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Obamas Triumph

Der erste schwarze Präsident der USA hat trotz herber Kritik an seiner Amtsführung die Wiederwahl erreicht

Von Reiner Oschmann *

Barack Obama darf noch einmal vier Jahre die Vereinigten Staaten von Amerika regieren. Seine Wiederwahl ist Ausdruck eines neuen Realismus gegenüber der Idee vom »amerikanischen Traum«.

Für den ersten Eindruck gibt es keine zweite Chance. Für Präsident Obama schon. Seine Wiederwahl ist kein Grund zum Jubel, aber auch keiner für Gleichgültigkeit. Mit Barack Obama (51) wird schon geraume Zeit nicht mehr das »Yes, we can« verbunden, eher »Könnte schlimmer sein«. Dennoch gibt es Anlass zur Erleichterung, dass Amerikas erster schwarzer Präsident ein zweites Mandat erhalten hat. Er war vernünftiger und weniger großmachtblind, als es sein republikanischer Gegenspieler.

Zunächst spiegelt seine Wiederwahl ein langjähriges Muster wider. US-Präsidenten, die erneut kandidieren, werden in der Regel wieder-, nicht abgewählt. Geschieht letzteres, wie bei Carter 1981, ist das eine amerikanische Ausnahme. Doch andere Faktoren wiegen schwerer. Trotz großer Enttäuschungen, die Obamas Erstwahl folgten, galt er vielen von der Wirtschafts- und Finanzkrise seit 2007/08 betroffenen Amerikanern als volksnäher als Multimillionär Mitt Romney, der als Investmentberater genau jene vertritt, die es selbst im Paradeland des Kapitalismus zu honetter Unbeliebtheit brachten. Von vielen wurde der als »not one of us«, keiner von uns, gesehen. Politikprofessor Norman Birnbaum: »Man kann Präsident Barack Obama vieles vorwerfen - aber nicht, dass er die Probleme von Amerikas Mittelklasse verschweigt.« Der einstige Sozialarbeiter weckte mehr Vertrauen als die »Heuschrecke« Romney.

Wichtige Gründe für Obamas Wiederwahl liegen darin, wie er auf die Krise reagierte, die er 2009 neben Irak- und Afghanistankrieg im Bush-Erbe vorfand. Das Ankurbelungsprogramm, zu dem im ersten Amtsjahr Korsettstangen gegen das komplette Abschmieren der Autoindustrie gehörten, verhinderte noch größere Zusammenbrüche mit noch höherer Arbeitslosigkeit. Nicht abzuweisen sind Kritiker, die Obama vorwerfen, dass das Hilfsprogramm nicht umfangreicher war und von ihm nicht viel entschlossener verfochten wurde. Romneys Versuch, auf dem Zusammenbruch der Autoindustrie zu beharren, ging vielen Wählern gegen den Strich. Er hat das Pendel im Swing State Ohio und damit das Gesamtergebnis zu Obama schwingen lassen.

Die wirtschaftliche Entwicklung der USA war in den ersten Obama-Jahren keine Erfolgsgeschichte, vielmehr ein Drama, in dem Millionen Arbeit, Bleibe und Zukunft verloren. Die Wirtschaft als alleiniger Prüfstein hätte ihn in die Wüste geschickt. Davor bewahrt hat ihn auch die Demografie, die Bevölkerungsentwicklung in den USA. Wie bei seiner ersten Wahl überzeugte Obama auch diesmal nur eine Minderheit der weißen Wähler; gerettet haben ihn die im Land am raschesten wachsende Minderheit der Latinos und die Amerikaner seiner Hautfarbe. Die Afroamerikaner blieben ihm buchstäblich selbstlos treu. Denn Schwarze stehen heute schlechter da als bei Obamas Amtsantritt. Weiße Amerikaner besitzen im Schnitt das 22-fache Vermögen ihrer schwarzen Mitbürger, und während die nationale Arbeitslosenquote heute so hoch ist wie 2008, stieg sie unter Afroamerikanern um elf Prozent.

Von zwei weiteren Faktoren profitierte Obama: Von einem - verglichen mit den reaktionären, auf Weiße fixierten Republikanern und ihrem fundamentalistischen Tea-Party-Flügel - moderneren Gesellschaftsbild seiner Demokraten, wenn es um berufliche Gleichstellung der Geschlechter und um größere Rechtssicherheit für gleichgeschlechtliche Partnerschaften geht, sowie von Veränderungen in der Außenpolitik. Sie betreffen mitunter den Stil, in einigen Fällen auch die Substanz. Obama suchte weniger US-Alleingänge und mehr multilaterale Entscheidungen. Obwohl diese Veränderung voller Gegenbelege ist (Ausweitung des Drohnenkrieges, Offenhaltung des Gefangenenlagers Guantánamo, Kriegsverbrechen Afghanistan), zeigte sich eine Bereitschaft zu mehr amerikanischer Zurückhaltung in internationalen Konflikten. Sie dürfte, nebenbei, der Hauptgrund gewesen sein, weshalb die Welt vor dieser Wahl hoffte, Obama möge auch nach ihr Präsident sein. Obama hat eine begrenzte Entgiftung der USA-Außenwahrnehmung bewirkt. Nach George W. Bush gehörte dazu nicht viel, aber das ist nur ein Teil der Wahrheit. Der andere rührt von der Einsicht Obamas her, die bei Bush junior undenkbar gewesen wäre: »Wir können uns weder aus der Welt zurückziehen, noch können wir sie zur Unterwerfung nötigen.«

Neuer Realismus ist in Washington auch dringend nötig. Sein Gebot besteht jenseits der Frage, welche Kandidaten ins Weiße Haus drängen, egal ob Republikaner oder Demokraten. Das Realismusgebot betrifft Zustand und Zukunft des Landes. Der Wahlkampf verbiss sich endlos in die Frage, welche Fehler und Versäumnisse Obama beging. Beide Seiten, vor allem die Republikaner, versprachen die Wiederherstellung von Amerikas Größe und Optimismus. Von da war es nie weit zu der seit je überzogenen, ja abstoßenden Lobpreisung der USA als »the greatest nation on earth«, dem Land der Verheißung und des American Dream, kurz dem großartigsten Land der Welt.

Diese Selbsthuldigung gehört in den USA zum guten Ton. Doch sie war selten so fehl am Platze wie 2012. Vielleicht ist es die Haupterkenntnis der jüngsten Kampagne, dass der amerikanische Traum von Führung und ewigem Aufstieg aus ist, auch wenn die meisten Politiker das nie einräumen würden. Die Selbstbeweihräucherung der USA durch ihre Führung wurde von der Wirklichkeit nie stärker ad absurdum geführt als heute. Diese Kluft erklärt auch einen Gutteil der neuen amerikanischen Selbstzweifel, eine Befindlichkeit, die vor zwanzig Jahren, am Ende des Kalten Krieges, undenkbar war.

Heute erfasst sie sogar Unerschütterliche und die Gründe liegen nahe: Kann wirklich großartigstes Land sein, wo immer öfter schon nach mittleren Gewittern tagelang der Strom ausfällt und wo die Eigentümer der Marktkette Wal Mart so viel Reichtum besitzen wie 40 Prozent der ärmsten US-Amerikaner? Die führende Nation, die bei der Lebenserwartung Platz 49 in der Welt hält und von der 40 Millionen auf eine Suppenküche angewiesen, ebenso viele ohne Krankenversicherung, 21 Millionen Kinder arm, aber die Rüstungsausgaben höher sind als die der in der Rangliste folgenden zehn Staaten zusammen? In einem Land, in dem Klimawandel als gotteslästerliches Gerücht gilt, Engelsglaube unter Erwachsenen einen Rekordstand erreicht und der Präsident noch nach vier Jahren als »ausländisch-islamischer Marxist«, »Mischung aus Hitler und Stalin« oder »Affe« bezeichnet wird?

Der Wahlkampf war insofern eine Schlacht auf Nebenkriegsschauplätzen. Es gab fast keine ernsthafte Debatte zu der Frage, wie es weitergehen soll und welcher Plan dafür taugen könnte. So betrachtet ist es gut, dass ein Mann wiedergewählt wurde, der den Nutzen von Selbstbefragung sieht - und keine Partei, die rückwärtsgewandt einen Traum beschwört, den immer mehr US-Bürger als unerfüllbar erleben.

* Aus: neues deutschland, Donnerstag, 8. November 2012


Sieg im Klassenkrieg

USA: "Sozialist" Barack Obama wiedergewählt. Gewerkschafter jubeln

Von André Scheer **


Als »kluge Entscheidung des amerikanischen Volks« hat Linken-Fraktionschef Gregor Gysi am Mittwoch den Ausgang der Präsidentschaftswahl in den USA gelobt. Der Sieg Barack Obamas sei »eine Chance, der tiefen Spaltung der amerikanischen Gesellschaft durch eine Politik der Gerechtigkeit die Schärfe zu nehmen«. Einen solchen Optimismus teilte das venezolanische Internetportal aporrea.org nicht. »Die gute Nachricht ist, daß Mitt Romney verloren hat. Die schlechte ist, daß Barack Obama gewonnen hat«, kommentierte die Seite, die zu den wichtigsten lateinamerikanischen Nachrichtenportalen gehört.

Als »überraschend deutlich« wertete die Nachrichtenagentur dapd das Ergebnis von 50 zu 48 Prozent für den Amtsinhaber. Nach Auszählung von 97 Prozent der Stimmen hatte Obama dem Fernsehsender NBC zufolge bei mehr als 116 Millionen abgegebenen Stimmen einen Vorsprung von 2,5 Millionen auf seinen republikanischen Herausforderer Mitt Romney. Die US-Bürger wählen ihren Staatschef jedoch nicht direkt, sondern lediglich, welche Vertreter ihr Regionen in das Wahlmännerkollegium schickt. Dabei gilt in den meisten Bundesstaaten das Prinzip »The winner takes all«: Wer die relative Mehrheit der Stimmen erreicht, entsendet alle Wahlmänner des Bundesstaates. So konnte Obama den vorläufigen Ergebnissen zufolge mindestens 303 Stimmen für das »Electoral College« gewinnen, Romney lediglich 206. Das Ergebnis in Florida lag bei jW-Redaktionsschluß noch nicht vor. Da die Mehrheit im Gremium jedoch bei 270 liegt, war Obama der Sieg dort nicht mehr zu nehmen.

Damit kann er nun den Kommunismus in den USA einführen. Das befürchtet jedenfalls der Kommentator der Tageszeitung The Portsmouth Herald, Bill Case. Wenige Tage vor der Abstimmung warnte er seine Leser auf dem Onlineportal des Blattes: »Die reale Frage der bevorstehenden Präsidentschaftswahl ist, ob wir ein kapitalistisches oder ein marxistisches/sozialistisches Land sein werden. Es hat nie zuvor einen Präsidenten gegeben, der dem Kommunismus/Sozialismus näher gestanden hätte als unser gegenwärtiger Präsident.« Case stützt sich dabei vor allem darauf, daß die KP der USA bei dieser Wahl erneut zur Unterstützung Obamas aufgerufen hatte, um eine Rückkehr der extremen Rechten in das höchste Staatsamt zu verhindern.

Solche Warnungen wie von Case, die bereits vor vier Jahren Hochkonjunktur gehabt hatten, verpufften jedoch, wie E. J. Dionne am Mittwoch in der Washington Post feststellte: »Angriffe auf die ›Klassenkampf‹-Politik (Obamas) blieben wirkungslos, denn eine Mehrheit denkt, daß tatsächlich Klassenkrieg herrscht, und daß die Reichen ihn derzeit gewinnen.« In Meinungsumfragen hatten zuvor 54 Prozent der Wähler erklärt, daß Romneys Politik die Reichen bevorzuge, nur zwei Prozent sahen die Armen als Profiteure von dessen Linie. Daß sich Obama vor allem für die Reichen einsetzt, glaubten dagegen nur zehn Prozent, während ihn immerhin 31 Prozent für einen Unterstützer der Armen hielten.

Arbeiterfamilien im ganzen Land hätten in der Nacht die Wiederwahl Oba­mas gefeiert, begrüßte auch der Vorsitzende des Gewerkschaftsbundes AFL-CIO, Richard Trumka, den Ausgang der Abstimmung. Dadurch werde »das Land weiter auf dem Weg der Vernunft und der Teilung des Wohlstands vorangehen«. In den vergangenen Jahren seien Obama und sein Vizepräsident Joseph Biden »standhafte Verbündete der arbeitenden Männer und Frauen« gewesen, so der Gewerkschafter.

Auf den unter Obama verschärften Drohnenkrieg im Nahen und Mittleren Osten, die Blockade gegen Kuba oder das US-Gefangenenlager Guantánamo, dessen Schließung der Präsident vor vier Jahren versprochen hatte, ging Trumka nicht ein. Ein »Ende der US-Interventionen überall auf der Welt« war jedoch das Thema der »Partei für Frieden und Freiheit«, als deren Präsidentschaftskandidatin die Schauspielerin Roseanne Barr antrat. In den 90er Jahren war sie als Star der Fernsehserie »Roseanne« bekanntgeworden und forderte nun freie Bildung und Gesundheitsversorgung für alle sowie Vollbeschäftigung bei würdigen Arbeitsbedingungen. »Der eigentliche Grund, warum wir für diese Dinge noch immer kämpfen müssen ist, daß sehr wenige sehr reiche Leute die Welt besitzen und die Arbeitsbedingungen bestimmen.« Dieser Kapitalismus müsse durch eine »Demokratie der Arbeiterklasse«, den Sozialismus, ersetzt werden. Als Kandidatin für die Vizepräsidentschaft hatte Barr die Friedensaktivistin Cindy Sheehan nominiert. Die Mutter eines im Irak-Krieg getöteten Soldaten war 2005 international bekanntgeworden, als sie wochenlang vor der Ranch des damaligen US-Präsidenten George W. Bush campierte, um ihn zu einem direkten Gespräch zu zwingen und gegen den Krieg zu protestieren. Das Gespann kandidierte nur in Kalifornien, Colorado und Florida, konnte dort jedoch Zehntausende Stimmen gewinnen. Allein in Kalifornien unterstützten mehr als 57000 Wähler die Friedenspartei.

* Aus: junge Welt, Donnerstag, 8. November 2012


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