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Streitfrage: Steht Barack Obama für eine bessere US-Politik?

Es debattieren: Andreas Zumach, freier Journalist der "tageszeitung" (taz), und Ingar Solty, Politikwissenschaftler an der York University in Toronto. Tobias Pflüger zu "Obamas Lastenteilung"

Am 21. November erschien das "Neue Deutschland" mit einer Kontroverse über die zu erwartende Politik des designierten US-Präsidenten Barack Obama. Wir dokumentieren die beiden Beiträge und ergänzen sie um einen Kommentar des linken Europa-Abgeordneten Tobias Pflüger, in dem er vor allem Obamas Beraterstab unter die Lupe nimmt. Einen weiteren Beitrag, der sich mit der außen- und friedenspolitischen Konzeption des president-elect befasst, haben wir an anderer Stelle publiziert: Afghanistan after Bush



Obama bietet Anlass zu vorsichtiger Hoffnung

Von Andreas Zumach *

Die Startbedingungen für einen neuen US-Präsidenten waren noch nie so ungünstig, seit Roosevelt drei Jahre nach der Weltwirtschaftskrise von 1929 ins Weiße Haus einzog. Kann Barack Obama unter diesen Bedingungen den im Wahlkampf versprochenen innen-wie außenpolitischen »Wandel« umsetzen? Will er das überhaupt? Die Antwort lautet: Ja, er könnte (»Yes, he could«). Und dass er will - zumindest bei einer ganzen Reihe von Themen - zeigt u. a. Obamas Ankündigung, er werde gleich nach seinem Amtsantritt am 20. Januar über 200 präsidiale Direktiven von Bush außer Kraft setzen.

Seine Bereitschaft zu der im Wahlkampf versprochenen, multilateralen, auf Kooperation angelegten Außenpolitik könnte der neue Präsident schon sehr bald mit einigen konkreten Maßnahmen beweisen, die allesamt nicht erst die langwierige Ausarbeitung neuer außenpolitischer Konzeptionen erfordern. Mit Blick auf den Klimawandel, bei dessen Bekämpfung Obama diese Woche eine künftige »Führungsrolle der USA« reklamierte, könnte er das Kyoto-Klimaschutz-Protokoll unterschreiben und die vorbehaltlose Teilnahme der USA an den für Herbst 2009 geplanten Verhandlungen im Rahmen der UNO über ein Kyoto-Nachfolgeabkommen ankündigen. Zudem könnte Obama das Statut des Internationalen Strafgerichtshofs unterzeichnen und dem Senat zur zügigen Ratifizierung zuleiten. Vorstellbar ist auch, dass Obama die völkerrechtswidrige Einstufung der Guantanamo-Häftlinge als »rechtlose Kämpfer« korrigiert und ausdrücklich anerkennt, dass die Genfer Konventionen auch für diesen Personenkreis uneingeschränkt gelten. Zudem könnte Obama einen konkreten Zeitpunkt für die Schließung Guantanamos benennen.

Mit derartigen Maßnahmen gleich zu Beginn seiner Amtszeit würde Obama weltweit auf Beifall stoßen und die Voraussetzungen verbessern für die Bewältigung der fünf größten außenpolitischen Herausforderungen, die zumindest seine erste Amtszeit bestimmen dürften: Irak, Afghanistan, Russland, Iran sowie Israel/Palästina.

Im Irak wird Obama nur einen Wandel bewirken, wenn er über den versprochenen Abzug aller 75 000 Kampftruppen (»combat troops«) innerhalb von 16 Monaten auch die übrigen 75 000 US-Soldaten abzieht und sämtliche US-Militärstützpunkte schließt. Mit Blick auf Afghanistan kündigte Obama im Wahlkampf zwar eine Eskalation des - auch nach Einsicht führender US-Militärs - längst gescheiterten Krieges gegen die Taliban an sowie Druck auf Deutschland und andere NATO-Verbündete, sich noch stärker als bisher mit eigenen Truppen an diesem Krieg zu beteiligen. Seit der Wahl gibt es jedoch einige Äußerungen aus dem Umfeld Obamas, wonach die künftige US-Regierung doch zu einem grundlegenden Strategiewechsel in Afghanistan und zur Beendigung des Krieges bereit sein könnte.

Anlass zu vorsichtiger Hoffnung gibt auch der Umstand, dass Obama nach seinen Telefonaten mit den Präsidenten Polens und Georgiens deren Behauptungen dementieren ließ, er habe seinen beiden künftigen Amtskollegen die Fortführung des »Raketenabwehr«-Projekts in Polen und Tschechien sowie der Bemühungen um eine Aufnahme Georgiens und der Ukraine zugesagt. Ein Verzicht Obamas auf diese beiden Vorhaben wäre die wichtigste Voraussetzung, um die politische Konfrontation mit dem wiedererstarkten Russland zu deeskalieren und einen neuen Rüstungswettlauf zwischen Washington und Moskau zu vermeiden. Hilfreich hierfür wäre auch, wenn Obama sein Wahlkampfversprechen, neue Rüstungskontollverhandlungen mit Russland aufzunehmen (u. a. über Weltraumwaffen sowie überein Nachfolgeabkommen für den 2009 auslaufenden START-Vertrag zur Begrenzung strategischer Atomwaffen), möglichst schnell in die Tat umsetzen würde.

Am vordringlichsten wäre eine Kurskorrektur der amerikanischen Iran-Politik, mit der eine Deeskalation und die Beilegung des Konflikts um das iranische Atomprogramm ermöglicht und ein Krieg mit Teheran verhindert wird. Obama kann dies erreichen, wenn er sich, wie im Wahlkampf mehrfach versprochen, ohne Vorbedingung mit dem iranischen Präsidenten Mahmud Ahmadineschdad trifft. Und wenn er die ultimative und kontraproduktive Forderung an Teheran, die Anreicherung von Uran vollständig und dauerhaft einzustellen, aufgibt. Zu dieser Kurskorrektur raten dem neuen Präsidenten in Washington führende außenpolitische Experten aus dem liberalen wie aus dem konservativen Lager. Eine Normalisierung des Verhältnisses zu Iran würde Präsident Obama auch die politische Bewegungsfreiheit verschaffen, um endlich eine gerechte und tragfähige Friedenslösung des israelisch-palästinensischen Konflikts herbeizuführen. In dieser Frage hat Obama bislang allerdings die größten Zweifel geschaffen, ob er überhaupt einen Wandel der amerikanischen Politik will.

Sein Wahlkampfversprechen vor AIPEC, der einflussreichsten Lobbyorganisation der israelischen Regierung in den USA, er werde sich einsetzen für »Jerusalem als ungeteilter Hauptstadt des jüdischen Staates Israel«, steht im Widerspruch zum Völkerrecht und fällt noch hinter die Bush-Politik zurück. Im besten Fall waren diese Aussagen reine Taktik Obamas, um zumindest bis zum Wahltag eine gegen ihn gerichtete Kampagne der israelischen Regierungslobby zu verhindern, die ja bereits im Vorwahlkampf Hillary Clinton unterstützt hatte.

Bestärkt wurden die Sorgen vieler für einen gerechten Nahostfrieden Engagierter inzwischen allerdings durchs Obamas erste Personalentscheidung, mit der er den israelischstämmigen Rahm Emanuel zu seinem Stabschef im Weißen Haus ernannte. Doch im besten Fall war auch diese Entscheidung ein geschickter Schachzug des künftigen Präsidenten aus der Überzeugung, dass - wenn überhaupt - eine Kurskorrektur der amerikanischen Nahostpolitik innenpolitisch (gegen Widerstände im Kongress) und außenpolitisch (gegen eine israelische Regierung, die nach den Wahlen im Februar möglicherweise von dem Hardliner Benjamin Netanjahu angeführt wird), nur mit solchen Personen an den Schaltstellen der Macht durchsetzbar ist.

Andreas Zumach, Jahrgang 1954, ist freier Journalist am UNO-Sitz in Genf und Korrespondent der Berliner »tageszeitung« (taz). Der studierte Volkswirt war in den achtziger Jahren Mitarbeiter der »Aktion Sühnezeichen/Friedensdienst« und einer der Sprecher des bundesweiten Koordinierungsausschusses der Friedensbewegung. Thematisch beschäftigt sich Zumach u. a. mit den Konflikten auf dem Balkan und dem Kaukasus sowie mit Iran und den Vereinten Nationen.


Obamas "Lastenteilung"

Von Tobias Pflüger

In den USA wurde ein neuer Präsident gewählt. Einerseits bedeutet die Wahl einen grundlegenden Wandel im innenpolitischen Klima in den USA. Freunde vor Ort bestätigen dies. Viele Hoffnungen sind - auch in Europa - mit der Wahl Barack Obamas verbunden. Doch gerade aus friedenspolitischer Sicht besteht wohl eher Anlass zur Besorgnis. Denn für sein Übergangsteam rekrutierte Obama fast ausschließlich Personen aus dem Umfeld des früheren Präsidenten Bill Clinton, dessen Regierung 1999 maßgeblich für den völkerrechtswidrigen Angriffskrieg gegen Jugoslawien verantwortlich war. So berief Obama mit dem damaligen NATO-Oberbefehlshaber Wesley Clark einen der Protagonisten dieses Angriffskrieges in seinen engeren Beraterkreis.

Generell ist es ist frappierend, mit welcher Wucht die »Clintonians« gegenwärtig an die Schaltstellen der Macht zurückkehren. Auf dem G 20-Finanzgipfel ließ sich Obama u. a. durch die ehemalige Außenministerin Madeleine Albright vertreten. Mit Rahm Emanuel wurde zudem ein enger Clinton-Vertrauter zum Stabschef ernannt. Emanuel verfügt über engste Kontakte zum »Democratic Leadership Council«, dem 1988 gegründeten Sammelbecken der »War Democrats«, die sich für eine wirtschaftsfreundliche und militaristische demokratische Außenpolitik einsetzen. So fordert Emanuel u. a. eine Aufstockung der US-Armee um 100 000 Soldaten. Von einem grundlegenden »Change« kann in Bezug auf die Außenpolitik keine Rede sein.

Zu Obamas Beratern zählen auch Samantha Power und Michael McFaul, beide glühende Anhänger »humanitärer« Interventionen. Kein Zufall, gab Obama selbst doch an, im Falle von Menschenrechtsverletzungen müssten die USA »dort intervenieren, wo dies möglich ist«. Eine seiner häufigen Formulierungen war: »Ich bin nicht gegen alle Kriege, ich bin nur gegen dumme Kriege.«

Was die amerikanisch-russischen Beziehungen anbelangt, die gegenwärtig in einen »Neuen Kalten Krieg« abzugleiten drohen, ist die Berufung Zbigniew Brzezinskis in den Beraterkreis ein beunruhigendes Zeichen. Zum Georgienkrieg verglich Brzezinski Putins Vorgehen mit dem Hitlers und forderte, Russland müsse »innerhalb der Staatengemeinschaft isoliert werden«. Obama hat auch keineswegs vor, die Besatzung Iraks zu beenden. Vielmehr hat er angedeutet, er beabsichtige, eine Kerntruppe von 30 000 (!) Soldaten in Irak zu belassen.

Ein Begriff wird wieder häufiger zu hören sein, »burden sharing«, Lastenverteilung zwischen den Verbündeten, insbesondere in Bezug auf Afghanistan: Obama hat angekündigt, 10 000 zusätzliche Soldaten dorthin zu entsenden. Gleichzeitig fordert er von den europäischen NATO-Verbündeten, insbesondere von Deutschland, einen deutlich größeren militärischen Beitrag. Und: Obama will den NATO-Krieg in Pakistan noch ausweiten, womit eine weitere Eskalation vorprogrammiert wäre.

Was sich mit Obama abzeichnet, ist eine »Neue Transatlantische Partnerschaft« mit einer wieder stärkeren NATO. Die Folge wäre eine Verschiebung der militärischen Beiträge Richtung Europa und damit eine noch mehr auf Militär orientierte (EU)-Außenpolitik. Auf die Freude über die Wahl Obamas in der EU und Deutschland könnte also bald der große Katzenjammer folgen.

Aus: Neues Deutschland, 21. November 2008

Siehe auch: Afghanistan afer Bush. Neue Probleme, aber auch neue Chancen für die Friedensbewegung. Von Peter Strutynski.




Eine Rückkehr zu der Politik Bill Clintons droht

Von Ingar Solty **

Mit Obamas Wahl zum US-Präsidenten endet vorerst eine Phase in der US-Politik: Das autoritär-marktliberal-imperialistische Projekt der Bush-Administration. Die Krise, die dieses Projekt zu lösen suchte, der relative Niedergang der USA, besteht aber fort. Sie muss jetzt nur anders gelöst werden. In einer Situation großer ökonomischer, politischer und ideologischer Umbrüche ist mit einer Botschaft des »Wandels« ein charismatischer Herrscher und Repräsentant der realexistierenden »Linkspartei« ins Weiße Haus eingezogen. Diese Situation steckt voller Möglichkeiten, aber auch voller Gefahren. Für die Linke stellt sich die Frage, wie sie sich zu den sich abzeichnenden Veränderungen politisch verhält.

Obama ist nicht an sich ein Politiker der Linken. Er hat mit seinem Wahlkampf der sozialen Gerechtigkeit Millionen von (jungen) Menschen für sich mobilisiert. Aber linke Politik zeichnet sich nicht dadurch aus, dass sie das Politische vom Gesellschaftlichen trennt und Macht in der Regierung und nicht in den Kräfteverhältnissen der Klassen sieht. Sollte Obama ein progressiv-postneoliberaler Präsident werden, dann wird er es durch Druck von außen.

Gegenwärtig erleben wir die Rückkehr des Staates und eine tiefe Krise der Marktideologie. Die Frage ist, welcher Staat mit Obama zu machen ist? Im Wahlkampf verschob sich seine wirtschaftspolitische Orientierung nach rechts. Immer stärker zeichnete sich ab, dass er Bill Clintons neoliberale Politik des ausgeglichenen Staatshaushaltes fortzuführen gedachte. Dasselbe Personal (Paul Volcker, Robert Rubin) oder jüngere Gleichgesinnte (Austan Goolsbee, Jason Furman, Jeffrey Liebman) des Neoliberalismus wurde in seinen Beraterstab aufgenommen und bereitet das Krisenmanagement vor. Wird Obama damit am Goldenen Kalb des Fiskalkonservatismus festhalten? Und gibt er damit seine fortschrittlichen Wahlversprechen auf - die Besserstellung der Arbeiterklasse und der Mittelschicht, ein funktionierendes Gesundheitssystem und die Energiewende, die nicht durch eine bloße Zurücknahme der regressiven Bushschen Steuerpolitik zu erreichen sind? Das würde seine Legitimität schnell untergraben. Oder nutzt er die Situation der heftigen Konflikte innerhalb der kapitalistischen Klasse und knüpft ein Bündnis aus Gewerkschaften und binnenmarktorientiertem Kapital, die immer stärker F. D. Roosevelt beschwören und einen neuen New Deal fordern?

Die jüngste Ankündigung, dass er die Wiederankurbelung der Wirtschaft und die Energiewende für entscheidender hält als den Ausgleich des Staatshaushaltes, könnte darauf hindeuten, dass Obama der Versuchung, ein zweiter Clinton zu sein, doch noch widersteht. Angesichts des Verpuffens der dramatischen Leitzinssenkungen in diesem und einem erwarteten Negativwachstum von 0,7 Prozent im nächsten Jahr und einem Anschwellen der Arbeitslosigkeit wäre eine fiskalkonservative Politik genauso unhaltbar wie potentiell verheerend. Bereits jetzt wirkt die Finanzkrise der Kommunen und Einzelstaaten gegen das schwache Konjunkturprogramm, da die öffentlichen Haushalte sich vor »Reichensteuern« zieren und der Budgetkrise durch Entlassungen im öffentlichen Sektor Herr zu werden versuchen. Zudem können die Banken nicht gezwungen werden, das ihnen zugeschaufelte Geld zu günstigen Konditionen an die Realwirtschaft weiterzuleiten. Werden die großen Einkommen und Vermögen nicht stärker zur Finanzierung der Sozialsysteme herangezogen und die Wirtschaft durch hinreichende öffentliche Investitionen wieder in Gang gebracht, geht die Obama-Adminstration einer tiefen Staatsfinanzkrise entgegen. Die Wirtschaftskrise befördert damit gleichzeitig die Sozialausgabenkürzer vom rechten Parteiflügel um das Democratic Leadership Council wie die Neokeynesianer vom linken. Tertium non datur.

Wird Obama von außen, der Tiefe der Krise und dem Wunsch, mehr als nur ein Einamtsperiodenpräsident zu sein, tatsächlich ein neuer New Deal aufgenötigt, muss sich die US-Linke dazu verhalten und für ein linkes Staatsprojekt kämpfen. Die US-Gewerkschaftsbewegung sollte dabei offensiv auftreten, den Employee Free Choice Act durchboxen und sich nicht durch die Krise geschwächt in einen sozialpartnerschaftlichen Neokorporatismus einbinden lassen, der als Lösung der Krise Zugeständnisse gegenüber den Unternehmensführungen nach innen durchsetzt und die Unternehmensgesundung nicht an eine Verschiebung der internen Kräfteverhältnisse zwischen Kapital und Arbeit koppelt.

Ein neuer New Deal würde dabei aus vielen Gründen die Kampfposition der Linken verbessern. Nicht zuletzt die Symbolkraft ist entscheidend. Der alte New Deal steht für die ansatzweise Entwicklung eines US-Sozialstaats. Obama hat mit seinem Wahlkampf große Erwartungen in diese Richtung geweckt. Eine »transformative Präsidentschaft« kann der Linken aus der »postfordistischen« Defensive und in die Offensive verhelfen und die Kraft der Vision einer besseren Zukunft wecken. Denn die Linke war immer dann besonders stark, wenn sie den Wind der Geschichte in ihren Segeln hatte und den Fortschrittsbegriff besetzen konnte.

Gleichzeitig muss sich die US-Linke über die Grenzen eines möglichen neuen New Deals bewusst sein. Der alte New Deal löste die Wirtschaftskrise nicht. Erst die Aufrüstung im Kontext der Kriegsmobilisierung schaffte den Durchbruch. Kommt ein neues keynesianisches Staatsprojekt, dann kann dieses auch als Durchlauferhitzer des militärisch-industriellen Komplexes dienen. Dabei blieb im alten New Deal auch die kapitalistische Verfügungsgewalt über den Mehrwert unangetastet. Das Kapital ließ sich neue Regulationen aufzwingen und nutzte den privat angeeigneten Mehrwert dazu, die Regulationen wieder hinwegzufegen, als sich die Möglichkeit hierfür bot. Aus der Erfahrung mit dem Neoliberalismus sollte die Linke gelernt haben, dass die Zivilisierung des Kapitalismus nie von Dauer sein kann. Jede von Arbeitern erkämpfte Errungenschaft wird vom Kapital zurückgedreht, sobald sich die Möglichkeit hierfür ergibt. Trotzdem ist ein neuer New Deal unter den gegebenen Bedingungen der Schwäche die strategische Übergangsforderung eines linken Staatsprojekts und die Stellung, aus der sich der Kampf um Befreiung leichter kämpfen ließe. Steht Obama für einen solchen, dann nicht, weil er Obama ist, sondern weil er dazu gebracht wurde.

** Ingar Solty, Jahrgang 1979, ist Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Fachbereich Politikwissenschaft an der York University in Toronto, Redakteur der Theoriezeitschrift »Das Argument« und Mitgründer des Think Tanks »North-Atlantic Left Dialogue«. Er ist Mitautor des Buches »Der neue Imperialismus« und publizierte u. a. in »Z. Zeitschrift Marxistische Erneuerung«. Ingar Solty hat zuletzt das Supplement der Zeitschrift »Sozialismus« mit dem Titel »Das Obama-Projekt« veröffentlicht.

Aus: Neues Deutschland, 21. November 2008



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