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"Obamas Armee" ist enttäuscht

Viele junge Wähler werden bei der Abstimmung am 2. November zu Hause bleiben

Von Max Böhnel, New York *

In den USA werfen die »Zwischenwahlen« lange Schatten voraus. Am 2. November werden alle 435 Sitze des Repräsentantenhauses und ein Drittel der Sitze im Senat neu vergeben. Die Demokraten und Präsident Barack Obama laufen dabei Gefahr, in beiden Häusern des Kongresses ihre Mehrheit zu verlieren.

Die glorreichen Zeiten vor zwei Jahren, als Hunderttausende von Jungwählern »Obamas Armee« genannt wurden und den Hoffnungsträger an der Wahlurne ins Amt spülten, sind vorbei. Überlassen die Enttäuschten das Feld den Republikanern?

Politisiert, mobilisiert und debattiert wird in den USA seit Monaten rechts, nicht links. Belege dafür lieferten die zahlreichen Tea-Party-Demonstrationen. Umfragen von Mitte Oktober erhärten die Vermutung, dass das Anti-Obama-Spektrum zu den Wahlurnen gehen wird, während viele Demokraten zu Hause bleiben werden. Die Harvard University und die Kaiser-Stiftung fanden heraus, dass sich 57 Prozent der rechten Republikaner und 83 Prozent der noch rechteren Tea-Party-Bewegung für die Wahlen interessieren, aber nur 43 Prozent der Demokraten.

Und das nur zwei Jahre nachdem der Präsidentschaftskandidat Barack Obama selbst in konservativen Hochburgen problemlos riesige Säle füllte und Tausende »Yes, we can« skandierten. Die Mehrzahl der Obama-Begeisterten waren damals Erstwähler und junge Erwachsene unter 30. Obama hatte in dieser Wählergruppe so klar gewonnen wie kein Präsidentschaftskandidat vor ihm.

Eine Mehrheit in dieser Altersgruppe sympathisiert zwar weiterhin mit Obama und den Demokraten. Doch der Enthusiasmus, der »Obamas Armee« auszeichnete, ist verschwunden. Weniger als die Hälfte der Wahlberechtigten in der Altersgruppe unter 30 Jahren haben laut einer Umfrage des Pew-Research-Instituts ihre Bereitschaft erklärt, am 2. November wählen zu gehen. Die tatsächlich abgegebenen Stimmen aus dieser Altersgruppe werden sich Wahlforschern zufolge dieses Mal annähernd gleich auf Demokraten und Republikaner verteilen.

In ND-Gesprächen mit etwa 20 jungen Obama-Anhängern in New York ergab sich immer dasselbe Bild: Während sich gut die Hälfte zum Wahlgang noch nicht entschieden hatte, äußerten diejenigen, die »definitiv« wählen werden, ausnahmslos ihre »Enttäuschung« über die Obama-Regierung. Aus dem Wahlversprechen »change« sei nichts geworden. Die Ursachen dafür lägen an Obamas Beratern, an den rechten Lobbygruppen sowie am »festgefahrenen politischen System«. Drei der Befragten, die sich der radikalen Linken zurechnen, meinten, Obama habe »von Anfang an von der Mitte aus nach rechts geblinkt« und sei dann »dort abgebogen«. Trotzdem werde man am 2. November das »kleinere Übel« wählen.

Laut Umfragen steht seit Monaten die Arbeitslosigkeit ganz oben auf der Sorgenliste der US-Amerikaner. »Wenn du keine Aussicht auf einen Job hast, dann entpuppt sich ›Yes we can‹ nach zwei Jahren als dummer Spruch«, sagt der 21-jährige Jermaine Levine. Obama habe zwar »ein sinkendes Schiff übernommen«, räumt er ein, aber die Situation auf dem Arbeitsmarkt sei der Regierung bis heute kein wichtiges Anliegen.

Der linksliberale »New York Times«-Kommentator Bob Herbert führte in der Dienstagausgabe die politischen Probleme der Obama-Partei auf eine weit verbreitete Stimmung in der Bevölkerung zurück, die letztendlich in der Wirtschaftskrise begründet liegt. Bei den sorgengeplagten US-Amerikanern herrsche das Gefühl vor, »dass sich das Land immer noch in einer schlechten Verfassung befindet und dass es in die falsche Richtung geht«.

Umfragezahlen und Statistiken geben Herbert recht. Fast 15 Millionen US-Amerikaner sind arbeitslos, und wer Arbeit hat, hat Angst davor, Lohn und Einkommen zu verlieren. 44 Millionen Bürger leben unter der Armutsgrenze, ein Drittel aller Kinder aus Latino-Familien und mehr als ein Drittel aller afroamerikanischen Kinder.

Wer als Erst- oder Jungwähler von 2008 in diese Situation hineingewachsen ist und weder von den Demokraten noch links davon Handlungsangebote bekommt, bleibt am Wahltag eben frustriert zu Hause. Die Führung der Demokraten tröstet sich und ihre Anhänger unterdessen mit dem Fingerzeig auf die Republikaner, die »Tea Party« und die Präsidentschaftswahlen in zwei Jahren.

Den Rechten stünden schwere interne Machtkämpfe bevor, prophezeit zum Beispiel der ehemalige Obama-Wahlkampfchef und heutige Demokraten-Stratege David Plouffe. Er ist der festen Meinung, dass sich die Republikaner an der Frage nach ihrem Präsidentschaftskandidaten zerstreiten werden – wovon die Demokraten profitieren würden.

* Aus: Neues Deutschland, 21. Oktober 2010


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