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Kronzeuge Manning gegen Assange?

Der ehemalige CIA-Analyst David MacMichael über das Interesse der USA an dem Wikileaks-Mitbegründer *


David MacMichael, ehemaliger CIA-Analyst, ist Mitbegründer der Veteran Intelligence Professionals for Sanity (VIPS), einer 2002 gegründeten Vereinigung von Geheimdienstangestellten aus den USA und aus Ländern, die mit den USA verbündet sind. VIPS wendet sich öffentlich gegen die Nutzbarmachnung von Geheimdienstinformationen für politische Zwecke, inbesondere für Kriegsvorbereitungen wie gegen den Irak oder Afghanistan. Die Vereinigung fordert »ein Maximum an Transparenz« und wendet sich »gegen alle Versuche von Regierungen, ihre Bürger zu täuschen«. MacMichael quittierte seinen Dienst bei der CIA im Juli 1983 aus Protest gegen den sogenannten Iran-Contra-Skandal. Für "neues deutschland" (nd) befragte ihn Max Böhnel.


nd: Hat die US-Regierung weiter ein Interesse daran, Wikileaks-Mitbegründer Julian Assange in ihre Hände zu bekommen?

MacMichael: Zunächst würde ich vorwegschicken, dass der Schaden, den die Wikileaks-Enthüllungen der US-Kriegsführung in Afghanistan, in Irak und anderswo zufügten, minimal war. Auch andere Enthüllungen, wie kürzlich in der »New York Times« über unseren Drohnen-Präsidenten, halten Washington nicht davon ab, militärisch nach Belieben und mit äußerster Aggressivität vorzugehen. Die Militäreskalation namens »surge« in Afghanistan, der Angriff auf Osama bin Laden in Pakistan, der »Flugverbotszonen«-Krieg gegen Libyen, ein Drohnenprogramm, vom Weißen Haus beschlossene Ermordungen von US-Bürgern - Enthüllungen helfen ebenso wenig wie Rekurse auf die amerikanische Verfassung, die UNO-Charta oder internationales Recht. Obwohl das, was Assange tat, für die diplomatische oder militärische Praxis der USA bedeutungslos war, werden die US-Geheimdienste ihn nicht ignorieren. Sie werden jeden Versuch unternehmen, ihn zu bestrafen.

Wofür denn, wenn er keinen Schaden anrichtete?

Vor ungefähr zwei Jahren veröffentlichte Wikileaks die ersten Videos. Zu sehen waren darauf US-Hubschrauberangriffe auf angebliche Aufständische in Irak, zu hören Freudenschreie von US-Soldaten. Ziele waren Journalisten und Helfer von Verletzten. Das war sehr peinlich fürs Militär. Später kamen ebenfalls peinliche Botschaftsdepeschen dazu. Zudem zirkulierte das Material im Internet und in großen Zeitungen in europäischen Ländern und in den USA, mit denen Assange Vetriebsverträge hatte. So etwas vergisst eine US-Regierung nicht. Wer als US-Bürger oder Ausländer Washington widersteht und ihm Peinlichkeiten bereitet, der ist ein »Fall«. Die Geschichte ist lang. Man denke nur an Fidel Castro.

Oder an den Gefreiten Bradley Manning, der die peinlichen Videos weitergab ...

Sein Verbrechen besteht darin, dass er ungeheuerliche Akte von Missbrauch, Folter und Mord enthüllte, ohne sich an die militärische Kommandostruktur zu halten. Gegen ihn wird schließlich nach dem Artikel 134 der Militärgerichtsbarkeit ermittelt. Das ist das militärische Äquivalent zum US-Antispionagegesetz von 1917. Sowohl die Bush- als auch die Obama-Regierung nutzte dieses Gesetz ziemlich ausführlich, um Kritiker ihrer Politik der »nationalen Sicherheit« zum Schweigen zu bringen.

Was ist dran an Gerüchten von einem geheimen Geschworenengericht, das Assanges Auslieferung von Schweden in die USA vorhabe?

Gemeinhin gehen Bundesgeschworenengerichte unter Ausschluss der Öffentlichkeit vor. Zum Fall Assange gab es dagegen häufig Presseberichte, in denen hohe, aber anonyme Beamte zitiert wurden, wonach es in Alexandria im Bundesstaat Virginia solche Vorgänge gebe. Und tatsächlich beschäftigt sich das Bundesgericht in Alexandria recht oft mit Fällen der »nationalen Sicherheit«.

Eines kommt noch hinzu, das diese »Gerüchte« erhärtet. Der Fall Bradley Manning wird immer weiter hinausgezögert. Warum? Weil die Regierung möglicherweise Manning als Kronzeugen gegen Assange ins Spiel bringen will, wenn sie auf Assange erst einmal Zugriff hat. Bradley Manning könnte, wenn er den Kronzeugen spielt, eine Strafminderung erhalten und die US-Regierung könnte dann ihre Rache an Assange nehmen.

Wie transparent ist die Obama-Regierung in außenpolitischer Hinsicht?

Ironischerweise ist Obama bemerkenswert transparent. Die jüngsten Artikel in der »New York Times«, wonach der Präsident höchstpersönlich die Mordliste für Drohnenangriffe abzeichnet, sprechen für sich. Dazu kommen deutliche Stellungnahmen aus dem Weißen Haus über Internetsabotage und Ermordungen in Iran. Nach dem Fall Wikileaks scheint mir der neue diplomatische Modus zu lauten »Dementiere nicht, was du nicht länger verbergen kannst. Stattdessen protze damit«.

* Aus: neues deutschland, Dienstag 5. Juni 2012


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