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Kiew dreht selbst am Gashahn

Ukraine reduziert im Streit um Vorkasse, Schulden und Preise den Energie-Import aus Russland

Von Irina Wolkowa, Moskau *

Kiew will offenbar auf Gaslieferungen aus Russland verzichten, hat aber auch traditionell Zahlungsschwierigkeiten.

Der ukrainische Staatskonzern Naftogas soll seine Importe aus Russland bereits Anfang November deutlich reduziert haben, berichten russische Medien. Eine entsprechende Entscheidung wäre danach schon am Freitag getroffen worden. Zuvor hatte der russische Monopolist Gasprom auf Vorkasse bestanden. Das begründete ein Sprecher des Konzerns damit, dass die Ukraine zu Monatsbeginn noch nicht einmal für die August-Lieferungen bezahlt habe. Sie sei auch zuvor schon des Öfteren durch schlechte Zahlungsmoral aufgefallen.

Kiews Schulden beliefen sich Ende Oktober auf umgerechnet fast eine Milliarde US-Dollar. Zur Tilgung solle die Ukraine doch einen Kredit bei der Europäischen Union aufnehmen, spottete Russlands Regierungschef Dmitri Medwedjew giftig. Naftogas dagegen behauptet, die Schulden bereits Ende Oktober beglichen zu haben.

Kiew versucht seit längerem aus dem Vertrag auszusteigen, den die ehemalige Regierungschefin Julia Timoschenko mit ihrem damaligen russischen Kollegen Wladimir Putin 2009 aushandelte. Die Ukraine muss seither für 1000 Kubikmeter Gas rund 300 US-Dollar zahlen. Mehr als sogar einige Staaten Westeuropas. Viktor Janukowitsch, dem Timoschenko 2010 bei den Präsidentenwahlen unterlag, beschuldigte sie einer Überschreitung der Kompetenzen, als sie den Vertrag unterzeichnete. Timoschenko sitzt derzeit nach einer Verurteilung wegen Amtsmissbrauchs eine siebenjährige Haftstrafe ab.

Moskau hatte für Janukowitsch, der als prorussisch galt, zunächst Sympathien durchblicken lassen. Damit war es jedoch vorbei, als der Präsident an einem Assoziierungsabkommen der Ukraine mit der EU festhielt. Das war von seinem prowestlichen Vorgänger Viktor Juschtschenko auf den Weg gebracht worden. Es soll Ende November beim Gipfel der Östlichen Partnerschaft im litauischen Vilnius unterzeichnet werden. Mit dem Projekt will Brüssel ehemalige Sowjetrepubliken enger an sich binden. Eine EU-Mitgliedschaft steht derzeit jedoch nicht zur Diskussion. Moskau läuft gegen das Projekt Östliche Partnerschaft und das Assoziierungsabkommen dennoch Sturm. Der Kreml versucht, der Ukraine stattdessen den Beitritt zu der von Russland dominierten Zollunion schmackhaft zu machen. Präsident Putin und Regierungschef Medwedjew lockten vor allem mit Freundschaftspreisen für Gas. Weil er natürlich gut weiß, dass sich mit dem Beitritt zur Zollunion ein Assoziierungsabkommen mit der EU erledigt hätte, blieb Janukowitsch bislang jedoch standhaft.

Bei seinem Moskau-Besuch am Wochenende – bereits dem zweiten innerhalb eines Monats, von dem Putins Sprecher erst Montag berichtete, ohne sich auf Einzelheiten einzulassen – könnte er jedoch umgefallen sein. Das argwöhnt die Opposition in Kiew und verlangt Aufklärung vom Außenministerium. Der Fraktionschef der Timoschenko-Partei »Batkiwtschina« (Vaterland), Arseni Jazenjuk, drohte sogar mit einem Absetzungsverfahren. Geheimgespräche mit dem Präsidenten eines anderen Landes seien »Hochverrat«.

Russische Experten rätseln indes, wie die Ukraine künftig ihren Gasbedarf decken will. Kiew, so der Präsident der Vereinigung der Öl- und Gasförderer, Gennadi Schmal, bemühe sich zwar erfolgreich um mehr Energieeffizienz, könne jedoch auf russisches Gas nicht verzichten. Die Vorräte in unterirdischen Speichern reichten höchstens ein Jahr, warnt auch der kritische Wirtschaftsguru Jewgeni Jassin von der Moskauer Hochschule für Ökonomie. Und Lieferungen aus Europa, das selbst an der russischen Gasleitung hängt, würden noch teurer als die von Gasprom.

* Aus: neues deutschland, Mittwoch, 13. November 2013


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