Dieser Internet-Auftritt kann nach dem Tod des Webmasters, Peter Strutynski, bis auf Weiteres nicht aktualisiert werden. Er steht jedoch weiterhin als Archiv mit Beiträgen aus den Jahren 1996 – 2015 zur Verfügung.

Kosmetik in Ferguson

Polizeichef tritt nach Mord an schwarzem Teenager zurück. Kaum Vertrauen der Bevölkerung in Verwaltung

Von Jürgen Heiser *

Nach erneuten Protesten ist der Polizeichef von Ferguson, Missouri, am Mittwoch zurückgetreten. Thomas Jackson werde sein Amt am 19. März an seinen Nachfolger übergeben, kündigte Bürgermeister James Knowles an. Der Polizeichef stand als Hauptverantwortlicher wegen des Mordes an dem afroamerikanischen Teenager Michael Brown im Zentrum der Kritik.

Der unbewaffnete 18jährige Brown war im August 2014 von dem weißen Polizisten Darren Wilson erschossen worden. Bis vor drei Wochen hatte Jackson trotz monatelanger landesweiter Proteste vehement abgestritten, dass es überhaupt ein Rassismusproblem in seiner Truppe gibt. Ein vergangene Woche veröffentlichter Untersuchungsbericht des US-Justizministeriums stellte jedoch auf höchster Regierungsebene fest, dass die schwarze Bevölkerungsmehrheit das Vertrauen in die zu über 90 Prozent aus Weißen bestehende Beamtenschaft des Ortes verloren habe. Ursache seien Korruption und institutioneller Rassismus.

Noch am Mittwoch abend (Ortszeit) waren 200 Demonstranten vor das von Polizisten in Kampfausrüstung geschützte Polizeigebäude gezogen. Sie bezeichneten den Rücktritt Jacksons gegenüber der Presse als überfällig, das berüchtigte Revier müsse jedoch völlig aufgelöst werden. Nach dem Ende des Protests seien nach Angaben des Polizeichefs der Kreisstadt St. Louis, Jon Belmar, Schüsse gefallen, durch die zwei Polizisten verletzt wurden. Zeugen erklärten gegenüber CNN, die Schüsse seien nicht aus den Reihen der Demonstranten abgegeben worden.

Bereits am Dienstag hatte Bürgermeister Knowles in einer öffentlichen Stadtratssitzung unter dem Beifall zahlreicher Bürger den Rücktritt von Stadtdirektor John Shaw bekanntgegeben. Das Justizministerium hatte Shaw als Hauptverantwortlichen dafür ausgemacht, dass die schwarzen Bürger Fergusons von Polizei und Amtsgericht mit einer Flut von Bußgeldern und Gebühren geschröpft und so »auf diskriminierende und ungesetzliche Weise zur lukrativsten Einnahmequelle der Stadt gemacht wurden«. Das sei »Beutelschneiderei«, kritisierte das Ministerium. Die »rassistisch voreingenommene Polizei« habe dabei »regelmäßig die verfassungsmäßigen Rechte der Menschen verletzt«.

Aus diesem Grund hatte Missouris oberster Gerichtshof bereits am Montag die Geschäfte des Amtsgerichts Ferguson an sich gezogen, um sie anschließend dem zu diesem Zweck an das Bezirksgericht von St. Louis versetzten Berufungsrichter Roy L. Richter zu übertragen. Dieser solle ab 16. März allein für den Gerichtsbezirk Ferguson zuständig sein.

In der Hauptstadt Jefferson City erklärte dazu die leitende Richterin Mary R. Russell gegenüber der Presse, diese »außergewöhnliche Aktion« sei notwendig gewesen, damit »die Öffentlichkeit wieder neues Vertrauen in das Amtsgericht von Ferguson fassen kann«. Aus diesem Grund musste vor allem Amtsrichter Ronald J. Brockmeyer sofort seinen Hut nehmen. Laut Justizministerium habe Brockmeyer das von Stadtdirektor Shaw errichtete Bußgeldsystem erst ermöglicht, indem er kontinuierlich eine Flut polizeilicher Strafzettel in hohe Bußgelder verwandelt und sie zusätzlich mit hohen Verwaltungs- und Strafgebühren belegt habe. Aus 25 US-Dollar wegen Falschparkens konnte so schnell ein Bußgeld von 500 US-Dollar und mehr werden. Wer das nicht zahlen konnte, den schickte Brockmeyer aus dem Stand ins Gefängnis.

Diese »staatliche Schuldenfalle« war berüchtigt und stürzte viele mittellose Einwohner des Ortes in noch tiefere Armut (siehe jW vom 11.2.2015). Der Zugewinn für die Stadtkasse war nach dem Bericht des Justizministerium enorm. Als Polizeichef Jackson Ende Februar 2011 an Shaw meldete, Brockmeyer habe in dem Monat mit mehr als 179.000 US-Dollar die »höchsten monatlichen Bußgeldeinnahmen in vier Jahren« erzielt, habe Shaw schriftlich mit »Wunderbar!« geantwortet.

Richter Brockmeyer sei als »Geldmacher« und »Umsatzquelle« ein Segen für die Stadt. Weil Bürgermeister Knowles das alles gewusst habe, wird jetzt in der Stadt auch die Forderung nach seinem Rücktritt laut. »Sie sind Teil des Problems«, rief ein anwesender Bürger laut St. Louis Post Dispatch Knowles in der letzten Debatte des Stadtrates zu.

* Aus: junge Welt, Freitag, 13. März 2015


Zurück zur USA-Seite

Zur USA-Seite (Beiträge vor 2014)

Zurück zur Homepage