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"Obama setzt Bushs Politik fort"

Gespräch mit Ben Wizner. Über die ausstehende Schließung von Guantánamo, die Wiederbelebung von Militärtribunalen und die schützende Hand über Folterverantwortliche im Weißen Haus


Der Anwalt Ben Wizner von der Bürgerrechtsvereinigung ACLU (American Civil Liberties Union) ist Experte für die Nationale Sicherheitspolitik. Der Jurist vertrat vor einigen Jahren den Deutschen Khaled Al-Masri aus Ulm, der während einer Reise nach Mazedonien vom US-Geheimdienst CIA nach Afghanistan entführt und auf dem Militärstützpunkt Bagram mißhandelt wurde. Die ACLU setzt sich seit 90 Jahren für Bürgerrechte ein. Die Nichtregierungsorganisation hat nach eigenen Angaben über 500000 Mitglieder und Unterstützer. Sie betreut jährlich etwa 6000 Verfahren vor Gericht.

Der Vorsitzende der ACLU Anthony Romero erklärte noch im Frühling, er sei von der Politik Barack Obamas angewidert. Kürzlich veröffentlichte die ACLU einen von Ihnen mitverfaßten Bericht zur Lage der Bürgerrechte mehr als 18 Monate nach dem Amtsantritt Obamas, der den Titel »The New Normal« trägt. Wie sieht denn die neue Normalität unter Obama aus?

Einiges unserer Kritik betrifft Präsident Obama. Vieles hat wenig mit ihm zu tun. Es ist auch eine Kritik des amerikanischen Systems. Man könnte sagen, daß selbst ein idealistischer Präsident, der mit großer populärer Unterstützung ins Amt gekommen ist, diese Dinge nicht so lösen konnte, wie er es möglicherweise als Kandidat, Senator und Juraprofessor wollte. Aber das ist kein Grund, von ihm abzulassen. Es gibt bestimmte Entscheidungen, die Obama getroffen hat.

Welche?

Es ist beachtlich, daß bislang kein einziger hochrangiger Verantwortlicher für die Folterpolitik George W. Bushs angeklagt wurde. Andererseits wäre es ebenso beachtlich, wenn es eine Anklage geben würde. Denn in der Geschichte der Vereinigten Staaten gab es das noch nicht. Unsere politischen Führer wurden noch nie zur Rechenschaft gezogen, noch nicht einmal für schwere Verbrechen. In Anbetracht der weltweiten Bewegung gegen die Straflosigkeit bezeichnen zahlreiche Menschenrechtler dies als eine Katastrophe und einen Rückschritt vom 20. Jahrhundert. Es ist ein eigentümliches Verhältnis der USA, die einerseits Führung und Inspiration für die Rechts- und Gerichtssysteme anderer Länder anbieten, andererseits jedoch sich selbst nicht als Teil dieses Systems zu sehen scheinen. Nicht ein einziger Verantwortlicher der Folterpolitik hatte seinen Tag im Gericht, ebenso wenig sahen Opfer der Folter eine Entschädigung. Ein historischer Fehler der Obama-Administration.

Guantánamo ist weiterhin und die Militärtribunale sind wieder in Betrieb. War die Anordnung zur Schließung des Gefangenenlagers nur ein leeres Versprechen der neuen Administration?

Ich glaube, daß die US-Regierung Guantánamo schließen will. Doch sie plant das in einer Weise, die die Prinzi­pien von Guantánamo im amerikanischen Recht und in der amerikanischen Gesellschaft festigen würde. Danach soll das Militär Menschen auch nach der Schließung des Lagers weitab von konventionellen Schlachtfeldern festnehmen und ohne Anklage oder Gerichtsverfahren auf unbestimmte Zeit festhalten dürfen. Obama hat rhetorisch Abstand von der Bush-Politik genommen, indem er beispielsweise den weitergehenden Begriff vom »Krieg gegen den Terror« durch »Krieg gegen Al-Qaida« ablöste. Faktisch setzt seine Administration aber die Politik Bushs fort, nach der sie weltweit Menschen aufgreift und in Gefangenenlagern wie in Guantánamo oder Bagram unbegrenzt festhält. Statt dessen sollten diese Menschen entweder vor ordentlichen Gerichten als Kriminelle angeklagt oder freigelassen werden.

Obama gab auch den Begriff des »feindlichen Kämpfers« auf und beschränkt sich nun auf Mitglieder oder Unterstützer von Al-Qaida. Wie wirkt sich die neue Semantik aus?

Die neue Bezeichnung erlaubt eine Inhaftierung, solange die Feindseligkeiten andauern. Wenn wir allerdings über einen Krieg gegen Terror oder eine Terrororganisation sprechen, verliert diese Regel ihre Bedeutung. Sie ist so vage, daß es hier tatsächlich um eine unbegrenzte Haft geht. Wir wissen nicht nur nicht, wann dieser Krieg endet, sondern auch nicht, wie er enden sollte oder was es heißt, daß er endet. Es gibt weder geografische noch zeitliche Grenzen. Der Präsident hat damit die Kompetenz, Menschen unbegrenzt festzuhalten, ohne ihre mutmaßlichen Verbrechen zu verfolgen. Dies wird deutlich an der Ankündigung der Administration, 50 Häftlinge in Guantánamo weder anzuklagen noch freizulassen.

Inwiefern unterscheidet sich die Ermächtigungsgrundlage, auf die sich Obama bezieht, von der der Bush-Administration?

Bush berief sich auf die US-Verfassung, die ihm als Commander in Chief das Recht gebe, Menschen – inklusive US-Amerikaner – ohne Verfahren auf unbestimmte Zeit festzuhalten. Er bestand auch darauf, daß Häftlinge keinen Zugang zu Rechtsanwälten oder Gerichten bekommen würden, wobei ihm der Supreme Court mehrmals einen Strich durch die Rechnung machte. Obama dagegen beruft sich auf die Autorisierung von kriegerischen Maßnahmen gegen die Taliban und Al-Qaida in Afghanistan durch den Kongreß nach den Anschlägen vom 11. September. Wenn du jemand bist, der in Guantánamo inhaftiert ist – von Kopfgeldjägern an die Nordallianz verkauft und anschließend an die Amerikaner übergeben – und nun nach acht Jahren angeklagt wird, macht das keinen Unterschied. Aber rechtlich ist das ein bedeutender Unterschied. Sollte der Kongreß die Autorisierung der Kriegsführung eingrenzen, müßte der Präsident sich dem unterordnen. Unsere Befürchtung ist jedoch, daß der Kongreß unter den gegenwärtigen Umständen dem Präsidenten noch mehr Macht geben würde.

Unmittelbar nach seiner Amtseinführung verbot Obama die Geheimgefängnisse der CIA. Sie haben bislang zahlreiche Opfer des Geheimdienstes anwaltlich vertreten. Inwieweit haben sich die Voraussetzungen für ein faires Verfahren oder eine Entschädigung durch die neue Administration geändert?

In einem aktuellen Verfahren vertrete ich fünf Opfer des geheimen Auslieferungsprogramms der CIA, darunter einige Bürger aus Großbritannien wie Binyam Mohammed. Dieses Verfahren lief nicht gegen die Regierung, sondern gegen ein Tochterunternehmen von Boeing, das im Auftrag der CIA die geheimen Foltertransporte organisierte, sich um die nötigen Papiere kümmerte und Sicherheit am Boden garantierte. Es ging im wesentlichen darum, das geheime Programm der CIA zu decken. Dazu reichte das Unternehmen beispielsweise falsche Flugpläne ein. Es waren Folterflüge, von denen das Unternehmen ansehnlich profitierte. In diesem Fall behauptete die CIA gemäß dem State Secrets Privilege, daß der gesamte Streitgegenstand ein Staatsgeheimnis sei und die Verhandlung eine Gefahr für die nationale Sicherheit darstelle. Das von der Rechtsprechung entwickelte Instrument erlaubt es der Exekutive, die Herausgabe von geheimen Dokumenten in Gerichtsverfahren unter Verweis auf Staatsgeheimnisse und der mit ihrer Veröffentlichung drohenden Gefahr für die nationale Sicherheit zu verweigern. Das betrifft in der Regel die Namen von Agenten, das Design eines geheimen Waffenprogramms oder bestimmte Überwachungsmethoden.

Das Gericht akzeptierte die Erklärung und verwarf die Klage. Die mündliche Verhandlung im Berufungsverfahren fand in der dritten Woche von Obamas Präsidentschaft statt. Die Öffentlichkeit wie die Medien erwarteten, daß es in dem Verfahren einen Wandel in der Position der Beklagtenseite geben würde. Vizepräsident Joe Biden hatte wie Außenministerin Hillary Clinton eine Gesetzesinitiative zur Einschränkung des State Secrets Privilege unterstützt. Selbst Präsident Obama hatte sich kritisch über die expansive Anwendung des Instruments durch die Bush-Administration geäußert. Doch als die Regierungsanwälte der neuen Administra­tion im Gerichtssaal Platz nahmen, stand fest, daß sie sich auch weiterhin auf das State Secrets Privilege berufen würden. Die Richter sahen den Umgang der Bush-Administration mit dem State Secrets Privilege kritisch und reagierten überrascht. Daß die Obama-Administration wie die Vorgängerregierung vorging, paßte nicht zur Botschaft des Wandels. Das war für viele Beobachter ein erster Hinweis, daß es in diesem Feld ein Wandel nicht gab und Folterer auch unter Obama nicht zur Rechenschaft gezogen werden würden.

Welche Gefahren sehen Sie in dieser Herangehensweise?

Es macht als eine politische Strategie Sinn, aber es ist verheerend für die Herrschaft des Rechts. Obamas Handlungen entsprachen seiner Botschaft, »nach vorne zu blicken, anstatt zurück«. Eine Aufarbeitung der Vergangenheit sollte es nicht geben. Die Täter, die diese Verbrechen gegen meine Mandanten begangen haben, werden nicht zur Rechenschaft gezogen und meine Mandanten haben auch keine Möglichkeit zur Entschädigung. Doch dies betrifft nicht nur die Opfer. Auch das juristische System der USA ist geschädigt. Wir hatten nicht eine einzige Entscheidung, die sich mit der Rechtmäßigkeit dieser Operationen befaßt hat. Damit könnte schon der nächste Präsident nach Obama die Anordnung in den Müll befördern. Es ist kein Gesetz. Und es gibt keine Gerichtsentscheidung, die deutlich machen würde, daß ein solches Verhalten strafbar ist. Eine Wiederholung ist damit ohne weiteres möglich.

Eines ist allerdings auch klar. Die Aufarbeitung der Vergangenheit braucht mehr Zeit, das zeigen Beispiele wie ehemalige Diktaturen in Chile oder Argentinien. Es ist besonders schwierig, da die Opfer nicht unsere Brüder, Schwestern, Onkel, Psychiater oder Professoren sind. Sie sind Ausländer, die wir noch nie gesehen haben, die in Gefängnissen im Ausland festgehalten und von der vorangegangenen Administration dämonisiert wurden. Wir haben daher nicht die gleiche emotionale Reaktion darauf.

Im Frühjahr veröffentlichte die ACLU angesichts der Spekulationen zur Verwendung von Militärtribunalen für die vermeintlichen Hintermänner der Anschläge vom 11. September 2001 eine Anzeige in der New York Times, die das Porträt ­Obamas zeigte, das sich in das Gesicht Bushs verwandelte. Der Titel lautete »More of the Same?« Steht das Fragezeichen noch oder haben Sie inzwischen eine klare Antwort?

Zum einen haben wir mit der neuen Administration eine Regierung, die sich für die Geltung von Menschenrechten einsetzt. Es gibt zudem ohne Zweifel Mitarbeiter, die sich für positive Änderungen von innen einsetzen. Wir wissen möglicherweise nicht, wie erfolgreich sie sind. Ich glaube, daß es etwa keine Mißhandlungen bei Verhören mehr gibt. Sollte es das noch geben, ist es zumindest nicht mehr eine politische Methode, sondern eine Abweichung davon. In der vergangenen Administration war Folter das Gesetz des Landes. Das ist der Unterschied: Die Obama-Administration hat den Willen im Rahmen des gesetzlichen Rahmens zu handeln. Sie respektiert etwa die Autorität des Kongresses. Sie behauptet nicht, daß der Präsident über dem Recht stehe. Das ist ein Wandel.

Wenn es jedoch zu bestimmten Methoden kommt, gibt es eine bemerkenswerte Kontinuität. Auch die Obama-Administration hat das Recht für sich in Anspruch genommen, Menschen ohne Verfahren langfristig zu inhaftieren und Klagen von Opfern zu blockieren. Auch die Entscheidung, überall auf der Welt Menschen durch ferngesteuerte Raketen zu töten, die nach Ansicht der US-Regierung Terrorverdächtige sind, ist beunruhigend.

Wie stehen denn die Chancen für Verfahren gegen die vermeintlichen Hintermänner der Anschläge vom 11. September vor ordentlichen Gerichten?

Die Obama-Administration hat bislang offen gelassen, ob sie tatsächlich vor Bundesgerichten angeklagt werden und ist mit dem Thema zweideutig umgegangen. Die Aufgabe des Rechtsstaates unter der ­Bush-Administration führte unter anderem dazu, daß die mutmaßlichen Attentäter unter der Bush-Administration nicht zur Rechenschaft gezogen wurden. Es ist ein skandalöser und beschämender Fehlschlag. Fast zehn Jahre nach den Anschlägen vom 11. September ist kein einziger der mutmaßlichen Verantwortlichen angeklagt worden. Der einzige Verurteilte ist Zacarias Massaoui, der tatsächlich gar keine Rolle bei den Anschlägen hatte. Wie die Administration mit dieser Sache umgehen wird, wird ein Indikator auch für weitere Verfahren. Wenn der vermeintliche Hintermann der Anschläge erfolgreich vor einem ordentlichen Strafgericht verurteilt würde, wäre das ein wichtiges Signal. Es gäbe keinen Grund mehr, andere Terrorverdächtige nicht vor ordentliche Gerichte zu stellen. Daher war die Ankündigung des Justizministeriums so wichtig, und aus demselben Grund gab es auch wütende Reaktionen der Konservativen.

Das Internationale Komitee vom Roten Kreuz hat im Frühjahr die Existenz von mindestens einem Geheimgefängnis in Afghanistan bestätigt. Sind diese Einrichtungen auf Militärbasen mit dem System Bushs vergleichbar?

Auch wenn wir noch nicht genug darüber wissen, scheint klar zu sein, daß es einen kategorischen Unterschied gibt. Diese Gefängnisse erlauben Spezialkräften, Menschen bis zu zwei Wochen festzuhalten. Erst danach müssen ihre Namen an das Rote Kreuz weitergegeben werden. Die Bush-Administration hat Menschen jahrelang festgehalten, ohne ihre Verwandten, betroffene Regierungen oder das Rote Kreuz zu informieren. Ein weiteres Gebiet, über das es nicht genügend Informationen gibt, ist das Auslieferungsprogramm. Die Bush-Administration hatte die Auslieferungen in Folterländer organisiert. Es ist kaum möglich, daß ein solches Programm in einem großen Rahmen von Obama organisiert wird. Wir wissen nicht, was da abläuft und auf welche Kompetenzen sich die Obama-Regierung stützt. Doch unter der Bush-Administration waren Fami­lienangehörige der Betroffenen und Menschenrechtsgruppen die ersten, die diese Praxis kritisierten. Unter Obama hören wir keine solchen Berichte.

Wie ist das Verhältnis der ACLU zur US-Regierung?

Wir haben regelmäßige Gespräche. Mitglieder der ACLU arbeiten in der Administration ebenso wie Mitglieder anderer Menschenrechtsgruppen. Das Weiße Haus war nicht begeistert von unserer Kritik etwa in der New York Times-Anzeige, in der wir Obama mit Bush verglichen. Aber wir sind keine Parteiorganisation. Wir beurteilen Obama anhand seiner Politik. Unsere Ansichten werden im Weißen Haus gehört. Das ist definitiv anders als in der vorangegangenen Administration. Wir arbeiten an dem Verhältnis, und es ist wichtig, Fortschritte anzuerkennen und den Druck aufrechtzuerhalten.

Wie beurteilen Sie die in Betrieb genommenen Militärtribunale unter Präsident Obama?

Wir empfahlen der Regierung nachdrücklich, das fehlgeschlagene Experiment mit den Militärkommissionen aufzugeben. Die Legitimität der Tribunale war angesichts ihrer schändlichen Geschichte vollkommen erschüttert.

Der Präsident wies daher den Kongreß an, die Verfahren zu modifizieren ...

Der neue Military Commissions Act von 2009 sieht mehr Mittel für die Verteidigung vor, und Aussagen des Angeklagten, die unter Zwang erlangt wurden, sind nicht mehr zulässig. Das ist nicht nichts. Dennoch erlaubt auch das neue Gesetz Ausnahmen: die Verurteilung auf der Basis von Zeugen vom Hörensagen, die über Aussagen, die unter Zwang erwirkt worden, berichten. Es ist etwa möglich, daß ein Häftling aus Guantánamo auf Grundlage einer Aussage eines anderen Häftlings aus dem Gefangenenlager verurteilt wird, der inzwischen nicht mehr in Guantánamo ist und damit auch nicht mehr dem Verfahren zur Verfügung steht und der bei seiner Aussage mißhandelt wurde. In keinem legitimen Gerichtssystem wäre das möglich. Es ist zudem bemerkenswert, daß der erste Fall einer Militärkommission unter Obama der eines Kindersoldaten ist. Omar Khadr wurde als 15jähriger von seinen Eltern auf das Schlachtfeld gebracht. Selbst wenn die Vorwürfe gegen ihn zutreffen, ist er immer noch ein Opfer von Menschenrechtsverletzungen sowie Täter. Sollte das Verfahren gegen ihn fortgesetzt werden, wäre das ungemein peinlich für die ­Obama-Administration.

Es gibt darüber hinaus auch keinen Grund, ein neues Rechtssystem mit neuen Regeln zu schaffen, wenn es ein bestehendes System gibt, das deutlich besser geeignet ist, mit diesen Verbrechen umzugehen. Es ist keine Frage, daß Militärtribunale die Anklagebehörde bevorzugen. Sie wurden geschaffen, um Verurteilungen zu erleichtern. Wenn die Administration allerdings die Wahl hat zwischen einem System, das fair ist und einem anderen, das Verurteilungen erleichtert, dann unterminiert das die Legitimität beider Systeme. Es bleibt der Eindruck, daß die Bundesgerichte nur in den Fällen Verfahren führen sollen, in denen die Regierung sehr starke Beweise hat. Die Militärkommissionen werden dagegen für »schwache« Fälle mit einer schlechteren Beweislage verwendet. Ein fairer Prozeß bedeutet nicht, der Anklagebehörde zwei Systeme zur Wahl zu stellen: »Gerechtigkeit« oder ein »bißchen Gerechtigkeit«.

Auch die Effizienz der Militärtribunale wird häufig kritisiert ...

Die Militärkommissionen waren ein katastrophaler Fehlschlag in jeder Hinsicht. Neben ihrer mangelnden Rechtmäßigkeit und Glaubwürdigkeit waren sie auch ineffizient. In den vergangenen acht Jahren gab es nur vier Verurteilungen, in zwei davon gab es Strafen von weniger als einem Jahr. Die Urteile sind in der Berufungsinstanz zudem leicht angreifbar, da das Verfahren vollkommen neu ist. Die ordentliche Gerichtsbarkeit hat dagegen im gleichen Zeitraum Hunderte Urteile produziert. Es sind alles Gründe, unser bewährtes rechtsstaatliches System zu nutzen. Die Opfer der Anschläge warten bis heute, daß die Täter angeklagt und verurteilt werden.

Haben Sie unter diesen Umständen noch Hoffnung auf den versprochenen Wandel?

Unsere Hoffnung bezieht sich nicht auf bestimmte Präsidenten. Es hilft, im Auge zu behalten, welchen Wandel die USA in den vergangenen hundert Jahren durchgemacht haben und die Art der – erfolgreichen – Kämpfe, an denen sich auch die ACLU beteiligt hat, von der Rassentrennung bis zum Einsatz für Schwule und Lesben. Es ist unsere Aufgabe, Druck für den Wandel auszuüben. Unser Land wird immerhin nicht mehr von Kriegsverbrechern regiert, und das ist schon ein großer Unterschied.

* Von Philipp Schläger ist dieser Tage im Rotbuch-Verlag der Band »Der entzauberte Präsident. Barack Obama und seine Politik« (192 Seiten, 9,95 Euro) erschienen. Der in New York lebende Autor stellt das Buch an diesem Sonntag (14 Uhr) auf der Frankfurter Buchmesse am jW-Stand (Halle 3.1, Stand A 198) vor.

Interview: Philipp Schläger

Aus: junge Welt, 11. Oktober 2010


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