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Ehrung für SS-Anhänger

Trauerbeflaggung am Tag des Sieges: Ukrainische Faschisten beklagen Niederlage der Nazis und ihrer Helfer

Von Frank Brendle *

Den Tag des Sieges über den Faschismus zum Trauertag umzufunktionieren – diese Idee verfolgt in der Ukraine mit eingeschränktem Erfolg die faschistische Partei Swoboda (Freiheit). Während in den meisten Regionen des Landes Zehntausende den Sieg der Roten Armee feierten, gingen die Faschisten im galizischen Lwiw (früher Lemberg) zu Ehren der ukrainischen Waffen-SS auf die Straße.

Ende April hatte der Lwiwer Stadtrat auf Initiative der dort tonangebenden Swoboda-Fraktion den 8. und 9. Mai zu »Gedenktagen der Opfer totalitärer Regime und des Zweiten Weltkrieges« erklärt und Trauerbeflaggung angeordnet. Feiern wurden verboten, ebenso das Zeigen sowjetischer Symbole. Es sei eine »Provokation«, wenn »anti-ukrainische Parteien und Gruppen« am 9. Mai die rote Flagge zeigten, so Swoboda-Politiker Liubomyr Melnychuk. Der »kommunistische Sabbath« müsse verhindert werden.

Nach Angaben des ukrainischen Rechtsextremismusforschers Anton Shekhovtsov sprechen die Lwiwer Behörden seit mehreren Jahren ein solches Flaggenverbot aus. Auch diesmal wurde es – allerdings von einem Gericht – aufgehoben. Swoboda erwirkte daraufhin ein Totalverbot aller »privaten« Großveranstaltungen am 8. und 9. Mai, nur offizielle Feierlichkeiten blieben erlaubt. Eine Ausnahme galt für ein Straßentheater, bei dem faschistische Lokalpolitiker die »Wahrheit des Besatzungskrieges« zu zeigen vorgaben, indem sie in Uniformen der Roten Armee, des sowjetischen Geheimdienstes NKWD und der SS die »Ukraine mißhandelten«. Das entspricht der nationalistischen Reduzierung des Sieges der Roten Armee als Beginn einer neuen Besatzung.

Der ukrainische Premierminister Nikolai Asarow erklärte zum »Trauergebot« der galizischen Politiker nach Angaben der russischen Nachrichtenagentur RIA Novosti: »Sie trauern, weil sie die geistigen Nachfolger dieser menschenfeindlichen Ideologie sind. Deswegen werden wir alles tun, damit die Keime des Nazismus in unserem Land nicht aufgehen.«

Zugleich hat Swoboda keine Probleme damit, öffentlich die 14. Waffen-Grenadier-Division der SS zu feiern. Ende April versammelten sich in Lwiw rund 2000 Menschen anläßlich des 70. Jahrestages des Gründungsaufrufes der sogenannten Galizischen Division. Die Faschisten zogen vom Denkmal des Nationalistenführers Stepan Bandera aus durch die Stadt, mit sich führten sie das Emblem der SS-Einheit, andere Marschierer trugen SS-Runen auf ihrer Kleidung. Auch in Ivano-Frankivsk hat es Shekhovtsov zufolge einen solchen Aufmarsch gegeben. Radio Swoboda gab zudem an, erstmals hätten auch in einer östlichen Stadt, Krivoy Rog, 100 Menschen für die SS demonstriert. Nach Angaben der Bundesregierung gegenüber der Linken-Abgeordneten Ulla Jelpke haben an den Märschen auch einige deutsche Nazis teilgenommen.

»Swoboda nutzt die Aufmärsche, um den angeblichen Mythos aufzulösen, daß die Galizische Division eine Nazitruppe gewesen ist«, erklärten die Organisatoren. Die SS-Truppe, die bis zuletzt unter deutschem Oberbefehl gestanden und rund 13000 Mann umfaßt hatte, wird als »Erste Ukrainische Division der Ukrainischen Nationalen Armee« bezeichnet. Damit soll ein genuin ukrainischer Charakter der Kollaboration suggeriert werden. Diesen Namen hat sie freilich erst zehn Tage vor ihrer Kapitulation 1945 angenommen.

Der SS-Division sind etliche Verbrechen nachgewiesen worden. Polnische und ukrainische Historikerkommissionen machen sie etwa für ein Massaker an mehreren hundert Einwohnern des polnischen Dorfes Huta Pieniacka im Februar 1944 verantwortlich. Die Faschisten üben sich jedoch im Leugnen: Swoboda hat an der Stätte des Verbrechens sogar ein Schild aufgestellt, das die Verantwortung der ukrainischen Kollaborateure leugnet.

In der Lwiwer Stadthalle erhielten jetzt 20 SS-Veteranen Medaillen aus der Hand von Swoboda-Politikern, weil sie im Kampf gegen die Sowjetunion »für ihr Vaterland« gefochten hätten. An der Zeremonie nahm dem Pressedienst der Partei zufolge auch der Parlamentsabgeordnete Jurij Michaltschischin teil, der in der Vergangenheit den Holocaust als »Lichtblick in der europäischen Geschichte« bezeichnet hatte (vgl. jW Wochenendgespräch vom 20.10.2012.) Ähnliche Zeremonien soll es auch in anderen Regionen gegeben haben. Swoboda war bis zum vorigen Jahr weitgehend auf den Westen der Ukraine beschränkt, erhielt bei den Wahlen im vorigen Jahr aber über zehn Prozent der Stimmen.

Zahlen muß allerdings der Lwiwer Fußballclub »Karpaty«, nachdem ein Teil seiner Fans bei einem Spiel Ende April ein überdimensionales Emblem der »Division Galizien« entrollt hatten. Der Fußballverband sah darin eine neofaschistische Betätigung und verdonnerte den Verein neben einer Geldstrafe zu einem Heimspiel vor leeren Rängen. Am 9. Mai blieb es in Lwiw friedlich, aber nicht ohne Provokation: Bei einer Kranzniederlegung am sow­jetischen Mahnmal pöbelten Nationalisten mit der Parole »Moskali go home«.

* Aus: junge Welt, Mittwoch, 15. Mai 2013


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