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Der Bush-Wähler ist "religiös, reich, weiß, männlich, heterosexuell"

Der Bush-Triumph - Rückschlag für ein anderes Amerika und eine andere Welt

Von Conrad Schuhler*

Der Sieg Bushs und der Republikanischen Partei ist ein ernster Rückschlag für die soziale und Friedensbewegung in den USA und die Altermondialisten und Friedenskräfte in aller Welt. Entgegen allem Gerede von Hängepartie und knappem Ausgang ist festzustellen, dass eine deutliche Mehrheit der US-Wähler sich hinter die Politik von Präsident Bush gestellt hat. Al Gore hatte vor vier Jahren 500.000 Stimmen mehr erhalten als George W. Bush. Diesmal lag Bush dreieinhalb Millionen Stimmen vor John Kerry. Nicht nur Präsident Bush, die Republikanische Partei insgesamt konnte sich stark verbessern. Von den 34 neu zu wählenden Senatssitzen konnten die Republikaner vier mehr erringen als 2000. Sie haben jetzt im Senat mit 55 gegen 44 eine eindeutige Mehrheit über die Demokraten. Auch im Repräsentantenhaus haben sie mindestens vier Sitze dazu gewonnen und ihre Mehrheit ausgebaut.

Mit ihrem Votum haben die Wähler der Regierung Bush eine Legitimation für ihr kriminelles und völkerrechtswidriges Vorgehen verschafft. Der Wahlerfolg von 2000 beruhte auf Wahlbetrug; die Kriege gegen Afghanistan und Irak waren Verletzungen des Völkerrechts, die politische Begründung des Kriegs gegenüber dem Volk der USA war ein Gespinst von Unwahrheiten und blanken Lügen. Dies alles war der Mehrheit der US-Wähler nicht so wichtig. Sie gaben dem US-Präsidenten Grünes Licht: weiter so!

Wie konnte es dazu kommen? Der Hauptgrund liegt in dem Versagen der Demokratischen Partei und ihres Präsidentschaftskandidaten Kerry. Sie agierten nicht als Alternative zu Bush und den Republikanern sondern als demokratischer Flügel der Republikanischen Partei. Kerry setzte in den entscheidenden Fragen von Irak-Krieg und Krieg gegen den Terror keine anderen Ziele, er machte sich nur anheischig, die selben Ziele besser und kostengünstiger zu erreichen. Wie sollte er auch eine inhaltliche Alternative anbieten? Der Senator aus Massachusetts hatte - wie übrigens das Gros der demokratischen Senatoren, einschließlich Hillary Clinton - für den Afghanistan-Krieg, für den Irak-Krieg und auch für den Patriot Act gestimmt, der im Zeichen der Terrorbekämpfung die demokratischen Rechte der US-Bürger massiv beschneidet. Die Demokraten hatten den Wahlkampf um das Weiße Haus bereits verloren, als sie Howard Dean, den einzigen eindeutigen Kriegsgegner unter den demokratischen Aspiranten für das Präsidentenamt, im Vorwahlkampf in die Wüste schickten und statt seiner den konsensbeflissenen Kerry auf den Schild hoben.

Die These lässt sich mit Zahlen untermauern. 74 Prozent der Wähler, die den Krieg als wichtigstes Thema ansahen, stimmten für Kerry. Sie wollten den Stimm- zum Denkzettel gegen die Kriegstreiberei des Weißen Hauses machen. Indes bestand das Problem darin, dass nur eine knappe Hälfte der Wähler die Kriegsfrage für die entscheidende hielt. Die Demokraten haben den Krieg nicht zum entscheidenden Thema gemacht und sie haben keine klar umrissene Alternative angeboten. In Wahrheit haben sie das Thema eher gemieden. Mit ihrer Betonung des Kampfs gegen den Terror wollten sie auf der von Angst und Paranoia getragenen Woge der Sicherheitspropaganda mitschwimmen. Fast 80% der Wähler nannten denn auch den Kampf gegen den Terror als drängendstes Anliegen. Aber über 85% entschieden sich aus diesem Grund für Bush, der sich seit drei Jahren als gottgesandter Kämpfer gegen Terroristen, Ungläubige und Schurken aller Art darstellt. Kerry, der sich als blasse Kopie anbot, zog man dann doch das Original aus Texas vor. Bush hatte es leicht zu spotten, dass die Regierung doch schon alles unternehme, was sein Gegenkandidat vorschlage.

Auch ein positiver Beweis für die These, dass das Vermeiden und Verharmlosen der Kriegsfrage den Grund für Kerrys Niederlage schuf, lässt sich antreten. Im Gegensatz zur Parteiprominenz stimmte Senator Russ Feingold gegen den Irak-Krieg und gegen den Patriot Act. Feingold stand 2004 zur Wiederwahl an und alle Auguren hatten ihm eine verheerende Niederlage prophezeit, hatte er sich doch so völlig dem Mainstream der veröffentlichten Meinung entzogen. Während aber Kerry in Wisconsin nur hauchdünn vor Bush lag (49,8 zu 49,4%), verteidigte Russ Feingold seinen Senatssitz mit einer klaren Mehrheit (55,4 zu 44,1%). Konsequente, prinzipienfeste Antikriegspolitik "pays", zahlt sich aus.

Michael Moore, der mit seinem Anti-Bush-Film "Fahrenheit 9/11" einen wirksameren Wahlkampf machte als die ganze Demokratische Partei (auf dem Parteitag der Demokraten durfte er als Gast dabei sein, aber nicht als Redner auftreten, weil er nach Meinung der Parteiführung mit seiner "extremen" Position zu viele Wähler verprellen würde), hatte die Hoffnung, es gäbe einen großen Zustrom von Neuwählern und diese würden Kerry wählen. Tatsächlich gingen fast 20 Millionen US-Bürger mehr zur Wahl, die Beteiligung stieg von 50 auf 60%, wo sie zuletzt 1968 während des Vietnamkrieges lag. Und tatsächlich waren die Neuwähler mehrheitlich für Kerry. Von denen, die sich erst im letzten Monat vor der Wahl entschieden hatten, stimmten 60% für Kerry, nur 37% für Bush. Doch hatte sich der größte Teil der Wähler schon früher auf die Rangfolge von Original und Kopie festgelegt. Erst als Kerry in den letzten Wochen des Wahlkampfes, auch angetrieben durch die Duell-Situation der TV-Debatten, zu einer wenn auch immer noch vagen Form von Alternative fand, entschlossen sich Millionen, ihm doch ihre Stimme zu geben. Ein von Anfang an konsequenter Wahlkampf der inhaltlichen Alternative hätte die Demokraten zum Sieg geführt.

Was werden Bush und die Seinen aus dem Wahlergebnis machen? Einige Kommentatoren glauben, da Bush eine so große Mehrheit erzielt habe, brauche er jetzt nicht mehr so große Rücksichten auf die "Religiöse Rechte" zu nehmen. Das Gegenteil wird indes der Fall sein. Die große Mehrheit der Wähler sah in den "moralischen Werten" das wichtigste Kriterium für ihre Wahlentscheidung. 79% dieser Wähler stimmten für Bush, 63% der aktiven Christen bekannten sich zu ihrem Glaubensbruder im Weißen Haus. Der Katholik Kerry erhielt nicht einmal bei den Katholiken die Mehrheit. Die von Bush bisher vertretenen Werte - gegen die Abtreibung, für die Todesstrafe, keine Trennung von Staat und Religion, keine Förderung der Rassengleichheit, Diskriminierung gleichgeschlechtlicher Lebensgemeinschaften - wird er in Zukunft eher noch stärker verfolgen. In der Frage "moralische Werte" und Religion sollte man auch nicht verkennen, dass Bush hier kein Taktiker, sondern wirklicher Überzeugungstäter ist. In dieser Überzeugung kann er sich durch den Wahlausgang nur bestärkt fühlen. Man rechnet damit, dass ein gutes Drittel der Mitglieder des Obersten Gerichtshofs in den nächsten vier Jahren neu zu ernennen sind - Bush, der die Ernennungen vornimmt, wird dafür sorgen, dass diese auch in Fragen gesellschaftlicher Moral letzte Instanz auf absehbare Zeit von einer soliden reaktionären Mehrheit beherrscht wird.

Die Wählerkohorten des Kriegspräsidenten weisen vor allem diese Eigenschaften auf: religiös, reich, weiß, männlich, heterosexuell. Ein weißer Macho, der 100.000 Dollar verdient und jede Woche in die Kirche geht, und dann John Kerry wählt, wäre wahrscheinlich ein Unikat. George W. Bush wird diese seine Klientel noch unverfrorener bedienen. Vor allem in der Reform der Steuern und der Sozialsysteme wird sich dies bemerkbar machen. Ab 50.000 Dollar Jahreseinkommen hat Bush eine klare Wählermehrheit, die immer größer wird, je höher das Einkommen steigt. Die angekündigten Steuerreformen sollen eben diese Schichten "entlasten". Den Unternehmen hat Bush bereits weitere Steuersenkungen zugesagt. Dividenden und Spekulationsgewinne sollen auch in Zukunft nur mit 15 Prozent besteuert werden. Alters- und Krankenversicherungen sollen weiter privatisiert werden. Als Rentenversicherung ist die zwangsweise Anlage in Aktien und Investmentfonds durch die "Versicherten" vorgesehen.

Im Wahlkampf hat Bush das Leitbild der "Ownership Society", der Eigentümer-Gesellschaft geprägt. Für die meisten US-Bürger würde dies auf die Gründung von "Ich-AGs" hinauslaufen: die eigene Arbeitskraft total "flexibel" zu vermarkten, ohne den Schutz von Arbeitslosen- oder sonstiger Sozialversicherung. Schon heute sind in den USA 40 Millionen - was 30% der Wählerschaft vom 2.11.2004 entspricht - ohne jede Krankenversicherung. Wer sich keine private Versicherung leisten kann - das US-Gesundheitssystem ist das teuerste der Welt - wird eher arbeitsunfähig, eher zum Krüppel, muss eher sterben. Ownership-Society.

Die Industriebranchen, denen Bush am engsten verbunden ist, rechnen fest mit weiteren Zuarbeiten aus dem Weißen Haus. Da ist zunächst die Ölindustrie, deren Vertreter in der ersten Reihe der Regierung sitzen. Sowohl Präsident Bush wie sein Vize Cheney und die Sicherheitsberaterin Rice kommen aus Vorständen und Aufsichtsräten von Ölfirmen. Der Ölindustrie geht es u.a. um die Erschließung von Öl- und Gasreserven in Alaska und den Rocky Mountains, die bisher durch Umweltschutzgesetze blockiert wird. Ebenso bedeutend ist für sie der Krieg gegen und die Dominanz über islamische Staaten, unter deren sandigen Böden das "US-Erdöl" lagert. In Afghanistan hat man mit Karzai und anderen Leute an die Hebel der Macht gebracht, die seit langen Jahren auf den Gehaltslisten von US-Ölfirmen stehen. Im Irak hat man ein US-Ölprotektorat eingerichtet, das allerdings von innen heftig bekämpft wird. Der Wahlsieg wird Bush bestärken, seine Art von "Demokratisierung" im Irak mit aller militärischen Kraft durchzusetzen. Zu befürchten ist auch, dass Israel ermutigt wird, Atomanlagen und weiteres im Iran zu bombardieren. Getreu dem Motto von Vizepräsident Cheney: " Der Liebe Gott hielt es nicht für angebracht, Erdöl und Erdgas nur dort hinzutun, wo es demokratisch gewählte, den USA freundlich gesinnte Regierungen gibt. Gelegentlich müssen wir in Gegenden operieren, wohin man bei Lichte besehen normalerweise nicht freiwillig gehen würde. Aber wir gehen dorthin, wo es Geschäfte zu machen gibt."

Geschäfte zu machen gibt es vor allem auch in der Rüstungsindustrie. Schon in der alten Bush-Regierung waren 32 führende Positionen der Regierung mit Managern und Agenten der Rüstungsindustrie besetzt. Die Hunderte Milliarden Dollar Zusatzausgaben der Bush-Haushalte sind vor allem in die Rüstungsindustrie geflossen, die im Gegensatz zur allgemeinen Entwicklung Höhenflüge an den Börsen erlebt. Dass Bush nun die "Demokratisierung" der Welt mit noch größerem Eifer betreiben will, wie er in seiner Siegerrede klar machte, wird sich in den Bilanzen der Rüstungskonzerne gut ausmachen.

Auch beim Eingeständnis seiner Niederlage ist John Kerry seiner Wahlkampflinie treu geblieben. Amerika, sagte er, brauche nun Einigkeit, es sei dringend nötig zusammenzurücken. Einigkeit, Zusammenrücken zu welchem Ende? Bush sagte bei der Verkündigung seines Wahlsiegs, er sei stolz darauf, wie "dieses großartige Land" unter seiner Führung "der Freiheit der ganzen Menschheit gedient" habe. Die Anstrengungen würden weiter unternommen. Hinter dieser Politik will Kerry nun die ganze Nation in Einigkeit versammeln. Dieser Aufruf ist der letzte Offenbarungseid des Wahlkämpfers Kerry.

Wie nun weiter, fragt sich die Linke und die Friedensbewegung. Liest und hört man die Erklärungen der ersten Tage nach der Wahl, dann überwiegt die Trauer, die Enttäuschung über den Bush-Sieg. Dies ist nicht mehr unser Land, heißt es, und dass Amerika sich für immer geändert habe. Es tut weh, sagen gerade die herausragenden Aktivisten. Bevor es zu neuen Aktivitäten und Visionen kommt, wird wohl eine längere Phase der Trauerarbeit überstanden werden müssen. Die früher eilig herbeigezogene Erklärung, Ralph Nader mit seiner Kandidatur habe die nötigen Stimmen gekostet, ist diesmal nicht zu vernehmen. Selbst wenn alle Stimmen Naders an Kerry gegangen wären, hätte es zu keiner Mehrheit gereicht. In Ohio stand Nader gar nicht auf dem Wahlzettel, im zweiten großen Swing State Florida kam er auf 0,4%, Kerry auf 47,0%, Bush aber auf 52,2%. Erste Versuche einer politischen Analyse der Linken konzentrieren sich auf die Kritik an Struktur und Strategie der Demokratischen Partei. Der Kerry-Wahlkampf könnte das Ende der linken Position sein, man müsse quasi automatisch die Demokraten als das "kleinere Übel" gegen die Republikaner unterstützen. Dieses Mal hat sich das "kleinere Übel" als erstklassiges Düngemittel für das Große Übel erwiesen.

Wir haben diese Wahlanalyse der Homepage des isw sozial-ökologische Wirtschaftsforschung München e.V. entnommen.
Siehe: www.isw-muenchen.de



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