Neue Vorwürfe - alte Machtkämpfe
Ukrainische Streithähne sorgen sich auch in der Krise nicht um den Ruf ihres Landes
Von Manfred Schünemann *
Während die internationale Finanz- und Wirtschaftskrise die Ukraine immer härter trifft, haben die
führenden Politiker eine neue Runde ihres Machtkampfes eingeleitet.
Präsident Viktor Juschtschenko nutzte in der vergangenen Woche eine mehrfach verschobene
Sitzung des Nationalen Sicherheitsrates, um Ministerpräsidentin Julia Timoschenko wieder einmal
des Landesverrats und der Geheimbündelei mit Russland zu bezichtigen. Der Präsident hat den
Sicherheitsrat allmählich in ein Exekutivorgan neben der Regierung verwandelt und wiederholt zur
Diskreditierung seiner Kontrahenten, vor allem der Ministerpräsidentin, genutzt.
Hauptziel der besagten Sitzung war es denn auch, einen neuen Anlauf zu nehmen, um die immer
noch populäre Julia Timoschenko noch vor der Präsidentenwahl -- spätestens Anfang 2010 -- aus
dem Rennen zu werfen. Alle vorherigen Versuche sind allerdings erfolglos geblieben. Die im Herbst
vom Präsidenten verkündete Auflösung des Parlaments war ebenso an den Mehrheitsverhältnissen
in der Werchowna Rada gescheitert wie die von der oppositionellen Partei der Regionen betriebene
Blockade des Staatshaushalts 2009 und ein Misstrauensantrag Ende Januar. Da der Präsident kein
legales Mittel mehr hat, die Premierministerin rasch aus dem Amt zu drängen, versucht er es jetzt
offenbar mit einem gerichtlichen Verfahren. Vorwand sind die Ergebnisse der Verhandlungen über
die Beilegung des Gasstreits mit Russland und ein Kreditersuchen, das Timoschenko an fünf
Staaten, darunter auch Russland, gerichtet hatte.
Die Ukraine braucht dringend Geld zur Deckung eines Haushaltsdefizits in Höhe von etwa 4
Milliarden Dollar und anderer Zahlungsverpflichtungen. Denn der Internationale Währungsfonds hat
die Überweisung der zweiten Tranche seines 16,5-Milliarden-Dollar-Kredits zunächst einmal
gestoppt. Moskau hatte bereits in den Gaspreisverhandlungen seine Bereitschaft erklärt, Kiew einen
Kredit über 5 Milliarden Dollar zu gewähren. Als Gegenleistung erwartet Russland die Anerkennung
der Altschuldenregelung (Moskau übernimmt das Auslandsvermögen und alle
Zahlungsverpflichtungen der UdSSR), über die man sich beim Zerfall der Sowjetunion verständigt
hatte, die von der Ukraine aber immer wieder in Frage gestellt wird.
Der Machtkampf zwischen Präsident und Ministerpräsidentin -- den einstigen Hoffnungsträgern der
»Revolution in Orange« -- blockiert seit Jahren die gesellschaftliche Entwicklung und gefährdet das
internationale Ansehen des Landes, was es noch schwieriger macht, einen Ausweg aus der
Wirtschafts- und Finanzkrise zu finden. Die Ukraine ist in den letzten Monaten voll in den Strudel
dieser Krise geraten. Die Industrieproduktion ging um über 20 Prozent zurück, das
Bruttoinlandsprodukt wuchs 2008 nur noch um 2,1 Prozent -- gegenüber 10,2 Prozent 2007. Die
Inflationsrate erreichte mit etwa 23 Prozent wieder das Niveau der 90er Jahre. Die Unzufriedenheit
im Lande wächst. Das Ansehen der demokratischen Institutionen -- Parlament, Regierung,
Präsident, Verfassungsgericht, Nationalbank -- und ihrer Repräsentanten ist inzwischen unter das
Niveau der Krisenzeit gegen Ende der Präsidentschaft Leonid Kutschmas (2003) gesunken. Ganze
4 Prozent unterstützen uneingeschränkt die Politik von Präsident Juschtschenko, über 40 Prozent
sehen in ihm den Verantwortlichen für die derzeitige politische und wirtschaftliche Krise.
Aber auch das Ansehen der Ministerpräsidentin und ihres Wahlblocks BJUT sinkt. Die Zustimmung
zur Regierungspolitik hat im Verlaufe des vergangenen Jahres um etwa ein Drittel abgenommen,
sodass sich jetzt bereits über 50 Prozent unzufrieden äußern.
Angesichts dessen beginnen sich die politischen Kräfte umzugruppieren. Im früheren
Präsidentenblock »Unsere Ukraine -- Selbstverteidigung des Volkes« formieren sich deutlich drei
Gruppierungen: die Zentristen, die bereits seit Herbst 2008 mit dem Block Julia Timoschenkos
zusammenarbeiten, die Nationalistisch-Konservativen Nationalisten und die Juschtschenko-
Anhänger, die ein Zusammengehen mit der Partei der Regionen (PdR) anstreben. Ähnliche
Differenzierungen zeichnen sich in jüngster Zeit auch in der PdR ab. Zwar wurde im Parlament
bisher Fraktionsdisziplin gewahrt, doch einen Teil der Abgeordneten zieht es immer stärker in
Richtung des Timoschenko-Blocks. Weder eine Abspaltung noch das organisatorische
Zusammengehen mit dem verständigungswilligen Teil des Juschtschenko-Blocks sind
auszuschließen.
Diskussionen gibt es auch in der Kommunistischen Partei (KPU). Dem langjährigen Vorsitzenden
Petro Simonenko werden »Entfremdung von der Parteibasis« und sein persönlicher Lebenswandel
angekreidet. Tatsächlich ist diese Kritik aber wohl Ausdruck von Unzufriedenheit mit der
»unkritischen« Tolerierung der Timoschenko-Regierung.
* Aus: Neues Deutschland, 18. Februar 2009
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