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Rechtsfreier Raum

Zehn Jahre Guantánamo: Am 11. Januar 2002 wurden die ersten Gefangenen in das US-Militärlager auf Kuba überstellt. Obama ermöglicht unbegrenzt langes Festhalten

Von Knut Mellenthin *

Beruhigend zu wissen: »Die Entschlossenheit des Präsidenten, Guantánamo Bay zu schließen, ist heute so fest wie sie es während des Wahlkampfs 2008 war.« Jedenfalls versicherte das am Montag der Pressesprecher des Weißen Hauses, Jay Carney. Barack Obama hatte damals das 2002 in Betrieb genommene Gefangenenlager der USA in ihrem Stützpunkt auf der Insel Kuba als »Schandfleck« bezeichnet. Als Präsident werde er im Interesse des internationalen Ansehens der Vereinigten Staaten seine Schließung veranlassen.

Tatsächlich unterzeichnete Obama am 21. Januar 2009, keine 24 Stunden nach seiner feierlichen Amtseinführung, einen Befehl, der die Auflösung des Lagers innerhalb eines Jahres vorsah. Zugleich ordnete er das Verbot bestimmter Folterpraktiken und eine generelle Überprüfung der Haftbedingungen an. Es folgte eine Anweisung von Verteidigungsminister Robert Gates, in Guantánamo keine Militärtribunale mehr durchzuführen und dort auch keine weiteren Anklagen zu erheben. Obamas erklärtes Ziel war, die Prozesse künftig vor ordentlichen Gerichten auf dem Boden der USA stattfinden zu lassen. Noch im Mai 2009 argumentierte der Präsident in einer Rede, daß Guantánamo die Vereinigten Staaten keineswegs sicherer gemacht, sondern im Gegenteil ihre nationale Sicherheit geschwächt habe. Guantánamo sei »ein Rekrutierungsappell für unsere Feinde«.

Der weitere Gang der Geschichte ist bekannt: Beide Häuser des Kongresses setzten nahezu einstimmig das zeitlich unbegrenzte Fortbestehen des Lagers durch. Sie erzwangen auch die Wiederaufnahme der Militärtribunale und ein Verbot, Guantánamo-Gefangene in Haftanstalten auf dem Boden der USA zu verlegen. Außerdem erschwerte der Kongreß die Entlassung von Gefangenen, gegen die rechtlich nichts vorliegt, fast bis zur Unmöglichkeit. Der gemeinsame Wille beider großen Parteien, Guantánamo als rechtsfreien Raum zu erhalten und ordentliche Gerichtsverfahren gegen Terrorverdächtige mit allen Mitteln zu verhindern, wurde getragen von der »öffentlichen Meinung« in Gestalt der Mainstreammedien und einem weit verbreiteten »gesunden Volksempfinden«.

Obama seinerseits machte, wie praktisch in allen außen- und sicherheitspolitischen Streitfragen, gar nicht erst den Versuch, seine Position zu behaupten. In konsequenter Fortsetzung dieser Haltung unterzeichnete der Präsident am Jahresanfang ein vom Kongreß beschlossenes Gesetz, das es ihm und seinen künftigen Nachfolgern gestattet, überall auf der Welt Menschen festnehmen zu lassen und sie ohne Gerichtsverfahren unbegrenzt lange in Haft zu halten. Das schließt auch Staatsbürger der USA ein.

Das erste provisorische Lager in Guantánamo wurde am 11. Januar 2002, rund ein Vierteljahr nach dem Einmarsch in Afghanistan, mit der Einlieferung von 20 Gefangenen in Betrieb genommen. Vier Monate später war die Errichtung eines größeren Lagers, Camp Delta, abgeschlossen. Die damalige Regierung unter George W. Bush hatte den Stützpunkt auf Kuba als Standort gewählt, um alle menschenrechtlichen und juristischen »Privilegien«, die in den USA für Gefangene gelten, ignorieren zu können. Zugleich verweigerte sie ihnen auch den Schutz der Genfer Konvention.

Insgesamt wurden im Lauf der Zeit 775 Menschen in das Lager eingeliefert. Der höchste »Personalstand« war im Mai 2003, als sich 680 Gefangene dort befanden. Hunderte wurden vor allem unter Bush in ihre Heimatländer entlassen: teils, weil wegen eindeutiger Unschuld, teils aber auch, um sie der »Obhut« repressiver Regimes anzuvertrauen. Als Obama sein Amt antrat, gab es in Guantánamo 240 Häftlinge. Heute sollen es immer noch, den meisten Berichten zufolge, 171 sein, möglicherweise aber auch einige weniger. Unter ihnen sind mindestens 50, denen nie ein Prozeß gemacht werden kann, weil rechtlich nichts gegen sie vorliegt, die aber auch nicht aus der Haft entlassen werden dürfen, weil sie angeblich »gefährlich« sind.

Das Internetportal WikiLeaks hat im April 2011 Hunderte von Personalakten aus Guantánamo veröffentlicht. Ein 14jähriger afghanischer Junge wurde in das Lager gebracht, weil man hoffte, durch ihn vielleicht Erkenntnisse über örtliche Talibanführer gewinnen zu können. Ein Mann von 89 Jahren, der an Altersdemenz litt, war eingeliefert worden, weil man angeblich in seinem Haus »verdächtige Telefonnummern« gefunden hatte.

Unter den Gefangenen war zeitweise ein afghanischer Taxifahrer, gegen den absolut nichts vorlag. Die Ermittler erhofften sich von ihm lediglich – so steht es tatsächlich in der Personalakte – wegen seiner häufigen Fahrten in der Umgebung von Kabul »allgemeine Erkenntnisse über Aktivitäten in diesem Gebiet«.

Durch die Veröffentlichung seiner Personalakte wurde auch definitiv klar, warum Sami Al-Haji, ein sudanesischer Kameramann von Al-Dschasira, sechs Jahre lang in Guantánamo bleiben mußte: Die Amerikaner wollten von ihm alles über das Ausbildungsprogramm des populären arabischen TV-Senders, seine technische Ausrüstung und seine Arbeit in Tschetschenien, im Kosovo und in Afghanistan wissen.

* Aus: junge Welt, 11. Januar 2012


Gerechtigkeit im Wild-West-Stil

Terrorverdächtige gefoltert und vor nichtöffentliche Militärtribunale gestellt

Von Knut Mellenthin **


Unter den derzeit noch im US-Lager Guantánamo festgehaltenen 171 Gefangenen sind auch fünf, denen eine direkte Beteiligung an der Planung und Organisierung der Anschläge vom 11. September 2001 vorgeworfen wird. Die bekanntesten von ihnen sind Khalid Sheikh Mohammed, der angebliche Kopf und Drahtzieher des ganzen Unternehmens, und Ramzi Binalshib, der zur »Harburger Zelle« um Mohammed Atta gehört haben soll. Beide wurden in Pakistan festgenommen: Binalshib im September 2002 und Mohammed im März 2003. Sie durchliefen mehrere Geheimgefängnisse der CIA, bevor sie nach Guantánamo gebracht wurden; beide wurden, veröffentlichten Akten zufolge, viele Male gefoltert.

Seit ihrer Festnahme hatten weder Anwälte noch internationale Hilfsorganisationen wie das Rote Kreuz, geschweige denn Journalisten Zugang zu ihnen. Einige deutschen Medien scheuten sich trotzdem nicht, ausführlich aus angeblichen Aussagen von Mohammed und Binalshib zu zitieren. Entsprechende Aktenauszüge waren ihnen offenbar »exklusiv« von der CIA offeriert worden. Daß bei den Verhören Foltermethoden wie das »Water Boarding« angewendet worden waren, schien die Redakteure ebenso wenig zu stören wie der Umstand, daß nicht einmal zu überprüfen war, ob die Beschuldigten wirklich diese Erklärungen abgegeben haben.

Erst am 11. Februar 2008 erhob das Pentagon Anklage vor einem »Militärausschuß« wegen »9/11« gegen Mohammed und Binalshib sowie drei weitere Gefangene. Bei diesem Verfahren, das auf einem Erlaß des damaligen Präsidenten George W. Bush aus dem Jahre 2006 beruht, sind die Angeklagten weitgehend der normalen Prozeßrechte beraubt. Außerdem ist die Öffentlichkeit von den Verhandlungen ausgeschlossen. Es ist nicht bekannt, was der Prozeß gegen diese fünf Gefangenen bisher ergeben hat oder ob er überhaupt wirklich eröffnet wurde.

Barack Obama, selbst ein Jurist mit Schwerpunkt Verfassungsrecht, kündigte zu Beginn seiner Amtszeit die Absicht an, die Militärtribunale gegen Guantánamo-Gefangene abzuschaffen und das Verfahren gegen die fünf wegen der Anschläge vom 11. September angeklagten Männer vor einem ordentlichen Gericht in New York führen zu lassen. Das erregte einen Proteststurm von Politikern und Medien. Der Kongreß machte dem Präsidenten einen Strich durch die Rechnung, indem er die Verwendung staatlicher Gelder für die geplante Errichtung einer speziellen Haftanstalt auf US-amerikanischem Boden und für den Transport von Guantánamo-Gefangenen in die Vereinigten Staaten verbot. Eine Gruppe von Senatoren um den Republikaner John McCain und den ehemaligen Demokraten Joseph Lieberman setzte durch, daß gegen Personen, die für die Anschläge vom 11. September »direkt verantwortlich« sind, auf gar keinen Fall ordentliche Verfahren vor Zivilgerichten durchgeführt werden dürfen.

Es ist so gut wie unmöglich, dahinter etwas anderes als die Absicht zu sehen, unbedingt eine öffentliche juristische und kriminaltechnische Auseinandersetzung über die damaligen Ereignisse zu verhindern. Dazu paßt, daß Obama den angeblichen Auftraggeber der Anschläge, Osama Bin-Laden, lieber an Ort und Stelle erschießen ließ, statt ihn vor Gericht zu stellen.

** Aus: junge Welt, 11. Januar 2012


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