USA Terrorverdächtige auf ihrem Stützpunkt Guantanamo Bay auf Kuba fest. Das berüchtigte Gefangenenlager ist zum Symbol für Folter und Willkür in der Bush-Ära geworden. Präsident Barack Obama beschloss zwei Tage nach seinem Amtsantritt im Januar 2009, das Camp binnen Jahresfrist zu schließen. Doch trotz massiver internationaler Kritik sind dort heute noch 171 Gefangene inhaftiert.

Heute treten die republikanischen Präsidentschaftsbewerber in New Hampshire zur nächsten Vorwahl an. Für Exsenator Rick Santorum, der in der ersten Runde in Iowa überraschend auf Platz 2 landete, ist klar: Guantanamo muss bestehen bleiben. So zerstritten die konservativen Bewerber sonst sein mögen, in dieser Frage gibt es keine zweite Meinung. Auch Mitt Romney, dem die besten Chancen als Herausforderer Barack Obamas eingeräumt werden, will das Gefangenenlager nicht schließen, sondern am liebsten »verdoppeln«. Und der Amtsinhaber?

Der hatte im Wahlkampf vor vier Jahren noch heftig gegen seinen Vorgänger George W. Bush geschossen und die andauernde Internierung Hunderter Terrorverdächtiger ohne Gerichtsverfahren immer wieder als »trauriges Kapitel in der US-Geschichte« gebrandmarkt. Er versprach, im Falle seines Wahlsieges den »Schandfleck« zu tilgen. Doch trotz eines entsprechenden Beschlusses schon zwei Tage nach Amtseintritt sind die Tore nach wie vor nicht endgültig geschlossen.

Nach den Terrorangriffen am 11. September 2001 hatte der Kongress eine Resolution verabschiedet, die dem damaligen Präsidenten eine bisher nicht gekannte Ermächtigung zum Einsatz militärischer Gewalt gegen solche »Nationen, Organisationen und Personen« erteilt, die nach seiner Einschätzung mit den Anschlägen oder künftigen Terroraktionen in Verbindung stehen würden. George W. Bush unterzeichnete ein Memorandum, das den Auslandsgeheimdienst CIA autorisierte, Gefangenenlager außerhalb der USA zu errichten. Später folgte eine Militärverordnung über »Gefangennahme, Behandlung und Strafverfahren gegen bestimmte Nicht-US-Staatsbürger im Krieg gegen den Terrorismus«.

Wenn überhaupt, sollten Prozesse vor einem Sondertribunal, der »Militärkommission«, stattfinden. Das Pentagon wurde beauftragt, »geeignete Orte« zu finden, wo diese »feindlichen Kämpfer« für unbestimmte Zeit und ohne Anklage inhaftiert werden können. Den Begriff hatte die Bush-Regierung erfunden, um die Genfer Konventionen und damit das Völkerrecht zu umgehen. Am 11. Januar 2002 wurden die ersten 20 Gefangenen aus Afghanistan auf den Marinestützpunkt Guantanamo Bay auf Kuba gebracht.

Gefesselte Männer in orangefarbenen Overalls, die Augen verbunden, kniend in Käfigen unter freiem Himmel - diese Bilder gingen um die Welt und sorgten von Anfang an für massive Kritik an dem Lager im juristischen Niemandsland. »Gitmo« wurde zum Symbol einer verfehlten Anti-Terrorpolitik und der Aushöhlung der Rechtsstaatlichkeit in der Amtszeit von Bush. Jedes andere Land, sagt Rob Freer von Amnesty International, käme ohne Zweifel im jährlichen Menschenrechtsbericht des US-Außenministeriums vor, würde es ein solches Lager betreiben.

Als »rechtliches schwarzes Loch« hat es einst Obama angeprangert; in ihm verschwand aber auch sein Versprechen, Guantanamo binnen Jahresfrist zu schließen und den Insassen vor ordentlichen Zivilgerichten den Prozess zu machen. Der politische Widerstand war selbst in den eigene Reihen groß, der Kongress blockierte Geld für die Abwicklung des Lagers und verweigerte mit Sicherheitsbedenken die Verlegung von Häftlingen in die USA. Doch in der Heimat drohte ihnen oft Verfolgung; Drittstaaten zeigten sich bei Abschiebeversuchen zurückhaltend.

Inzwischen hat Präsident Obama die Aufnahme neuer Militärprozesse in Guantanamo erlaubt, wobei zumindest durch Folter erzwungene Aussagen nicht mehr zulässig sein sollen. Auch die fünf mutmaßlichen Drahtzieher der Terroranschläge vom 11. September werden vor ein Sondertribunal gestellt. Doch schon in einem geheimen Memorandum von März 2003 schrieb der damalige Pentagon-Chef Donald Rumsfeld, dass Guantanamo vor allem »von niedrig-rangigen feindlichen Kämpfern bevölkert« werde; und spätestens nach Veröffentlichungen der Enthüllungsplattform Wikileaks wisse man, dass viele von ihnen auf falscher Grundlage inhaftiert worden sind, so Andy Worthington, Autor von »Guantanamo Files«.

Noch immer sitzen 171 Männer aus etwa 20 Ländern ein, die meisten stammen aus Jemen. Die Taliban wollen bei den laufenden Direktgesprächen mit Washington den Transfer der rund 20 afghanischen Häftlinge in das Ölemirat Katar erreichen. Laut dem im Kongress gerade verabschiedeten Pentagon-Haushalt dürfen auch künftig keine Staatsgelder für die Verlegung von Guantanamo-Häftlingen in die USA eingesetzt werden. Und das Militär kann weiter Terrorverdächtige, selbst US-amerikanische Bürger, ohne Anklage und Prozess unbegrenzt festhalten. So gelten die Protestaktionen, die Bürgerrechtler zum Jahrestag von Guantanamo planen, inzwischen Obama.

Zahlen und Fakten

  • Am 11. Januar 2002 wurden die ersten Gefangenen von Afghanistan auf den US-Stützpunkt Guantanamo verbracht und in Drahtkäfigen im Camp X-Ray festgehalten. Ende 2002 waren es 632 Gefangene.
  • Nach Auskunft von US-Behörden waren insgesamt 779 Gefangene inhaftiert, die große Mehrzahl ohne Anklage oder Gerichtsverfahren. Über 600 wurden seit 2002 in andere Länder gebracht.
  • Viele Inhaftierte wurden Opfer von Folter und anderer grausamer oder erniedrigender unmenschlicher Behandlung wie Isolations- und Einzelhaft oder »Waterboarding«, dem simulierten Ertränken bei Verhören.
  • Seit 2002 starben acht Gefangene, Berichten zufolge sechs durch Selbstmord.
  • Nur sechs Gefangene wurden von Militärkommissionen verurteilt, vier bekannten sich schuldig. Lediglich einer wurde zu einem Bundesgerichtsverfahren in die USA gebracht.
  • 48 Gefangene können laut US-Regierung weder freigelassen noch verurteilt werden. Sie sollen auf unbestimmte Zeit inhaftiert bleiben.
nd



* Aus: neues deutschland, 10. Januar 2012


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