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Barack Obama im Guantanamo-Sumpf

Menschenrechtsorganisationen "schockiert"

Von Max Böhnel, New York *

Kongress-Republikaner und -Demokraten haben den USA-Präsidenten in der Frage der Schließung des Gefangenenlagers Guantanamo in der vergangenen Woche in den politischen Morast getrieben. Um sich daraus zu befreien, ist Obama zu gefährlichen Präzedenzentscheidungen bereit.

Der Umgang mit den Guantanamo-Gefangenen sei »eines unserer größten Probleme«, gestand USA-Präsident Barack Obama am Sonnabend in einem Interview mit dem Fernsehkanal C-Span, die Situation sei »verfahren und nicht gerade leicht«. Zwei Tage zuvor hatte er sich mit dem rechtsextremen ehemaligen Vizepräsidenten Dick Cheney einen laut Medien »spektakulären« Schlagabtausch geliefert. Wenige Minuten nach Obamas Rede im Washingtoner Nationalarchiv, in der er Schritte zur Schließung Guantanamos dargelegt hatte, war Cheney im rechten American Enterprise Institute vor die Kameras getreten und hatte nicht nur Obamas Sicherheitspolitik als »Risiko« für die USA-Bürger verdammt, sondern auch die Einrichtung Guantanamos und den »Antiterrorkrieg« einschließlich der Folterpraktiken als lebensnotwendig gerechtfertigt. Dadurch seien »Tausende von Leben gerettet« worden.

Einen Tag vor dem »Kampf der Titanen« hatte Obama seine erste große Niederlage im Kongress einstecken müssen. 90 Senatoren verweigerten am Mittwoch 80 Millionen Dollar für die Guantanamo-Schließung, die das Weiße Haus angefordert hatte. Nur sechs stimmten für die Bewilligung der Gelder. Die Republikaner und eine große Mehrheit der Demokraten sind darin einig, dass Guantanamo-Gefangene nicht in USA-Gefängnisse verlegt werden dürfen.

Dabei hatte Obama unter dem Applaus seiner Parteikollegen kurz nach seinem Amstantritt versprochen, das berüchtigte Lager bis zum 22. Januar 2010 zu schließen. Es habe das moralische Ansehen der USA, »Amerikas wichtigste Währung«, schwer beschädigt, wiederholte der Präsident am Donnerstag. Nicht zuletzt benutze Al-Qaida die bloße Existenz des Lagers als Argument für die Rekrutierung von Terroristen. Doch offenbar kommt Obama mit seiner Überzeugung, die Überstellung von Guantanamo-Gefangenen in USA-Hochsicherheitsgefängnisse nach der Schließung des Lagers sei eine »Gewissensfrage«, nicht durch.

Zu viele Demokraten in Repräsentantenhaus und Senat sind um ihre Wiederwahl besorgt, wenn sie von der harten Linie abweichen, die ihnen die Republikaner-Minderheit in beiden Parlamentskammern vorgibt. In Fernsehwerbespots hatten die Rechten die Verlegung von Guantanamo-Häftlingen in US-amerikanische »Super-max«-Hochsicherheitstrakte mit der Detonation von Atombomben gleichgesetzt. Dazu kam ein Pentagon-Bericht, in dem behauptet wurde, jeder siebente freigelassene Guantanamo-Gefangene werde erneut zum Terroristen. 74 von 534 Entlassenen gingen demnach wieder »terroristischen oder militanten Aktivitäten« nach. Überprüfbare Tatsachen wurden dazu allerdings nicht bekannt gegeben.

Ob Obama, den seine eigene Partei verlassen hat, mit dem »Guantanamo-Schlamassel«, dem Erbe der Bush-Regierung, wie versprochen innerhalb der kommenden Monate aufräumen kann, ist deshalb zweifelhaft. In seiner Donnerstagsrede kündigte er an, die Hauptverdächtigen unter den 241 Gefangenen würden sich entweder vor Zivilgerichten oder vor Militärtribunalen auf USA-Territorium verantworten müssen. Das »Hauptproblem« seien aber Häftlinge, die strafrechtlich nicht verfolgt werden können, weil gegen sie nichts vorliegt oder weil ihre »Geständnisse« unter Folter entstanden. Sie würden aber, so Obama, keinesfalls freigelassen.

Der Anwälteverbund »Center for Constitutional Rights«, der Guantanamo-Gefangene zu verteidigen versucht, erklärte deshalb seine »Enttäuschung«. In Sachen »Menschenrechte, Transparenz, Rechenschaftspflicht und Gesetzmäßigkeit« lasse die Obama-Regierung einiges vermissen, hieß es in einer Erklärung am Wochenende. Der Anwalt Michael Ratner sagte, Obama habe sich »ins Mäntelchen der Verfassung gehüllt«, dann aber »die Verfassung verletzt«, indem er Militärtribunale und vorsorgliche Internierungen gesetzlich verankern wolle. Diese »preventive detention« sei »beispiellos in der USA-Rechtsgeschichte«, klagte die linke Juraprofessorin Diane Marie Amann, sie verstoße eindeutig gegen die Verfassung. Dem schlossen sich weitere Menschenrechtsorganisationen wie Human Rights Watch und Amnesty International an. Die Guantanamo-Beauftragte des »Center for Constitutional Rights«, Shayana Kadidal, ging mit ihrer Kritik an Obama noch weiter. Der neue Präsident sehe in der Guantanamo-Frage »so ziemlich wie der alte aus«.

* Aus: Neues Deutschland, 25. Mai 2009


In der Klemme

Barack Obama laviert in Sachen Auflösung des US-Sonderlagers Guantánamo - und gerät damit weiter unter Druck

Von Alexander Bahar **

Mit seinen Bemühungen, die extremsten Auswüchse des Folter-Erbes der Bush-Regierung unauffällig zu entsorgen, hat US-Präsident Barack Obama den Gegnern eines Bruchs mit diesen Methoden erst recht Auftrieb gegeben. Seine Entscheidungen, mit der bereits unter der Präsidentschaft William Clintons eingeführten Rendition-Praxis fortzufahren, die Verschleppung »Verdächtiger« in Drittländer, die umstrittenen Militärkommissionen wiederzubeleben sowie Fotos zu unterdrücken, die US-Militärangehörige bei der Folterung, Tötung und Vergewaltigung von Gefangenen zeigen, haben dem Weißen Haus zwar den Applaus der Rechten gesichert. Das Einknicken der neuen US-Regierung vor dem Militär- und Geheimdienstapparat hat aber zugleich all jenen die Brust schwellen lassen, die jedes Abweichen von den illegalen und verbrecherischen Praktiken der Bush-Regierung als Verrat an den »nationalen Interessen« der Vereinigen Staaten werten.

Allen voran geht Exvizepräsident Richard Cheney, graue Eminenz, Chefideologe und Strippenzieher im Kabinett von George W. Bush. Unbeirrt verteidigt Cheney Folter, Geheimgefängnisse und »außerordentliche« Überstellungen und verweist auf die angeblichen Erfolge dieser Praktiken. Ostentativ verlangt er die Freigabe von CIA-Akten, die angeblich belegten, daß Verhörmethoden, die von der US-Regierung inzwischen selbst als Folter eingestuft werden, Terrorakte verhindern halfen. Damit beeindruckt der ehemalige Vize selbst »liberale« Medien wie die Washington Post, die maliziös titelte »Was, wenn Cheney recht hat?«

Obamas Lavieren dürfte es zuzuschreiben sein, daß nach dem Repräsentantenhaus auch der US-Senat Mitte vergangener Woche die Freigabe von Finanzmitteln für die von der US-Regierung angekündigte Schließung des Foltergefängnisses Guantánamo vorläufig verweigert hat. In einer nahezu vollständigen Kapitulation vor dem Militär- und Geheimdienstapparat stimmten 90 von 96 Senatoren gegen den Antrag des Präsidenten. Nur sechs Senatoren seiner eigenen Demokratischen Partei votierten für die Freigabe des Fonds. Die Kritiker argumentieren, ein Transfer der Gefangenen auf das Territorium der USA stelle ein Sicherheitsrisiko dar.

Nachdem seine Demokraten im Senat Obama die Gefolgschaft verweigert hatten, sah sich der Präsident gezwungen, die Flucht nach vorn anzutreten. Medienwirksam skizzierte er am vergangenen Donnerstag seinen Plan zur Schließung des Folter-Gefängnisses Guantánamo. Nach den Terroranschlägen vom 11. September 2001 seien »Freiheit und Gerechtigkeit« von einer »von Angst getriebenen« Politik diskreditiert worden, so der US-Präsident - eine glatte Verharmlosung der von der Bush-Regierung vorsätzlich und »präventiv« begangenen Kriegsverbrechen.

Er werde das Lager schließen, auch wenn dies außerordentliche Kraftanstrengungen erfordern werde. Konkret sehen Obamas Pläne zur »Schließung« des Lagers die Aufteilung der dort noch 240 Inhaftierten in drei Gruppen vor. Etwa 50 Gefangene, bei denen kein Sicherheitsrisiko bestehe, sollen in Drittländer transferiert werden. Über deren Aufnahme befinde man sich mit verschiedenen Regierungen im Gespräch. Obama erwähnte allerdings nicht, daß dazu bislang nur wenige Staaten bereit sind - auch in Deutschland ist die Bundesregierung uneins über das Thema. Die zweite Gruppe umfaßt Gefangene, die vor US-Gerichten angeklagt und verurteilt werden könnten. Sie sollen in Hochsicherheitsgefängnisse gesperrt werden, aus denen noch nie jemand entkommen sei, so Obama. Schließlich sollten Gefangene, die als »Kriegsverbrecher« eingestuft würden und für die aus Sicherheitsgründen solche regulären Gerichtsverfahren nicht in Fragen kämen, auch künftig vor Militärkommissionen angeklagt werden - aber mehr Rechte als unter der Bush-Regierung erhalten.

Das Wall Street Journal hatte berichtet, die Obama-Regierung sehe »in mindestens fünfzig Fällen die Gefangenen als zu gefährlich« an, um sie freizulassen, habe aber »zu wenig Beweise«, um sie anzuklagen. In der Sprache der Bush-Administration bezeichnete Obama diese Gefangenen als brandgefährliche Terroristen: »Diese Menschen befinden sich weiter im Krieg mit den USA«, so der US-Präsident. »Sie müssen von weiteren Attacken abgehalten werden.« Zuletzt hatte Obamas Team eine permanente Sicherheitsverwahrung für diese Gruppe erwogen. Auch hier argumentierte Obama ganz im Stil seiner Gegner.

Anders als der US-Präsident es darstellt, gilt inzwischen als gesichert, daß es sich bei der übergroßen Mehrheit der Guantánamo-Gefangenen nicht um »Terroristen« handelt, noch nicht einmal nach den speziellen Definitionen Washingtons. Ein Großteil hat nicht das Geringste mit Al-Qaida oder den Taliban zu tun, viele landeten lediglich deshalb in US-Gefangenschaft, weil das US-Militär ein Kopfgeld auf die Denunziation und Ergreifung von Terrorverdächtigen ausgesetzt hatte. Und selbst diejenigen, die über gewisse Verbindungen zu den Taliban verfügen, sind »schuldig« allenfalls in dem Sinn, daß sie zur falschen Zeit, also während der Terroranschläge in New York und Washington am 11. September 2001, in Afghanistan waren - kämpfend oder nicht.

** Aus: junge Welt, 25. Mai 2009


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