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"Veteranen des Kalten Krieges" und "Falken"

Die Regierungsmannschaft des künftigen US-Präsidenten Obama sorgt für Beifall, Kritik und politische Irritationen

Die Regierungsmannschaft des künftigen US-Präsidenten Obama sorgt für Beifall, Kritik und politische Irritationen Von Laszlo Trankovits, Washington *

Nun gibt es das »Dream Team« doch: Ein entschlossen wirkender Barack Obama präsentierte am Montag (Ortszeit) Senatorin Hillary Clinton als künftige US-Außenministerin.

Obamas innerparteiliche Rivalin im erbitterten Vorwahlkampf, die ihn noch im Frühjahr der »Naivität« und gefährlicher Unerfahrenheit beschuldigt hatte, meinte nun bescheiden, sei sei »stolz«, vom künftigen Präsidenten Obama berufen worden zu sein. Dieser hatte im Sommer viele Demokraten enttäuscht, weil er nicht mit Clinton als seiner »Vize« in einem »Dream Team« um die Präsidentschaft kämpfen wollte. Nun rückt die Ex-First-Lady doch noch an seine Seite und ins Zentrum der Macht.

Mit den jüngsten Personalentscheidungen - wie dem Festhalten am amtierenden Verteidigungsminister Robert Gates - beweist Obama schon vor der Machtübernahme in Washington Mut, Risikobereitschaft und eine viel gerühmte Klugheit und Weitsicht. Irritiert sind nur jene, die wegen Obamas Versprechen auf »Hoffnung« und »Wandel« einen radikalen Kurswechsel in der US-Politik erwartet hatten. Obama aber pries bei der Vorstellung seines Sicherheitsteams den »Pragmatismus« und die »Überparteilichkeit«, die das Land heute bräuchte.

Obama will offensichtlich keine Jasager um sich versammeln; dies war schließlich einer der gravierendsten Vorwürfe gegen den scheidenden Präsidenten George W. Bush. »Ich will unterschiedliche Sichtweisen«, betonte Obama. Er erwarte »lebhafte Debatten« im Weißen Haus. »Aber die Entscheidungen werde dann ich als Präsident treffen müssen.« Generalstabschef Michael Mullen bestätigte jüngst nach einem Treffen mit Obama, dass dieser unideologisch und offen sei, er »zuhören kann«, berichtete die »Washington Post».

Vier Wochen nach der Wahl und sieben Wochen vor seinem Amtsantritt hat Obama im Rekordtempo bereits ein Drittel der wichtigsten Regierungsposten besetzt. Der 47-Jährige sucht sichtlich erfahrene, starke Persönlichkeiten. Schon bei Obamas gemeinsamen Auftritten mit seiner Frau Michelle wurde oft deutlich, dass dieser Mann eine Vorliebe für starke, selbstbewusste Frauen hat -- und Ironie und Kritik aushält. Seine Entscheidung für die eigenwillige Clinton zeigt erneut, dass Obama keine bequemen Wege sucht. Immerhin sprachen manche von einer »Schnapsidee« Obamas, ausgerechnet Clinton zur Außenministerin zu machen, so der Starjournalist Bob Woodward.

Für den linken Flügel der Demokratischen Partei wird die sich abzeichnende Regierungsmannschaft Obamas mehr und mehr zur Enttäuschung. »Ich bin unglaublich frustriert«, schrieb Chris Bowers auf der linken Blogger-Webseite »Openleft.com«. Die Personalentscheidungen wirken wie ein Verrat an Obamas Versprechen auf »Wandel«, auf seine Absage an die »gescheiterte« Politik des Establishments in Washington.

Obama selbst hatte im Vorwahlkampf die Zweifel geschürt, ob Clinton für echte Veränderung stehe, für »einen Wandel, an den wir glauben können«. Nüchtern schrieb die linksgerichtete Zeitschrift »The Nation«: »Dies ist nicht der fundamentale Wandel. Aber niemand, der aufmerksam den Wahlkampf Obamas verfolgte, dachte, dass es um einen fundamentalen Wandel geht.«

Schließlich wird auch der von Bush ausgewählte Verteidigungsminister Gates im Pentagon bleiben, Nationaler Sicherheitsberater wird Ex-NATO-Oberbefehlshaber Jim Jones, der zwar den Irakkrieg kritisiert hat, aber den Republikanern nahe steht. Obama präsentiere ein Sicherheitsteam, dass aus »Veteranen des Kalten Krieges« und »politischen Falken« bestehe, kommentierte die »New York Times«. Er setzt Kompetenz auch vor Loyalität, was ebenfalls ein deutlicher Unterschied zu Bush zu sein scheint. Viele Schlüsselfiguren des Wahlkampfs - wie Obamas außenpolitischer Chefberater Anthony Lake - werden kaum mit Spitzenposten belohnt werden. Der Politologe Peter Beinart vom Institut »Rat für Außenpolitik« glaubt gar an eine besonders geschickte Strategie. Um seine Politik der Diplomatie und »sanften Macht« innenpolitisch durchsetzen zu können, habe Obama Politiker an seine Seite geholt, deren Patriotismus niemand bezweifeln könne. dpa

* Aus: Neues Deutschland, 3. Dezember 2008


Wendezweifel

Von Olaf Standke

Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier ist Optimist. Er erwartet von der neuen USA-Regierung »neue Ansätze« in der Afghanistan-Politik und viel Engagement bei der Suche nach einer Friedenslösung im Nahen Osten. In Israel wiederum rechnet man auch unter der künftigen Außenministerin Hillary Clinton mit der Fortsetzung der Sonderbeziehungen zwischen beiden Ländern. Iran dagegen sieht die Besetzung der außenpolitischen Schlüsselpositionen in Washington durch Barack Obama als Bruch der Wahlversprechen vom grundsätzlichen Wechsel. Die Reaktionen auf die Nominierung seines »Sicherheitsteams« waren so unterschiedlich wie die dahinter stehenden Interessen. Doch muss man kein Sympathisant Teherans sein, um die dortigen Zweifel nachvollziehen zu können. Solche Stimmen hört man auch aus der Demokratischen Partei. Obama preist seine außenpolitischen Personalien als Ausdruck von Pragmatismus und Überparteilichkeit. Wohlwollende Beobachter loben, dass er offensichtlich keine Jasager um sich versammeln wolle. Doch können Clinton, Gates und Co. tatsächlich für die von ihm erneut beschworene »außenpolitische Kehrtwende« stehen? Dann müssten sie ihre Positionen tatsächlich erheblich wandeln. Oder der designierte Präsident steht dieser Mischung aus »Veteranen des Kalten Krieges« und »politischen Falken« (O-Ton »New York Times«) mit seinen Weltsichten viel näher, als viele Hoffnungstrunkende glauben möchten.

** Aus: Neues Deutschland, 3. Dezember 2008 (Kommentar)


Wandel durch Annäherung

"Dream-Team" des designierten US-Präsidenten Obama kommt aus dem Establishment und versetzt die Falken in Verzückung

Von Rainer Rupp ***


Am Montag hat der zukünftige US-Präsident Barack Obama sein sogenanntes »Sicherheitsteam« vorgestellt. Nichts verdeutlicht dabei besser den von Obama versprochenen politischen Wandel als seine Entscheidung, den aktuellen US-Verteidigungsminister Robert Gates von Präsident George Bush zu übernehmen und ihn auf seinem Posten zu belassen. Zur neuen US-Außenministerin will er Hillary Clinton machen. Offensichtlich möchte Obama seine Erzrivalin ruhigstellen, indem er ihr das außenpolitische Spielfeld überläßt, von dem er selbst nicht viel versteht. Zugleich räumt er Clinton mit diesem Schachzug innenpolitisch aus dem Weg. Als Nationalen Sicherheitsberater hat sich der neue Präsident den Exgeneral und US-Oberbefehlshaber Europa, James Jones, auserkoren, der zwar nicht aus politischen oder moralischen Gründen, zumindest aber aus militärischem Sachverstand Kritik an Bushs Irak-Invasion geäußert hatte. Die anderen Kandidaten aus dem Establishment, die Obama für die weiteren sicherheitspolitischen Toppositionen ausgesucht hat, zeichnen sich dagegen alle durch ihre engagierte Unterstützung von Bushs völkerrechtswidrigem Angriffskrieg gegen Irak aus.

Die Neuen sind die alten

Viele Kriegsgegner, die sich teils unter erheblichen persönlichen Opfern für Obamas Wahl eingesetzt hatten, schütteln inzwischen den Kopf. Der Spiegel, das Organ des deutschen Establishments, dagegen preist die von ­Obama um sich gescharten »Experten« als außenpolitisches »Dream-Team«, bei dem, so die britische Times am Montag, die Washingtoner »Falken in Verzückung geraten«. In der englischsprachigen Ausgabe der ägyptischen Al-Ahram wird dagegen treffend vor der »abstoßenden Gesellschaft« gewarnt, mit der sich Obama umgeben habe. Mit der Ernennung der »neuen« alten Vertreter aus der Clinton-Administration folge eine Enttäuschung auf die andere. Man dürfe halt von den US-Wahlen nicht »zu viel erwarten«.

Die Wahlkampfschlager »Frieden und soziale Gerechtigkeit«, derentwegen Millionen von Obama-Aktivisten die Kassen ihres »Hoffnungsträgers« mit Spenden gefüllt hatten, scheinen bereits vergessen. Keiner der 23 Senatoren und keiner der 133 Abgeordneten des Repräsentantenhauses, die gegen den Irak-Krieg gestimmt hatten, befindet sich in Obamas »Dream-Team«. Das einzige Versprechen, das der designierte Präsident wahrscheinlich einlösen wird, ist die Schließung des US-Folterlagers auf Guantánamo. Wegen der weltweit negativen Publicity hatte sich das US-Establishment bereits längst darauf geeinigt, was nur der starrköpfige Bush bisher verhindert hat. Keine Anzeichen gibt es dagegen, daß diejenigen, die unter Bush die Folter autorisiert haben, von Obama zur Verantwortung gezogen würden.

Mit dem Falken Robert Gates als Verteidigungsminister wird das hochtechnisierte Menschenschlachten in Irak und Afghanistan weitergehen und womöglich noch stärker auf Pakistan übergreifen. Zugleich macht Gates' kompromißlose Position bezüglich der US-Raketen in Polen keine Hoffnung auf einen baldigen Wandel der Politik Washingtons gegenüber Rußland. Und was die Nah- und Mittelostpolitik betrifft, so wird Obamas Stabschef im Weißen Haus, der bekennende Zionist Rahm Emanuel, dafür Sorge tragen, daß sich an der bisherigen neokonservativen, prozionistischen Linie nichts ändern wird. Dafür steht auch Hillary Clinton als Garantin.

»Change« nicht zu sehen

Nach den Vertretern der verschiedenen Bewegungen für Bürgerrechte und soziale Gerechtigkeit, ohne deren Engagement Obama es nie bis zu Vorwahlen geschafft hätte, sucht man in seinem Übergangsteam ebenfalls vergeblich. Statt dessen - so die Agentur für Finanznachrichten, Bloomberg - besteht die Hälfte von Obamas Wirtschaftsrat (Economic Advisory Board) aus Leuten, »die ihre Vertrauenspositionen in Unternehmen mehr oder weniger dazu ausgenutzt haben, entweder die Bücher zu manipulieren oder die Weltfinanzkrise auszulösen oder beides«. So gehören zu Obamas Wirtschaftsberatern so illustre Persönlichkeiten wie Anne Mulcahy und Richard Parsons, beide Direktoren des Fannie-Mae-Konzerns, der wegen Spekulationen mit Schrotthypotheken jüngst nur noch durch Verstaatlichung vor dem Bankrott gerettet werden konnte. Ebenfalls im Beraterteam ist Robert Rubin, der laut Bloomberg als Direktor in der Citigroup dem kriminellen Enron-Konzern half, »die Bücher zu kochen und schließlich beim Abkochen seiner eigenen erwischt wurde«.

Die Krone setzt dem Ganzen die Ernennung von Lawrence Summers zum Chefökonom im Weißen Haus auf. In dieser einflußreichen Position hat der neoliberale ehemalige Finanzminister von Expräsident William Clinton die Chance, weiter Unglück über die Welt zu bringen. Als er noch Chefökonom der Weltbank war, argumentierte er z.B., daß sich der Wohlstand auf der Erde mehren ließe, wenn die westlichen Industrienationen ihren Giftmüll in die Länder der dritten Welt exportieren. Er begründete das damit, daß dort die Lebenserwartung der Menschen ohnehin geringer und wegen der niedrigen Löhne das Leben auch weniger wert sei.

Als aufgebrachte Anhänger letzten Mittwoch während eines Auftritts von Obama den »Change«, also den versprochenen politischen Wandel, einforderten, erklärte laut McClatchy Newspapers der zukünftige Präsident, daß »die Vision des Wandels zuallererst« mit seiner Person verbunden sei, um dann zu bekräftigen: »Ich bin der Wandel«.

*** Aus: junge Welt, 3. Dezember 2008


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