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Michael Moore: 17 Gründe, sich nicht die Pulsadern aufzuschlitzen
17 Reasons Not to Slit Your Wrists ...

by Michael Moore

O.K., es ist Scheiße. Es ist wirklich Scheiße! Aber bevor ihr alles hinschmeißt, lasst uns, in den Worten von Monty Python, "immer auf die schönen Seiten des Lebens schauen!" Es gibt nämlich einige gute Nachrichten von der Wahl am Dienstag."

So beginnt Michael Moore seinen Newsletter, den er am 5. November in alle Welt verschickt hat und der mehr ist als nur ein momentaner joke.

Die gute Nachricht: Michael Moore behält seinen Optimismus und macht weiter. Die schlechte Nachricht: In vier Jahren wird ihm George W. Bush nicht mehr als dankbarer Widersacher und Stichwortgeber zur Verfügung stehen. Aber das Arsenal an "interessanten" Kandidaten aus dem Lager der Republikaner ist groß - und wenn tatsächlich die amerikanische Verfassung zugunsten einer Kandidatur des österreichisch-kalifornischen Terminators Schwarzenegger geändert würde, können wir uns auf einen unterhaltsamen Wahlkampf freuen.

Mit dem im Folgenden dokumentierten Text will Michael Moore nicht nur sich selbst, sondern auch allen anderen, die Bush nicht gewählt haben, Mut machen. Und er gründet seine Argumentation gegen Trauer, Wut und Resignation auf interessante und in dieser Art noch nicht dargestellte Fakten und Überlegungen. Sie atmen nicht immer den Geist der scientific correctness, gewiss! Aber sie zeigen uns die Vielfalt und Größe eines Landes, das mehr ist als sein Präsident und die knappe Mehrheit, die ihn gewählt hat.

Da uns der Text bislang nur auf Englisch vorliegt, hier zunächst eine deutsche Zusammenfassung und Teilübersetzung der "guten Nachrichten", auf die Moore seinen historischen Optimismus stützt:
  1. Das Gesetz verbietet eine weitere Kandidatur von George Bush.
  2. Bushs Sieg war der knappste Wahlausgang für einen amtierenden Präsidenten seit Woodrow Wilson 1916.
  3. Bei den jüngeren Wählern gewann Kerry mit 54 Prozent gegenüber Bush mit 46 Prozent. Dies beweise einmal mehr, dass eure Eltern immer falsch liegen und ihr nie auf sie hören solltet.
  4. Trotz des Sieges von Bush glaubt die Mehrheit der Amerikaner immer noch, dass das Land in eine falsche Richtung marschiert (56 %) und dass es der (Irak-)Krieg nicht wert war für ihn zu kämpfen (51 %). Und 52 Prozent meinen, Bush würde seinen Job schlecht machen.
  5. Die Republikaner haben keine 60 Prozent der Sitze im Senat erreicht. Wenn die Demokraten ihren Job richtig machen (hier befallen Michael Moore allerdings Zweifel), dann reicht das für Bush nicht, um den Obersten Gerichtshof mit rechten Ideologen zu besetzen.
  6. Michigan und der ganze Nordwesten, "das Geburtsland unserer Demokratie", haben für Kerry gestimmt. Sechs von acht Staaten um die Großen Seen herum taten dasselbe. Und die ganze Westküste sowie Hawaii. Damit haben "wir" das meiste frische Wasser, den ganzen Broadway und Mount St. Helens (den berühmten Vulkan). Also können wir "sie" austrocknen oder sie unter Lava begraben. Außerdem gibt es keine Shows mehr!
  7. Wieder einmal sind wir daran erinnert worden, dass die Rosskastanie eine Nuss ist. Und nicht irgendeine alte Nuss, sondern eine vergiftete Nuss. Eine große Nation wurde von einer vergifteten Nuss gefällt! Mögen die Ohio-States teuer dafür bezahlen, wenn sie am Samstag auf Michigan treffen.
    [Anm.: "buckeye" = Rosskastanie, hier ein Sysnonym für das an Kastanien reiche Ohio, der Bundesstaat, der bei der präsidentschaftswahl 2004 den Ausschlag gab. Die "Ohio-States" sind die gegenwärtige Meistermannschaft in der US-Football-Liga. Offenbar muss sie am Samstag gegen Michigan antreten.]
  8. Die Wähler von Bush waren zu 88 Prozent Weiße. In 50 Jahren hätten die Weißen keine Mehrheit mehr.
  9. Die Schwulen und Lesben, denen in elf Staaten per Volksabstimmung das Recht auf Eheschließung verweigert wurde, sollten dafür dankbar sein. Immerhin sparen sie sich jetzt den Kauf von Hochzeitsgeschenken.
  10. In den Kongress wurden weitere fünf Afro-Amerikaner gewählt, einschließlich der Wiederwahl von Cynthia McKinney (Georgia). Es sei immer gut, mehr schwarze Abgeordnete zu haben, die für uns kämpfen.
  11. Der Vorstandsvorsitzende von Coors [amerikanische Brauerei], Pete Coors (Rep.) errang den angestrebten Sitz im Senat nicht. [Er wurde vom Hispano Ken Salazar knapp geschlagen.] Daher Moores Aufforderung: "Trink aus!"
  12. Gebt es zu: Wir mögen die Bush-Zwillinge und wollen nicht, dass sie gehen.
  13. Moore weist darauf hin, dass die Demokraten bei den Wahlen zu den gesetzgebenden Körperschaften der Bundesstaaten mindestens drei Staaten hinzugewonnen haben, sodass sich die Relation zwischen demokratisch kontrollierten zu republikanisch kontrollierten Kammern zugunsten der Demokraten verschoben hat. Die Republikaner kontrollieren noch 49 Kammern, die Demokraten 47.
    [Anm.: Die Bundesstaaten haben jeweils zwei Kammern: ein Parlament (house bzw. assembly) und einen Senat.]
  14. Bush sei nun eine "lahme Ente". Einen größeren Moment als den Sieg in dieser Woche werde er nicht mehr erleben. Von nun ab wird es mit ihm bergab gehen. Vielleicht wird er die meiste Zeit der nächsten vier Jahre auf seiner Ranch verbringen. Warum auch nicht? Er hat es sich bewiesen, hat seinen Vater gerächt und uns in den Hintern getreten.
  15. Sollte Bush aber wirklich weiter arbeiten und unser Land auf einen dunklen Weg hinabführen, sind zwei Szenarien wahrscheinlich:
    a) Da er nicht mehr darauf angewiesen, den christlichen Konservativen nach dem Mund zu reden, mag es passieren, dass ihm jemand einflüstert, er solle in den nächsten Jahren an seinem Erbe arbeiten, sodass die Geschichte ein freundlicheres Urteil über ihn sprechen wird. Also wird er die rechte Agenda nicht so aggressiv betreiben.
    b) Er wird so anmaßend und arrogant - und damit auch unberechenbar - und leistet sich so viele Schnitzer, dass ihn sogar seine eigene Partei aus dem Weißen Haus entfernen will.
  16. Es gibt fast 300 Mio Amerikaner - 200 Mio im Wahlalter. Wir haben lediglich um dreieinhalb Millionen Stimmen verloren. Das ist kein Erdrutsch - das heißt, wir sind beinahe dran. (Es folgt ein Vergleich aus dem Football.)
  17. Schließlich und vielleicht am wichtigsten: Über 55 Millionen stimmten für einen Kandidaten, der als ""Nr.-1-Liberaler" im Senat bezeichnet wurde. Das sind mehr Wähler, als seiner Zeit für Reagan oder Bush I. oder für Clinton oder Gore gestimmt haben. Wenn die Medien einen Trend suchen, dann ist es der: Dass so viele Amerikaner das erste Mal seit Kennedy für einen eingefleischten Liberalen gestimmt haben! Unser Land war immer voll von "Evangelikalen". Das ist nicht Neues. Neu ist dagegen, dass so viele Menschen zu einem Liberalen aus Massachussetts übergelaufen sind. Das ist die wahre große Neuigkeit. Das bedeutet auch: Erwartet nicht von den Mainstream-Medien, die euch in den Irakkrieg geführt haben, dass sie euch die Wahrheit über den 2. November sagen. Und das ist auch gut so. Wir brauchen nämlich das Überraschungselement in 2008.
Und am Ende schreibt Moore:
Fühlt ihr euch jetzt besser? Hoffentlich! Mein Freund Mort schrieb mir gestern: "Mein rumänischer Großvater sagte immer zu mir: 'Denk daran, Morton, das ist ein so wunderbares Land - das braucht nicht einmal einen Präsidenten!'"

Freie Übetragung aus dem Englischen: Pst


Friday, November 5th, 2004

17 Reasons Not to Slit Your Wrists ...

by Michael Moore

Dear Friends,

Ok, it sucks. Really sucks. But before you go and cash it all in, let's, in the words of Monty Python, “always look on the bright side of life!” There IS some good news from Tuesday's election.

Here are 17 reasons not to slit your wrists:

1. It is against the law for George W. Bush to run for president again.

2. Bush's victory was the NARROWEST win for a sitting president since Woodrow Wilson in 1916.

3. The only age group in which the majority voted for Kerry was young adults (Kerry: 54%, Bush: 44%), proving once again that your parents are always wrong and you should never listen to them.

4. In spite of Bush's win, the majority of Americans still think the country is headed in the wrong direction (56%), think the war wasn't worth fighting (51%), and don’t approve of the job George W. Bush is doing (52%). (Note to foreigners: Don't try to figure this one out. It's an American thing, like Pop Tarts.)

5. The Republicans will not have a filibuster-proof 60-seat majority in the Senate. If the Democrats do their job, Bush won't be able to pack the Supreme Court with right-wing ideologues. Did I say "if the Democrats do their job?" Um, maybe better to scratch this one.

6. Michigan voted for Kerry! So did the entire Northeast, the birthplace of our democracy. So did 6 of the 8 Great Lakes States. And the whole West Coast! Plus Hawaii. Ok, that's a start. We've got most of the fresh water, all of Broadway, and Mt. St. Helens. We can dehydrate them or bury them in lava. And no more show tunes!

7. Once again we are reminded that the buckeye is a nut, and not just any old nut -- a poisonous nut. A great nation was felled by a poisonous nut. May Ohio State pay dearly this Saturday when it faces Michigan.

8. 88% of Bush's support came from white voters. In 50 years, America will no longer have a white majority. Hey, 50 years isn't such a long time! If you're ten years old and reading this, your golden years will be truly golden and you will be well cared for in your old age.

9. Gays, thanks to the ballot measures passed on Tuesday, cannot get married in 11 new states. Thank God. Just think of all those wedding gifts we won't have to buy now.

10. Five more African Americans were elected as members of Congress, including the return of Cynthia McKinney of Georgia. It's always good to have more blacks in there fighting for us and doing the job our candidates can't.

11. The CEO of Coors was defeated for Senate in Colorado. Drink up!

12. Admit it: We like the Bush twins and we don't want them to go away.

13. At the state legislative level, Democrats picked up a net of at least 3 chambers in Tuesday's elections. Of the 98 partisan-controlled state legislative chambers (house/assembly and senate), Democrats went into the 2004 elections in control of 44 chambers, Republicans controlled 53 chambers, and 1 chamber was tied. After Tuesday, Democrats now control 47 chambers, Republicans control 49 chambers, 1 chamber is tied and 1 chamber (Montana House) is still undecided.

14. Bush is now a lame duck president. He will have no greater moment than the one he's having this week. It's all downhill for him from here on out -- and, more significantly, he's just not going to want to do all the hard work that will be expected of him. It'll be like everyone's last month in 12th grade -- you've already made it, so it's party time! Perhaps he'll treat the next four years like a permanent Friday, spending even more time at the ranch or in Kennebunkport. And why shouldn't he? He's already proved his point, avenged his father and kicked our ass.

15. Should Bush decide to show up to work and take this country down a very dark road, it is also just as likely that either of the following two scenarios will happen: a) Now that he doesn't ever need to pander to the Christian conservatives again to get elected, someone may whisper in his ear that he should spend these last four years building "a legacy" so that history will render a kinder verdict on him and thus he will not push for too aggressive a right-wing agenda; or b) He will become so cocky and arrogant -- and thus, reckless -- that he will commit a blunder of such major proportions that even his own party will have to remove him from office.

16. There are nearly 300 million Americans -- 200 million of them of voting age. We only lost by three and a half million! That's not a landslide -- it means we're almost there. Imagine losing by 20 million. If you had 58 yards to go before you reached the goal line and then you barreled down 55 of those yards, would you stop on the three yard line, pick up the ball and go home crying -- especially when you get to start the next down on the three yard line? Of course not! Buck up! Have hope! More sports analogies are coming!!!

17. Finally and most importantly, over 55 million Americans voted for the candidate dubbed "The #1 Liberal in the Senate." That's more than the total number of voters who voted for either Reagan, Bush I, Clinton or Gore. Again, more people voted for Kerry than Reagan. If the media are looking for a trend it should be this -- that so many Americans were, for the first time since Kennedy, willing to vote for an out-and-out liberal. The country has always been filled with evangelicals -- that is not news. What IS news is that so many people have shifted toward a Massachusetts liberal. In fact, that's BIG news. Which means, don't expect the mainstream media, the ones who brought you the Iraq War, to ever report the real truth about November 2, 2004. In fact, it's better that they don't. We'll need the element of surprise in 2008.

Feeling better? I hope so. As my friend Mort wrote me yesterday, "My Romanian grandfather used to say to me, 'Remember, Morton, this is such a wonderful country -- it doesn't even need a president!'"

But it needs us. Rest up, I'll write you again tomorrow.

Yours,

Michael Moore

MMFlint@aol.com
www.michaelmoore.com


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