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Die politischen Zustände in der "nachrevolutionären" Ukraine

Eindrücke von einer Reise in das postkommunistische Land

Am 28. und 31. Mai 2005 erschien in der Tageszeitung "junge Welt" ein politischer Bericht des Osteuropaexperten Hannes Hofbauer, Wien, über eine Reise durch die Ukraine, die wir im Folgenden vollständig dokumentieren.



Demokratur in Orange

Die revolutionären Nachwehen sind Ende April 2005 bereits merklich abgeebbt. Trotzdem tummeln sich in den Kiewer Straßen noch gelegentlich Protestierende und Demonstrierende. Das Rathaus – in Sichtweite vom Majdan Nesaleschnosti, dem Unabhängigkeitsplatz, auf dem im Winter 2004/2005 Hunderte orange Zelte standen, gelegen – bildet dabei einen der Kristallisationspunkte der Straßenproteste. Hier haben Gegner und Befürworter des Stadtoberhauptes ihre Zelte aufgeschlagen. Ohne Stoffplanen scheint es in der Ukraine des Jahres 2005 keine politische Aktion zu geben, so sehr hat sich das Zelt als Mittel des Widerstandes im Bewußtsein der Bürger verankert. Direkt unterhalb der Stufen, die hinauf zum imperial gebauten Bürgermeisteramt führen, prangt der Slogan »Unterstützen wir Omeltschenko!« Mehrheitlich Frauen mittleren Alters sind es, die sich rund um die Zeltplanen versammeln, um dem Chef ihrer obersten Stadtverwaltung beizustehen. Die Gegner des Bürgermeisters stehen ein paar Meter weiter rund um orangefarbige Zelte, die noch der Schriftzug »Ja! Juschtenschko« ziert. Sie nennen Omeltschenko einen Korruptionisten und Mafiapaten, werfen ihm sinnlose Geldverschwendung und unkontrollierten Bauwahn vor.

Tatsächlich wird die ukrainische Hauptstadt seit Jahren von architektonisch auffälligen Monsterbauten geradezu erdrückt. Überall sind in den vergangenen zehn Jahren 15- bis 25stöckige Immobilien im reformierten Zuckerbäckerstil der 1930er Jahre aus dem Boden geschossen: Wohn- und Bürosilos, Freizeitparks und Einkaufszentren. Hinter Namen wie »Diadema« oder »Botanic Towers« verbergen sich in aller Regel großangelegte Geldwaschmaschinen. Hier werden die milliardenfach zusammengerafften Griwna, Rubel und millionenfach eingesackten Dollars aus der Perestroika-Ära immobilisiert. Einmal in Stahlbeton gegossen, kann das Schwarzgeld legale Profite abwerfen, selbst wenn dabei die Rendite wegen wachsender Überkapazitäten kleiner zu werden droht.

Solch Bauboom privater Spekulanten bedarf in Kiew ebenso wie in anderen ukrainischen Städten der Unterstützung der Stadtverwaltungen. Umwidmungen von Grünland, Baugenehmigungen und Bereitstellung städtischer Infrastruktur gehören zu den primären Aufgaben jeder Administration. Wenn es sich dabei, wie im Falle der Ukraine, bei den Investoren um nicht gerade gesetzestreue Oligarchen handelt, kann es auch nicht verwundern, daß Legislative und Exekutive in windschiefes Licht rücken. Die Inbrunst, mit der der Kiewer Bürgermeister vor seinem Amtssitz beschimpft und verteufelt wird, läßt erkennen, daß Omeltschenko von den neuen Machthabern offenbar nicht mehr gedeckt wird.

Diesen Umstand hat sich auch eine Horde schwarzgekleideter und kahlrasierter Aktivisten zunutze gemacht. Mit Juschtschenko-Aufklebern und nationalukrainischen Fahnen in der Hand schreien sie ihren Haß auf den Bürgermeister hinaus. Freimütig erzählen sie, wie sie gerade dabei sind, eine »Ukrainische Nationalarmee« zu formieren, die offensichtlich dem Andenken des Nationalisten Stepan Bandera huldigen soll, der im Zweiten Weltkrieg gegen die Rote Armee – also »gegen die Russen« – gekämpft und von Lemberg aus kurzfristig einen ukrainischen Nationalstaat ausgerufen hatte. Daß ihr Outfit den Passanten an Mussolinis Faschisten erinnert, quittieren die jungen Männer zustimmend und mit Stolz.

Soziale Proteste

Tags darauf prangt vor dem Rathaus eine soziale Inschrift auf weißem Transparentpapier: »Sie fahren Mercedes, überlassen Sie uns Brot«, ist da zu lesen. Es sind gleichwohl keine Proletarier aus einer Fabrik irgendwo in der Provinz, die schon wochenlang keinen Lohn gesehen haben oder gekündigt worden sind, sondern Kleinhändler, die vom Bürgermeister die Rücknahme einer Verordnung fordern. Omeltschenkos Stadtrat hat beschlossen, die Tausenden von Straßenhändlern aus den Fußgängerunterführungen zu verbannen. Diese sogenannten »Lotoki« sehen sich ihrer Lebensgrundlage beraubt. Schon vor zehn, 15 Jahren aus den Lohnarbeitsplätzen geworfen, haben sich viele von ihnen als Kiosk-Kapitalisten eingerichtet, freilich meist ohne Kiosk, sondern mit Klapptisch oder Kartonpappen ausgestattet, worauf sie ihre Waren feilbieten. Einer geregelten Marktwirtschaft, wie sie die Ukraine vor allem nach der Machtübernahme der neuen Führung anstrebt, sind solch wilde Straßenmärkte nicht mehr willkommen. Wovon die Tausenden »Lotoki« in Zukunft leben sollen, weiß hierzulande niemand so recht. Und es kümmert auch nur die, die unmittelbar von der neuen Direktive betroffen sind.

Im kleinen Buchenwäldchen direkt hinter der Residenz des Präsidenten stehen Ende April 2005 knapp 100 Zelte aus alten Armeebeständen. Bei Einbruch der Nacht wird kaum irgendwo Feuer gemacht, die allermeisten Schlafstätten sind menschenleer. Ein einsames Benzinaggregat erzeugt Strom, um den zentralen kleinen Platz zu beleuchten. »Mit Rußland für immer« ist auf einem zwischen zwei Bäumen gespannten Transparent zu lesen. Die ewige Verbundenheit der Ostslawen hat übrigens auch im offiziellen Kiew noch ihren angestammten Platz. Denn seit der Unabhängigkeit im Jahre 1991 hat sich keine Regierung getraut, den monströsen Freundschaftsbogen, der aus Anlaß des 325. Jahrestages der Wiedervereinigung Rußlands mit der Ukraine 1979 erbaut worden ist, schleifen zu lassen. Er erhebt sich weithin sichtbar auf den hoch über dem Dnepr-Ufer gelegenen Terrassen.

Im Wäldchen hinter dem Marienpalast protestieren indes die Anhänger von Viktor Janukowitsch, des bei der Stichwahl im Dezember 2004 letztlich unterlegenen Präsidentschaftskandidaten, gegen die zunehmende politische Repression der neuen, westorientierten Machthaber. Ein Mann aus Charkiv gibt Auskunft darüber, warum hier die Partei der Regionen von Viktor Janukowitsch die Stellung hält. Überall im Lande würden Funktionäre der früheren Bürokratie schikaniert, gemobbt und verhaftet. Der Bürgermeister von Odessa liege bereits mit Herzinfarkt im Krankenhaus, viele regionale Verwalter seien ihrer Posten enthoben worden, Drohungen am Arbeitsplatz würden Beamte den neuen Machthabern gefügig machen wollen. Als prominentester Fall politischer Verfolgung gilt der Donezker Gebietsverwalter Boris Kolesnikov, der seit 8. April 2005 im Gefängnis sitzt.

Repression und Angst

»Ich erzähle Ihnen alles, was ich weiß. Aber ich bitte Sie, meinen Namen nicht zu nennen. Denn das ist gefährlich, nicht nur für mich, sondern auch für meine Kinder. Die leben und arbeiten in staatlichen Strukturen, wie viele hier. Und wer heute versucht, offen seine Meinung zu sagen und gegen die neue Regierung ist, der verliert ganz einfach die Arbeit«. Eingeschüchterte Menschen wie diesen ungenannt bleiben wollenden Universitätsangestellten gibt es viele im heutigen Kiew. Darin zumindest hat sich seit den Zeiten von Krawtschuk und Kutschma wenig verändert. Nur, daß es jetzt vielleicht andere Menschen sind, die in Angst leben.

Der oberste Chef der Donezker Gebietsverwaltung, Boris Kolesnikov, wurde am 8. April 2005, nach drei Tagen intensiven Verhörs, auf Antrag der Kiewer Staatsanwaltschaft verhaftet. Kolesnikov führt gleichzeitig die Partei der Regionen im östlichen Industriegebiet der Ukraine, der stärksten Bastion des bei den Präsidentschaftswahlen knapp unterlegenem Viktor Janukowitsch. Auch gilt der agile Politprofi als rechte Hand von Rinat Achmetov, dem reichsten Mann des Donezk-Gebietes, der von seinen Gegnern gerne als »Pate« bezeichnet wird. In der Einschätzung dieses Falles Kolesnikov scheiden sich die Geister. Während vom neuen Präsidenten Viktor Juschtschenko abwärts die Mitglieder der Regierungskoalition die Sache als reinen Kriminalfall darstellen, gilt für die oppositionellen Kräfte aller Schattierungen Kolesnikov als politisch Verfolgter. So einfach wie Roman Romanov von der Internationalen Renaissance Stiftung, einem Mitglied der George Soros-Stiftung, kann man es sich jedenfalls nicht machen. Der Jurist meinte auf die Frage, ob Kolesnikovs Arretierung nicht auch politisch motiviert gewesen sei, schlicht: »Ich kann ihm nicht mehr helfen als seine Anwälte« und setzte schmunzelnd hinzu: »Und er hat die besten«.

Tatsächlich ist Kolesnikov kein Einzelfall. Überall im Lande werden Parteigänger des Viktor Janukowitsch oder anderer oppositioneller Parteien gerichtlich vorgeladen, drangsaliert und fallweise inhaftiert. »Es gibt einen regelrechten Rachefeldzug«, erklärt Volodimir Shepetin, Parlamentsabgeordneter für die oppositionelle Sozialdemokratische Partei (SDPU/U) des Kutschma-Vertrauten Viktor Medvetschuk, die angespannte politische Lage. »Die Welle der Repression hat unmittelbar nach der Inauguration des neuen Präsidenten begonnen und wird von Tag zu Tag aggressiver«, läßt die SDPU (U) in einer ihrer Presseerklärungen verlauten. So wurde beispielsweise auch der Gouverneur der Transkarpaten-Region, Ivan Rizak, wochenlang zum freiwilligen Rücktritt aufgefordert; und als er dem nicht nachkam, gerichtlich vorgeladen, wobei ihm mit Verhaftung gedroht worden ist.

Die neue Führungsriege setzt alles daran, personalpolitisch reinen Tisch zu machen. Entlassungen von 30 Prozent der Mitarbeiter in den diversen Ministerien garantieren eine rasche orange Einfärbung der Bürokratie; und auf regionaler Ebene wird gerade auch dort, wo das Juschtschenko-Lager keine politischen Freunde hat, tabula rasa gemacht. Die Mittel, die dabei angewandt werden, gehen auch manchem der neuen Macht gegenüber positiv eingestellten Kommentator zu weit. In der Ukrainskaja Pravda macht man sich schon Sorgen bezüglich möglicher Märtyrer durch das allzu forsche Vorgehen gegen politisch mißliebige Personen: »Aus Kolsnikov könnte eine Führerfigur der Opposition gegen Juschtschenko werden«, schreibt die Zeitung in ihrer Ausgabe vom 12. April 2005.

Die gerichtliche Verfolgung von Politikern und Bürokraten der alten Machtstrukturen wird in aller Regel mit deren Verwicklung in dubiose Geschäfte von ostukrainischen Oligarchen begründet. Und wohl kaum einem Gebietsleiter, Bürgermeister oder Ministersekretär der alten Garde wird es in den vergangenen Jahren möglich gewesen sein, sich der Rationalität der unter Leonid Kutschma groß gewordenen Räuber vollständig zu entziehen. Ob diese Kollaboration mit der Macht allerdings gesetzeswidrig war oder einfach nur moralisch verwerflich, steht auf einem anderen Blatt geschrieben.

Präsidiale »Geheimerlasse«

Die neue Repression scheint sich indes an der alten ein Vorbild zu nehmen. Schon schreit der oppositionell gewordene Fernsehsender NTN um Hilfe. Überall in Kiew hängen Plakate des beliebten TV-Senders, auf denen sein Emblem zwischen einem Schraubstock eingeklemmt zu sehen ist. Darüber die Inschrift: »Protestieren wir gegen das Erdrücken«. Dem Juschtschenko-kritischen Sender wird seit Wochen nahegelegt, sich mit der frisch etablierten Machtclique zu arrangieren.

Der schnelle Arm der orangen Revolutionäre greift auch nach manchem Künstler, der sich im Dezember 2004 auf die später falsche Seite geschlagen hat. Der künstlerische Leiter des Russischen Dramatischen Akademietheaters Lesia Ukraina, Michajlo Reznokowitsch, ein offener Unterstützer von Viktor Janukowitsch, berichtet von scharfen Repressionen sein Theater betreffend und einer vorgesehenen Kündigung seiner Person. Ein eigener Erlaß des Kulturministeriums vom 24. März 2005 bereitet unter dem Vorwand des Sparzwanges die Entlassung von Theaterdirektoren vor. Man kann getrost davon ausgehen, daß es nur jene treffen wird, die im Wahlkampf gegen Juschtschenko aufgetreten sind.

Vorgesehene Einsparungen sollen auch Krankenhausverwalter, Schuldirektoren und höhere Beamte in den unterschiedlichen Regionalverwaltungen treffen. Wie diese Maßnahme vor sich geht, erklärt der sozialdemokratische Parlamentsabgeordnete Volodimir Shepetin. Im ganzen Land werden Tausende Leiter aus dem Gesundheits- und Bildungsbereich von den eben neuinstallierten Regionalgouverneuren vorgeladen, um sich zu entscheiden: Huldigung der neuen Machthaber oder Entlassung. Die Huldigung kann dabei am raschesten vor Ort in Form einer Mitgliedschaft bei der Sammelbewegung für Viktor Juschtschenko, Unsere Ukraine, erledigt werden.

Problematisch sieht auch der Vertreter der internationalen Helsinki Human Rights Union in Kiew, Volodimir Jaworski, die aktuelle Situation. »Zwar wird auf der Polizei jetzt nicht mehr gefoltert, und es gibt auch keine direkten Angriffe auf Journalisten«, meint der junge Mann, »aber die gesetzlichen Menschenrechtsstandards haben sich nicht verbessert.« »Auch Juschtschenko agiert autoritär«, meint der Menschrechtsaktivist, der ein wenig außerhalb vom Stadtzentrum in einem heruntergekommenen Backsteinbau sein Büro hat. »Seit dem Amtsantritt von Juschtschenko sind wir mit einer geheimen Gesetzgebung konfrontiert«. Gemeint sind damit die bislang 40 Erlasse des Präsidenten, die schlichtweg nicht veröffentlicht worden sind. »Niemand weiß, was da drin steht« – außer den paar Leuten in der unmittelbaren orangen Umgebung des ersten Mannes im Staate, und die werden daraus ihre Vorteile zu ziehen wissen. Was Jaworski besonders ärgert, ist, daß auch die Ratschläge des Europarates an die Ukraine niemand kennt, weil sie geheimgehalten werden. Zur Rechtfertigung dieser klandestinen Gesetzgebung ist die Vokabel »politische Notwehrmaßnahme« im Umlauf. Sie soll erwirken, daß eine von alten Kutschma-Kadern durchsetzte Exekutive auf gegen selbige gerichtete Maßnahmen nicht zeitgerecht reagieren kann. Doch mit solch einem Politikverständnis, weiß der »Helsinki«-Mann, ist man auch schon wiederum dabei, eine neue korrupte Klasse zu schaffen.

Die neue Elite ist alt

Juschtschenko war Ministerpräsident unter Kutschma (zwischen 1999 und 2001), Kutschma war Ministerpräsident unter Krawtschuk und Krawtschuk war im sowjetischen Apparat unter Breschnew tätig. So könnte man die Kontinuität der ukrainischen Politik seit der Unabhängigkeit des Landes 1991 und noch davor beschreiben. Es ist die halbe Wahrheit. Auch über die andere Hälfte soll hier Auskunft gegeben werden.

Der Jubel in Westeuropa und Nordamerika über die Dezemberrevolution in Kiew hat trotz gewisser Kontinuitäten seine Berechtigung. Denn erst im Dezember 2004 ist es Washington (und ein wenig auch Brüssel) gelungen, die Ukraine substantiell für ihre Interessen zu öffnen. Diese bestehen einerseits in großen wirtschaftlichen Belangen wie der Kontrolle der Gas- und Ölversorgung Westeuropas, die über ukrainisches Territorium läuft, und andererseits geopolitisch in einer Entfremdung der Ukraine von Moskau, die im geplanten NATO-Beitritt Kiews ihren Höhepunkt finden soll.

Viktor Juschtschenko, ein Mann ohne große gesellschaftliche Verankerung im Lande, keinesfalls ein charismatischer Führer, noch dazu krank, gäbe für ein solches Vorhaben einer Umorientierung dieses historischen Grenzlandes die ideale Figur ab. Und er gibt. Es ist die kaum vorhandene Mittelklasse, die soziologisch hinter dem »Helden von Kiew« steht, das kleine und mittlere »Bissness«, das im Schatten der großen Oligarchen kaum gedeihen konnte und Ende 2004 revolutionäre Hoffnungen hegte – die indes schnell enttäuscht werden.

Den Gegenpol zu Juschtschenko nimmt eine Frau ein. Julia Timoschenko hat sich für ihre zukünftige Rolle als Darstellerin der ukrainischen Nation fein herausgeputzt. Seit den orangen Tagen trägt sie einen blonden, geflochteten Haarkranz, der für Nation und Mutterland steht. Die Oligarchin, die den tiefen Fall von der reichsten Frau der Ukraine ins Gefängnis sichtbar gut überstanden hat, besitzt große Sympathien bei den sogenannten kleinen Leuten. Diese glauben ihr die Geschichte vom märchenhaften Aufstieg als Gasprinzessin, der jäh aus politischen Gründen unterbrochen worden ist. Heute, so die Mär, stehe sie fast mittellos vor dem Volk, im Volk, mit dem Volk.

Manche der geschwächten Oligarchen machen sich an die neuen Machthaber heran. Insbesondere der sogenannte Rasum-Block des »Schokoladenkönigs« Petro Poroschenko will sich mit Juschtschenkos Unsere Ukraine verbünden. Andere Superreiche, wie der frühere Verwaltungschef von Leonid Kutschma, Viktor Medwetschuk, suchen in der politischen Opposition ihr Heil. Medwetschuk führt dazu die Sozialdemokratische Partei an.

Welche Revolution?

Vier Monate nach dem Machtwechsel in Kiew will kaum mehr jemand außerhalb der unmittelbaren Kreise um Viktor Juschtschenko und Julia Timoschenko von »Revolution« sprechen, wenn die Rede auf die Dezember-Ereignisse 2004 kommt. »Es hat keine Revolution gegeben«, stellt der Soziologe Vladimir Malinkowitsch trocken fest. Der für das Internationale Institut für gesellschaftliche und politische Studien, einer in Moskau beheimateten liberalen Institution, arbeitende Malinkowitsch gesteht zwar zu, daß die Mehrheit der Demonstranten für radikale Veränderungen gekämpft hat, »aber die Organisatoren wollten keine Revolution, sondern nur eine Revanche. Es war eine Veranstaltung, um sich die Macht zu holen, zurückzuholen.« Ähnlich sieht das auch Volodimir Jaworski von der Helsinki Human Rights Union: »Nichts Revolutionäres ist passiert. Nur die Leute an der Macht haben gewechselt.« Und sogar ein »Revolutionär« der ersten Stunde, Mihajlo Svistowitsch von der Aktivistengruppe Pora gesteht: »Eigentlich war das keine Revolution, man nennt das nur so, der Bequemlichkeit wegen.«

US-Interventionisten

Die Gegenthese vertritt naturgemäß der Repräsentant einer der Hauptsponsoren dieser Umwälzung. Roman Romanov vom ukrainischen Zweig der Open Society Foundation – einem vom Spekulanten George Soros über ganz Osteuropa ausgebreiteten Netzwerk zur Rekrutierung neuer, west-kompatibler Eliten in den postkommunistischen Ländern – schreibt den Erfolg der ganzen Veranstaltung auf seine Rechnung: »Die orange Revolution ist das Ergebnis unserer Arbeit und gleichzeitig das Startsignal für eine neue Etappe.« Mit viel Geld, gesteht er freimütig, hat seine Renaissance-Stiftung Hunderte Nichtregierungsorganisationen im Land unterstützt, sie in ein internationales Netzwerk eingebunden, ihre Aktivisten auf Versammlungen nach Westeuropa und Nordamerika gesandt und die Wende in Richtung Juschtschenko minutiös vorbereitet.

Freilich war es nicht nur die Renaissance-Stiftung des George Soros, die Geld und Kraft von außen in ihre Vorstellung einer ukrainischen Demokratie gepumpt hat. Vor allem US-amerikanische Fonds wie der 1983 von Ronald Reagan gegründete National Endowment for Democracy (NED), der als republikanisch-demokratisches Gemeinschaftsprojekt konzipiert war, das ebenfalls von Ronald Reagan ins Leben gerufene International Republican Institute (IRI) der Republikaner und sein demokratisches Gegenstück, das National Democratic Institute for International Affairs (NDI) mischten mit zig Millionen US-Dollars im ukrainischen Meinungsbildungsprozeß mit. In den Vorständen der allesamt interventionistisch ausgerichteten Institute, die es sich zum Ziel gesetzt haben, der Welt Demokratie beizubringen, sitzt militärisch gestählte und politisch geeichte US-Prominenz; wie z.B. General und Jugoslawien-Krieger Wesley Clark im NED, Exaußenminister Lawrence Eagleburger im IRI und Exaußenministerin Madeleine Albright im NDI.

Jonathan Mowat beschreibt im Onlinemagazin www.onlinejournal.com auf minutiöse Weise, wie sich US-Regierungsstellen seit der gescheiterten Studentenrevolte auf dem Pekinger Tiananmenplatz im Jahre 1989 gezielt mit nichtmilitärischen Widerstandsformen auseinandersetzten und sie in Osteuropa oder Asien dort politisch unterstützen, wo es ihren Interessen förderlich schien. Dabei spannt er den Bogen vom Aufbau einer studentischen Opposition in Serbien (»Otpor«) 1999 über die geheime Unterstützung von jungen Oppositionellen in Myanmar (2001) und der – gescheiterten – Finanzierung der Jugendgruppe »Zubr« in Belarus (2001) bis zu den erfolgreichen zivilen Interventionen mit Hilfe von »Kmara« 2003 in Georgien und »Pora« Ende 2004 in der Ukraine.

In all diesen Ländern herrscht nicht zuletzt aufgrund ihrer peripheren wirtschaftlichen Lage, die oft große gesellschaftliche Gruppen sozial marginalisiert, eine grundsätzliche Unzufriedenheit mit den politischen Verhältnissen und Machthabern. Darauf aufbauend, haben es Ideologen zivilgesellschaftlicher Interventionen in den USA und EU-Europa verstanden, vornehmlich junge Menschen mit schlechten Zukunftsaussichten an diverse NGO-Programme zu binden, die über US- bzw. EU-Stiftungen finanziert werden. Die altersmäßig naturgegebene und durch die miserablen Verhältnisse im Postkommunismus aufgestachelte Revolte der Jugend kann auf diese Weise perfekt für geopolitische oder wirtschaftliche Interessen der im Hintergrund planenden Kräfte genutzt werden. Einzelne dieser Jugendlichen mögen mit Hilfe der Soros-Stiftung oder anderer Geldgeber Karrieren im Westen oder auch zu Hause machen, der Großteil dieser »Revolutionäre« wird allerdings von ihrer eigenen Revolution, die freilich nicht die ihre war, enttäuscht. Serbien gibt dafür bereits ein beredtes Beispiel ab. Die wirtschaftliche Krise hat sich dort nach dem Machtwechsel im Oktober 2000 verschärft, die soziale Misere nimmt zu.

Überraschend vielen Menschen in der Ukraine ist die Instrumentalisierung der orangen Revolution durch ausländische Interessenten bewußt. Eine der tatkräftigen, linken Frauen, die das neue Regime anprangert, ist Natalja Vitrenko. Sie führt die Sozialistische Fortschrittspartei, in deren Büro am Krevtschatik ununterbrochenes Aktivistentreiben herrscht. »Es gibt keine orange Revolution«, meint sie, »sondern nur einen orangen Putsch«. Denn Revolutionen, so Vitrenko, pflegen Änderungen herbeizuführen. Und in der Ukraine sei keine zu bemerken. »Die Besteller dieser so genannten Revolution waren die USA, ihr Vertreter ist Juschtschenko. Seine Aufgabe wird es sein, alle antirussischen Kräfte in der Region zu vereinen und gemeinsam mit Georgien, Moldawien, Kirgisien und Polen den Machtbereich Moskaus zu verkleinern.« Das Weltbild der resoluten Frau ist einfach und klar. Und dennoch: Es stimmt in vielem mit den historischen Erfahrungen des Grenzlandes – der Ukraine eben – überein.

»Pora« – Es ist Zeit!

»Es ist schon Zeit«, so übersetzt man den Namen »Pora«, den sich die ukrainischen Revolutionäre gegeben haben. Metaphorisch will das heißen: Zeit zum Abdanken für Kutschma, Zeit zur Befreiung der Ukraine von der Oligarichendiktatur.

Im Kiewer Bezirk Podol nahe der Metrostation »Kontraktov-Platz« treffen wir Michajlo Svistowitsch. Er ist einer der führenden Figuren von »Pora«. Das Hauptquartier der Gruppe erinnert an ein besetztes Haus im Berliner Kiez Kreuzberg, die Wände sind mit Parolen beschmiert, in den Zimmern stapeln sich Matratzen und Bettgestelle. Vor zwei, drei Computern sitzen junge Leute und surfen ein wenig gelangweilt durch die virtuelle Welt. Nach einigem Suchen finden wir ein ruhiges Plätzchen zwischen Bergen von Schlafsäcken, um das vereinbarte Interview halbwegs ungestört führen zu können. Daß wir den Kontakt über die Soros-Stiftung »Renaissance-Stiftung« aufgenommen haben, erleichtert hier die Kommunikation. »Ja, in der Renaissance-Stiftung sitzen die, die Geld geben«, weiß Michajlo Svistowitsch, der nicht unbedingt dem klassischen Bild eines jugendlichen Revolutionärs entspricht. Der heute 38jährige hat eine Karriere als Filialleiter einer Bank hinter sich, bevor er sich entschieden hat, gegen Kutschma und seine Entourage zu Felde zu ziehen.

Die Idee für die Bildung einer revolutionären Avantgarde, denn als solche verstehen sich die Teilnehmer von »Pora«, entstand im September 2001, »nach einem Seminar mit Vertretern der serbischen Gruppe ›Otpor‹«, wie der frühere Banker einräumt. In der Folge haben dann zwei Gruppen, die Jugendlichen um die Internetzeitung »Majdan« in Kiew und die »Jugend-Otpor« aus Lviv/Lemberg zu »Pora« fusioniert. Der Jänner und Februar 2004 wurde als die Rekrutierungsphase genützt. Auf etwa 20 Seminaren mit Belgrader »Otpor«-Führern tauchten Tausende junge Ukrainer auf, von »denen wir uns die Besten für unsere Organisation auswählten. Die serbischen Otpor-Leute erzählten über ihre Erfahrungen beim Kampf gegen Milosevic, und wir lernten daraus«. Von Anfang an hatte »Pora« die ukrainischen Präsidentschaftswahlen im Visier. Daß diese gefälscht werden würden, davon gingen die aus großteils studentischem Milieu stammenden jungen Menschen schon lange vor deren Abhaltung aus. »Wir mußten das Volk darauf einstellen, daß die Macht verbrecherisch war. Und eine gute, möglichst führungslose Struktur aufbauen, um nicht mit einem Schlag durch Verhaftungen außer Kraft gesetzt werden zu können.«

»Pora« startete in der Nacht vom 28. auf den 29. März 2004. »In 17 Regionen der Ukraine klebten wir Plakate, auf denen nur die Frage stand: ›Was ist Kutschmismus?‹; und darunter unsere Internetadresse.« Michajlo Svistowitsch erklärt die Revolutionsstrategie detailliert. Nach dieser Aktion wurden 14 Leute kurzfristig festgenommen, um nach ein paar Stunden wieder auf freiem Fuß zu sein. »Wer einmal mit der Polizei Kontakt hatte, den holten wir in die zweite Reihe zurück. Dadurch entwickelten eine Reihe von Leuten Führungsqualitäten.« Die zweite Etappe des Angriffs von »Pora« bestand in der »Dekodierung des Kutschmismus«. Im April 2004 wurden zu diesem Zweck ukraineweit fünf verschiedene Plakate affichiert. »Kutschmismus ist Verbrechen«, lautete das frechste davon. Außerdem wurde dem herrschenden System Arbeitslosigkeit, Armut, Hoffnungslosigkeit und Korruption vorgeworfen.

Nun war der Durchbruch gelungen. »Pora« hatte ein revolutionäres, regierungsfeindliches Image. Junge Leute auf den Universitäten begannen, im Namen von »Pora« zu demonstrierern. Während der Dezemberereignisse hat Pora dann im Hintergrund agiert. »Wir spielten in der Zeltstadt am Majdan-Platz nur eine geringe Rolle«, weiß Michajlo Svistowitsch. »Statt dessen blockierten wir die Generalstaatsanwaltschaft, besetzten das Bildungsministerium und waren auf den Bahnhöfen, um ankommende Janukowitsch-Anhänger umzuorientieren.« Auch Straßen, die von Osten her in die Hauptstadt führten, wurden von »Pora«-Aktivisten blockiert. Das hatte zum Ziel, Anhängern von Viktor Janukowitsch die Anreise in die Hauptstadt zu verunmöglichen. Während also Tausende und Abertausende mit Bussen und Zügen aus Lviv, Ivano-Frankivsk, Cernivci/Cernowitz und anderen westlichen Städten nach Kiew kamen und hier das Rückgrat der Demonstrationen bildeten, gab es ein eigenes Kommando, die »Pora«-Garden eben, die Kiew von Janukowitsch-Anhängern frei hielt. Ob sich das auf den Bahnhöfen friedlich abgespielt hätte, wenn ein Zug mit Leuten aus dem Donezk-Gebiet angekommen sei, wollen wir vom »Pora«-Führer wissen. »Ja, es gab keine Gewalt. Wir leisteten Überzeugungsarbeit. Da waren ständig einige hundert von uns, die am Bahnhof ausharrten, um Janukowitsch-Anhänger wieder zurückzuschicken.« Und noch eine Kleinigkeit verriet uns Michajlo Svistowitsch: »Der Unterschied zwischen uns und ihnen bestand auch darin, daß wir bereit waren, für die Sache zu sterben.« Ich muß mir kurz vorstellen, wie überzeugend es wohl ist, von ein paar hundert sterbensbereiten Aktivisten am Bahnhof umringt zu sein.

Auch woher »Pora« das Geld für all diese Aktionen erhielt, erzählt Michajlo Svistowitsch bereitwillig: »Das Geld für die ersten Plakate kam von der Westminster-Stiftung und dem Moser-Fonds. Es wurde während der Otpor-Seminare ausgeteilt, desgleichen Mobiltelephone und Büromaterial. Später sammelten wir dann über unsere Internetseite auch Geld im Lande selbst.« Die 1992 gegründete Westminister-Stiftung gilt als britische Regierungs-NGO und wird von Anthony Blair patroniert. Zudem dürften in Kanada ansässige Auslandsukrainer sehr freigiebig gewesen sein. Von ausländischen Interessen oder inländischen Oligarchengruppen mißbraucht fühlt sich der »Pora«-Kämpfer nicht. Er streitet ab, daß die USA eine Rolle während des Dezemberumsturzes gespielt haben. »Außer daß sie uns moralisch unterstützt und finanziell geholfen haben.«

Ziel: »Atlantische« Ukraine

Die GUS (Gemeinschaft unabhängiger Staaten) ist längst Vergangenheit, die GIS (Gemeinschaft integrierter Staaten) wird gerade beerdigt. Die GUS war der vergebliche Versuch Moskaus gewesen, unmittelbar nach 1991 möglichst allen exsowjetischen Republiken zumindest eine lose zwischenstaatliche Klammer zu verabreichen bzw. anzubieten. Außer den drei baltischen Republiken gehörten ihr alle nationalisierten Einzelstaaten an, ohne das Vertragswerk mit irgendeinem Inhalt zu füllen. Die GIS, von Minsk und Moskau aus der Taufe gehoben, hatte höhere Ansprüche. Als eine Art postsowjetischer Pentagonale wollte sie aus Rußland, Belorußland, Kasachstan, Kirgisien und der Ukraine, die allerdings immer zögerte, daran teilzunehmen, einen einheitlichen Markt nach dem Vorbild der Europäischen Union formen. Insofern wurde das GIS-Projekt als Konkurrenz zur (west)europäischen Integration verstanden – auch in Westeuropa selbst, weshalb es Brüssel und Berlin eifrig hintertrieben. Mit den Bürgeraufständen in der Ukraine und Kirgisien, die von Westeuropa und Nordamerika tunlichst unterstützt worden waren und deren Führer sich explizit von der als Umklammerung verstandenden russischen Orientierung lösen wollten, ist die GIS mehr als nur geschwächt, sie ist de facto tot.

An ihrer Stelle wurde, unter tatkräftiger Mithilfe von Rumänien und bislang von der westlichen Öffentlichkeit wenig beachtet, ein antirussisches Integrationsprojekt ins Leben gerufen. Einen spektakulären internationalen Auftritt hatte die GUUAM (bestehend aus Georgien, der Ukraine, Usbekistan, Aserbaidschan und Moldova) am 23./24. April 2005 in Chisinau, der Hauptstadt der territorial nicht gefestigten kleinen Republik Moldova. »Demokratische Werte« würden den Prinzipien der GUUAM zugrunde liegen, erklärte Salome Zurabischvili, georgische Außenministerin, in Chinsinau und fügte kokett hinzu, daß die Organisation der Fünf sich einem Beitritt Rußlands nicht grundsätzlich widersetzen würde. Usbekistan ist Mitte Mai 2005 ausgetreten, hat aus der GUUAM also eine GUAM gemacht.

Der Fünfergruppe der GUUAM ein langes Leben zu prophezeihen, wäre indes vermessen. Sie dient vielmehr der Schwächung Rußlands, das auf ganz anderem, nämlich militärischem Gebiet unter enormem Druck steht. Seit Viktor Juschtschenko die NATO-Mitgliedschaft der Ukraine als strategisches Ziel seiner Präsidentschaft bezeichnet hat, kann sich auch der Unbedarfteste die Gründe ausmalen, warum die orange Revolution in den USA, wo Revolutionen üblicher Weise auf wenig Gegenliebe stoßen, so großen Enthusiasmus auslöste. Leonid Kutschma, der zwar ukrainische Soldaten auf US-amerikanischer Seite in den Irak schickte, war an einer generellen Unterordnung der ukrainischen Militärdoktrin unter NATO-Kalkül nicht interessiert, seine Politik war polyvektorisch ausgerichtet, die ukranische Selbständigkeit, eben erst erworben, sollte sich gerade zwischen den Interessen Rußlands, der EU und den USA entwickeln können. Juschtschenko scheut eine einseitig auf den Westen, insbesondere auf die USA orientierte Politik nicht, im Gegenteil: Er betreibt sie. Deshalb war »seine« Revolution in Washington willkommen.

Juschtschenkos geopolitisch gewagtes Ansinnen, Kiew atlantisch zu machen, bekam auf der Tagung der NATO-Außenminister im litauischen Vilnius US-amerikanische Weihen. Am 20./21.April 2005 unterschrieben Juschtschenko und NATO-Generalsekretär Jaap de Hoop Scheffer eine Vereinbarung, derzufolge beide Seiten Kiews Aufnahme in den Nordatlantikpakt betreiben wollen. »Dieses Treffen hatte revolutionären Charakter«, freut sich Oleksandr Schnirkow vom Institut für internationale Beziehungen, dem größten ukrainischen Think tank, der den Westruck Kiews strategisch betreut: »Zum ersten Mal hat man anerkannt, daß die Ukraine atlantisch werden will und werden kann.« Freilich: Der größte Stolperstein auf dem neu eingeschlagenen Weg der Ukraine ins atlantische Militärbündnis liegt in Sewastopol auf der Halbinsel Krim. Dort ist die russische Schwarzmeerflotte stationiert, die bereits mit der Regierung Krawtschuk ein langfristiges Arrangement getroffen hatte. Der ukrainisch-russische Vertrag billigt Moskau die exklusive Nutzung der militärischen Einrichtungen am Schwarzen Meer bis zum Jahr 2017 zu. Bis dahin wollen Juschtschenko und Konsorten allerdings nicht warten. »Wir müssen einen Kompromiß mit Moskau finden«, gibt sich Schnirkow staatsmännisch. Die Frage allerdings, ob auf russischer Regierungs- und Generalstabsebene schon irgend jemand gefunden worden sei, mit dem über einen vorzeitigen Rückzug der russischen Marine aus den Krim-Häfen gesprochen werden könnte, muß Schnirkow abschlägig beantworten.

In der ukrainischen Heimat wurde Juschtschenkos Vorstoß Richtung NATO-Mitgliedschaft, den er vor Vilnius bereits mit George Bush persönlich in den USA besprochen hatte, mit gemischten Gefühlen aufgenommen. Anfang April 2005 sprachen sich in einer Meinungsumfrage (laut Ukrainskaja Pravda vom 4.4.2005) 48 Prozent klar gegen eine Mitgliedschaft Kiews im Noratlantikpakt aus, nur 15 Prozent konnten sich dafür erwärmen, der Rest blieb indifferent. Es gibt also noch viel zu tun, um die Ukraine atlantisch zu machen.

Aus: junge Welt, 28. und 31. Mai 2005


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