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Washington am Pranger

Russischer Menschenrechtsreport legt US-Doppelmoral offen. Kritik an Folter, Geheimgefängnissen und Einschränkung von Freiheitsrechten

Von Rainer Rupp *

Zum Jahreswechsel hat das Außenministerium der Russischen Föderation zum ersten Mal einen umfassenden Bericht über Menschenrechtsverletzungen rund um die Welt veröffentlicht. Insbesondere die Vereinigten Staaten von Amerika, die sich international gern als Oberaufseher über die Menschenrechte aufspielen, kommen in dem Report schlecht weg, listet er doch zahlreiche US-Verstöße sowohl im Inland als auch im Ausland detailliert auf.

Mit dem am 28. Dezember veröffentlichten Bericht folgt Moskau dem Vorbild der chinesischen Regierung, die seit 2004 alljährlich einen großen Bericht ausschließlich über Menschenrechtsverletzungen der USA veröffentlicht. Es ist die Antwort Pekings auf das schon seit 1976 unter Federführung des US-Außenministeriums ebenfalls alljährlich erscheinende Meisterwerk der Scheinheiligkeit, in dem sich Washington in einer über 300 Seiten dicken Auflistung über Menschenrechtsverletzungen in fast 190 anderen Staaten ereifert, die im eigenen Land aber beharrlich ignoriert.

In einem Interview des iranischen Nachrichtensenders Press TV begrüßte der ehemalige Moskau-Korrespondent der britischen Wochenzeitung The Times Christopher Walker den neuen, 90 Seiten umfassenden russischen Bericht. Dieser zeige die ganze Palette der US-Menschenrechtsverletzungen auf und beleuchte damit den doppelten Standard in der Innen- und Außenpolitik der Vereinigten Staaten. »Diejenigen, die in einem Glashaus sitzen, sollten nicht mit Steinen werfen«, so Walker.

Der russische Report verdeutlicht, daß die Menschenrechtssituation in den USA alles andere als den nach außen lauthals verkündeten »amerikanischen Idealen« entspricht. Tatsächlich sei Washington dabei, im Inneren der USA unter dem Vorwand der Bekämpfung des Terrorismus die Freiheit der Gesellschaft und des Individuums einzuschränken oder ganz abzuschaffen. Und das mit Mitteln, die vorgeblich der Sicherheit und dem Schutz des amerikanischen Volkes dienen sollen. Auch die Regierung von Präsident Barack Obama fahre »damit fort, die meisten der von George W. Bushs Geheimdiensten eingeführten Methoden und Maßnahmen zur Kontrolle der Gesellschaft und zu Eingriffen in das Privatleben des amerikanischen Volkes anzuwenden«, heißt es in dem Bericht.

Als Wegbereiter zum Polizeistaat USA rammte die Bush-Administration am 26. Oktober 2001, kurz nach den Terroranschlägen des 11. September, den sogenannten Patriot Act durch die Legislative. Mittlerweile haben viele Kongreßabgeordnete eingeräumt, daß sie gar nicht die Zeit gehabt hätten, den Gesetzestext zu lesen. Seit der Ratifizierung dieses drakonischen Gesetzes ist die US-Regierung ermächtigt, ohne richterlichen Beschluß private E-Mails zu lesen, Telefonate mitzuhören, Wohnungen zu durchsuchen und selbst die Bücherlisten auf Gesinnungstreue zu überprüfen, die ein Bürger in einer Bibliothek entliehen hat.

Das russische Außenamt weist in seinem Bericht auch darauf hin, daß das Weiße Haus und das Justizministerium in Washington »CIA-Agenten und hochrangige Beamte« vor Strafverfolgung schützt, auch wenn sich diese schwerster Menschenrechtsverletzungen schuldig gemacht haben. Der Bericht verweist auch auf die im Jahr 2007 veröffentlichte Untersuchung des Internationalen Komitees vom Roten Kreuz, der auf den Augenzeugenberichten zahlreicher Häftlinge des US-Gefangenenlagers Guantanamo Bay basiert, und der die Existenz von schockierenden »black site« (geheimen) CIA-Gefängnisse an verschiedenen Standorten in Osteuropa enthüllte.

Zugleich thematisiert der russische Menschenrechtsbericht die Ergebnisse der Untersuchungen, welche der Schweizer Politiker Dick Marty im Auftrag des Europarates in Strasbourg im Dezember 2005 vorgelegt hatte. Darin wurden Beweise dafür präsentiert, daß von US-Geheimdiensten Personen in anderen Ländern ohne Rücksicht auf die nationale Souveränität und »ohne Respekt vor gesetzlichen Normen« entführt und in Geheimgefängnisse festgehalten haben. Marty hatte damals hinzugefügt, daß es »höchst unwahrscheinlich« sei, daß die Regierungen der europäischen US-Verbündeten trotz aller gegenteiliger Beteuerungen nichts von diesen amerikanischen Menschenraub- und Verschleppungsprogramm gewußt haben sollen. Wie zur Bestätigung unterstützte die Parlamentarische Versammlung des Europarates im Juni 2007 die Schlußfolgerungen des Berichts von Dick Marty mit der Resolu­tion 1562 und der Empfehlung 1801.

Heftig kritisiert der Bericht des Außenministeriums in Moskau auch »die exterritoriale Anwendung der US-Gesetzgebung durch die US-Regierung«, welche »den russisch-amerikanischen Beziehungen ernsthaften Schaden zufügten«. Das führe zu Verletzungen der grundlegenden Rechte und Freiheiten der Russen, darunter willkürliche Festnahmen und Entführungen aus Drittländern, grausame Behandlung, eine Strafverfolgung auf der Grundlage von gekauften Zeugen und zweifelhaften Beweisen«, so der Bericht, der als Beispiele die Fälle der russischen Staatsbürger Viktor Bout und Konstantin Jaroschenko nennt.

* Aus: junge Welt, 3. Januar 2011


Kritik an der US-Demokratur

Moskau verweist auf Einfluß des Großkapitals bei Wahlen und warnt vor zunehmenden Einschränkungen der Rede- und Pressefreiheit

Von Rainer Rupp **


In den USA, dem selbsternannten Mutterland der Volksherrschaft, ist es um die Demokratie schlecht bestellt. Das wird auch in Europa zunehmend erkannt. Für Zyniker wie den Buchautor Greg Palace sind die USA nur noch die »beste Demokratie, die man sich für Geld kaufen kann«. Die Tatsache, daß der Werbeeinsatz, und somit die eingenommenen Geldspenden im US-Wahlkampf, über Sieg oder Niederlage der Kandidaten entscheidet, wird nicht einmal mehr von den Mainstreammedien bestritten. Da die Konzerne, insbesondere die der Finanzwirtschaft, die meisten Spenden geben, treffen die Vertreter des Großkapitals nicht nur die Vorauswahl der Kandidaten, sie entscheiden auch darüber, wer von ihnen letztlich als Spitzenkandidat der Demokraten und Republikaner in die Präsidentschaftswahl geschickt wird. Die eigentliche Abstimmung ist da nur noch Formsache.

Da sich die beiden US-Parteien ohnehin nur noch in Nuancen unterscheiden und faktisch den rechten und weniger rechten Flügel einer einzigen Partei, nämlich der des Kapitals, darstellen, gewinnt die Ausbeuterklasse der »ein Prozent« in den USA jede »demokratische« Wahl. Eine echte Opposition ist im US-System nicht möglich. Kandidaten mit anderen Meinungen, die über reine Lippenbekenntnisse hinausgehen, z.B. echte Gegner der imperialistischen US-Kriege, haben in dem vom Geld gesteuerten »demokratischen« Wahlprozeß keine Chance. Hier setzt denn auch der Ende Dezember publizierte Menschenrechtsbericht des russischen Außenministeriums mit seiner Kritik an der US-amerikanischen »Demokratur« an, in der es keinen Platz gebe für Kandidaten, die keiner der beiden großen Parteien angehörten. »Menschenrechtler beobachten mit Sorge«, so der russische Report, »daß unabhängige Kandidaten von den Wahlen und öffentlichen Ämtern ausgeschlossen sind«. Zugleich wird die »Praxis der Ernennung von Senatoren durch die Gouverneure der Bundesstaaten in bestimmten Fällen« kritisiert. Als Beispiel wird Rod Blagojevich, der ehemalige Gouverneur von Illinois, genannt, der versucht hatte, Barack Obamas frei gewordenen Senatorenposten meistbietend zu verkaufen.

Der Bericht aus Moskau verweist zudem auf die zunehmende Einschränkung der Presse- und Redefreiheit in den USA. So haben Journalisten inzwischen nur noch in Ausnahmefällen das Recht, ungestraft ihre Informationsquellen geheimzuhalten. Auch die zunehmende Häufigkeit, mit der US-Journalisten ihren Job verlieren, weil sie »politisch unkorrekte« Bemerkungen machen, wird in dem Bericht angeprangert. So hatten z.B. zwei bekannte Journalistinnen, die Mittelostredakteurin bei CNN Octavia Nasr und die legendäre Weiße-Haus-Korrespondentin Helen Thomas, ihre Jobs wegen einer »politisch inkorrekten« Bemerkung verloren. Thomas, weil sie im Mai 2010 gegenüber einem Rabbi gesagt hatte, die Israelis sollten »schleunigst aus Palästina verschwinden«, und Octavia nach 20 Jahren bei CNN, weil sie in einer Twitter-Botschaft ihrer Bewunderung für den im Juli 2010 verstorbenen, libanesischen Großajatollah Mohammed Faldlallah Ausdruck verliehen hatte.

** Aus: junge Welt, 3. Januar 2011

Völkerrecht: Verbrechen im Libyen-Krieg ***

Die von den USA geführte NATO schneidet in dem Menschenrechtsbericht des russischen Außenministeriums ebenfalls schlecht ab. So belegt der Moskauer Report z.B., daß die Streitkräfte der westlichen Allianz bei ihrem jüngsten Angriffskrieg gegen Libyen wiederholt gegen das humanitäre Völkerrecht verstoßen haben, einerseits wegen der Tötung vieler Zivilisten und andererseits weil sie nicht einmal versucht habe, die zahlreichen Verbrechen der von ihr unterstützten libyschen Opposition zu verhindern. Tatsächlich ergäben die Statistiken über die zivilen Opfer das Bild einer militärischen Operation, die selbst im besten Fall als »rücksichtslos« bezeichnet werden müsse.

Das Dokument des russischen Außenministeriums betont, daß die NATO bestreitet, für den Tod von Zivilisten in Libyen verantwortlich zu sein. »Die NATO sagt, sie habe die Ziele für die Bombardierung gründlich ausgewählt, um so Opfer unter der Zivilbevölkerung auszuschließen. Sie behauptet sogar, daß es ohne die NATO-Bomben noch viel mehr zivile Opfer gegeben hätte und bezieht sich dabei auf entsprechende Aussagen des (von der NATO unterstützten) Nationalen Übergangsrats der libyschen Rebellen.« Statt dessen weise die NATO Berichte über zivile Opfer ihres Bombenkriegs als Propaganda des ehemaligen Ghaddafi-Regimes zurück, so das russische Außenministerium, das dann jedoch anhand von Berichten von Augenzeugen und sogar von NATO-freundlichen Medien das Gegenteil belegt.

Weiter heißt es in dem Bericht: »Die NATO hat keine einzige wirksame Maßnahmen gegen die zahlreichen Verbrechen wie Mord, Folter und rassistische Gewalt ergriffen, die von der bewaffneten libyschen Opposition begangen und von internationalen Menschenrechtsorganisationen registriert wurden. Durch ihre Untätigkeit hat die NATO die Verbrechen der Rebellen gebilligt und letztlich befördert.« Zu diesen gehörten auch die Lynchmorde an Mitgliedern der ehemaligen libyschen Regierung. Dazu hätten die Rebellen »nur die stillschweigende Zustimmung der NATO gebraucht«. (rwr)

*** Aus: junge Welt, 3. Januar 2011




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