Dieser Internet-Auftritt kann nach dem Tod des Webmasters, Peter Strutynski, bis auf Weiteres nicht aktualisiert werden. Er steht jedoch weiterhin als Archiv mit Beiträgen aus den Jahren 1996 – 2015 zur Verfügung.

Damals noch ...

Zvi Yavetz: Erinnerungen an Czernowitz

Von Harald Loch *

Die Hauptstadt der Bukowina hat viele Herren gekannt: den österreichischen Kaiser, den rumänischen König, die Sowjetunion, die Ukraine. Während der furchtbarsten Zeiten bestimmten die deutschen Aggressoren, wer hier überleben durfte. Übrig geblieben ist eine Stadt, die ihr jüdisches Element praktisch verloren hat. Einer aus Czernowitz, der dort 1925 geboren wurde und später zum Gründungsvater der Universität von Tel Aviv wurde, Professor für Alte Geschichte war und heute Gastprofessuren in den USA ausübt, ist Zwi Yavetz. Er hat seine »Erinnerungen an Czernowitz« geschrieben, auf Deutsch, das in seinen zwar armen, aber gebildeten Kreisen damals vor der Vernichtung die verbreitetste Literatursprache war. Wir wissen das von seinem Czernowitzer Landsmann Paul Celan, der viele Jahre in Paris lebte, dort natürlich Französisch sprach, aber seine Gedichte und auch seine anderen literarischen Werke stets auf Deutsch schrieb. Auch die andere literarische Berühmtheit aus Czernowitz, Rose Ausländer, schrieb auf Deutsch.

Zwi Yavetz ist in einem jüdisch-deutsch-österreichischen Milieu aufgewachsen, das angesichts des virulenten Antisemitismus in Rumänien immer mit einem Auge der untergegangenen Doppelmonarchie nachweinte und mit dem anderen nach Palästina blickte, wo der aufkommende Zionismus die Heimat aller Juden sah. Yavetz schreibt über die internen Auseinandersetzungen zwischen denen, die Jiddisch sprachen, den wenigen, die Hebräisch gelernt hatten, dem deutsch-jüdischen Mittelstand, zwischen Zionisten und denen, die in Rumänien irgendwie zurechtkommen wollten, zwischen Frommen und Ungläubigen. Es waren ja Zehntausende Juden in Czernowitz.

Die Leute lasen deutsche Bücher, am beliebtesten war damals Stefan Zweig, aber auch die Klassiker und Übersetzungen der Weltliteratur wurden auf Deutsch gelesen. Wien galt nach wie vor als die begehrenwerteste Weltmetropole und die wohlhabenden Juden der Stadt reisten im Sommerurlaub nach Karlsbad oder Marienbad. Die antisemitischen Bedrohungen der »eisernen Garde« in Rumänien bedrückten die Menschen stärker als das aus der Entfernung immer wieder relativierte und durch die Zensur gemilderte Bild, das von den Nazis in Deutschland entstand. Manches hat Yavetz nachträglich rekonstruiert. Aber er bleibt bei seiner Perspektive von damals, die einen unverzichtbaren Schlüssel für das seinerzeitige Verhalten der Juden darstellt.

Yavetz schreibt mit derselben nostalgischen Sympathie, mit der seine Eltern und Großeltern an die österreichisch-ungarische Kaiserzeit zurückgedacht hatten. Mit dem rumänischen Antisemitismus hat er sich nie versöhnen können, und er zählt die vielen Opfer auf, die sowjetische Deportationen forderten. Wo immer er einen überlebenden Czernowitzer Juden auftreiben konnte, erwähnt er ihn mit einer kurzen biografischen Skizze und manchem Ermordeten setzt er ein namentlich gekennzeichnetes Denkmal.

Zvi Yavetz: Erinnerungen an Czernowitz. Wo Menschen und Bücher lebten. Verlag C. H. Beck. 255 S., geb., 24,90 EUR.

* Aus: Neues Deutschland, 15. November 2007


Zurück zur Ukraine-Seite

Zurück zur Homepage