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Waffen für Kiew

US-Republikaner fordern Militärhilfe für ukrainische Regierung »zur Rückoberung ihres Territoriums«. Obama als »König der Entschlußlosigkeit« angegriffen

Von Knut Mellenthin *

In der »politischen Klasse« der USA wächst die Aggressivität gegen Rußland. Ausgerechnet Präsident Barack Obama, der die Beziehungen zwischen den beiden Staaten auf einen Tiefpunkt geführt hat, muß sich gegen den Vorwurf verteidigen, schwach und tatenlos zu sein. Die Polemik kommt nicht nur von den Republikanern, sondern auch von nahezu allen einflußreichen Kommentatoren und Redakteuren der Mainstream-Medien. Aktuelles, emotionsträchtiges Thema ist seit Donnerstag der immer noch unaufgeklärte Absturz einer malaysischen Passagiermaschine über der Ukraine. Viele Politiker – allerdings bisher fast nur Republikaner – und so gut wie alle US-Medien fordern eine Rückkehr zum Kalten Krieg gegen Rußland.

Auch die demokratische Senatorin Dianne Feinstein, die den Vorsitz im Geheimdienstausschuß führt, ließ sich am Sonntag beim Sender CNN zu dem Satz hinreißen, »die Welt« müsse »endlich aufstehen und sagen: Uns reicht’s!« Aber dann fiel ihr ein, daß das »schwierig« sei, »weil man Rußland bei so vielen Dingen braucht: Iran, Syrien …« Diese Tatsache, so kann man immerhin mit Grund hoffen, wird zumindest in absehbarer Zeit das Ärgste verhindern.

John Kerry absolvierte am Sonntag im Stundentakt Interviews mit fünf verschiedenen Fernsehsendern. Das lag nicht am speziellen Anlaß, sondern gehört für den Außenminister zur Routine. Über die Ursache des Absturzes gab Kerry sich sehr sicher: Eine Rakete der »Separatisten« habe das Flugzeug der Malaysia Airlines getroffen. Kein Zweifel, denn schließlich hätten diese in den vergangenen Monaten schon zwölf Flugzeuge oder Hubschrauber abgeschossen. Was Kerry nicht sagte: Es handelte sich ausschließlich um Militärmaschinen, mit denen die Regierung in Kiew einen brutalen Krieg gegen einen Teil ihrer eigenen Bevölkerung führt.

Obama sei »bereit, zusätzliche Maßnahmen zu ergreifen«, versprach der Außenminister beim neokonservativen Sender Fox News. Man sei gerade mit den Ukrainern im Gespräch, »was sie brauchen, was wir noch tun können«. Außer der direkten Entsendung US-amerikanischer Truppen seien »alle Optionen auf dem Tisch«. Damit bestätigte Kerry eine Andeutung Obamas, der am Freitag diplomatisch verschnörkelt Waffenlieferungen in Aussicht gestellt hatte.

Beim Ruf nach härteren Sanktionen gegen Rußland möge man jedoch bedenken, mahnte Kerry, daß das Land nur fünf Prozent seines Außenhandels mit den USA abwickelt, aber 50 Prozent mit Europa. Deshalb komme es jetzt zunächst darauf an, »unsere europäischen Partner mitzunehmen« und sie davon zu überzeugen, daß der Flugzeugabsturz in der Ukraine »ein Weckruf« sei. Den Interviewer Chris Wallace von Fox News beeindruckte dieser Einwand aus dem Reich der Realität nicht. Immer wieder fiel er Kerry ins Wort und fragte schließlich inquisitorisch: »Wenn das Massaker an 300 Zivilisten nicht ausreicht, was muß dann noch zwischen den USA und Rußland geschehen, damit wir endlich gegen ganze Sektoren, nicht gegen einzelne Unternehmen und Personen, sondern gegen ganze Sektoren der russischen Wirtschaft vorgehen?«

Die Republikaner bedienen das Bedürfnis der Medien und sicher auch großer Teile der US-Bevölkerung nach sachlich nicht reflektierten, im Sinn einer professionellen Außenpolitik kontraproduktiven Krawalltönen gegen den alten Feind. Senator Lindsey Graham forderte am Sonntag bei »Meet the Press« Waffenlieferungen an Kiew und nannte es »unverzichtbar«, daß die USA »führen« müßten. Schließlich seien sie »der Leim, der die freie Welt zusammenhält«. Obama aber sei »zum König der Unentschlossenheit« geworden.

Senator John McCain sprach sich am Donnerstag beim beliebten konservativen Moderator Sean Hannity ebenfalls für Waffenlieferungen an die ukrainische Regierung aus, setzte aber noch offen hinzu: »damit sie ihr Territorium zurückerobern können.« Außerdem müßten die USA eigene Truppen »in Gebiete« verlegen, »die von Wladimir Putin bedroht werden«. Konkret nannte der notorische Hardliner in diesem Zusammenhang nur die drei Ostseerepubliken Litauen, Lettland und Estland. Nicht zuletzt müßten »gegen Putin und Rußland« die »härtestmöglichen Sanktionen« verhängt werden.

* Aus: junge Welt, Dienstag 22. Juli 2014


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