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Obama will den "stärksten Hammer" behalten

Präsident bekräftigt den globalen Führungsanspruch der USA / Truppenabzug aus Afghanistan soll erst bis Ende 2016 erfolgen

Von Reiner Oschmann *

In seinem sechsten Amtsjahr hat Präsident Barack Obama eine neue außenpolitische Doktrin formuliert und den globalen Führungsanspruch der USA bekräftigt.

In einer Grundsatzrede an der Militärakademie West Point (Bundesstaat New York) bilanzierte Barack Obama am Mittwoch Washingtons Kurs seit den Terroranschlägen vom 11. September 2001. Nach über zehn Jahren Krieg im Ausland, darunter in Afghanistan der bisher längste Krieg der USA überhaupt, sprach er sich für verstärkte kollektive Lösungen in internationalen Krisen- und Kriegssituationen aus. Es gehe um ein »neues Kapitel der US-Außenpolitik«. In Afghanistan, wo die USA seit 2001 Krieg führen und – vielfach beteuert – ihren Truppeneinsatz bis Ende 2014 beenden wollten, soll der Abzug nun erst bis Ende 2016 erfolgen. Bis dahin will Obama, auch nach dem Abzug der letzten 32 000 Kampftruppen Ende dieses Jahres, 9800 Soldaten am Hindukusch belassen. Die »New York Times« schrieb im Leitartikel: »Die Amerikaner fragen seit Jahren, wann der Krieg in Afghanistan endlich vorbei ist. Präsident Obama antwortet darauf: nicht in den nächsten zweieinhalb Jahren …«, also nicht vor Ende seiner Amtszeit.

In West Point, wo er 2009 bereits die Verstärkung der Truppen in Afghanistan auf ihren Höchststand von 100 000 Mann angekündigt hatte, verteidigte der Präsident die damalige Entscheidung mit Hinweis auf »Amerikas Sicherheit«. Er fügte jedoch hinzu, Amerikas Todesopfer verfolgten ihn. »Ich würde meine Pflichten Ihnen und gegenüber dem Land verraten, das wir lieben, wenn ich Sie in Gefahr schickte, bloß weil ich irgendwo in der Welt ein Problem sehe, das einer Lösung bedarf, oder weil mich Kritiker bedrängten, die meinen, Amerikas einziger Weg, nicht schwach zu erscheinen, ist die militärische Intervention.« Obama lehnte die alleinige Wahl zwischen Krieg und Rückzug aus internationalen Verpflichtungen ab und bekräftigte den Mittelweg zwischen Isolationismus und Intervention. Die USA hätten die Chance, durch Beispiel und internationale Bündnisse zu führen. »Wir haben eine lange Kriegszeit hinter uns«, sagte der Präsident den ersten West-Point-Absolventen seit »Nine-Eleven«, die nicht sogleich in den Krieg ziehen. Kriegseinsätze könnten in Zukunft »nicht jedes Mal der einzige – oder gar der erste – Bestandteil unserer Führung sein. Nur dass wir den stärksten Hammer besitzen, bedeutet nicht, dass jedes Problem ein Nagel ist.«

Der Terrorismus bleibe für die USA »zu Hause wie im Ausland absehbar die direkteste Gefahr«. Dennoch sei die Annahme naiv, man könne jedes Land besetzen, das Terroristen beherberge. Vielmehr müsse die Strategie gegen den Terrorismus neu justiert werden. Obama forderte das Parlament in Washington zur Billigung eines neuen »Partnerschaftsfonds gegen den Terrorismus« im Umfang von fünf Milliarden Dollar auf, um sich gegen neue Terrorgefahren zu wappnen. Die sich vermindernde militärische Präsenz der USA in Afghanistan erlaube es, »sich effektiver den wachsenden Gefahren in Nahost und Nordafrika zu widmen«. Der Fonds solle benutzt werden, Partnerländer »an den Frontlinien auszubilden und auszurüsten«, etwa die Sicherheitskräfte in Jemen im Kampf gegen Al Qaida, die multinationale Friedenstruppe in Somalia, die Verstärkung der Grenzkontrollen in Libyen oder französische Operationen in Mali.

* Aus: neues deutschland, Freitag 30. Mai 2014


Einmalig, unentbehrlich

Obama über globale US-Führung

Von Knut Mellenthin **


Wenn ein Taifun die Philippinen trifft oder Schulmädchen in Nigeria entführt werden oder maskierte Männer ein Gebäude in der Ukraine besetzen, dann ist es Amerika, bei dem die Welt Hilfe sucht.« – So hört es sich an, wenn ein größenwahnsinniges Kind, das nicht erwachsen werden will, den Präsidenten der USA spielt.

Barack Obama predigte am Mittwoch in der legendären Militärakademie West Point über die Rolle der Vereinigten Staaten von Amerika als »unentbehrliche Nation«, über ihren »Exceptionalism« – eine gotteslästerliche Selbstüberschätzung, die mit »Außerordentlichkeit« noch viel zu bescheiden übersetzt wäre – und über ihre »Global Leadership«, die es mit Zähnen und Klauen zu verteidigen gelte. Daß Obama beharrlich »die Welt« sagt, wenn er lediglich die USA und ihre Verbündeten meint, und daß er Rußland als »isoliert« bezeichnet, gehört zum Ritual. Das ist nach Lage der Dinge nicht allein Obamas persönliches Problem, sondern auch das eines weltweit verbreiteten Gesellschaftssystems, das Figuren wie ihn oder seine Freundin Angela Merkel zwangsläufig hervorbringt.

Einige Journalisten des Mainstream – Karl Kraus nannte diese Spezies »Dekorateure des Untergangs« – sprechen jetzt über eine »Obama-Doktrin«. Angeblich besteht sie darin, daß der amtierende US-Präsident die Schwelle für Kampfeinsätze seiner Streitkräfte erheblich höher legen will als bisher. In Wirklichkeit ist seine Spruchweisheit, daß man lieber zusammen mit möglichst vielen Partnern in den Krieg ziehen sollte statt im Alleingang, alles andere als sensationell. Auch die Erkenntnis, daß man nicht zu jedem Konfliktherd gleich Soldaten schicken soll, ist nicht neu. Obamas Hinweise, daß es auch viele andere Mittel gibt, Gegnern Schaden zuzufügen und seinen Willen durchzusetzen – Sanktionen, Finanzierung von Oppositionsgruppen bis hin zur Bewaffnung von Aufständischen – dürfte Allgemeingut aller seiner Vorgänger gewesen sein.

Daß Obama in West Point gleichzeitig verstärkte Unterstützung für Rebellen in Syrien ankündigte, sagt deutlich, wie’s gemeint ist: maximaler Effekt mit möglichst wenig Risiko und Kosten. Mit den horrenden Summen, die die USA zeitweise innerhalb einer einzigen Woche im Irak und in Afghanistan verpulverten, kann man mehr als ein Dutzend Staaten gleichzeitig für mindestens ein Jahrzehnt destabilisieren.

Einen Tag vor dem Auftritt in West Point hatte Obama die Planung für Afghanistan bekanntgegeben: 9800 US-Soldaten bleiben auch nach dem »Abzug« Ende 2014 im Land. Ein Jahr später wird ihre Zahl halbiert, und nach 2016 soll es nur noch »eine normale Botschaftspräsenz« in Kabul geben, für die US-Medien immerhin rund 1000 Soldaten veranschlagen. Bleibt die Frage: Warum läßt Washington sich in dem 2013 ausgehandelten Stationierungsvertrag das Recht garantieren, bis 2024 Militär und Stützpunkte in Afghanistan unterhalten zu dürfen?

** Aus: junge Welt, Freitag 30. Mai 2014


Obama auf Teddys Spuren

Reiner Oschmann über die »sanfte Sprache« des USA-Präsidenten ***

»Sprich sanft und trag eine große Keule bei dir, dann wirst du weit kommen!« Die Maxime des imperialistischen Präsidenten »Teddy« Roosevelt (1901-09) schwingt in der neuen Doktrin des heutigen Mannes im Weißen Haus mit. Laut Obamas jüngster Rede handeln die USA künftig zurückhaltender, ehe sie Krisenherde mit Kriegen überziehen. Das wäre eine vernünftige Lehre aus den Völkerrechtsverletzungen in Irak und Afghanistan. Es anerkennt sinnlos geopferte Menschenleben in Kriegen ohne Sicherheitsgewinn, und die avisierte Anhebung der Kriegsschwelle berücksichtigt die schrumpfenden Möglichkeiten der Militärweltmacht, Kriege ohne das Risiko immer schwerer wiegender Folgen für die eigene Wirtschaft und Gesellschaft anzuzetteln.

Soweit so vernünftig. Ein Verzicht auf den »big stick« bedeutet das nicht. Auch Obama geht fürderhin (wieso nur?) von alleiniger US-Führung bei stärkerer Übernahme militärischer Lasten durch Verbündete aus. Das stellt seine Einsicht in Frage, macht sie im Ernstfall zum Spielball einer Politik, die nichts mehr fürchtet als den Vorwurf der Führungsschwäche. Der klebt an Obama. So bemerkenswert der Wille ist, Distanz zu militärischen Mitteln wenigstens zu formulieren – die Taten entscheiden, ob der Weltpolizist, sanft in die Runde sprechend, nur ein menschlicheres Antlitz sucht.

*** Aus: neues deutschland, Freitag 30. Mai 2014 (Kommentar)


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