Ukrainischer Machtkampf geht in eine weitere Runde
Neues Präsidentenveto gegen Parlamentsentscheidung
Von Manfred Schünemann *
Der Streit um die Machtverteilung zwischen Präsident Viktor Juschtschenko, Ministerpräsident Viktor
Janukowitsch und dem Parlament der Ukraine dauert an. Jüngstes Beispiel ist die
Auseinandersetzung um ein Gesetz über das Ministerkabinett.
Die Werchowna Rada beendete Mitte Januar ihre zweite Sitzungsperiode seit den Wahlen im März
2006 mit einem Erfolg für die Regierungskoalition: Mit Stimmen des Oppositionsblocks von Julia
Timoschenko wies das Parlament mit der erforderlichen Zweidrittelmehrheit das Veto von Präsident
Juschtschenko gegen ein Gesetz zurück, das die Vollmachten des Staatsoberhaupts zugunsten der
Regierung beschneidet.
Dennoch tritt das Gesetz nicht in Kraft: Durch ein Versehen fehlte ein Passus im Gesetzestext. Also
verwies Juschtschenko den Vorgang an das Parlament zurück, wo die ganze Prozedur von vorne
beginnen muss. Schon vorher hatte der Präsident erklärt, dass er das Gesetz für verfassungswidrig
halte und deshalb das Verfassungsgericht anrufen werde.
Seit sich im letzten Sommer eine Parlamentsmehrheit aus der Partei der Regionen, der
Sozialistischen und der Kommunistischen Partei der Ukraine formiert und Janukowitsch zum
Ministerpräsidenten gewählt hat, versucht die Präsidentenpartei »Unsere Ukraine« die
Regierungsarbeit zu torpedieren und einen weiteren Machtverlust des Präsidenten zu verhindern.
Allerdings ist ihr das – nicht zuletzt wegen der Widersprüche innerhalb der Opposition – bisher kaum
gelungen. Denn wider Erwarten ließ sich das Regierungslager bisher nicht spalten: Bei allen
wichtigen Parlamentsentscheidungen behauptete sie ihre Mehrheit. Andererseits vertieften sich die
Widersprüche zwischen den einst verbündeten Parteien der »Orangen-Revolution«, dem
Präsidentenblock »Unsere Ukraine« und dem Block Julia Timoschenko. Das Juschtschenko-Lager
will die Verfassungsreform vom Dezember 2004 zurückrollen, die den Übergang von der
Präsidialrepublik zur parlamentarischen Regierungsform einleitete. Der Block Julia Timoschenko
knüpft seine Unterstützung für dieses Vorhaben zumindest an die Bedingung, dass zugleich
Neuwahlen angesetzt werden – möglichst sogar vorgezogener Präsidentschaftswahlen. Gerade die
aber lehnen sowohl die Regierungsparteien als auch die in der Wählergunst sinkende
Präsidentenpartei ab.
Aufgrund der Differenzen zwischen den Oppositionsparteien konnte sich das Regierungslager bei
wichtigen Abstimmungen im Parlament stets auch auf einen Teil der Opposition stützen und ein Veto
des Präsidenten überstimmen. Neben dem Haushalt 2007 wurden auf diese Weise rund 40 Gesetze
zur Vorbereitung der Ukraine auf den Beitritt zur Welthandelsorganisation und ein Gesetz zur
Entschädigung von Opfern der Hungersnöte 1932/33 beschlossen. Weitere Gesetze zur Reform des
politischen und wirtschaftlichen Systems und zur Anpassung der Parlamentsarbeit an die
geänderten Verfassungsbedingungen werden derzeit vorbereitet.
Während das präsidiale Lager mit allen Mitteln versucht, einen weiteren Machtverlust des
Präsidenten abzuwehren, setzt die Regierung ganz auf ihre stabile Mehrheit in der per Verfassung
gestärkten Werchowna Rada. Ministerpräsident Janukowitsch hat bereits weitere Schritte
angekündigt. Nach der gegenwärtigen Sitzungspause soll die Rada die seit 1993 geltenden
Doktrinen zur Außen- und Sicherheitspolitik ändern und die Rechte des Parlaments auch auf diesen
Gebieten festschreiben. Zwar soll die Verantwortung des Präsidenten formal nicht angetastet
werden – »Das Staatsoberhaupt bleibt das Staatsoberhaupt«, räumte Janukowitsch großzügig ein.
Doch soll das Parlament künftig Grundsätze und Richtlinien bestimmen und die Regierung für deren
Umsetzung verantwortlich sein. Um diesen Anspruch zu untermauern, kündigte Janukowitsch
juristische Schritte gegen die fortdauernde Amtstätigkeit des von der Werchowna Rada entlassenen
Außenministers Boris Tarasjuk an.
So bleibt die innenpolitische Situation in der Ukraine labil. Umso mehr hoffen Regierung und
Bevölkerung, dass Russland seine Zusagen zur stabilen Versorgung der Ukraine mit Energieträgern
einhält – zu Preisen, die nach wie vor günstiger sind als die auf dem Weltmarkt. Nach Aussagen von
Ministerpräsident Janukowitsch wurde für Erdgas ein Lieferpreis von 165 US-Dollar je 1000
Kubikmeter vereinbart. Das sind immer noch über 100 Dollar weniger als Polen oder die EU für
russisches Erdgas bezahlen. Überdies hat Wladimir Putin zugesagt, auch eventuelle Lieferausfälle
auszugleichen, die aus der innenpolitischen Entwicklungen in Turkmenistan resultieren könnten. Die
Energieversorgung der Ukraine scheint jedenfalls für den Winter gesichert, was dem Ansehen der
Regierung Janukowitsch in der Bevölkerung nur dienlich ist.
* Aus: Neues Deutschland, 23. Januar 2007
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