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Von "Vorkämpfern der Veränderung" zu Gegnern in einem "schmutzigen Kampf"

Ist die Revolution in der Ukraine am Ende? Berichte, Kommentare

Es ist schwer, Licht in das Dunkel der nachrevolutionären Intrigen in der Ukraine zu bringen. Zu unterschiedlich sind die - interessegeleiteten - Meldungen aus dem Land selbst sowie aus Moskau, und so undurchschaubar ist die Verquickung von politischer Macht und wirtschaftlichem Interesse (fast) aller Beteiligten! Nun meldete sich sogar der frühere ukrainische Präsident Krawtschuk mit schweren Anschuldigungen gegen den regierenden Präsidenten Juschtschenko zu Wort: Sein Wahlkampf sei mit 15 Mio. Dollar aus dem Ausland finanziert worden.
Über solche Gerüchte und deren Nutznießer handelt der erste Beitrag, den wir der Frankfurter Rundschau entnommen haben. Dazu gibt es noch einen Kommentar von Kar Grobe in derselben Zeitung.
Anschließend eine Reihe von Meldungen aus der Feder der russischen Nachrichtenagentur Nowosti, in denen es um Gaslieferungen aus Russland an die Ukraine, um den Vergiftungsvorwurf von Juschtschenko, um eine angebliche "Berschwörung" mit dem Ziel der Destabilisierung der Ukraine, um die schlechten Wahlaussichten des Präsidenten bei den nächsten Parlamentswahlen und um die Rede des Präsidenten beim Weltgipfel der Vereinten Nationen geht.



Altkommunist Krawtschuk bringt sich wieder ins Spiel

Der ukrainische Präsident Juschtschenko soll Geld von Oligarch Boris Beresowski genommen haben. Altkommunist Leonid Krawtschuk will ihn deshalb stürzen.

VON KARL GROBE

Krawtschuk behauptete Mitte der Woche, der im Londoner Exil lebende Boris Beresowski habe Wiktor Juschtschenkos Wahlkampf mit 15 Millionen Dollar finanziert. Beresowski habe ihm das telefonisch bestätigt. Am Freitag entgegnete der Oligarch, er habe gar nicht mit Krawtschuk telefoniert. Zahlungen für die "orangefarbene Revolution" dementierte er jedoch nicht ausdrücklich.

Krawtschuk gehört gegenwärtig zur Führung der Vereinigten Sozialdemokraten, einer Nachfolgepartei der Kommunisten. Er war bis 1990 Mitglied des Moskauer Politbüros ohne Stimmrecht und von 1991 bis 1994 Präsident der Ukraine. Er will nun seine Partei veranlassen, ein Amtsenthebungsverfahren gegen Präsident Juschtschenko anzustrengen.

Dessen Vertrauter David Schwania, Katastrophenschutzminister in der entlassenen Regierung, drehte am Freitag den Spieß um. Geld von Beresowski habe nicht der Präsident, sondern Ministerpräsidentin Julia Timoschenko angenommen. Der aus Georgien stammende Schwania, der der ukrainischen Sprache nicht mächtig ist, war von Anhängern Krawtschuks selber als Empfänger von Beresowski-Geld genannt worden.

Julia Timoschenko, die Symbolfigur der Volksbewegung vom vergangenen Dezember, wird inzwischen von Krawtschuks Partei umworben. Nach den Parlamentswahlen, die im kommenden März stattfinden sollen, könne man "unsere Bemühungen vereinigen", sagte der Postkommunist in einem Rundfunkinterview. Er denke zudem über ein Wahlbündnis mit den Gegnern der "orangefarbenen Revolution" nach, der Partei des im Dezember 2004 unterlegenen Wiktor Janukowitsch.

Während Moskauer Nachrichtenagenturen dies kommentarlos melden, meinen Analytiker in Kiew, Krawtschuk wolle sich mit unredlichen Mitteln ins Spiel bringen, was den Interessen der russlandfreundlichen Partei Janukowitschs entgegenkomme.

Die bisherigen politischen Partner Timoschenko und Juschtschenko gehen unterdessen auf Konfrontationskurs. Der Präsident bezichtigt die ehemalige Regierungschefin, Vorteile aus der Neuordnung der Besitzverhältnisse in bestimmten Großbetrieben ziehen zu wollen. Timoschenkos Lager erhebt Vorwürfe wegen des korrupten Verhaltens von Präsidentensohn Andrej. Dieser habe sich die kommerzielle Verwertung der Revolutionssymbole gesichert.

Timoschenko hatte sich zum Ziel gesetzt, die unter Korruptionsverdacht stehende Privatisierung von 3000 Staatsbetrieben zu untersuchen und rückgängig zu machen. Der vorgesehene neue Regierungschef Juri Jechanurow war als Leiter der staatlichen Eigentumsverwaltung mit der Aufsicht über die Privatisierung betraut.

Aus: Frankfurter Rundschau, 17. September 2005


Zeit der Reife

Die politische Kultur der Ukraine nähert sich einem Niveau an, das eher an die Intrigenspiele im Nachbarland Russland während der letzten Jelzin-Jahren erinnert als an den demokratischen Aufbruch vor zehn Monaten. Was damals erreicht schien - demokratischer Diskurs, Sieg über Wahlfälscher und ziemlich gesetzlose Geschäftemacher, über regionale Cliquen und korrupte Bürokraten -, das geht jetzt offenbar vor die Hunde.

Die sonderbare Taktik des Präsidenten Viktor Juschtschenko, in nur zwei Wochen zuerst die Erfolge des Kabinetts zu rühmen, dann aber die Regierung auf die Straße zu setzen und die sie offenkundig blockierenden Verwaltungsbosse lediglich zu suspendieren, ist für die Krise mit verantwortlich. Je mehr sich die Vorkämpfer der Veränderung auf den schmutzigen Kampf gegeneinander einlassen, desto weniger bleibt von der Orange-Revolution übrig. Die Ränkespiele einiger politisch abgehalfterter Oligarchen dienen genau diesem Zweck.

Noch ein anderer Interessent taucht dahinter auf. Russische Diplomaten in Kiew loben den amtierenden Premier Juri Jechanurow über den grünen Klee, weil er angeblich die Notwendigkeit einer engen Zusammenarbeit mit Moskau besser als die anderen einsieht. Russlands Botschafter Viktor Tschernomyrdin ist über keinen diesbezüglichen Zweifel erhaben.

Was diesen Interessen entgegensteht, ist nicht "der Westen". Es ist das ukrainische Volk, das seine politische Reife vor zehn Monaten bewiesen hat und nun vor der Aufgabe steht, dieses Ergebnis vor den Usurpatoren zu retten.

Karl Grobe

Aus: Frankfurter Rundschau, 17. September 2005


M e l d u n g e n

Experte: Ukrainischer Präsident wird bei den Parlamentswahlen keine Stimmenmehrheit erhalten

MOSKAU, 14. September (RIA Nowosti). Dem Präsidenten der Ukraine Viktor Juschtschenko wird es nicht gelingen, eine Mehrheit im Parlament zu erhalten und seine Regierung zu bilden, meint Sergej Markow, Direktor des Instituts für politische Forschungen.
"Die Parlamentswahlen werden in einem erbitterten Kampf verlaufen. Juschtschenko wird es nicht gelingen, eine Mehrheit im Parlament zu erhalten und seine Regierung zu bilden", sagte er am Mittwoch auf einer Pressekonferenz.
Der Politologe vertritt den Standpunkt, dass in der Ukraine die Tendenz bestehen bleibe, Juschtschenko nicht ans Staatsruder zu lassen. "Juschtschenko träumt davon, auf die Verfassungsreform verzichten zu können. Das wird ihm aber nicht gelingen, weil die Opposition, die sich für die Lösung dieser Frage einsetzt, so groß ist, dass sie alle Versuche Juschtschenkos zum Scheitern bringen wird", sagte Markow.
Wie er meint, werde die Außenpolitik der Ukraine auch in der Zukunft darauf hinauslaufen, Konflikte mit Russland zu schaffen.
Der Politologe meint, dass mit der Entlassung der Regierung in der Ukraine eine Krise der "orange Idee" begonnen habe. "In der Ukraine ist die postrevolutionäre Periode zu Ende, die Idee der ‚orange' Revolution, deren Export in andere GUS-Länder versucht wurde, ist in eine tiefe Krise geraten", sagte er.
Dem Politologen zufolge gestaltete sich die Krise der Idee zur Einsicht in die Unmöglichkeit eines "schnellen Sprungs nach Europa", in die Unmöglichkeit, auf revolutionärem Wege zu einer nicht korrumpierten Macht überzugehen.
"Unter Juschtschenko gibt es nicht mehr Demokratie als vorher. Unter Juschtschenko entfaltet sich eine Verfolgung der politischen Gegner, erfolgt eine Schmälerung der Rechte der Russischsprachigen wie auch der Rechte der Regionen", stellte Markow fest.
Auf die Entlassung der Regierung eingehend, betonte er, dass sie durch die Widersprüche zwischen Juschtschenko und Timoschenko bewirkt worden sei. "Timoschenko hat sich die Aufgabe gestellt, nicht die Wirtschaft, sondern ihr eigenes Rating zu entwickeln, das in der letzten Zeit über dem Rating von Juschtschenko lag. Gerade das hat zur Absetzung von Timoschenko geführt", sagte der Politologe. Am 8. September hatte Juschtschenko auf der Welle der gegenseitigen Beschuldigungen der Mitglieder des Ministerkabinetts die Regierung von Premierministerin Julia Timoschenko entlassen.


Ukrainischer Ex-Sicherheitsratssekretär spricht von einer Verschwörung zur Destabilisierung der Situation im Lande

KIEW‚ 15. September (RIA Nowosti). Der ehemalige Sekretär des Rates für nationale Sicherheit und Verteidigung der Ukraine, Pjotr Poroschenko, ist der Meinung, dass die Äußerungen des Ex-Chefs des Sicherheitsdienstes, Alexander Turtschinow, das Bestehen einer Verschwörung ehemaliger ranghoher Amtspersonen mit dem Ziel, die politische Situation in der Ukraine zu destabilisieren, bestätigen.
"Die Prognosen hinsichtlich des Versuches, ein Szenario zur Destabilisierung der politischen Situation in der Ukraine für eine verfassungswidrige Machtergreifung umzusetzen, haben sich bestätigt", wird in einer Erklärung von Poroschenko unterstrichen, die der Agentur "Nowosti-Ukraina" zugegangen ist.
Turtschinow hatte am Donnerstag auf einer Pressekonferenz eine Reihe von Beamten, darunter auch Poroschenko selbst, einer Verwicklung in Korruption beschuldigt.
Nach Ansicht von Poroschenko wurde am 5. September, als Staatssekretär Alexander Sintschenko erstmals eine Reihe von Personen in der Umgebung von Juschtschenko beschuldigte, "mit der Umsetzung der ersten Etappe des Plans begonnen, dem Erpressung, Lügen und Zynismus zugrunde lagen. Zweifellos hatte ein Kreis von Personen innerhalb von mehreren Monaten diesen Plan sorgfältig vorbereitet. Aber es kam zu einem Fehlstart."
Laut Poroschenko hatte der Ex-Chef des Geheimdienstes, "dem vom Gesetz die Pflichten zur Bekämpfung der Korruption in den höheren Machtetagen auferlegt waren, während seiner Amtszeit die eigenen Vollmachten für die Sammlung, die Anhäufung und die Veröffentlichung kompromittierender Materialien missbraucht, die keine juristische Perspektive hatten".
Da der ehemalige Chef des Sicherheitsdienstes nicht rechtzeitig das Vorhandensein solcher Informationen meldete, müsse er laut Poroschenko nach dem Gesetz "strafrechtliche Verantwortung" tragen.
Wie der ehemalige Sekretär des Rates für nationale Sicherheit und Verteidigung unterstreicht, sind die letzten personellen Entscheidungen des Präsidenten der Ukraine "absolut zeitgemäß, begründet und effektiv".


Nationalbank der Ukraine rechnet 2005 mit zwölfprozentiger Inflation

KIEW, 15. September (RIA Nowosti). Die Nationalbank der Ukraine rechnet in diesem Jahr mit einer Inflationsrate von zwölf Prozent. Das teilte der ukrainische Notenbankchef Wladimir Stelmach am Donnerstag auf einer Pressekonferenz in Kiew mit.
Am stärksten zogen nach seinen Worten die Preise für Zucker, Milch- und Fleischprodukte an - als Folge des unzureichenden Angebotes.
Die Verbraucherpreise stiegen in den ersten acht Monaten des laufenden Jahres in der Ukraine um 6,7 Prozent an. Der Anteil monetärer Faktoren an der Inflation liege laut Stelmach bei 1,8 Prozent.


Ex-Chef des Sicherheitsdienstes: Ermittlung zu Juschtschenkos Vergiftung kann Tatbestand der Vergiftung nicht feststellen

KIEW, 15. September (RIA Nowosti). Die Ermittlung über die Vergiftung des ukrainischen Präsidenten Juschtschenko ist in einer Sackgasse, da der Präsident immer noch keine Proben für die Begutachtung zur Verfügung gestellt hat. Das berichtete der ehemalige Chef des ukrainischen Sicherheitsdienstes SBU, Alexander Turtschinow, auf einer Pressekonferenz in Kiew.
"Damit eine Klage erhoben werden kann, muss der Tatbestand einer Vergiftung vorliegen. Dafür ist ein Gutachten nötig, das wir immer noch nicht haben, und zwar ausschließlich von ukrainischen Experten. Dazu brauchen wir Blut- und Hautproben", sagte Turtschinow.
Laut Turtschinow habe er das auch mit dem Präsidenten selbst besprochen.
"Ich habe ihm gesagt, dass die Affäre nicht kommentiert werden darf, bevor es ein Gutachten gibt. Vorerst sind das nur Vermutungen nach dem Befund einer ausländischen Klinik", so Turtschinow.
Er sagte, dass der Präsident ihm versprochen habe, Proben für die Begutachtung bereitzustellen, das jedoch noch nicht getan habe.
Juschtschenko bekam Anfang September 2004 Probleme mit seiner Gesundheit, als er noch Präsidentschaftskandidat war. Nach einem Abendessen mit der Führung des Sicherheitsdienstes auf der Datsche des ehemaligen Stellvertreters des SBU, Wladimir Satzjuk, am 5. September 2004 fühlte sich Juschtschenko unwohl und wurde am 10. September in die Wiener Klinik Rudolfinerhaus gebracht. Die Ärzte dieser Klinik behaupteten, dass Juschtschenko eine Dioxinvergiftung habe und dass das Gift vor ungefähr fünf Tagen in den Organismus des Patienten gelangte.
Turtschinow wurde am 4. Februar zum Chef des Sicherheitsdienstes ernannt und kündigte sein Amt nach der Entlassung der Regierung von Julia Timoschenko am 8. September.

v Experte: Die Ukraine ist nicht auf die Umstellung der Verrechnung der Gaslieferungen in Geldform vorbereitet

MOSKAU, 15. September (RIA Nowosti). Die Ukraine ist nicht auf die Umstellung der Verrechnung der russischen Gaslieferungen in Geldform vorbereitet, meint der Vorsitzende der Republikanischen Partei der Ukraine, Juri Boiko, der in den Jahren 2002 - 2005 die Erdölgesellschaft Naftogas Ukrainy leitete.
"Es ist erforderlich, die Vertragsbedingungen zwischen unseren Ländern beizubehalten, zumindest auch im nächsten Jahr. Bislang sind wir auf eine derartige Umstellung nicht vorbereitet; sie muss allmählich und in Etappen erfolgen", sagte Boiko auf einer Pressekonferenz bei RIA Nowosti.
Ihm zufolge wird die Monetisierung bilateraler Beziehungen in der Gasbranche das wirtschaftliche Wachstumstempo in der Ukraine verlangsamen.
Gegenwärtig verhandeln Gasprom und Naftogas Ukrainy über die Verrechnungsbedingungen für den Transit russischen Erdgases über die Ukraine nach Europa. Kiew besteht darauf, dass die geltenden Vertragsbedingungen beibehalten werden. Derzeit beträgt der Tarif für den Transit von 1.000 Kubikmeter russischen Gases 1,09 US-Dollar, während die Ukraine für den Bezug von 1.000 Kubikmeter Gas 50 US-Dollar bezahlt. Die europäischen Länder müssen für 1.000 Kubikmeter russischen Gases mehr als 100 US-Dollar bezahlen.
Moskau, das gegenwärtig den Preis für die Transitlieferungen mit Kiew mit Gaslieferungen verrechnet, besteht darauf, dass der Transit ab dem Jahr 2006 durch Geldzahlungen verrechnet wird. Gleichzeitig soll der Preis für das russische Gas, das an Kiew geliefert wird, auf das europäische Niveau angehoben werden.
Nach Berechnungen der russischen Seite soll der Marktpreis, den die Ukraine bezahlen soll, etwa 160 US-Dollar betragen.


Juschtschenko: Osteuropa braucht einen ständigen Platz im UNO-Sicherheitsrat

NEW YORK, 16. September (RIA Nowosti). Der Präsident der Ukraine, Viktor Juschtschenko, schlug vor, Osteuropa einen Platz im reformierten UNO-Sicherheitsrat einzuräumen.
Er nannte am Donnerstag auf der UNO-Vollversammlung im Rahmen des Gipfels-2005 die Reform des Sicherheitsrates ein „Schlüsselelement bei der Steigerung der Effektivität der Gemeinschaft der Nationen“.
„Um aktiver zu handeln, muss er (Sicherheitsrat) mit seiner Zusammensetzung die heutigen Realitäten widerspiegeln. Gerecht wäre die Vertretung aller regionalen Gruppen darin, einschließlich Osteuropas“, sagte Juschtschenko.
Dabei sehe die Ukraine ihre Zukunft in einem vereinten Europa.
„Die Ukraine vollbrachte einen friedlichen Durchbruch zur Freiheit, und wir sind voller Entschlossenheit, eine offene Gesellschaft und Wirtschaft aufzubauen, die in das Weltwirtschaftssystem integriert ist“, erklärte Juschtschenko.

Quelle aller Meldungen: RIA Nowosti (Russische Nachrichtenagentur); http://de.rian.ru/world/


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