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"Warum hassen sie uns?"

US-Publizisten diskutieren die Frage, ob ein strategischer Rückzug aus dem Nahen und Mittleren Osten nicht unvermeidlich ist

Von Rainer Rupp *

In den USA steht derzeit allerorten die Frage im Vordergrund »warum hassen sie uns?« Daß die US-Amerikaner immer noch überrascht sind, daß ihre Regierung von vielen Menschen von Marokko bis Indonesien und Nigeria gehaßt wird, »ist dabei die größte Überraschung«, grübelte jüngst Eric Margolis in einem Kommentar der libertären Lew Rockwell Institution. Viele Amerikaner glaubten immer noch, sie seien unschuldige Zuschauer und in der islamischen Welt höchstens mit altruistischen »Missionen« beteiligt, um die unwissenden Eingeborenen aus ihrem Elend zu befreien und selbstlos die schwere Last der Polizeiarbeit in einer widerspenstigen Welt zu schultern.

Offensichtlich habe die US-Gesellschaft immer noch nichts verstanden, konstatierte der Kenner der arabischen und islamischen Welt. Wenn sich alle nun auf das Mohammed-Schmähvideo als Erklärung für die antiamerikanischen Unruhen stürzen, dann sei das nicht zu kurz sondern total daneben gegriffen. Die Muslime würden weder die Christen, noch amerikanisches Fast Food, noch die US-Konsumgesellschaft oder Demokratie hassen. Was sie tatsächlich aufbringe, seien »die Bestrebungen des amerikanischen Imperiums, seine eigenen strategischen, wirtschaftlichen und politischen Vorteile voranzubringen und vom Globus so viel wie möglich unter seine Herrschaft zu bringen«, so Margolis. »Der Mittlere Osten brodelt mit Antiamerikanismus. Washington unterstützt eifrig einige der weltweit reaktionärsten und am meisten verhaßten Regime, insbesondere die mittelalterlichen Monarchien in Arabien und das finstere Militärregime in Algerien. Amerikas Streitkräfte und die CIA führen jetzt militärische Operationen und Mordaufträge in sechs muslimischen Nationen durch: Afghanistan, Pakistan, Jemen, Somalia, Mali, und zuletzt, Libyen. US-Truppen in Ost- und Nordafrika. Der Irak ist als Gesellschaft und funktionierender Staat zerstört worden. Es gibt neun Millionen palästinensische Flüchtlinge, zwei Millionen afghanische und zwei Millionen irakische Flüchtlinge, und nun wird Syrien von Aufständischen, die von den USA und den Saudis unterstützt werden, auseinandergerissen.«

Margolis prophezeit dem US-Imperialismus das gleiche Ende, wie es das britische Weltreich erleben mußte. Denn Washington sei ebenso wenig gewillt, seine Weltherrschaftpläne aufzugeben wie einst London. Wie damals das Vereinigte Königreich so seien heute auch die USA total überschuldet und sie stünden ebenfalls vor einer ruinierten Wirtschaft.

Ein zu diesem Thema am Mittwoch in der New York Times erschienener Kommentar von Pankaj Mishra, Autor des Buches »From the Ruins of Empire« (Aus den Ruinen des Imperiums) kommt zum gleichen Schluß. »Die lange Geschichte seiner Komplizenschaft mit Diktatoren, vom Schah von Iran, Saddam Hussein und Hosni Mubarak, haben Amerikas Fähigkeit, in der Region die Ereignisse zu diktieren, tiefgreifend beschädigt«, heißt es bei Mishra. Der Glaube amerikanischer Politiker, daß dies »durch ein paar beruhigende Reden« des US-Präsidenten überwunden werden könnte, verrate »das ganze Ausmaß ihrer überheblichen Ignoranz, mit der sie sich dem sogenannten arabischen Geist nähern, der – so glaubten sie noch bis vor kurzem – nur für brutale Gewalt empfänglich sei«. Angesichts der fundamentalen und so schnell nicht wieder zu reparierenden wirtschaftlichen Schwäche der USA könne »die Notwendigkeit eines strategischen Rückzugs aus dem Mittleren Osten und Afghanistan kaum überzeugender dargelegt werden«. Ob des gerade angebrochenen »post-westlichen Zeitalters« sei ein Rückzug der USA »ohnehin unvermeidlich«, resümiert Mishra.

* Aus: junge Welt, Freitag, 28. September 2012


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