Dieser Internet-Auftritt kann nach dem Tod des Webmasters, Peter Strutynski, bis auf Weiteres nicht aktualisiert werden. Er steht jedoch weiterhin als Archiv mit Beiträgen aus den Jahren 1996 – 2015 zur Verfügung.

"Seit 1949 ist die NATO eine beispiellose Macht für Sicherheit und Wohlstand im globalen Maßstab"

Abschiedsrede Leon Panettas im King’s College London – das politische Testament des scheidenden US-Verteidigungsministers


Am 18. Januar 2013 hielt US-Verteidigungsminister Leon Panetta eine programmatische Rede in London. Er befand sich auf einer Abschiedstournee, denn in wenigen Tagen wird im neuen Kabinett des wieder gewählten Präsidenten Obama sein Amt von Chuck Hagel bekleidet werden. Panettas Rede wird im Folgenden dokumentiert – nur unwesentlich gekürzt um die einleitenden Bemerkungen, die sich auf seinen Lebenslauf bezogen. Die Übersetzung besorgte für uns Eckart Fooken.

(...)

Heute, zum Ende meiner einwöchigen Reise, die mich durch eine Reihe europäischer Staaten geführt hat – von Portugal nach Spanien, nach Italien und nun ins Vereinigte Königreich – möchte ich mit Ihnen die Angelegenheiten erörtern, die die Zukunft der transatlantischen Partnerschaft betreffen. Nach mehr als einem Jahrzehnt von Kriegen, wo stehen wir da an diesem kritischen Wendepunkt? Wie formen wir unsere Sicherheits-Allianz um zur Ausgestaltung unseres gemeinsamen Ziels, eines friedlichen 21. Jahrhunderts?

Meine Sichtweise auf dieses Thema ist geprägt durch meine frühesten Kindheitserinnerungen während des Zweiten Weltkriegs. Ich kann mich noch gut an die Gefühle von Furcht und Ungewissheit und Verletzlichkeit erinnern, die diese Jahre durchzogen, die Verdunklungsvorhänge, die Luftschutzübungen, die Papiersammlungen, die Soldaten und Matrosen, die die Straßen Montereys bevölkerten, bevor sie in die Schlacht geschickt wurden. Das alles sind Erinnerungen.

Und obwohl ich zu jung war, um die diesbezüglichen Sachverhalte zu verstehen, kann ich mich noch an die Trost spendenden Empfindungen erinnern, die icherlebte beim Hören der Worte und Sehen der Bilder Franklin Delano Roosevelts und Winston Churchills. Ihre bewegenden Reden, ihre persönliche Freundschaft, ihre klarsichtige Entschlossenheit inspirierten eine Generation, die sich im Kriege befand und, wie ich weiß, inspirieren sie uns alle auch heute noch.

Es ist in diesem Monat 70 Jahre her, im Januar 1943, dass Roosevelt und Churchill sich zu einem bisher beispiellosen Kriegsgipfel in Casablanca trafen. Sie tranken, rauchten und redeten miteinander – sie stiegen sogar zusammen auf einen Turm, um die Schönheit der Wüste zu betrachten – und, ja zur gleichen Zeit, arbeiteten sie rund um die Uhr, um eine Strategie für die harten Kampagnen zu erarbeiten, die sie erwarteten.

Nach einer Woche der Konsultationen verkündeten die beiden Gründungsväter unserer heutigen Allianz eine neue Übereinkunft für ihre weitere Arbeit mit, ich zitiere, „Absicht, Entschlossenheit und unüberwindlichen Willen“ für ein klar bestimmtes Ziel, „ die bedingungslose Kapitulation von Deutschland, Italien und Japan“. Den Kern ihrer Entschlossenheit bildete eine unerschütterliche Partnerschaft. Wie Churchill erklärte :“ Nichts – nichts, was sich im Verlauf des Krieges ereignen könnte, wird je zwischen mich und Präsident Roosevelt kommen.“

Die Casablanca-Konferenz markierte einen dieser seltenen Wendepunkte in der Geschichte, indem sie die Richtung für den weiteren Verlauf des Krieges vorgab, und in vielfacher Hinsicht auch für den darauf folgenden Frieden. Indem sie klarstellten, dass sie nur die totale Niederlage des Faschismus akzeptieren würden, zeigten sie ihre Entschlossenheit, eine neue Welt zu formen und alles in ihrer Macht stehende zu tun, dass sie nie wieder in eine totale Konfrontation abgleiten würde.

Das Netz der transatlantischen diplomatischen, wirtschaftlichen und Sicherheits-Institutionen, die unsere beiden Nationen zusammen mit Westeuropa nach den Zweiten Weltkrieg aufbauten, einschließlich des NATO-Bündnisses, stellten die Erfüllung dieses Traums dar. Seit 1949 ist die NATO eine beispiellose Macht für Sicherheit und Wohlstand im globalen Maßstab und entwickelte sich zu der effektivsten und fähigsten und beständigsten multilateralen Sicherheits-Allianz, die die Welt je gesehen hat.

Jetzt im Alter von 60 Jahren, mehr als zwei Jahrzehnte nach dem Fall der Berliner Mauer und mehr als ein Jahrzehnt nach dem 11. September bleibt die NATO das Fundament von Amerikas globalem Netzwerk der Bündnisse und Partnerschaften. Aber heute, nach über 11 Kriegsjahren, denke ich, dass wir uns an einem weiteren Wendepunkt in der Geschichte der transatlantischen Allianz befinden.

Wir sehen uns mit schwierigen Fragen konfrontiert. Was ist die Zukunft des NATO-Bündnisses? Wird sich die NATO aus Selbstzufriedenheit aus ihrer Verantwortung zurückziehen oder sich angesichts wachsender Haushaltsprobleme andere Prioritäten setzen? Oder wird die NATO über die Kreativität, die Innovation, die Verpflichtung zum Entwickeln von Fähigkeiten, die benötigt werden beim Bewältigen zukünftiger Bedrohungen der Sicherheit, verfügen.

Um diese Fragen besser anzugehen lassen Sie mich darlegen, wo wir stehen, mit welchen Budget-Begrenzungen wir konfrontiert sind und wohin wir uns bewegen müssen.

Wo stehen wir? Wie ich bereits sagte, wir sind dabei, eine lange Phase eines großformatigen Krieges zum Ende zu bringen, die längste Phase in der bisherigen US-Geschichte. Seit über einem Jahr ist der Krieg im Irak beendet. Unsere beiden Nationen nahmen ebenfalls an der erfolgreichen NATO-Mission teil, die beim Sturz Gaddafis in Libyen half. Durch unnachgiebige militärische und geheimdienstliche Anstrengungen haben wir den Kern von Al-Kaida dezimiert, seine Zweigorganisationen im Jemen und in Somalia unter Druck gesetzt und einige Schlüsselfiguren seines Führungsstabs vom Schlachtfeld entfernt.

In Afghanistan kämpfen noch amerikanische, britische und europäische Truppen an der Seite anderer ISAF-Partner und afghanischer Kräfte. Aber der signifikante Fortschritt, der beim Aufstellen einer afghanischen Armee, die immer wirksamer agiert, und der afghanischen Polizeikräfte gemacht wurde, hat uns, wie ich hoffe, in die letzte Phase dieses Krieges und zum nächsten Kapitel der Beziehungen der NATO mit Afghanistan gebracht.

Die USA und die NATO haben sich zur langfristigen Stabilität und Sicherheit Afghanistans verpflichtet. Worauf wir uns in Chicago verständigten und was wir mit Präsident Karsai gerade letzte Woche in Washington bestätigten, es werden vom Frühjahr 2013 an afghanische Truppen die Führung bei Kampfhandlungen übernehmen mit Unterstützung der ISAF-Kräfte. Bis zum Herbst wird das ganze Land afghanischen Sicherheitskräften und Regierungsinstitutionen übergeben. Und der Abzug der ISAF-Kräfte wird bis zum Ende 2014 erfolgt sein, bei einer fortdauernden Präsenz von Kräften um in der Folge ein souveränes und unabhängiges und sicheres Afghanistan zu gewährleisten.

Aber selbst in der Nach-11.9.-Ära mit großformatigen Konflikten, die sich jetzt dem Ende zuneigt, sind wir mit einem komplexen Gemenge von Bedrohungen, sowohl neue wie auch bestehende, konfrontiert. Diese Sicherheitsgefährdungen bedrohen die USA und, daran sollte kein Zweifel bestehen, in gleicher Weise Europa.

Trotz unserer signifikanten Fortschritte im Kampf gegen al-Kaida bleiben wir konfrontiert mit der Gefahr des Terrorismus. Zweigorganisationen von al-Kaida versuchen Fuß zu fassen im gesamten Nahen/Mittleren Osten und in der unmittelbaren Nachbarschaft Europas in Nord- und Westafrika. Wie wir gerade diese Woche erlebt haben, verdeutlicht die Brutalität der Terroristen in Algerien und Mali die fortbestehende Gefahr des Terrorismus, der wir uns entgegensehen.

Lassen Sie es mich in aller Deutlichkeit sagen – wir müssen den unnachgiebigen Druck auf al-Kaida aufrechterhalten, wo auch immer sie einen sicheren Unterschlupf suchen. Wir können es al-Kaida nicht gestatten, eine Operationsbasis aufzubauen, von der sie Angriffe auf unser Land oder auf Europa führen können. Für al-Kaida darf es keinen versteckten Schlupfwinkel geben. Und aus diesem Grund gratuliere ich der französischen Regierung zur Übernahme der Führung der internationalen Anstrengungen im Kampf gegen AQIM in Mali. Und ich gratuliere Groß-Britannien zu seinem Beitrag bei diesen Anstrengungen, sowie der gesamten internationalen Gemeinschaft für ihre Unterstützung.

Über den Terrorismus hinaus werden die USA und Europa weiterhin mit einem komplexen Gemenge von Herausforderungen beschäftigt sein. Wir befinden uns noch im Krieg in Afghanistan. Nordkorea und der Iran stellen eine Proliferationsgefahr dar. Wir sind befasst mit der Herausforderung dieser Bedrohung, da wir sie als in hohem Maße destabilisierend mit Gefahren für die globale Sicherheit ansehen. Diese zwei Regime besitzen das Potenzial nukleare Waffen zu entwickeln, daran gibt es keinerlei Zweifel – sie stellen eine Bedrohung unserer globalen Sicherheit dar.

Das syrische Regimefährt fort in seinem brutalen Massaker an der eigenen Bevölkerung und der Bedrohung seiner Nachbarn, einschließlich unseres NATO-Verbündeten Türkei. Wenn das Assad-Regime sein Ende erreicht hat – und das wird es zweifelfrei – was wird an seine Stelle treten, Chaos oder ein friedlicher Übergang zu politischen Reformen?

Langfristig gesehen verändern wachsende Militärausgaben der aufstrebenden Mächte der asiatisch-pazifischen Region und Unruhen im Nahen/Mittleren Osten und Nordafrika die strategische Landkarte in Schlüsselregionen unserer Wirtschafts- und Sicherheitsinteressen. Die Die Art und Weise der militärischen Konflikte änder sich ebenfalls aufgrund der neuen Technologien, wie dem Internet und der Proliferation von Raketen und Massenvernichtungswaffen.

Potenzielle Gegner – staatliche und nicht-staatliche in gleicher Weise –sind rapide dabei technisch hochwertige Vorrichtungen zu erlangen für eine wachsende Geschwindigkeit ihrer Attacken mit der Fähigkeit, Zerstörungen vorzunehmen und unseren konventionellen militärischen Vorsprung zunichte zu machen

Anders als nach dem Ende vergangener Kriege, bei denen die Bedrohung des von uns bekämpften Feindes sich verringert hatte, sind wir heute konfrontiert mit gänzlich neuen, in Teilen aber auch alten, Herausforderungen für die Sicherheit der Welt. Alle diese Bedrohungen sind real. Keine dieser Bedrohungen darf ignoriert werden. Aber während diese auftauchen erkennen wir auch, dass wir uns in einer Phase der Haushaltseinsparungen befinden, und zwar Einsparungen in hohem Ausmaß auf beiden Seiten des Atlantiks.

Wir wissen alle, was vor uns liegt. In Europa haben alle, außer – alle, außer drei Verbündeten, ihren Verteidigungshaushalt während der letzten drei Jahre gekürzt, in einigen Fällen um bis zu 20 Prozent. Und das in der Folge eines Jahrzehnts, in dem die Verteidigungsausgaben um 6 Prozent sanken, bei fortgesetzten Einsätzen der europäischen Staaten in Afghanistan.

In den USA ist die Zeit der Blankoschecks für den Verteidigungshaushalt vorbei. Im Pentagon haben wir angefangen, Haushaltskürzungen von $ 487 Milliarden umzusetzen, eine Zahl, die uns das Budget-Kontroll-Gesetz vorgab, eine Zahl, die wir im Zeitraum der nächsten zehn Jahre erreichen müssen; und unser Vorgehen ist darauf ausgerichtet , die Einsparungen in Übereinstimmung mit einer neuen Verteidigungsstrategie zu bringen, die wir im Pentagon erstellten und die vor genau einem Jahr verabschiedet wurde.

Bei der Entwicklung dieser Strategie müssen wir drei Richtlinien befolgen. Erstens : wir müssen die stärkste Militärmacht der Welt bleiben. Zweitens : Wir dürfen unsere Streitkräfte nicht aushöhlen. Das Aushöhlen der Streitkräfte, das im Anschluss an den Zweiten Weltkrieg erfolgte, hatte als Folge Korea, Vietnam, den Kalten Krieg. Diesen Fehler dürfen wir nicht wiederholen.

Und drittens müssen wir unseren Glauben an und unsere Verpflichtung gegenüber unseren Soldaten und deren Familien bewahren, all jene, die im Laufe der letzten zehn Jahre wieder und wieder entsandt wurden. Wir können uns unseren Versprechungen, die gegenüber ihnen gemacht wurden, was ihre Unterstützung und die ihrer Familien betrifft, nicht entziehen.

Mit diesen Richtlinien entwickelten wir eine Strategie, von der wir glauben, dass sie unsere Verteidigungskräfte für das 21. Jahrhundertdarstellt. Lassen Sie mich nur einige der Schlüsselelemente dieser Strategie zusammenfassen.

Erstens, wir wissen, wir werden kleiner und schlanker. Das ist eine Realität, nachdem man aus zehn Jahren Krieg gekommen ist. Aber wir müssen eine Macht sein, die beweglich, die flexibel, die schnell einsetzbar und technologisch hochentwickelt ist.

Zweitens, während wir unsere globale Aufstellung umstrukturieren in Richtung auf den pazifisch-asiatischen Raum und den Nahen/Mittleren Osten, müssen wir in der Lage bleiben, den Schutz und die Planung unserer Streitkräfte entsprechend den vielfältigen Herausforderungen und Möglichkeiten dieser beiden Regionen zu gewährleisten.

Drittens müssen wir unsere Präsenz im restlichen Tel der Welt behaupten. Wir werden versuchen, unsere Sicherheitsbeziehungen in der ganzen Welt zu verstärken durch Modernisierung unserer Bündnisse, den Aufbau innovativer Verteidigungspartnerschaften, das Entwickeln rollierender Stationierungen in Europa, in Latein-Amerika und Afrika, wo wir die Fertigkeiten weiterer Länder entwickeln können durch Ausbildung und Übungen – andere Partnerschaften entwickeln, wie ich sagte, in Westeuropa und Afrika und Latein-Amerika und , ja, hier in Europa.

Viertens, wir müssen sicherstellen, dass die USA in der Lage bleiben, gegen Aggressionen vorzugehen und jeden Gegner zu besiegen, irgendwo und irgendwann. Wir stehen vor der realen Situation, dass wir in Korea Krieg führen und zur gleichen Zeit die Straße von Hormus gesperrt wird. Wir müssen in der Lage sein gegen beide Bedrohungen vorzugehen.

Und, zu guter letzt, hier kann es nicht nur um Kürzungen gehen. Es muss ums Investieren gehen, investieren in neue Technologien, investieren in Spionage, investieren in Überwachung, in unbemannte Systeme, investieren in den Weltraum, investieren in Cyberspace, investieren in Spezialoperationen und in die Fähigkeit einer schnellen Mobilisierung im Falle einer Krise.

Wir müssen beim Entwickeln dieser Strategie sicherstellen, dass wir dazu einen Haushalt erstellen, der die Elemente dieser Strategie in Betracht zieht, während wir die Einsparungen zu erreichen versuchen. Und das werden wir schafften. Wir präsentierten einen Haushalt, der das Einsparungsziel von $ 487 Milliarden erreichte und gleichzeitig die Elemente hervorhebt, die Teil unserer neuen Strategie sind.

Wir mussten nach Einsparmöglichkeiten in allen Bereichen des Verteidigungshaushalts suchen. Man kann dabei nicht nur an die Einsatzbereitschaft herangehen. Man kann nicht nur an die Instandhaltung herangehen. Wir mussten an Reduzierungen der Streitkräftestrukturen herangehen. Wir mussten an den Bereich der Effizienz herangehen. Und in einer großen Behörde wie dem Pentagon gibt es Doppelungen. Wir können eine bessere Effizienz erreichen.

Drittens, bei der Modernisierung und zu guter letzt bei den Schadensersatzansprüchen. Letztere sind um beinahe 80 Prozent gestiegen. Ich habe ein Gesundheitsversorgungsgesetz beim Pentagon von über $ 50 Milliarden. Wir werden also auch in diesem Bereich Einsparungen erreichen müssen.

Aber zur gleichen Zeit müssen wir in die Schlüsselelemente unserer Strategie investieren. In unserer Strategie wird also deutlich, dass die Vereinigten Staaten und Europa gemeinsam mit der Realität von Haushaltskürzungen konfrontiert sind. Und in einer Ära der eingeschränkten Ressourcen müssen wir unser Bündnis nutzen. Im Grunde ist klar, dass keine Nation allein die Bedrohungen, die ich skizziert habe, angehen kann. Das ist die Realität. Aber das bedeutet auch, dass keine Nation die Bürde für unsere kollektive Sicherheit allein schultern kann.

Aus diesem Grund habe ich die Bildung von stärkeren Bündnissen und Partnerschaften, einschließlich der NATO, zur absoluten Priorität als Verteidigungsminister erhoben. Aus dem gleichen Grund glaube ich auch, dass wir ein über Zeitfenster verfügen für deine fundamentale Umorientierung unserer transatlantischen Allianz, um die drängendsten Probleme anzugehen, mit denen wir im 21. Jahrhundert konfrontiert sind, und dabei gleichwohl imstande bleiben unserer fiskalischen Verantwortung gerecht zu werden. Ich glaube nicht, dass wir zu wählen haben zwischen fiskalischer Verantwortung einerseits und unserer Verantwortung für die nationale Sicherheit andererseits.

Lassen Sie mich drei zentrale Bereiche ansprechen, die für eine Stärkung der NATO und eine Bewältigung der zukünftigen Bedrohungen erforderlich sind.

Erstens, wir müssen eine innovative Kooperation innerhalb des Bündnisses entwickeln. Es wird von entscheidender Bedeutung sein, von den Herangehensweisen zur Zeit des Kalten Krieges für die Garantie der Sicherheitsverpflichtungen abzukommen und stattdessen zu kosteneffektiven, innovativen Formen der militärischen Kooperation kommen, die darauf abgestimmt sind, den Sicherheitsherausforderungen, denen wir uns heute und morgen gegenübergestellt sehen, gerecht zu werden.

Die NATO kann nicht länger eine Allianz bleiben, die auf eine einzige Art von Mission fokussiert ist, gleich ob zum Abschrecken der Aggression einer anderen Supermacht oder zur Ausführung von Operationen für Stabilisierungsmaßnahmen in Afghanistan. Um auf eine schnelle Reaktion auf eine weites Feld von Bedrohungen vorbereitet zu sein in einer Zeit finanzieller Knappheit müssen wir ein innovatives, flexibles und rollierendes Modell für eine Präsenz und Ausbildung an vorderster Front erstellen.

Für die Vereinigten Staaten bedeutet dies, dass wir in Übereinstimmung mit unserer neuen Militärstrategie signifikante Umstrukturierungen bei der Aufstellung unserer Truppen in Europa vornehmen werden. Jawohl, das beinhaltet eine Reduzierung unserer weniger relevanten Kalten-Kriegs-Streitkräfte, wie z.B. die beiden schweren Heeres-Brigaden, die aus Europa abgezogen wurden.

Aber ich möchte klarstellen, dass es bei diesen Maßnahmen nicht primär um Kürzungen geht. Es geht um Neugestaltung unserer Kooperation für die zu erwartenden Herausforderungen. Das bedeutet, dass wir zwar einige Reduzierungen vornehmen, gleichzeitig aber neue rollierende Stationierungen, verbesserte Ausbildung, verbesserte Übungen und weitere neue Initiativen, die die Bereitschaft unserer Truppen stärken, wie ihre Fähigkeit nahtlos miteinander zu operieren

Ob beim Stationieren ballistischer Raketenabwehr, wie auf unseren Zerstörern, unsere Aegis Zerstörer in Rota, beim Aufbau eines Luftwaffenstützpunktes In Polen, bei der Entsendung von US- Bataillonen auf rollierender Basis zur Teilnahme an der NATO Response Force (Eingreiftruppe der NATO), wir nehmen fassbare Investitionen in diese neuen Formen der Zusammenarbeit vor, um das Bündnis reaktionsschneller und beweglicher zu machen. Und wir tun dies auf eine kosteneffektive Weise gemäß unserer fiskalischen Verantwortung.

Zweitens, wir müssen in Neuland investieren. Ein zweites Schlüsselelement in unseren Anstrengungen ist es, in wichtige neue Fähigkeiten des Bündnisses zu investieren, die dazu beitragen, unseren entscheidenden militärischen Vorsprung in der Zukunft zu behaupten. Zum Beispiel ist eine der wesentlichen Herausforderungen für unsere Sicherheit, mit der ich während meiner Zeit als Direktor der CIA und jetzt als Verteidigungsminister befasst war, die Bedrohung durch Cyber-Spionage und Cyber-Angriffe.

Jahrelang war ich sehr besorgt über den Diebstahl geistigen Eigentums, über Angriffe auf Institutionen des privaten Sektors und das beständige Ausforschen von militärischen und wichtigen Infrastruktur Netzwerken. Wir sind buchstäblich das Ziel von hunderttausenden von Cyber-Angriffen jeden Tag, die jeden dieser Bereiche durchforschen.

Staatliche und nicht-staatliche Akteure entwickeln Fähigkeiten, die einen außerordentlichen physischen und monetären Schaden anrichten könnten, unsere Volkswirtschaften lähmen und unsere Infrastruktur beschädigen könnten, unsere Energieversorgungseinrichtungen, unsere Finanzsysteme, unsere Regierungsbehörden, unser Bankensystem ausschalten könnten. Das ist eine Realität. Diese Technologie ist real und bedroht uns heute.

Als Gesellschaften, die auf Cyberspace angewiesen sind, haben Europa und die Vereinigten Staaten mehr zu gewinnen von erhöhter Cyber-Sicherheit als irgendjemand sonst. Und unsere Volkswirtschaften sind derartig von einander abhängig, dass ein ausbleibendes gemeinsames Handeln uns alle in eine gefährliche Situation bringen würde. Dies ist ein Gebiet, in dem wir bereits eng mit unseren britischen Partnern kooperieren. Und während meines Besuchs in Madrid diese Woche besprach ich, wie wir mit den Spaniern und mit anderen zusammenarbeiten könnten, um die Entwicklung dieser Fähigkeiten zu versuchen.

Für ihren Teil hat die NATO wichtige Fortschritte gemacht beim Stärken der Sicherheit ihrer eigenen Netzwerke, aber diese Schritte allein sind nicht ausreichend für eine Verteidigung gegen die Cyber-Bedrohungen. Das Bündnis muss Überlegungen darüber anstellen, was seine Rolle bei der Verteidigung von Mitgliedsstaaten gegen Cyber-Angriffe sein sollte. Wir müssen anfangen, die notwendigen Schritte zur Entwicklung zusätzlicher Cyber-Verteidigungsfähigkeiten des Bündnisses einzuleiten. Und zu diesem Zweck dränge ich darauf, dass die NATO-Minister im kommenden Jahr eine Sitzung abhalten, bei der genau untersucht wird, wie das Bündnis seine Cyber-Operationsfähigkeiten stärken kann.

Über den Cyber-Bereich hinaus müssen wir auch in weitere Fähigkeiten investieren – neue Spionage-Überwachung, Aufklärungsplattformen, Plattformen der nächsten Generation, wie z.B. den Joint Strike Fighter, und Spezialoperationseinsatzkräfte. Während wir diese Fähigkeiten bei schwierigen Haushaltsbedingungen zu erwerben versuchen, ist es unabdingbar, dass wir dabei strategisch und koordiniert vorgehen. Die intelligente Verteidigung der NATO bedeutet, dass nicht jede Nation Duplikate der benötigten Mittel erstellt. Es ist an der Zeit für die Nationen, entscheidende Fähigkeiten, entscheidende Kapazitäten, die die Fähigkeit der NATO verbessern auf gewöhnliche Bedrohungen reagieren zu können, untereinander zu teilen.

Und schließlich haben wir noch weitere regionale Partnerschaften zu errichten. Die dritte Säule zum Bau der transatlantischen Allianz des 21. Jahrhunderts muss ein entschiedenes und die Initiative ergreifendes Bemühen zum Aufbau starker Partnerschaften mit Nationen und Sicherheitsorganisationen in anderen Regionen der Welt sein.

Der Zweck dieser Partnerschafts-Politik ist nicht die Schaffung einer globalen NATO, sondern vielmehr anderen Regionen dabei zu helfen mehr für ihre eigene Sicherheit sorgen zu können, und im Verlauf dieses Prozesses täglich befähigter zu werden, als unsere Partner wirksamer gerüstet zu sein sich globalen Herausforderungen zu stellen.

Wir sehen dies Tag für Tag in Afghanistan, wo mehr als 20 Nicht-NATO-Mitgliedsstaaten, Australien, Jordanien, noch weitere, im ISAF-Verbund zusammenarbeiten mit NATO-Staaten. Und wir sahen die Vorteile dieser Politik genauso in unserer Libyen-Politik, wo die Arabische Liga und der Golf-Kooperationsrat eine Partnerschaft einging mit Europa und den USA unter dem Schild der NATO zum Schutze der libyschen Bevölkerung. Die Anwesenheit dieser regionalen Partner hat dem Bemühen der Allianz Glaubwürdigkeit und Schlagkraft verliehen und die Grundlage für eine fortgesetzte Zusammenarbeit in der Zukunft gelegt.

Da wir weiteren Herausforderungen für die Sicherheit in Afrika, dem Nahen/Mittleren Osten und dem Golf gegenüberstehen, müssen wir vertiefte Partnerschaften mit der Arabischen Liga und dem Golf Kooperationsrat anstreben und einen regelmäßigen Dialog und Austausch und Übungen mit afrikanischen Organisation wie der Afrikanischen Union und ECOWACS in Westafrika führen.

Und weiter voranschreitend müssen wir den Rahmen unserer Sicherheitserörterungen im Bündnis über Europa und über regionale Angelegenheiten hinaus ausdehnen. Insbesondere glaube ich entschieden, dass sich Europa den Vereinigten Staaten anschließen sollte beim Steigern und Vertiefen des militärischen Engagements im asiatisch-pazifischen Raum.

Ich weiß, dass unser sogenanntes Kreisen um Asien in Europa Sorgen hervorgerufen hat, dass Amerika sich von der transatlantischen Allianz abwenden würde, aber heute sollten diese Sorgen begraben werden. Globale Sicherheit ist kein Null-Summen-Spiel, genauso wenig wie es für die USA ihre Sicherheitsverpflichtungen sind. Und was noch wichtiger ist, Europas zukünftige wirtschaftliche Entwicklung und Sicherheit sind – ähnlich wie für die USA – zunehmend eng mit Asien verknüpft. Schließlich ist die EU Chinas größter Handelspartner, ASEANs zweitgrößter Handelspartner und es rangiert an dritter und vierter Stelle bei Japan und Süd-Korea.

Es liegt im Interesse sowohl der USA wie von Europa, dass das NATO-Bündnis einen stärker nach außen gerichteten Fokus erhält und sich beteiligt beim Stärken der Sicherheits-Institutionen in Asien, wie ASEAN. Es liegt ebenfalls in unserem Interesse, den Verteidigungsdialog und den Austausch mit einer Reihe von Nationen auszuweiten, inklusive Chinas, das laut einer Schätzung plant, mit seinen Militärausgaben die der acht größten europäischen Nation zusammengenommen bis 2015 zu übertreffen.

Wir müssen allen Nationen in der Region helfen, dort einen stärkeren Beitrag für Sicherheit und Wohlstand der zu leisten. Als Mitglieder dieses historischen Bündnisses liegt es in unserer Verantwortung, globale Führung zu demonstrieren und diese Ideale voranzutreiben.

Und zu diesem Zweck sollten die Vereinigten Staaten und Europa zusammenarbeiten und sicherstellen, dass unsere Bemühungen durch regelmäßige Konsultationen zwischen europäischen und US-Militärs koordiniert werden, die sich auf asiatisch-pazifische Sicherheitsbelange fokussieren. Kurz gesagt, Europa sollte sich nicht vor unserer Umorientierung nach Asien fürchten, es sollte sich uns dabei anschließen.

Lassen Sie mich schließen mit der Feststellung, dass die Welt mit dem NATO-Bündnis ein Model dafür besitzt, wie Nationen zusammenkommen können um globalen Frieden und globale Sicherheit zu fördern. Nach über sechzig Jahren bleibt sie immer noch das einzige wahre militärische Bündnis, das in der Lage ist, zum Erreichen dieser Ziele einen aktiv helfenden Beitrag zu leisten. Aber um diese Ziele in der Zukunft zu erreichen muss die transatlantische Allianz stark und mutig sein für einen Wandel.

Die Frage, vor der das Bündnis steht, ist ob unsere Nationen stärkere Verteidigungspartnerschaften erschaffen und unsere militärischen Fähigkeiten angesichts der signifikanten fiskalischen Unsicherheiten modernisieren können. Unsere Antwort auf diese Frage muss eindeutig sein. Sie muss kämpferisch sein im Geiste von Roosevelt und Churchill in Casablanca, dass wir nämlich zwar großen Herausforderungen gegenüberstehen, aber keinen, deren Bewältigung nicht durch unsere gemeinsame Stärke zu schaffen ist.

Nach meinem Aufenthalt diese Woche in Süd-Europa und weiterhin mit der Haushaltsunsicherheit in den USA beschäftigt , sehe ich den fiskalischen Druck, dem diese Nationen ausgesetzt sind, deren Volkswirtschaft weiterhin unter einer Rezession leidet , sehr klar. Ich stehe unter einem ähnlichen Druck und ähnlichen Unsicherheiten zu Hause, wo die Aussicht auf eine verheerende Runde von Haushaltskürzungen, sequester genannt (eine Zwangsverwaltung der Haushaltsmittel, d. Übers.), droht, falls der US-Kongress nicht bis zum 1. März zu einer Haushaltsdefizitverringerungs-Übereinkunft gelangt. Unsere Nationen stehen vor einer Krise, aber wir dürfen es einer Krise nicht gestatten unsere kollektive Entschlossenheit zu unterminieren.

In den letzten Tagen des Zweiten Weltkriegs , erkannte Premier-Minister Churchill, bei seinem Besuch beim schwer erkrankten Präsidenten Roosevelt, dass sein geschätzter Freund wohl das Ende des Krieges nicht erleben werde, und Churchill bot ihm die Gewissheit an, dass ihre Partnerschaft andauern werde. „Unsere Freundschaft“, sagte er, „ist der Fels, auf dem ich die Zukunft der Welt erbauen werde, solange ich zu den Erbauern gehöre.“

Jetzt, da ich mich von meiner Karriere im öffentlichen Dienst zurückziehe, erkenne ich, dass ein Generationswechsel im Gange ist. Es wird wohl keinen weiteren US-Verteidigungsminister mit persönlichen Erinnerungen an den Zweiten Weltkrieg geben. Viele von denen, die heute in den Militärdienst treten – und viele von den jungen Studenten unter den Zuhörern hier – wurden Jahre nach dem Fall der Berliner Mauer geboren. Und doch bleibt über die Generationen hinaus die transatlantische Allianz der Fels, auf dem wir unsere zukünftige Sicherheit und unseren zukünftigen Wohlstand bauen werden. Der Stab wird nun einer neuen Generation übergeben. Die Mission meiner Generation war, ein besseres und sichereres Leben für unsere Kinder sicherzustellen. Das wird nun zu Ihrer Mission und Ihrer Verantwortung. Die Geschichte wird letztlich über unser Vermächtnis entscheiden, im Guten wie im Schlechten. Ihre Aufgabe ist es jetzt Ihr Vermächtnis zu gestalten. Die zukünftige Sicherheit des 21. Jahrhunderts beruht darauf, ob Sie beschließen zusammen oder getrennt zu kämpfen. Die Entscheidung liegt bei Ihnen allen.

Gott segne Sie und er segne die Zukunft des transatlantischen Bündnisses zwischen den Vereinigten Staaten und Groß-Britannien. Ich danke Ihnen.

[Übersetzung aus dem Englischen: Eckart Fooken]

* Originaltext: Remarks by Secretary Panetta at King's College London, http://content.govdelivery.com/bulletins/gd/USDOD-67bf30?reqfrom=share


Zurück zur USA-Seite

Zur NATO-Seite

Zur Seite "Neue Weltordnung"

Zurück zur Homepage