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Die Mär vom knappen Rennen

USA: Republikaner gingen bei den Wahlen ihrer eigenen Propaganda auf den Leim

Von Philipp Schläger *

Der Schock saß tief. Noch als Barack Obama einen der umkämpften Bundesstaaten nach dem anderen gewann und das Ergebnis schließlich unmißverständlich feststand, rieben sich viele Konservative überrascht die Augen. Am Wochenende wurde bekannt, daß Obama auch im Swing-State Florida seinen republikanischen Rivalen Mitt Romney besiegt hat. Der Demokrat vereint damit 332 Wahlmännerstimmen auf sich, wie diverse Medien am Samstag berichteten. Romney erreichte lediglich 206 Stimmen.

Der am Ende so deutliche Abstand paßt nicht in das Weltbild der Republikaner und ihrer Anhänger. Schon vor den Wahlen hatten sie jede Umfrage mit einem Vorsprung für den US-Präsidenten als falsch kritisiert. Tatsächlich führe Romney, mindestens sei jedoch von einem Kopf-an-Kopf-Rennen auszugehen. Und die Medien gingen ihnen allzuoft auf den Leim. Ein Beispiel dafür lieferte der USA-Korrespondent der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, Mathias Rüb. In einer Meldung über den Vorsprung Obamas schrieb er Ende September: »Die Umfrageergebnisse werden aber durch den Umstand verzerrt, daß die Meinungsforscher bei ihren Telefonumfragen mehr potentielle Wähler der Demokraten als der Republikaner befragen.« Auf diese von einigen Bloggern und mit Hilfe des ultrarechten rechtsextremen Fernsehsenders Fox News verbreitete Mär von vermeintlich unsauberen Umfragemethoden fielen nicht nur deutsche Konservative herein. Politisches Wunschdenken und die ideologische Verblendung rechter US-Politiker und Kommentatoren sowie der Drang nach hohen Einschaltquoten ließ bei ihnen offenbar gar keine andere Vorstellung zu als die eines knappen Wahlsieges.

Einer der wenigen Experten, die die Legende eines Kopf-an-Kopf-Rennens aufgrund der Datenlage regelmäßig zurückwiesen und früh von einer hohen Wahrscheinlichkeit eines Sieges Obamas ausgingen, war Nate Silver. Die Rechte attackierte den Verfasser des Fivethirtyeight-Blogs der New York Times immer wieder als Autor einer »linken« Zeitung. Doch Silver lag am Ende mit seinen Berechnungen goldrichtig und sagte das Ergebnis der Präsidentenwahl auf die genaue Zahl der Wahlmänner voraus.

Auch im Senat scheiterten die extremen Kandidaten der Republikaner. Trotz konstant hoher Arbeitslosigkeit infolge der größten Krise seit der Großen Depression gelang es den Demokraten wider Erwarten, ihre Mehrheit auszubauen. Im Repräsentantenhaus, der zweiten Kongreßkammer, schrumpfte die Mehrheit der Republikaner, die zunehmend im politischen Abseits stehen. Eine der wenigen Bastionen der Opposition, die konservative, weiße, männliche Arbeiterklasse, die Romney mit rassistischen Botschaften für sich zu gewinnen versuchte, wird nicht mehr ausreichen. Weiße werden in den kommenden Jahrzehnten in den USA zur Minderheit, schon der demographische Wandel spricht also gegen die Agenda der Partei.

Afroamerikaner wählten Obama mit einem Vorsprung von über 90 Prozentpunkten, bei der schnell wachsenden Minderheit der Latinos betrug der Abstand 44 Prozentpunkte, bei Frauen lag Obama mit zehn Prozentpunkten vor Romney. In fünf der sechs vergangenen Präsidentschaftswahlen verloren die Republikaner den Kampf um die Mehrheit der Wählerstimmen. Das alles sollte Anreiz genug sein für einen Kurswechsel. Doch da aus Sicht der Erzreaktionäre mit Romney ein vermeintlich »moderater« Kandidat verlor, gibt es auch Stimmen, die die Wahlniederlage nun als Beleg dafür sehen, daß dessen Kurs »nicht konservativ genug« gewesen sei. Inwiefern die Oppositionellen in der zweiten Amtszeit Obamas kooperativer werden, bleibt daher zweifelhaft. Der erste Gesprächsversuch des wiedergewählten demokratischen Präsidenten mit den Republikanern erinnerte an sein vergebliche Unterfangen von 2009. Als sein Sieg feststand, rief Obama nach einem Bericht der New York Times den Mehrheitsführer der Republikaner im Repräsentantenhaus, John Boehner, und den Minderheitsführer im Senat, Mitch McConnell, an. Doch der US-Präsident bekam eine Absage. Boehner und McConnell seien bereits schlafen gegangen.

* Aus: junge Welt, Montag, 12. November 2012


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