Dieser Internet-Auftritt kann nach dem Tod des Webmasters, Peter Strutynski, bis auf Weiteres nicht aktualisiert werden. Er steht jedoch weiterhin als Archiv mit Beiträgen aus den Jahren 1996 – 2015 zur Verfügung.

Ukrainischer Machtkampf geht in eine weitere Runde

Neues Präsidentenveto gegen Parlamentsentscheidung

Von Manfred Schünemann *

Der Streit um die Machtverteilung zwischen Präsident Viktor Juschtschenko, Ministerpräsident Viktor Janukowitsch und dem Parlament der Ukraine dauert an. Jüngstes Beispiel ist die Auseinandersetzung um ein Gesetz über das Ministerkabinett.

Die Werchowna Rada beendete Mitte Januar ihre zweite Sitzungsperiode seit den Wahlen im März 2006 mit einem Erfolg für die Regierungskoalition: Mit Stimmen des Oppositionsblocks von Julia Timoschenko wies das Parlament mit der erforderlichen Zweidrittelmehrheit das Veto von Präsident Juschtschenko gegen ein Gesetz zurück, das die Vollmachten des Staatsoberhaupts zugunsten der Regierung beschneidet.

Dennoch tritt das Gesetz nicht in Kraft: Durch ein Versehen fehlte ein Passus im Gesetzestext. Also verwies Juschtschenko den Vorgang an das Parlament zurück, wo die ganze Prozedur von vorne beginnen muss. Schon vorher hatte der Präsident erklärt, dass er das Gesetz für verfassungswidrig halte und deshalb das Verfassungsgericht anrufen werde.

Seit sich im letzten Sommer eine Parlamentsmehrheit aus der Partei der Regionen, der Sozialistischen und der Kommunistischen Partei der Ukraine formiert und Janukowitsch zum Ministerpräsidenten gewählt hat, versucht die Präsidentenpartei »Unsere Ukraine« die Regierungsarbeit zu torpedieren und einen weiteren Machtverlust des Präsidenten zu verhindern. Allerdings ist ihr das – nicht zuletzt wegen der Widersprüche innerhalb der Opposition – bisher kaum gelungen. Denn wider Erwarten ließ sich das Regierungslager bisher nicht spalten: Bei allen wichtigen Parlamentsentscheidungen behauptete sie ihre Mehrheit. Andererseits vertieften sich die Widersprüche zwischen den einst verbündeten Parteien der »Orangen-Revolution«, dem Präsidentenblock »Unsere Ukraine« und dem Block Julia Timoschenko. Das Juschtschenko-Lager will die Verfassungsreform vom Dezember 2004 zurückrollen, die den Übergang von der Präsidialrepublik zur parlamentarischen Regierungsform einleitete. Der Block Julia Timoschenko knüpft seine Unterstützung für dieses Vorhaben zumindest an die Bedingung, dass zugleich Neuwahlen angesetzt werden – möglichst sogar vorgezogener Präsidentschaftswahlen. Gerade die aber lehnen sowohl die Regierungsparteien als auch die in der Wählergunst sinkende Präsidentenpartei ab.

Aufgrund der Differenzen zwischen den Oppositionsparteien konnte sich das Regierungslager bei wichtigen Abstimmungen im Parlament stets auch auf einen Teil der Opposition stützen und ein Veto des Präsidenten überstimmen. Neben dem Haushalt 2007 wurden auf diese Weise rund 40 Gesetze zur Vorbereitung der Ukraine auf den Beitritt zur Welthandelsorganisation und ein Gesetz zur Entschädigung von Opfern der Hungersnöte 1932/33 beschlossen. Weitere Gesetze zur Reform des politischen und wirtschaftlichen Systems und zur Anpassung der Parlamentsarbeit an die geänderten Verfassungsbedingungen werden derzeit vorbereitet.

Während das präsidiale Lager mit allen Mitteln versucht, einen weiteren Machtverlust des Präsidenten abzuwehren, setzt die Regierung ganz auf ihre stabile Mehrheit in der per Verfassung gestärkten Werchowna Rada. Ministerpräsident Janukowitsch hat bereits weitere Schritte angekündigt. Nach der gegenwärtigen Sitzungspause soll die Rada die seit 1993 geltenden Doktrinen zur Außen- und Sicherheitspolitik ändern und die Rechte des Parlaments auch auf diesen Gebieten festschreiben. Zwar soll die Verantwortung des Präsidenten formal nicht angetastet werden – »Das Staatsoberhaupt bleibt das Staatsoberhaupt«, räumte Janukowitsch großzügig ein. Doch soll das Parlament künftig Grundsätze und Richtlinien bestimmen und die Regierung für deren Umsetzung verantwortlich sein. Um diesen Anspruch zu untermauern, kündigte Janukowitsch juristische Schritte gegen die fortdauernde Amtstätigkeit des von der Werchowna Rada entlassenen Außenministers Boris Tarasjuk an.

So bleibt die innenpolitische Situation in der Ukraine labil. Umso mehr hoffen Regierung und Bevölkerung, dass Russland seine Zusagen zur stabilen Versorgung der Ukraine mit Energieträgern einhält – zu Preisen, die nach wie vor günstiger sind als die auf dem Weltmarkt. Nach Aussagen von Ministerpräsident Janukowitsch wurde für Erdgas ein Lieferpreis von 165 US-Dollar je 1000 Kubikmeter vereinbart. Das sind immer noch über 100 Dollar weniger als Polen oder die EU für russisches Erdgas bezahlen. Überdies hat Wladimir Putin zugesagt, auch eventuelle Lieferausfälle auszugleichen, die aus der innenpolitischen Entwicklungen in Turkmenistan resultieren könnten. Die Energieversorgung der Ukraine scheint jedenfalls für den Winter gesichert, was dem Ansehen der Regierung Janukowitsch in der Bevölkerung nur dienlich ist.

* Aus: Neues Deutschland, 23. Januar 2007


Zurück zur Ukraine-Seite

Zur Russland-Seite

Zurück zur Homepage