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Überlegenheit überall

Die Hegemonial- und Kriegsstrategien der USA

Von Lühr Henken *

In Vorbereitung der Proteste gegen die NATO-Sicherheitskonferenz in München am 2. Februar 2013 hatte das Aktionsbündnis gegen dieses alljährlich stattfindende Treffen von Wirtschaft, Politik und Militär Lühr Henken eingeladen. Er ist Sprecher des Bundesausschusses Friedensratschlag. Mit dem Start der Ostermärsche 2013 am heutigen Tag in Potsdam veröffentlicht jW eine überarbeitete Fassung seines Vortrags.

Teil I: Verschärfung nach dem Ende des Kalten Krieges gegen die Sowjetunion

Ein Geheimdokument des Pentagon vom Februar 1992 belegt ein neues aggressives Hegemonialdenken der USA nach dem Sieg im Kalten Krieg über die Sowjetunion: der berühmt-berüchtigte »No-Rivals-Plan« für den Zeitraum 1994 bis 1999. Diese Strategie wurde verfaßt, nachdem die Sowjetunion aufgelöst wurde und die USA den ersten Irak-Krieg (August 1990–Januar 1991) gewonnen hatten. Die New York Times veröffentlichte damals Auszüge aus diesem geheimen Entwurf des US-Verteidigungsministeriums.

Darin ist zu lesen: »Unser erstes Ziel ist es, den (Wider-)Aufstieg eines neuen Rivalen zu verhüten, sei es auf dem Gebiet der früheren Sowjetunion oder sonstwo, der eine Bedrohung der Größenordnung darstellt, wie früher die Sowjetunion. Das ist die beherrschende Überlegung, die der neuen Verteidigungsstrategie für die Region zugrunde liegt. Wir müssen versuchen zu verhüten, daß irgendeine feindliche Macht eine Region dominiert, deren Ressourcen – unter gefestigter Kontrolle – ausreichen würden, eine Weltmachtposition zu schaffen. Solche Regionen sind Westeuropa, Ostasien, das Gebiet der früheren Sowjetunion und Südwestasien.« Darüberhinaus werden die Interessen und Sorgen der US-Eliten definiert: »Zugang zu lebenswichtigen Rohstoffen, vor allem Öl aus dem Persischen Golf, die Weiterverbreitung von Massenvernichtungswaffen und ballistischen Raketen, Bedrohungen von US-Bürgern durch Terrorismus oder durch regionale oder lokale Konflikte und Bedrohungen der US-Gesellschaft, die sich aus dem Drogenhandel ergeben. (…) Wir müssen unsere Strategie jetzt darauf konzentrieren, dem Aufstieg jedes möglichen Konkurrenten globaler Dimension zuvorzukommen.«

Clintons »Joint Vision 2020«

Vor diesem Hintergrund wurde unter dem 42. US-Präsidenten William Clinton im Mai 2000 das Strategiepapier »Joint Vision 2020« erarbeitet, das bis zur zweiten Dekade des neuen Jahrhunderts für das US-Militär eine »Full-spectrum Dominance« (»Überlegenheit auf allen Gebieten«) anstrebt. Die Theorie besagt, daß eine militärische Dominanz nur dann erreicht ist, wenn sie sowohl an Land, im Wasser und in der Luft als auch im Weltraum und im Cyberspace besteht. Praktisch bedeutet das: »Aufgrund der globalen Natur unserer Interessen und Verpflichtungen müssen die USA ihre militärische Dominanz in Übersee sowie ihre Fähigkeit, schnell weltweit Macht ausüben zu können, erhalten, um eine Dominanz auf allen Gebieten zu erlangen.«

Ihr weltumspannendes Stützpunktesystem bietet den USA die grundlegende Infrastruktur für diese globale Machtprojektion. Das Land verfügt heute über das mit großem Abstand dichteste Netz von Stützpunkten, das nach eigenen Angaben aus 760 Basen in 40 Ländern sowie sieben US-Gebieten außerhalb der USA (nichtkorporierte Territorien) besteht. Dabei kommen den Militärbasen im wesentlichen vier Funktionen zu. Sie dienen a) der Eindämmung potentieller Rivalen und b) der Kontrolle wichtiger Ressourcen und Transportwege, beeinflussen c) die Gastländer und dienen d) als Logistikdrehschreiben und Sprungbretter für Militärinterventionen.

Die Bush-Doktrin 2002

Denkwürdig ist die frühe Wahlkampfrede ­George W. Bushs vom 23. September 1999 in der »Zitadelle«, der berühmten Militärakademie von Charleston (North Carolina). Sie schließt sich unmittelbar an die Gültigkeitsdauer der geheimen Richtlinie des Pentagon an. Programmatisch verkündete der Wahlkämpfer Bush, warum und wie er als gewählter US-Präsident das US-Militär für das 21. Jahrhundert umfassend umbauen will. In seiner Rede nannte er drei strategische Ziele.
  • Das US-Territorium soll durch ein Raketenabwehrsystem unverwundbar gemacht werden. Als Bush schließlich Anfang 2001 Präsident war, kündigte er im Juni 2002 den ABM-Vertrag zur Begrenzung von Raketenabwehrsystemen mit Rußland einseitig auf. Statt wie bisher 100 Abfangraketen an einem Ort stationieren zu dürfen, ist seitdem alles erlaubt. Diese Vertragskündigung war der bisher größte Beitrag zur strategischen Instabilität.
  • Große Kampfkontingente müssen schnell in entfernte Zonen verlegt werden können. Die US-Streitkräfte sollen, so Bush wörtlich, »im kommenden Jahrhundert agil, tödlich und mobil sein, und das setzt ein Minimum logistischer Unterstützung voraus. Wir müssen in der Lage sein, unser Machtpotential über große Entfernungen und innerhalb von Tagen oder Wochen – und nicht Monaten – in Stellung zu bringen. Unsere schweren Streitkräfte zu Lande müssen leichter werden. Unsere leichten Streitkräfte müssen tödlicher werden. Und alle müssen schneller ins Zielgebiet gebracht werden können.«
  • Die US-Militärausgaben sollen erhöht werden.
Nach den Anschlägen vom 11. September 2001 war die National Security Strategie (NSS) unter George W. Bush, die sogenannte Bush-Doktrin von 2002, wegweisend: Der nun 43. Präsident bediente sich begrifflich bei seinem Vorgänger Clinton. In den 90er Jahren hatte dieser von »Schurkenstaaten« gesprochen.

Zum Umgang mit den »Schurkenstaaten« formulierte Bush in seinem Strategiepapier: »Wir müssen darauf vorbereitet sein, Schurkenstaaten (zu ihnen zählte Bush neben Irak und Nordkorea auch den Iran, Syrien und Kuba; L. H.) und ihre terroristische Klientel aufzuhalten, bevor sie in der Lage sind, die Vereinigten Staaten und ihre Bündnispartner und Freunde mit Massenvernichtungswaffen zu bedrohen oder sie gegen sie einzusetzen. (…) Die Vereinigten Staaten haben sich seit langem die Option auf präemptive Handlungen offengehalten, um einer hinreichenden Bedrohung ihrer nationalen Sicherheit begegnen zu können. Je größer die Bedrohung, desto größer das durch Untätigkeit entstehende Risiko – und desto zwingender das Argument für antizipatorische Selbstverteidigung, selbst wenn Unsicherheit darüber besteht, wann und wo der Feind angreifen wird. Die Vereinigten Staaten werden gegebenenfalls präemptiv handeln, um solche feindlichen Akte unserer Gegner zu vereiteln oder ihnen vorzubeugen.«

Auf dieser Grundlage brach Bush im März 2003 den Irak-Krieg vom Zaun (siehe jW-Thema vom 20.3.2013) – da ihm der UN-Sicherheitsrat die Gefolgschaft verweigerte, ohne dessen Mandat, also unter Bruch des Völkerrechts. Ein Kriegsverbrechen, das noch immer ohne Sühne ist. Bush ordnete 2007 einen Aufwuchs (»­Surge«) US-amerikanischer Truppen im Irak an, was dort zu einem Rückgang der Angriffe auf die US-Besatzungstruppen führte.

Obamas Strategie 2010

Der gegenwärtige US-Präsident Barack Obama befahl den Abzug der US-Truppen, der bis Ende 2011 vollzogen wurde. Der Irak ist jedoch bei weitem nicht befriedet. Fast täglich explodieren Bomben im Land. Bis heute fielen Bushs »Global War on Terror« allein im Irak laut einer Studie der Internationalen Ärzte zur Verhütung des Atomkrieges IPPNW geschätzt 1,5 Millionen Menschen zum Opfer.

Obama überzog zusätzlich Afghanistan und Pakistan mit Krieg. Nachdem sich die Anschläge auf die ISAF-Einheiten massiv erhöhten, ordnete er, wie Bush im Irak zuvor, im Jahr 2009 einen Aufwuchs der US-Truppen an. Aber auch dieser »Surge« konnte den inländischen Widerstand nicht brechen. Die Anschläge waren in Afghanistan nach Rücknahme des Aufwuchses um 70 Prozent höher als vor ihm. Der »Surge« war also militärisch gescheitert.

Mit der Entscheidung zum Truppenaufwuchs in Afghanistan gab Obama bekannt, die US-Kampftruppen bis Ende 2014 abzuziehen. Aus dem Kriegskonzept der »Counter-Insurgency« (Aufstandsbekämpfung) wurde das Konzept des »Counter-Terrorism«. Das bestätigte Obama Anfang Januar 2013. Das bedeutet, verstärkte Gefangennahme- oder Tötungsaktionen durch Spezialkommandos, insbesondere eine massive Erhöhung des Einsatzes von Killerdrohnen und Luftnahunterstützung.

Obama und sein afghanischer Amtskollege Hamid Karsai konnten sich noch auf keine konkrete Zahl für die Zeit nach 2014 einigen; die NATO plant, mit 8000 bis 12000 Soldaten zu bleiben. Zeitgleich wird die Ausbildung afghanischer Soldaten und Polizisten fortgesetzt. Ein Ende der US- und NATO-Besatzung in Afghanistan ist ebenso wenig in Sicht wie ein Ende des Drohnenkrieges in Pakistan und des Bürgerkrieges dort. Der Krieg am Hindukusch, also in Afghanistan und Pakistan, forderte seit Ende 2001 den Tod von schätzungsweise 200000 Kombattanten und Nicht-Kombattanten auf beiden Seiten. Damit addieren sich die Opferzahlen des »Antiterrorkrieges« bisher auf geschätzte 1,7 Millionen Menschen.

Die derzeit gültige Nationale Sicherheitsstrategie hat Obama im Mai 2010 unterzeichnet. Sie bemüht sich um Abgrenzung von der Bushs von 2006 – dies jedoch vor allem im Duktus, weniger im Inhalt. Wie unter Bush schreibt Obama die Grundlinie der US-Außenpolitik fort, nach der keine aufsteigende Macht mit den USA gleichziehen darf. Der Präsident behält sich das Recht vor, militärisch auch unilateral zu handeln, nicht einmal Präventivkriegen wird eine explizite Absage erteilt, wenngleich die Begriffe »präemptiv« oder »präventiv« nicht verwendet werden. Sein Strategiepapier erklärt die Verbreitung von Demokratie und Menschenrechten zum strategischen Ziel. Der NATO wird eine aktive Rolle außerhalb des Bündnisgebiets (»out of area«) zugeschrieben. Die NSS spricht sich für die Errichtung eines regionalen Raketenabwehrsystems aus.

Dies war unter Bush nicht anders und alles weitere in Obamas Papier sind lediglich Akzentverschiebungen: Die USA sehen im Frühjahr 2010 die Welt im Wandel, in einer Phase des Übergangs. Der internationale Terrorismus wird nicht mehr als die schwerwiegendste Bedrohung der US-Sicherheit angesehen. Generell wird die Verbreitung von Nuklearwaffen als größte Gefahr identifiziert, wenn diese in terroristische Hände gelangen und so in die sie unterstützende Staaten. Der Kampf gegen Al-Qaida steht an zweiter Stelle. Bushs Begriff des »Global War on Terror« wird abgelehnt, aber fortgesetzt.

China im Visier

Im Oktober 2011 markierte US-Außenministerin Hillary Clinton eine historische Neubestimmung der US-Außenpolitik. In einem Aufsatz in der Foreign Policy vom 14. Oktober 2011, »Amerikas Pazifisches Jahrhundert«, finden sich so markante Aussagen wie: »Die Zukunft der Politik wird in Asien, nicht in Afghanistan oder Irak entschieden werden, und die Vereinigten Staaten werden direkt im Zentrum des Geschehens sein.« Obama wurde im November 2011 noch deutlicher. Bei einem Staatsbesuch in Australien sagte er, ich »habe mein Nationales Sicherheitsteam angewiesen, unsere Präsenz und unsere Missionen im asiatischen Pazifik zur Toppriorität zu machen. Infolgedessen werden Kürzungen unserer Verteidigungsausgaben nicht – ich wiederhole: nicht – auf Kosten des asiatisch-pazifischen Raums gehen« (jW vom 18.11.2012). Einer der Kernsätze seiner Rede war: »Die USA sind eine pazifische Macht – und wir sind hier, um zu bleiben.« Michael Stürmer, Kolumnist in Springers Welt, schrieb daraufhin: »Eine klare Warnung an die Adresse Chinas.« Damit solle der »Expansionsdrang« des »roten Drachens« eingedämmt werden.

Man muß diese Obama-Rede als historisch bewerten, weil es sich um den Einstieg der US-Strategie in eine neue Epoche handelt. Obama kündigte an, im nordaustralischen Darwin für die Marines einen neuen Dauerstützpunkt mit 2500 Soldaten einzurichten. Stefan Kornelius kommentiert am 18. November 2011 in der Süddeutschen: »Was in Europa Ramstein und Grafenwöhr waren, das wird nun bald Darwin sein. Und das ist nur der Anfang. Darwin ist das Bekenntnis zu einer neuen Weltordnung. Barack Obama hat sie verkündet.«

Was war passiert? Auch in der China-Politik der Vereinten Staaten steht Obama in der Bush-Tradition. Schon 2006 wurde nämlich im Vierjahresbericht des Pentagon erkannt, »daß von allen Ländern China das größte Potential habe, mit den USA in einen militärischen Konkurrenzkampf zu treten«, wie es am 15. April 2006 in der Neuen Zürcher Zeitung hieß. Dementsprechend wurde die Zahl der verfügbaren Flugzeugträger im Pazifik von fünf auf sechs (von insgesamt elf) erhöht und U-Boote vom Atlantik in den Pazifik verlagert. Dadurch ändert sich der traditionelle Verteilungsschlüssel von 50 zu 50: 60 Prozent der U-Boote kreuzen nun im Pazifik, 40 im Atlantik. Zusätzlich haben die USA seit Anfang 2006 eine Staffel von Tarnkappenbombern des Typs B-2 auf ihrem nichtinkorporierten Territorium in Guam, einer Insel im Westpazifik, stationiert.

Der ökonomische und militärische Aufstieg der Volksrepublik China mit der Alleinherrschaft der Kommunistischen Partei wird als Herausforderung für die US-Hegemonie betrachtet. Schätzungen gehen davon aus, daß die nunmehr weltgrößte Handelsnation China schon in zehn Jahren die USA auch als größte Volkswirtschaft ablösen wird. Das Land strebt eine Verdoppelung seines Bruttosozialprodukts bis 2020 an. Die USA sind um politische und ökonomische Kooperation mit China bemüht, verstärken im Gegensatz dazu jedoch auch ihre militärischen Kapazitäten. Ohnehin besteht in Asien ein Ring US-amerikanischer Militärbasen noch aus Zeiten des Kalten Krieges in Südkorea, Japan, Diego Garcia und Guam. Das sind die Basen, die die US-Dominanz im Westpazifik manifestieren und die US-Militärpakte mit Japan, Taiwan, Südkorea und Thailand absichern.

Die USA bauen dieses Netz, nunmehr aktiv unterstützt von der neuen japanischen Regierung, aus, indem sie ihre Kontakte zu den Philippinen, Singapur, Vietnam und Thailand intensivieren oder wie zu Burma und Laos aufnehmen. Basen in Afghanistan, Pakistan und Kirgisien vervollkommnen die Einkreisung Chinas. Allein die 7. US-Flotte in Guam und Japan ist größer als die 5. Flotte im Persischen Golf. »Die US-Navy verfügt (insgesamt, L. H.) über 285 Schiffe, von denen etwa 180 der Pazifischen Flotte zugeordnet sind« (NZZ vom 6.2.2012). China dagegen hat etwa 80 Überwasserkampfschiffe, baut jedoch seine Streitkräfte insgesamt systematisch aus, wobei es sich im Rahmen der Zuwachsraten des eigenen Staatshaushalts bewegt. Im Jahre 2011 lagen die chinesischen Militärausgaben bei 143 Milliarden US-Dollar und damit lediglich bei etwa einem Fünftel der US-amerikanischen.

Konflikt: Südchinesisches Meer

Aktuell gibt es zwei maritime Konfliktfelder für die Volksrepublik China: Einerseits ihr Streit mit Japan um die Senkaku/Diaoyu-Inseln – hierauf erhebt auch Taiwan Anspruch – und andererseits der Streit um das Südchinesische Meer. China leitet aus dem Potsdamer Abkommen bzgl. der Inseln und aus Karten aus der Ming-Dynastie, dem chinesischen Kaiserreich zwischen 1368 und 1644, Ansprüche auf fast das gesamte Meer ab und steht im Konflikt mit allen Anrainern. Das sind die Philippinen, Malaysia, Brunei, Indonesien und Vietnam. China gilt für USA und NATO dabei als der Bösewicht, der angeblich überzogene Forderungen stellt. In der Debatte geht unter, daß auch – mit Ausnahme von Indonesien – alle anderen Anrainer untereinander wegen Rechte an Seegebieten Meinungsverschiedenheiten haben. Allerdings ist der chinesische Anspruch der umfassendste; nur der vietnamesische steht dem kaum nach.

Das Südchinesische Meer ist eine bedeutende Wasserstraße. Ein Drittel des weltweiten Warenverkehrs wird dort bewegt, und China wickelt darüber 80 Prozent seines Seeverkehrs ab. Bedeutsamer noch sind die vermuteten Öl- und Gasressourcen. Beim Öl entspricht die Menge etwa einem Achtel der nachgewiesenen weltweiten Vorräte (30 von 234 Milliarden Tonnen), bei Erdgas sind es etwa acht Prozent (16 von 208 Billionen Kubikmeter) (FAZ vom 19.5.2012).

Obama hat bereits 2010 die Freiheit der Seefahrt im Südchinesischen Meer zum nationalen Interesse der USA erklärt. Die USA haben im Oktober einen Flugzeugträger in das Südchinesische Meer entsandt und sagten den Kontrahenten Chinas Unterstützung zu. Dabei böte sich als Alternative zur systematischen Aufrüstung als Lösungsweg für den Territorialstreit das UN-Seerechtsübereinkommen an (vgl. Le Monde diplomatique vom März 1996).

Die USA haben bereits 16 Lenkwaffenkreuzer und Lenkwaffenzerstörer, die mit Anti-Raketen-Raketen ausgerüstet sind, der Pazifikflotte zugeordnet. Bis 2018 sollen noch fünf Kriegsschiffe dazu kommen. Sie werden offiziell zur Abwehr nordkoreanischer Raketen dienen, sind natürlich auch gegen chinesische Modelle einsetzbar. Darüberhinaus bauen die USA ihr leistungsstarkes Radarüberwachungssystem aus. Es wird eine zweite Station in Japan errichtet und von einem dritten X-Band-Radar auf den Philippinen ist die Rede.

Chinas nukleare Abschreckungsfähigkeit wird durch den Ausbau der US-Raketenabwehr in Ostasien beeinträchtigt. Die Volksrepublik verfügt bisher lediglich über nukleare Interkontinentalraketen mit einem Sprengkopf. Als Antwort auf die US-amerikanische Einkreisungspolitik hat China nunmehr mobile Interkontinentalraketen mit bis zu zehn Sprengköpfen getestet und baut seine U-Boot-Flotte mit neuen Interkontinentalraketen aus.

Seit 2005 entwickelt das Land zudem eine Rakete, die in der Lage sein soll, fahrende Flugzeugträger auf See anzugreifen. Das setzt eine kontinuierliche Satellitennavigation und die Fähigkeit zur Endphasenlenkung von Sprengköpfen voraus. Die Dongfeng 21D soll mit einer Reichweite von 1500 Kilometern noch eine Treffgenauigkeit von fünf Metern haben. Bewiesen ist das bisher jedoch nicht (siehe dazu NZZ vom 1.6.2012).

Wie dem auch sei, hat das Pentagon seit November 2011 eine neue »Air-Sea-Battle-Doktrin« gegen China beschlossen. Der NZZ konnte man eine Beschreibung dieser Strategie entnehmen, die US-Flugzeugträgerverbänden den Zugang in die Seegebiete vor Chinas Küsten sichern sollen. Diese Beschreibung illustriert auch die umfassende Verzahnung der verschiedenen militärischen Gliederungen zukünftiger Kriegsführung:

»Die Air-Sea-Battle-Doktrin ist ein operatives Konzept. (…) Es integriert die operativ-taktischen Fähigkeiten der Luftwaffe, der Navy und des Marine-Corps und ergänzt sie mit Elementen des Weltraumkommandos, des Strategic Command, des Cyber Command sowie der Nachrichtendienste. Dies dient unter anderem dem Ziel, sich nicht auf den Pfeil, sondern auf den Bogenschützen zu konzentrieren. Im Klartext heißt dies, daß die offensiven und defensiven, netzwerkzentrierten Abwehrmaßnahmen nicht vom (Flugzeug-)Trägerverband allein getroffen werden können, sondern beispielsweise mittels elektronischer Kriegführung, Informationskriegführung, des Einsatzes von Abstandswaffen, von Präzisionsschlägen durch strategische ›Tarnkappenbomber‹ gegen Führungs- und Übermittlungseinrichtungen und gegen die Abschußrampen einer Dongfeng 21D mehrschichtig und tief gestaffelt zu erfolgen haben« (NZZ vom 1.6.2012).

Weshalb diese ausführliche Beschreibung des sino-amerikanischen Konflikts? Um darauf hinzuweisen, daß sich zwischen beiden etwas zusammenbraut, was bereits heute den Charakter eines Rüstungswettlaufs angenommen hat. Um diese bedrohliche Situation zu beenden, müssen Rüstungskontroll- und Abrüstungsabkommen abgeschlossen werden, die Raketenabwehr- und Atomwaffenträgersysteme ebenso einschließen wie Weltraumwaffen und Kriegsschiffe.

Teil II: Der Raketenabwehrschirm und die »Intelligente Verteidigung« der NATO

Die NATO ist auch nach Beendigung des Kalten Krieges das wichtigste Instrument der USA zur weltweiten Machtprojektion. Sämtliche strategische Beschlüsse des Pakts werden von den USA erlassen. Die auf dem letzten NATO-Gipfel in Chicago im Mai 2012 vorgestellten Vorhaben sind von weitreichender Bedeutung. Dazu zählen die schon zum Teil arbeitende Raketenabwehr und die geplante »Smart Defence«, die »Intelligente Verteidigung«.

Abwehrschild gegen Iran

Auf dem NATO-Gipfel wurde ungeachtet russischer Einwände die Anfangsbefähigung einer Raketenabwehr für Südosteuropa verkündet. Sie stellt den Beginn der ersten von vier Aufbauphasen dieses Systems aus Satelliten, Radaranlagen und Raketen auf See und an Land sowie ihrer Kontroll- und Kommandozentrale in Ramstein dar. Ab 2020 soll es voll einsatzfähig sein. In der ersten Phase bis 2013 erfaßt das bereits arbeitende Radarsystem AN/TPY-2 mit einer Radarreichweite von 1000 Kilometern im Südosten der Türkei mögliche, aus dem Iran anfliegende Mittelstreckenraketen, etwa Shahab-3-Raketen. Diese können dann von US-amerikanischen Lenkwaffenzerstörern mit dem AEGIS-System zerstört werden. So sei Südosteuropas Schutz gesichert.

In der zweiten Phase von 2013 bis 2015 sollen verbesserte bodengestützte Raketen in Rumänien (SM-3 IIA), in Phase 3 von 2015 bis 2018 auch in Polen aufgestellt werden. Ab 2016 werden deutsche Patriot-Abfangraketen und niederländische Fregatten mit Frühwarnradargeräten hinzukommen. Damit sei der Schutz Nordeuropas vor iranischen Raketen gewährleistet. Für 2020 war geplant, daß mittels in Polen und Rumänien stationierter Raketen (SM-3 II B) die USA vor anfliegenden iranischen Langstreckenraketen geschützt werden. Auf diese vierte Phase wird seit Mitte März 2013 verzichtet. Die USA wollen Mittel freisetzen, um ab 2017 zusätzliche Abfang­raketen in Alaska gegen Interkontinentalraketen aus Nordkorea aufzustellen. Sie könnten zwar auch Raketen aus der Volksrepublik China und Rußland abfangen – nicht jedoch aus dem Iran.

Die Anzahl der derzeitig vom Iran einsatzfähigen Mittelstreckenraketen vom Typ »Shahab 3« ist nur spekulativ. Die Schätzungen reichen von 25 bis 100. Mit Massenvernichtungswaffen sind sie nicht bestückt. Der ehemalige Chef des israelischen Geheimdienstes Mossad, Meir Dagan, geht im Spiegel vom 7. November 2011 davon aus, »daß Iran eine Atombombe frühestens Mitte des Jahrzehnts entwickelt haben werde und das auch nur, wenn nichts und niemand in die Quere komme. Bis Iran einen nuklearen Sprengkopf entwickelt habe, würden noch einmal drei Jahre vergehen. Das wäre 2018.« Dagegen machte US-Präsident Barack Obama neuerdings eine andere – dramatischere – Rechnung auf: Der Iran brauche lediglich »rund ein Jahr, um eine Atomwaffe zu entwickeln«. Er strebe nach wie vor eine diplomatische Lösung an, »werde es aber nicht zulassen, daß Iran die ›rote Linie‹ zur Atommacht überschreite«, sagte Obama und versicherte, »er habe in seinem Kabinett den nötigen Rückhalt für einen militärischen Angriff« (FAZ vom 16.3.2013).

Einkreisung Rußlands

Die NATO zeigt mit der Stationierung von Radaranlagen und AEGIS-Fregatten Entschlossenheit. Ebenso wie die im Osten der Türkei neu postierten Patriot-Batterien sind diese gegen iranische Raketen und Flugkörper einsetzbar.

Rußlands Argument gegen das Raketenabwehrsystem von USA und NATO macht sich daran fest, daß der Iran über keine gefährliche Raketentechnik verfüge, schon gar nicht über Atomwaffen. Folglich sei das Raketensystem gar nicht gegen den Iran gerichtet, sondern gegen Rußland. Das stellt die NATO-Gipfelerklärung von Chicago in Abrede. Russische Militärs schätzen ein, daß der »Abwehrschild« erst am Anfang stehe. Zunächst seien es Dutzende, später Hunderte oder Tausende Abfang­raketen, die zudem auf See überall dorthin verlegt werden könnten, wo man sie brauche. Schon heute seien Japan und Südkorea einbezogen. Außerdem habe man mit den USA im »New Start«-Vertrag vereinbart, die Zahl der strategischen Nuklearplattformen bis 2018 auf jeweils 800 (mit 1550 Nuklearsprengköpfen) zu begrenzen. Rußland unterschreitet schon heute diese Marke deutlich: An Land dürfte Rußland zur Zeit nur noch etwa 400 und auf See zehn strategische Atomwaffenträger zur Verfügung haben. Obama strebt für die Zeit danach eine weitere Reduzierung atomarer Sprengköpfe auf jeweils 1000 an – bei gleichzeitigem Ausbau der US-amerikanischen Raketenabwehr.

Im »Worst Case«-Szenario fürchtet die russische Seite nach einem NATO-Erstschlag wegen des Raketenabwehrsystems um seine Zweitschlagkapazität. Ein gemeinsamer Betrieb des Raketenabwehrschilds durch NATO und Rußland scheitert daran, daß die USA ein russisches Mitspracherecht nicht zulassen.

Die Raketenabwehr der USA stellt ein weltumspannendes Mammutprojekt dar, welches geeignet ist, die US-dominierte Weltordnung zu verfestigen. Alle Freunde kommen unter den Schirm, alle anderen bleiben außen vor. Daß die Raketenabwehr keine zeitlich oder räumlich begrenzte Sache ist, macht auch die Under Secretary of State im US-Außenministerium Ellen Tauscher, die für internationale Sicherheit und Rüstungskontrolle zuständig ist, deutlich. Die europäische Raketenabwehr werde auch dann verwirklicht, sagte sie der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, »wenn es in Iran zu einem Regimewechsel käme. Es gehe darum, neue Technologien zu beherrschen« (FAZ vom 19.5.2012). NATO-Generalsekretär Anders Fogh Rasmussen warnte einen Tag zuvor in der Welt davor, daß mehr als 30 Länder im Besitz der Technologie für ballistische Raketen seien oder daran arbeiteten.

Rußland reagiert militärisch auf die NATO-Raketenabwehr, indem es Präventivschläge auf NATO-Raketenstellungen androht und sein territoriales Radarsystem erweitert. Ein Aufrüstungsprogramm ist aufgelegt: 400 Interkontinentalraketen, acht strategische U-Boote, 50 Kriegsschiffe, 600 Flugzeuge und 1000 Helikopter. Die Aufrüstung läßt sich Moskau in den nächsten zehn Jahren jährlich 75 Milliarden US-Dollar kosten. Zum Vergleich: Die USA geben jährlich fast doppelt soviel Geld für neue Waffen aus.

»Smart Defence«

Hinter dem freundlich, aber irreführend daherkommenden Begriff »Smart Defence« verbirgt sich eine neue, auf weltweite Kriegführung ausgerichtete, integrierte Zusammenarbeit. Die deutsche Übersetzung lautet offiziell »intelligente Verteidigung«. Die Irritation ist nicht so sehr das Wort »smart«, sondern »Defence«.

Militärisch integrierte Verbände setzt die NATO bisher lediglich in den fliegenden Gefechtsplattformen AWACS und bei der Luftraumüberwachung des Baltikums ein. Diese Fähigkeiten sollen zunächst um etwa 20 Aufgaben erweitert werden. Das Militärbündnis strebt dabei eine Zusammenarbeit mit der EU an, zumal zahlreiche EU-Länder Mitglied des Paktes sind.

Das Schlüsselprojekt der »Smart Defence« ist das System »Alliance Ground Surveillance«, kurz AGS, das ebenso irreführend mit »System zur Bodenüberwachung« übersetzt wird. Irreführend, weil es viel mehr ist als das.

Weitere geplante Projekte der »Smart Defence« sind die gemeinsame Luftbetankung, Seefernaufklärung, Entschärfung von Sprengfallen durch ferngesteuerte Roboter und die Vereinheitlichung des Nachschubs von Treibstoff und von Munition für Kampfflugzeuge. Zu den einzelnen Aufgabenfeldern bilden sich jeweils verschieden zusammengesetzte Ländergruppen, die ihre gemeinsamen Fähigkeiten bündeln. So übernimmt Deutschland die Führung bei der Seefernaufklärung und Frankreich die Führung bei der Luftbetankung.

Den Kern des Systems AGS bilden fünf Großdrohnen des Typs »Global Hawk«, an denen sich die Bundesregierung mit einem Drittel der Kosten beteiligen will. »Global Hawks« sollen für die zukünftige Kampfführung essentiell sein, liefern sie doch auf jedes Display der Einsatz- und Führungsebene dasselbe Lagebild, welches Infanteristen den entscheidenden Kriegsvorteil im Kampf um Ort, Straße und Haus verschaffen soll. AGS ist das zentrale Element der neuen sogenannten vernetzten Operationsführung. Ohne sie ist künftig ein Krieg außerhalb des Bündnisgebiets undenkbar. Damit »können bewegliche Ziele entdeckt und verfolgt werden. Von stationären Zielen werden hochaufgelöste Radarbilder geliefert«, heißt es im Fachmagazin Europäische Sicherheit und Technik, Heft 9/2012. Das AGS kann »Bewegungen über Zeiträume nachzeichnen« (FAZ vom 19.4.2012). Damit werden präzise Zielzuweisungen möglich.

Mit den fünf »Global Hawk« wird die NATO in die Lage versetzt, »zwei operationelle Einsatzräume an unterschiedlichen Schauplätzen gleichzeitig aufzuklären und zu überwachen« (Europäische Sicherheit und Technik, ebd.). Es ist angestrebt, diese Möglichkeit auf bis zu acht Kriegsschauplätze gleichzeitig auszubauen. Dafür sind die 13 NATO-Mitgliedstaaten, die sich an der AGS beteiligen, aufgefordert, weitere »Global Hawks« zu finanzieren. Die deutsche Regierung überlegt deshalb, vier weitere zu kaufen.

Kriegstreiber in der BRD

Zur Durchsetzung der eigenen Großmachtpläne reicht Teilen der deutschen Wirtschaft dies alles noch nicht. Im Vorfeld des letzten NATO-Gipfels fielen eine Reihe von Artikeln in deutschen Leitmedien auf, die sich mit der angeblich mangelnden Bereitschaft der Europäer befaßten, einen angemessenen Rüstungsbeitrag in der NATO zu leisten. Zum Beispiel der Namensartikel des CDU-Abgeordneten und damaligen Präsidenten der »Parlamentarischen Versammlung der NATO« Karl A. Lamers in der FAZ vom 19. Mai 2012: »Der Anteil der Vereinigten Staaten von nunmehr 71 Prozent ist bereits heute eine Zumutung für unsere amerikanischen Partner.« Oder Ulrich Speck wenige Tage zuvor in der NZZ: »1980 trug Europa 40 Prozent der NATO-Militärausgaben, heute sind es 20 Prozent.« Der Spiegel ließ eine Woche vor dem NATO-Gipfel Mitarbeiter konservativer Think tanks zu Wort kommen. Markus Kaim von der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP): »In jüngster Zeit entspricht Deutschland weder den Erwartungen der Bündnispartner noch dem eigenen Selbstbild einer sicherheitspolitischen Mittelmacht mit globaler Verantwortung.« Christian Mölling, ebenfalls von der SWP, wird im Spiegel vom 14. Mai wiedergegeben: Die Bundeswehr verkomme »zu einer Bonsai-Armee, die zwar das gesamte Fähigkeitsspektrum abdecke, aber kaum noch militärische Durchsetzungskraft besitze. Zur Sorge der alliierten Partner.« Patrick Keller von der Konrad-Adenauer-Stiftung meint die Ursache dafür zu kennen: »In der breiten Bevölkerung fehlt es an grundlegendem Verständnis für Sicherheitspolitik« (Spiegel vom 14.5.2012).

Das wohl schwerste Geschütz bot die Süddeutsche am 18. Mai 2012 auf. Unter der Überschrift »Ein schwaches Deutschland schwächt auch die Allianz« gibt das Blatt ein Interview mit dem ehemaligen US-Botschafter bei der UNO unter George W. Bush, Nicholas Burns, wieder. Auf die Frage, ob Europa unwichtig werde, weil Obama eine Wende nach Asien vollziehen will, antwortete Burns, »Nein, die Vereinigten Staaten müssen reinvestieren in diese Beziehung (mit Europa, L. H.) – gerade weil die große strategische Herausforderung der Aufstieg Chinas ist. Aber während die USA sich aus gutem Grund Asien zuwenden, dürfen wir uns nicht von Europa abwenden. (…) Europa muß global denken und handeln, trotz all seiner Probleme etwa mit der Euro-Krise. Denn Europa hat weltweite Interessen – im Nahen Osten, in Südostasien, in Ostasien. Also muß Europa den Willen, den Ehrgeiz und auch die militärischen Fähigkeiten haben, um gemeinsam mit den USA zu agieren und Frieden in diese Regionen der Welt zu bringen. Wir brauchen ein starkes Europa – und ein Europa, das mehr für seine Sicherheit investiert. Seit fast vier Jahrzehnten verlangt die NATO, die Alliierten sollen wenigstens zwei Prozent ihres Bruttoinlandsprodukts für die Verteidigung ausgeben. Nur drei Verbündete tun das, allen voran die USA mit 4,4 Prozent. Aber Deutschland leistet gerade einmal 1,3 Prozent. (…) Deutschland ist der Schlüsselstaat des Kontinents, es führt Europa. Aber während Berlin Europa wirtschaftlich lenkt, scheut es die politische und auch militärische Führung, die die NATO so dringend braucht. Ein schwaches Deutschland schwächt die Allianz.«

Etwas später im Interview sagte er: »Das deutsche Problem ist doch systemisch – und parteiübergreifend: Alle (deutschen, L. H.) Parteien verweigern der Bundeswehr die Mittel, die nötig wären, damit Deutschland seine Rolle und seine Verantwortung in der NATO und in der Welt wahrnehmen kann.« Da die USA in den nächsten zehn Jahren 450 Milliarden Dollar im Verteidigungshaushalt einsparen müßten, »brauchen wir jetzt europäische Opfer, um die Stärke der Allianz zu bewahren. Europa muß diese Herausforderung annehmen. Die Zeiten, da die USA alle diese Kosten tragen, sind vorbei« (SZ vom 18.5.2012). So Burns, der fünf Jahre lang unter den US-Präsidenten George Bush senior und William Clinton im Nationalen Sicherheitsrat der USA für Eurasien zuständig war.

Burns spricht am deutlichsten aus, wohin die Community der Kriegstreiber die deutsche Gesellschaft haben möchte. Sie soll es als normal akzeptieren, daß die Bundeswehr überall in der Welt militärisch interveniert, und entsprechend mehr Geld für die Kriegführung lockermachen. Vor allem diesem Anliegen soll die alljährliche Münchner Sicherheitskonferenz dienen. Deshalb ist es so wichtig, gegen sie auf die Straße zu gehen.

Aufrüstung der Bundeswehr

Aus dem Personalabbau der Bundeswehr wird die Infanterie personell nicht nur ungeschoren hervorgehen – sie wird gestärkt. Für die Infanterie werden eigens ein neuer Schützenpanzer »Puma« und ein neuer Radpanzer »Boxer« hergestellt. 11000 Infanteristen werden für jeweils 150000 Euro mit neuer persönlicher Ausrüstung eingekleidet. Weil die bestehenden Übungsorte für den Häuser- und Stadtkampf nicht ausreichen, wird für 100 Millionen Euro nördlich von Magdeburg eine ganze Übungsstadt »Schnöggersburg« mit über 500 Gebäuden und Hochhäusern, Straßen, U-Bahn-Tunneln, Kanalisation, Industriegebiet, eine stadttypische Bebauung sowie einem 22 Meter breiten Fluß und einem Waldgebiet erstellt. Ziel ist es, eine schnell verlegbare für alle Kriegsszenarien durchsetzungsfähig einsetzbare Kampftruppe auszubilden.

Statt 7000 sollen künftig 11000 Soldaten dauerhaft, also über Jahre, im Ausland eingesetzt werden können. Jeder Infanterist wird im Stadt- und Häuserkampf in Echtzeit über »Global Hawks« und andere Drohnen seinen Standort, den seiner Gruppe und den seiner Feinde angezeigt und der in den Panzern mitgeführte Waffenmix macht ihn Tag und Nacht kampffähig. Das weltweite Transportkonzept, mit Military-Airbussen schnell in Kampfzonen einfliegen zu können, ist in Arbeit. Mit einem Airbus können entweder über 100 Infanteristen transportiert werden oder ein »Puma«, ein »Boxer« oder zwei »Tiger«-Kampfhubschrauber. In drei bis fünf Jahren sind diese Vorhaben, die bis dahin rund 100 Milliarden Euro verschlungen haben werden, Realität.

Ein seit spätestens 1992 mit den Verteidigungspolitischen Richtlinien verfolgtes Konzept, durch den Aufbau von »Krisenreaktionskräften« die weltweite militärische Interventionsfähigkeit zu erlangen, könnte umgesetzt werden. Dafür fehlt jedoch dem militärisch-industriellen Komplex noch eine Voraussetzung: die Akzeptanz durch die deutsche Bevölkerung. Daran wird massiv gearbeitet. Wie sensibel das Vorhaben ist, die Bundeswehr im Interesse der Wirtschaft einzusetzen, zeigte Ende Mai 2010 der erzwungene Rücktritt des Bundespräsidenten Horst Köhler, der für Politik und Wirtschaft etwas zu schnell vorpreschte, als er im Deutschlandradio feststellte: »Meine Einschätzung ist aber, daß insgesamt wir auf dem Wege sind, doch auch in der Breite der Gesellschaft zu verstehen, daß ein Land unserer Größe mit dieser Außenhandelsorientierung und damit auch Außenhandelsabhängigkeit auch wissen muß, daß im Zweifel, im Notfall auch militärischer Einsatz notwendig ist, um unsere Interessen zu wahren, zum Beispiel freie Handelswege, zum Beispiel ganze regionale Instabilitäten zu verhindern, die mit Sicherheit dann auch auf unsere Chancen zurückschlagen negativ durch Handel, Arbeitsplätze und Einkommen« (www.dradio.de/aktuell/1191138).

* Lühr Henken ist Sprecher des Bundesausschusses Friedensratschlag, er arbeitet in der Berliner Friedenskoordination mit und ist Beirat der Informationsstelle Militarisierung (IMI) e.V.

Dieser Beitrag erschien in zwei Teilen in der "jungen Welt" am 23. und 25. März 2013


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