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"Die Parteibasis wäre mit 'Bush light' nicht zufrieden"

US-Politikwissenschaftler hält Druck auf Obama für notwendig

Nach dem Wahlsieg Barack Obamas hofft der linke Flügel der Demokraten auf einen Neuanfang. Der 52-jährige Autor und Politikwissenschaftler Stephen Zunes, einer der führenden Kritiker der US-Regierung, hält einen solchen Wandel aber für illusorisch. Mit dem Professor und Leiter der Nahostabteilung an der University of San Francisco sprach für das "Neue Deutschland" Max Böhnel.



ND: Sie kritisieren die Demokratische Partei seit Jahren von links. Sehen Sie nach dem Sieg Barack Obamas und der Demokraten im Kongress wieder Einflussmöglichkeiten?

Zunes: Einen Tag lang haben wir gefeiert und auf Reformen gehofft -- aber keine 24 Stunden nach dem Wahlsieg verpasste uns Obama mit seiner ersten Personalentscheidung schon einen Dämpfer. Er ernannte den Hardliner Rahm Emanuel zum Stabschef im Weißen Haus. Der konservative Demokrat war zu Zeiten der Clinton-Regierung mitverantwortlich für deren Rechtskurs und arbeitete in der Zeit der Bush-Regierung als Mitglied der »New Democrat Coalition« eng mit Republikanern gegen reformorientierte Demokraten zusammen.

Wie wichtig ist Emanuels neuer Posten?

Ein Stabschef im Weißen Haus bestimmt, wer zum Präsidenten Zugang erhält, ihn berät und ihm innen- und außenpolitische Analysen vorlegen darf. Obama ist einerseits bekannt als guter Zuhörer. Andererseits erhöht sich mit Emanuels neuer Rolle die Wahrscheinlichkeit, dass der neue Präsident fortschrittlichen Stimmen weniger Aufmerksamkeit schenken wird. An dieser Stelle und zu dieser Zeit sollte sich aber noch keine falsche Alarmstimmung breitmachen. Es kann sich nämlich durchaus herausstellen, dass Emanuel von Obama nur wegen seiner administrativen Stärken ausgewählt wurde, quasi als Klassensprecher, der Ordnung im Laden herstellt, und dass sich Obama von ihm letztlich doch nicht hineinreden lässt.

Reformpolitik ist Obama nicht fremd. Lässt sich dies nicht aus seiner politischen Vergangenheit schließen?

Da stimme ich zu. Er hat sich als »community organizer« während der 80er Jahre, die von den »Reaganomics« beherrscht waren, als Student deutlich links von der Mitte engagiert und später lukrative Jobangebote ausgeschlagen, um sich für Unterprivilegierte in Chicago einzusetzen. Im Präsidentschaftswahlkampf 1992 setzte er seine »grass-roots«-Politik, die Orientierung auf die Basis, fort, indem er erfolgreich Jungwähler aus armen Schichten und von Minderheiten zur Wählerregistrierung mobilisierte und damit einen großen Wahlsieg der Demokraten in Illinois bewirkte. Er kennt die Macht der »Politik von unten«.

Welcher Einfluss bleibt der linksliberalen Parteibasis, die Obama mit Hunderttausenden von freiwilligen Helfern zum Wahlsieg verhalf?

Die Mehrheit der Parteibasis stand bei den Vorwahlen im Frühjahr bei den meisten politischen Themen links von Obama. Er unterschied sich von seiner Konkurrentin Hillary Clinton ja nur unwesentlich. Die einzige Ausnahme war seine Ablehnung des Irakkriegs - daher kam er bei den »grass-roots«-Bewegungen so gut an.

Der Erwartungshaltung der Linken und Linksliberalen steht der gewaltige Druck des Pentagon, der Großkonzerne, der Massenmedien, der Republikaner und vieler Demokraten im Kongress gegenüber, keine Reformvorhaben anzugehen. Obama von dessen bestehender zentristischer Haltung aus nach links bewegen zu können, scheint mir illusorisch. Eher wird sich die Parteibasis in einer Position wiederfinden, aus der sie Obamas Politik - auch wenn sie halb gar ist - gegen Angriffe von rechts aus verteidigen muss.

Erwarten Sie eine Neuauflage der Clinton-Politik und der falschen Hoffnungen, die in sie gesetzt worden waren?

Mehr ist aus der Sicht vieler USA-Linker nicht zu erwarten. Aber ich bin mir sicher, dass mehr möglich ist. Obama wird die Parteibasis sicherlich sehr bald mit dem einen oder anderen Posten auf einer mittleren oder sogar oberen Regierungsebene »belohnen«, mit einem Al Gore als Umweltberater zum Beispiel. Allerdings sind die Führung und die Parteibasis der Demokraten heute politisch aktiver und nach Umfragen auch progressiver, um diesen Ausdruck zu benutzen, als vor 16 Jahren, als Bill Clinton Präsident wurde. Beispielsweise sind die »Progressive Democrats of America«, der linke Flügel, innerparteilich heute mindestens so einflussreich wie das konservative »Democratic Leadership Council«. Die Parteibasis ist voller Erwartung und wird sich mit einer Politik »Bush light« nicht zufriedengeben. Darüber hinaus gibt es eine neue Politikergeneration im Kongress, die tiefgreifendere Reformen anmahnt als die Kongress-Demokraten während der Clinton-Regierung. Und sie haben nicht zu befürchten, innerhalb kurzer Zeit ihre Sitze wieder zu verlieren. Die Wahl Obamas und die demokratischen Mehrheiten in beiden Kongresskammern -- auf mehr konnten die fortschrittlichen Kräfte in den USA realistischerweise nicht hoffen.

Was halten Sie von Vergleichen der Obama-Wahl mit Franklin Roosevelt und Lyndon Johnson?

Mehrheiten für einen demokratischen Präsidenten und Kongress wie dieses Jahr erhielten im letzten Jahrhundert tatsächlich nur die Reformer Franklin Roosevelt und Lyndon Johnson. Beide waren in Kriege verwickelt, setzten sich aber mehr als andere US-Präsidenten für Mittel- und Unterschichten ein. Roosevelt und Johnson reagierten allerdings auf fortschrittliche Massenbewegungen, die auf allen Ebenen Reformforderungen stellten. Seit den Novemberwahlen hat sich in Washington eine Tür geöffnet, die die »grass roots« offensiv offenhalten müssen, um auf »change«, den Wandel, zu drängen. Es gibt allerdings auch viele, die sich jetzt gerne lieber auf ihren Lorbeeren, dem Obama-Wahlsieg, ausruhen wollen.

* Aus: Neues Deutschland, 13. November 2008


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