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"Es ist tabu, heikle Themen an der Uni zu diskutieren"

Berliner Historiker in der Ukraine von Nationalisten bedroht. Grund: Seine Forschung zum Faschisten Bandera. Gespräch mit Grzegorz Rossolinski-Liebe


Grzegorz Rossolinski-Liebe ist Doktorand an der Universität Hamburg und lebt in Berlin.


Sie sind vor wenigen Tagen aus der Ukraine zurückgekehrt, wo Ihre von der Heinrich-Böll-Stiftung, dem DAAD und der deutschen Botschaft in Kiew organisierte Vortragsreise den Zorn ukrainischer Ultranationalisten auf sich gezogen hat. Was war da los?

Es waren sechs Vorträge geplant: Zwei in Lwiw, wo den Organisatoren aber niemand Räume bereitstellen wollte. Zwei Veranstaltungen in Dnipropetrowsk wurden abgesagt, als ich schon anreistse. In Kiew wurde das Zentrum für visuelle Kultur, nachdem es mich eingeladen hatte, vom Direktor geschlossen. Genauer: Erneut geschlossen, der erste Anlaß kurz davor war eine gesellschaftskritische Ausstellung namens »The Ukrainian Body«, die der Direktor als Pornographie verurteilt hatte.

Wie wurden die Absagen begründet?

Teilweise gar nicht, teilweise gingen sie direkt auf Anrufe der ultranationalistischen Partei Svoboda zurück. Die sagte, mein Vortrag sei nicht gut für die Ukraine, ich sei ein feindlicher Provokateur. Dem hat sich auch der Rektor der Nationalen Universität Kiew-Mohyla-Akademie, Serhii Kvit, angeschlossen. Kvit selbst steht den Rechtsextremen nahe, er war Sprecher im Kongreß Ukrainischer Nationalisten, ein radikaler Verein, der neofaschistische Märsche veranstaltet. Das Zentrum für Polnische und Europäische Studien an der Mohyla-Akademie warf mir vor, »anachronistische« Begriffe wie »Faschismus« zu benutzen.

Was regt die Rechten so an Ihnen auf?

Ich habe eine Dissertation geschrieben, in der ich das Leben Banderas und die Erinnerung an ihn untersucht habe. Bandera war seit den 1930er Jahren Anführer der Organisation Ukrainischer Nationalisten (OUN) und gilt im nationalistischen Diskurs als Patriot und Freiheitskämpfer. Seine Begeisterung für den Faschismus wird verdrängt, genauso wie der ukrainische Beitrag zum Holocaust, etwa durch die Hilfspolizisten. Wer das anspricht, gilt als Feind der Ukraine oder Verräter. Svoboda-Aktivisten haben mir abwechselnd unterstellt, ich handle im Auftrag Deutschlands oder ich sei prosowjetisch.

Sie sind auch bedroht worden?

Svoboda hat im Internet verbreitet, ich sei »ukrainophob« und »liberaler Faschist«. Auf Bildern haben sie mich neben Goebbels abgebildet. Ich konnte gar nicht glauben, was sie alles über mich schreiben. Sie haben sogar behauptet, daß ich gekommen sei, um einen Bürgerkrieg auszulösen. Richtig bedrohlich wurde es, als mich in der Wohnung in Kiew jemand anrief, der sich als Milizionär ausgab und sagte, er werde vorbeikommen, weil die Vermietung von Wohnungen an Ausländer illegal sei. Die deutsche Botschaft hat dann dafür gesorgt, daß ich in die Wohnung eines Botschaftsmitarbeiters ziehen konnte, wo ich sicher war. Mein Vortrag in der Botschaft war letztlich der einzige, der stattfand, unter Schutz der Miliz. Draußen demonstrierten ca. 100 Svoboda-Leute.

Die Forschungsfreiheit in der Ukraine wird also von den Nationalisten definiert?

Das Problem ist, daß seit dem Zerfall der Sowjetunion Demokratie und Nationalismus oft für eins gehalten werden. Fragen wie die Pogrome oder der ukrainische Faschismus werden nicht aufgearbeitet.
Wissenschaftliche Institute in Lwiw (Lemberg) fürchten, daß sie Svoboda vor der Tür haben werden, wenn sie mich einladen. Die Partei bekommt in der Westukraine bis zu 30 Prozent der Stimmen, es gibt dort rund 30 Bandera-Monumente. Ich habe mal vorgeschlagen, zwei Denkmäler für die Opfer der Lemberger Pogrome von 1918 und 1941 zu bauen. Lemberger Akademiker haben mich daraufhin für verrückt erklärt.

Nach meinem Vortrag in Kiew haben mir Studenten erzählt, daß sie zum ersten Mal eine andere Meinung über Bandera und die OUN gehört haben. Ein Professor bestätigte mir, Historiker könnten in der Ukraine nicht offen über die Geschichte sprechen. Heikle Themen an der Uni zu diskutieren ist dort tabu.

Interview: Frank Brendle

* Aus: junge Welt, 9. März 2012


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