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Droht Bush jetzt ein "Libbygate"?

Angeklagter Ex-Berater belastet USA-Präsidenten in Geheimdienstaffäre schwer

Von Max Böhnel, New York*

US-Präsident George W. Bush soll zur Rechtfertigung des Irak-Krieges nach Angaben eines angeklagten Ex-Mitarbeiters von Vizepräsident Richard Cheney die gezielte Enthüllung hoch geheimer Unterlagen veranlasst haben. Unter Washingtons Hardlinern gärt es nicht nur in dieser Frage.

Lewis Libby, der Ex-Stabschef von Vizepräsident Dick Cheney und bis letztes Jahr höchstrangige Neokonservative in der Bush-Regierung, hat Einzelheiten einer geheimen CIA-Studie über Irak mit ausdrücklicher Genehmigung von USA-Präsident George Bush an die Presse weitergegeben. Diese Enthüllung aus dem laufenden Ermittlungsverfahren gegen Libby, die am Donnerstag bekannt wurde, ist ein weiterer erheblicher Negativposten auf dem politischen Konto der Bush-Regierung.

Denn George Bush hatte bislang vorgegeben, in der Geheimdienstaffäre und in der Frage der angeblichen irakischen Massenvernichtungswaffen ein unbeteiligter Dritter und an der Aufklärung höchst interessiert zu sein. Nun sprechen hiesige Medien schon von einem neuen Watergate. Nach Auffassung von Rechtsexperten hat sich Bush allerdings mit der Genehmigung der Weitergabe von Geheiminformationen nicht strafbar gemacht. Libby, der vergangenes Jahr wegen Falschaussage angeklagt worden war und Anfang kommenden Jahres vor Gericht stehen wird, hatte vor dem Sonderermittler Patrick Fitzgerald ausgesagt, Vizepräsident Dick Cheney habe ihn auf ausdrückliche Genehmigung von George Bush hin angewiesen, Material aus dem geheimen Jahresbericht »National Intelligence Estimate« an eine »New York Times«-Journalistin weiterzugeben.

Dahinter steckte der Versuch der Bush-Regierung, ihre in Misskredit geratene Begründung für den Irak-Krieg mit vermeintlichen »Fakten« zu untermauern. Der Diplomat Joseph Wilson hatte der Regierung kurz zuvor öffentlich nachgewiesen, dass Saddam Husseins angeblicher Versuch, sich waffenfähiges Uran zu verschaffen, auf der Manipulation von Geheimdiensterkenntnissen beruhte. Als Rache enttarnte die Regierung Wilsons Ehefrau Valerie Plame, eine CIA-Agentin.

Die Belastung Bushs ist einerseits als Libbys Versuch zu werten, seinen Kopf aus der Schlinge zu ziehen. Denn ihn erwartet im schlimmsten Fall eine Höchststrafe von 30 Jahren Gefängnis. Andererseits spiegelt sie den Zerfall der Koalition der Kriegstreiber in Washington wider. Das Hardliner-Bündnis aus interventionistischen Nationalisten, Neokonservativen und der christlichen Rechten, das für den Irak-Krieg getrommelt und die »Dominostein«-Theorie vom Fall der Regime im Nahen Osten in die Welt gesetzt hatte, distanziert sich zunehmends von der Bush-Regierung.

Darüber hinaus sind die Rechtsaußen-Strategen intern selbst zerstritten. Erst vor Kurzem hatte der weltweit bekannte konservative Politologe Francis Fukuyama, einer der Stichwortgeber für den Irak-Krieg, öffentlich seine Abkehr von der neokonservativen Ideologie erklärt und ihr »Scheitern« attestiert. Das Falkenbündnis, das von Vizepräsident Cheney und Pentagonchef Donald Rumsfeld angeführt wird, hat nach Einschätzung des Washingtoner Journalisten Jim Lobe in den vergangenen Monaten so viel Einfluss verloren, dass die »Realisten« um Außenministerin Condoleezza Rice sowie führende Militärs ein neues Machtzentrum in und um den Washingtoner Führungsapparat bilden konnten.

Ausdruck dafür ist laut Lobe die vor kurzem vorgestellte »Nationale Sicherheitsstrategie« der USA, in der der Diplomatie sehr viel mehr Raum gegeben werden soll. Zudem seien die zahlreichen Auslandsreisen von Rice sowie ihrer Stellvertreter Zoellick und Burns ein Hinweis für ein stärkeres Selbstbewusstsein bei den »Realisten«. Rice-Vorgänger Colin Powell habe dagegen befürchten müssen, während eines längeren Auslandsaufenthalts in Washington von den Falken ausgebootet zu werden.

In letzter Zeit äußern sich auch Militärs höchst kritisch über die Kriegsführung von Cheney und Rumsfeld. Dabei sind sich Neokons und Militärs gegen den Willen Rumsfelds einig, dass mehr USA-Soldaten nach Irak geschickt werden müssten. Auch die fundamentalistisch-christliche Rechte, die fast die Hälfte der Republikanermitglieder ausmacht, schert langsam aus der Koalition aus. So löste die die Behandlung eines christlichen Konvertiten in Afghanistan, der knapp der Todesstrafe entging. bei ihnen regelrechte Schockwellen aus. Diese »Demokratisierung« im Mittleren Osten habe man sich von der Bush-Regierung nicht erwartet, heißt es enttäuscht bei den Evangelikalen.

Der Zerfall der Washingtoner Irak-Kriegskoalition bedeutet Lobes Auffassung zufolge kurzfristig eine außenpolitische Mäßigung. Mittelfristig sei eine Intervention gegen Iran aber nicht auszuschließen. Denn im Gegensatz zum Irak-Krieg, der von einer relativ schmalen Personengruppe geplant und politisch abgesichert wurde, würde im Falle Irans ein parteiübergreifendes Bündnis, das auch die »Realisten« und Demokraten erfasse, Teheran als »strategische Gefahr« für die USA ansehen.

* Aus: Neues Deutschland, 8. April 2006


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