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Das "neue Europa" macht mobil gegen Russland

Polen, Litauen und die Ukraine gründen eine gemeinsame Brigade: NATO-Osterweiterung durch die Hintertür

Von Peter Strutynski

Am 17. November 2009 besiegelten Regierungsvertreter aus Litauen, Polen und der Ukraine ein Abkommen, wonach die Streitkräfte dieser drei Staaten eine gemeinsame Brigade aufstellen wollen. Dieser militärische Großverband (eine Brigade besteht aus mehreren Tausend Soldaten und setzt sich aus mehreren Truppengattungen zusammen) soll ab 2013 einsatzbereit sein und an UN-, Nato- und EU-Missionen teilnehmen dürfen. Während es bislang bereits gemeinsame Streitkräfte von Polen und den baltischen Staaten sowie – seit zehn Jahren - ein Polnisch-Ukrainisches Bataillon (PolUkrBat) gibt, ist der nun gegründete ständige Verband ein Novum: Es geht hier augenscheinlich darum, die militärische Zusammenarbeit auf der operativen Ebene zu intensivieren und den ukrainischen Streitkräften die Möglichkeit eröffnen, sich in die taktischen und logistischen Strukturen der NATO "einzuleben".

Ort und Zeitpunkt der Übereinkunft der Regierungen der drei Länder Polen, Litauen und Ukraine, eine gemeinsame Streitmacht zu gründen, sind nicht zufällig gewählt. Brüssel ist der Stützpunkt der NATO-Zentrale und zugleich die Hauptstadt der Europäischen Union. Während Litauen und Polen der NATO angehören, bleibt der Ukraine der Zugang zur NATO bis auf weiteres verwehrt. Nicht weil die NATO, und hier insbesondere die USA, nicht wollte, sondern weil die innenpolitischen Verhältnisse einen reibungslosen Beitritt zur NATO zur Zeit nicht zulassen. Zu groß ist der Widerstand in der Bevölkerung gegen eine einseitige militärische Bindung an das westliche Militärbündnis, zu stark die Verflechtung der Zivilgesellschaft mit Russland. Während die Verteidigungsminister bzw. deren Emissäre der drei Länder in Brüssel die Vereinbarung über eine militärische Kooperation verhandelt und unterzeichnet haben, weilte die ukrainische Regierungschefin Julia Timoschenko bei ihrem russischen Amtskollegen Putin im Krimbadeort Jalta, um den Russen den ungehinderten Transit russischen Erdgases nach Westeuropa zuzusichern. Das war auch nötig, nachdem der noch amtierende ukrainische Präsident Viktor Juschtschenko in einem offenen Brief an Russlands Staatschef Dmitri Medwedew mit "Problemen" beim Gastransit gedroht hatte, falls die im Januar 2009 zwischen Moskau und Kiew ausgehandelten Gasverträge nicht schnellstmöglich "revidiert" würden. Timoschenko versprach Putin: "In diesem Winter wird die Ukraine einen reibungslosen Transit gewährleisten." Nun ist Timoschenko genauso wenig ein Freund der Russen wie Juschtschenko - eine solche Garantieerklärung war aber zur Beruhigung der befreundeten Europäischen Union, die auf die störungsfreie Ankunft der russischen Energie angewiesen ist, dringend erforderlich. Außerdem wollte Timoschenko, die sich Anfang 2010 um die Präsidentschaft gegen den abgehalfterten und wohl chancenlosen Amtsinhaber sowie gegen den populären russophilen Kandidaten der oppositionellen Partei der Regionen, Viktor Janukowitsch, bewirbt, bei den russenfreundlichen Teilen der Bevölkerung Boden gut machen.

Zugleich aber spielt die ukrainische Regierung in Brüssel die westliche Karte gegen Russland aus. Natürlich haben sowohl die NATO als auch die Europäische Union davon gewusst. Die Tatsache, dass der Dreiländer-Militärvertrag in den hiesigen Medien kaum Erwähnung fand, deutet darauf hin, dass man das Ereignis in Brüssel eher verschämt als Bagatelle und als reine Angelegenheit der drei Staaten behandeln möchte. In Wirklichkeit hat der Militärpakt erhebliche Sprengkraft. Einmal zeigt er, dass das, was der frühere Verteidigungsminister der Bush-Ära, Donald Rumsfeld einst das "neue Europa" genannt hatte, auch weiterhin Außen- und Sicherheitspolitik am "alten Europa" vorbei macht - wenn es denn nötig erscheint. Die baltischen Staaten und Polen sind so etwas wie die unheilige Aggressivkraft gegenüber dem vermeintlichen Gegner Russland. Nun haben die Polen gerade die US-Raketenabwehr nicht erhalten (was sie zur Speerspitze der NATO-Front gegen die russische "Gefahr" geadelt hätte) und müssen auf einem Ersatzspielfeld ihren Kampfgeist gegen den Osten zur Schau stellen.

Das Bündnis mit der reaktionären ukrainischen Regierung stellt auch noch aus einem anderen Grund ein Politikum dar: Zwei NATO-Mitglieder bieten ihre NATO-Militärstrukturen einem Nicht-NATO-Mitglied an, auf dass dieses schon einmal die - spätere - Aufnahme in den Club üben kann. Zu Recht nannte der russische Auslands-Experte Fjodor Lukjanow den dreisten Dreier als "Surrogat" für die nicht erfolgte NATO-Integration der Ukraine. Der Nato-Beitritt postsowjetischer Länder wie Georgien und die Ukraine sei zwar auf die lange Bank geschoben worden. Die Westeuropäer und Amerikaner würden aber andere Optionen suchen, um zu beweisen, dass sie diese Länder doch integrieren wollen, sagte Lukjanow, Chefredakteur des renommierten Magazins "Russia in Global Affairs", der Russischen Nachrichtenagentur RIA Novosti. "Diese Brigade ist ein gewisser Versuch zu sagen: Wir können euch zwar nicht in die Nato aufnehmen, haben euch jedoch nicht vergessen". So ist es gewiss auch kein Zufall, dass einen Tag vor der Unterzeichnung des Polen-Litauen-Ukraine-Vertrags eine hochrangigen Konsultation zwischen der NATO und der Ukraine stattgefunden hatte; es waren die siebenten "Informal High-Level NATO-Ukraine Consultations, an denen diverse Verteidigungsminister der NATO teilnahmen. Sie alle werden von den Absichten der Ukraine, Litauens und Polens gewusst haben.

Vergessen haben die Strippenzieher des Dreierbündnisses aber, dass im Kreml sehr genau registriert wird, wie die NATO und die Europäische Union mit Russland umgehen. Hier dürfte man sich, kaum dass mit der Beendigung der Raketenabwehrpläne eine gewisse Entspannung eingetreten war, wieder in die Defensive gedrängt fühlen. Auf russische Antworten darf man daher gespannt sein. Als hätte Moskau geahnt, dass ein neuer unfreundlicher Nadelstich der antirussischen Phalanx bevorsteht, hat die russische Staatsführung vor kurzem bereits in die Diskussion gebracht, einen präventiven Militärschlag mit Atomwaffen in ihrer neuen Sicherheitsdoktrin festschreiben zu wollen. Hinzu kommt, dass Russland die Verhinderung beliebiger bewaffneter Konflikte als seine wichtigste Aufgabe betrachtet, wobei auch der "operative Einsatz der Streitkräfte" Russlands im Ausland vorgesehen sein soll. Dabei denken die Strategen des Kreml gewiss nicht an Einsätze in Afrika oder im Nahe Osten. Ausland sind vor allem die ehemaligen Sowjetrepubliken, mithin also auch die Ukraine.


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